Der letzte Engel 0: Aufbruch ins Ungewisse

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#1 of Der letzte Engel

Ein ganz normaler Tag im Kloster endet für die junge Alyssa mit einem Aufbruch in ein Abenteuer dessen wahres Ausmaß noch vollkommen im Dunkeln liegt. Nur eines ist gewiss, nichts wird je wieder so sein wie es einmal war.


„... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Unser täglich ...!", abrupt brach das gemurmelte Gebet ab. Ein lautes Pochen an der schweren Holztür meldete sich störend zu Wort. Alyssa dröhnte es dahinter hervor. Schnell raffte sich die Angesprochene auf und strich sich die Kutte glatt bevor sie zur Tür ging. Ein unschöner Anblick erwartete sie bereits. Eine der Älteren, Schwester Katherina, machte bereits einen ungeduldigen Eindruck auf sie. Instinktiv zog Alyssa den Kopf ein. Sie kannte Schwester Katherina nur zu gut und sie war sehr großzügig wenn es darum ging sie wegen eines kleinen Fehlers zu züchtigen. Sie war im ganzen Kloster berüchtigt für ihren schnellen Umgang mit dem Weidenzweig. Selbst die anderen Schwestern spürten ihn von Zeit zu Zeit. Alyssa noch viel öfter. Demütig schlüpfte sie aus ihrer Kammer heraus und wartete ab was Schwester Katherina zu sagen hatte. Diese blieb jedoch wortkarg und packte sie stattdessen nur am Arm und zerrte sie mit sich. Stolpernd versuchte Alyssa mit der deutlich größeren Schwester Schritt zu halten. „Komm jetzt, wir müssen dich noch fertig machen!", tadelte Schwester Katherina und schob sie durch durch das alte Gemäuer des Klosters.

„Wofür denn?", fragte Alyssa vorsichtig. Sie musste zwar laufen um mit dem strammen Schritt der Schwester mitzuhalten, doch sie war das bereits gewöhnt. Ihre nackten Füße huschten nun schon so lange durch diese Gänge, dass sie es gar nicht anders kannte.

„Das hat dich nicht zu kümmern!", keifte sie die alte Ordensschwester laut an. In einem kleinen Lagerraum ließ sie dann endlich von ihrer Hand ab und wand sich von ihr ab. Alyssa verkniff sich weitere Fragen. Stattdessen blieb sie gehorsam dort stehen wo Katherina sie gelassen hatte und sah ihr zu. Katherina suchte derweilen in einem alten Holzschrank nach etwas das sich scheinbar gut zu verstecken schien. „Wieso müsst ihr Mäuse auch nur so klein sein", murmelte sie ärgerlich ohne sich umzudrehen. Schuldig sah Alyssa auf den Boden. Unter schwarzem Dreck blitzte hin und wieder ein bisschen weißes Fell an ihren Füßen hervor. Sie war klein, das stimmte. Ein Meter Siebzig war nicht gerade viel. Es war jedoch normal für ihre Art. Zumindest hatte sie das einmal gelesen. Gesehen hatte sie eine andere Maus noch nie außerhalb eines Buches. Es gab nicht viel Abwechslung im Kloster was die Gesichter anbelangte. Es waren durchwegs Menschen. Nur früher gab es einmal eine Wölfin. Die alte Schwester Oberin im Kloster war jedoch schon vor einigen Jahren gestorben. Möge ihre Seele im Reich der Mutter Frieden finden. Seit sie gestorben war hatte sich im Kloster einiges geändert. Alyssa war froh dass sie so alt geworden war. Sie hatte immer eine Mutter in ihr gesehen. Sie hatte sie großgezogen als sie als Waise vor dem Kloster abgelegt wurde, hatte ihr sogar das Lesen beigebracht. Ihre Geschichten hatte sie immer geliebt. Jetzt jedoch durfte sie nicht mehr in die Bücherei. Die Schwestern hatten zu viel Sorge sie könnte eines der wertvollen Bücher dort beschädigen.

„Na endlich!", jubelte Schwester Katherina als sie eine Ordenskutte aus dem Schrank hervor gezogen hatte. „Die sollte passen", sprach sie zufrieden und hielt sie vor Alyssa. Die Maus war sprachlos. Eine Ordenskutte? Sollte das etwa bedeuten dass sie endlich als Novizin aufgenommen wurde? Es fiel ihr schwer das zu glauben. Man hätte ihr doch bestimmt etwas gesagt. Außerdem hatte sie das Gefühl dass die aktuelle Schwester Oberin sie nicht sonderlich mochte. Sie war zwar schon seit neunzehn Jahren hier im Kloster, doch nun tatsächlich in den Orden der heiligen Mutter Illias aufgenommen zu werden war ein Traum der bisher in ewiger Ferne schwebte. Mit zittrigen Fingern nahm sie die Tracht in ihre Hände und besah sie fasziniert. Sie hatte sie schon so unendlich oft gesehen und doch wirkte sie in diesem Moment wie von einem anderen Stern. Unsicher sah sie zu Schwester Katherina. Diese nahm ihr die Kutte kurzerhand wieder ab und befahl ihr sich auszuziehen. Gehorsam legte Alyssa ihre Lumpen aus braunem Leinenstoff ab und legte sie sorgsam zusammen auf einem Stuhl ab. Sie waren solche Fürsorge kaum wert, bedachte man wie oft sie schon von ihr geflickt wurden und wie lange sie sie schon hatte. Nackt wie Illias sie schuf stand sie vor Schwester Katherina die ihr nun die Ordenstracht tatsächlich wieder reichte.

Der weiße Stoff der Robe war unmöglich mit dem groben Leinen zu vergleichen das sie bisher getragen hatte. So etwas Weiches hatte sie noch nie getragen. Sie schlüpfte in die Robe und Katherina legte ihr anschließend den Kapuzekumhang über die Schultern. Alyssa traute sich kaum die silberne Brosche anzufassen die den Umhang knapp unter ihrem Hals zusammen hielt. Es war das erste Mal in ihrem Leben dass sie Schmuck trug. Abgesehen von dem hölzernen Kreuz welches an einer dünnen Lederschnur um ihren Hals hing seit sie denken konnte. Es waren jedoch weder die Kleider, noch der Schmuck der Alyssa so sehr verblüfften. Es die Bedeutung von ihnen. Jedes Jahr zum Herbst, wenn die neuen Novizinnen im Kloster aufgenommen wurden hatte sie sich gemeldet doch jedes Mal war sie abgelehnt worden. Sie war nie gut genug für die heilige Mutter. Jahr für Jahr hatte man ihr gesagt dass sie noch viel lernen müsste, frommer werden müsste, dass sie es nächstes Jahr wieder probieren sollte und bis dahin im Kloster ihren Gehorsam unter Beweis stellen sollte. Sie hatte es getan. Jahr für Jahr. Dass es nun tatsächlich endlich so weit war konnte sie kaum fassen. Ihr blieb kaum Zeit sich an die immer noch etwas zu große Tracht zu gewöhnen bevor sie schon von Schwester Katherina aus dem Zimmer und auf den Gang gescheucht wurde.

„Komm, wir sind spät dran!", trieb diese sie an. Alyssas Füße hasteten über den kahlen Steinboden im Kloster so schnell sie konnten. Mit ihren Händen hob sie die Robe an um das helle Weiß nicht dreckig zu machen. Von Katherina wurde sie quer durchs Kloster gehetzt bis zu einem kleinen Aufenthaltsraum nahe der Kapelle. Dort saß bereits die Schwester Oberin die Alyssa kritisch besah. Die junge Maus straffte unter ihrem Blick sofort ihre Haltung und legte die Ohren flach an den Kopf. Das Letzte was sie nun wollte war dass man es sich anders überlegte und ihr die Tracht womöglich wieder abnehmen würde. „Gut genug", sprach die Schwester Oberin und stand auf. Mit einer Hand bedeutete sie Alyssa zu folgen. Zusammen gingen sie zur großen Pforte des Klosters die bereits einen Spalt geöffnet war. Genug für die beiden um hindurch zu schlüpfen.

Alyssa kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Erst wurde sie offenbar in den Orden aufgenommen und nun würde sie mit der Schwester Oberin zusammen das Kloster verlassen? Es fühlte sich wie ein Traum an. Sich kneifen traute sie sich jedoch nicht. Selbst wenn es ein Traum war, sie wollte nicht riskieren aufzuwachen. Sie waren nicht alleine vor dem Tor. Eine in einen Umhang gekleidete Person stand bereits dort und schien zu warten. Als sie sich umdrehte erkannte Alyssa dass es sich um eine Frau handelte. Eine Hündin. Langes braunes Fell zeigte sich an ihrem Hals und im Gesicht. Mehr freies Fell ließ der Umhang und die darunter liegende Kleidung nicht einsehen. Alyssa gefiel das helle Braun ihres Fells. Es erinnerte sie an ihre Ziehmutter. „Das ist sie?", fragte diese mit bestimmter Stimme. Sie überragte Alyssa um nicht weniger als zwei Köpfe. Der Umhang verriet nicht viel von ihrer Statur, die Rüstungsteile die darunter hervor blitzten jedoch umso mehr. Eine Kriegerin.

„Ja, das ist Schwester Alyssa", stellte die Schwester Oberin sie vor. Ungläubig blickte Alyssa sie an. Schwester? Sie war doch noch nicht einmal eine Novizin. „Das ist Rebecca Eisenwald. Sie hat einen Auftrag von Kardinal Schönfeld bekommen und um Geleit einer Ordensschwester gebeten. Du wirst sie bei ihrem Auftrag unterstützen und ihr gehorchen!", befahl die Schwester Oberin streng. Alyssa hatte schon lange auf Durchzug geschaltet. Diese Kriegerin war im Auftrag eines Kardinals unterwegs! Dieser Tag wurde von Minute zu Minute eigenartiger.

„Eine Maus, huh? Naja, sollte reichen", befand die Hündin und überreichte der Schwester Oberin einen kleinen Lederbeutel. „Ich hoffe du bist kräftiger als du aussiehst, du wirst mir beim Tragen der Ausrüstung helfen. Na los, wir sollten schon längst unterwegs sein!", befahl die Hündin und zeigte auf einen Rucksack der neben ihr stand. Eilig schritt sie zu ihm und hievte sich den schweren Lederrucksack auf die Schultern. Er war schwer, doch nicht so schwer wie die Kartoffelsäcke die sie im Kloster ständig aus dem Keller in die Küche tragen musste. Ehe Alyssa verstand wie ihr geschah, marschierte die Kriegerin auch schon los. Ein letztes Mal drehte sie sich um, sah wie die Schwester Oberin hinter der Klosterpforte verschwand bevor sie zu der Hündin aufschloss. Eine Reise im Auftrag eines Kardinals. Unglaublich. Mehr noch, sie durfte dafür sogar die Tracht einer echten Ordensschwester tragen. Das Gewicht des Rucksacks war nahezu verschwunden im Angesicht solch großer Ereignisse. Während das Kloster im Hintergrund immer kleiner wurde blickte Alyssa noch oft zurück. Es war ihre Heimat seit sie denken konnte. Man hatte sie dort aufgenommen, groß gezogen und bisher kannte sie die Welt außerhalb nur aus Büchern und Geschichten. Sie nun tatsächlich zu erleben war ein wahr gewordener Traum. Sie hoffte nur, dass sie nicht allzu schnell aufwachen würde.

„Frau Eisenwald?", fragte Alyssa nach einer Weile des strammen Fußmarsches. Die Hündin wandte ihr nur raunend den Kopf zu.

„Wohin wird uns der Auftrag des Kardinals führen, wenn Ihr mir die Frage gestattet?"

„Eine Tagesreise nach Osten. Dort werden wir unsere Vorräte in einem nahen Dorf aufstocken und dann weiter nach Norden ziehen. Unser Ziel liegt in den Yasif Bergen. Eine gewaltige Burganlage wie ich gehört habe", erklärte die Kriegerin.

„Du scheinst mir ziemlich jung zu sein. Wie alt bist du ... Alyssa, richtig?", fragte Rebecca.

„Ich bin neunzehn Jahre alt", antwortete Alyssa sofort. Die Kriegerin nickte nur.

„Wir haben noch einen weiten Weg vor uns heute, erzähl mir etwas über dich", forderte Rebecca sie auf ohne sie dabei anzublicken. Alyssa stutzte für einen Moment. Auf die Schnelle fiel ihr gar nichts ein was sie so über sich erzählen könnte.

„Was möchtet Ihr denn wissen?", fragte sie nach. Im Kloster mochte man es gar nicht wenn sie nachfragte. Sie war oft dafür gestraft worden. Sie hoffte nur dass Rebecca es nicht ebenso handhaben würde.

„Egal. Alles. Wir haben noch einige Stunden tot zu schlagen. Wo kommst du her, seid wann bist du im Kloster, warum bist du im Kloster? Du weißt schon, das Übliche halt", verlangte die Hündin und gestikulierte ihr dabei mit kreisenden Handbewegungen.

„Also, wo ich her komme weiß ich nicht. Ich wurde als Baby vor der Klosterpforte abgelegt. Seitdem bin ich im Kloster", antwortete Alyssa wahrheitsgemäß.

„Keine sonderlich ergiebige Lebensgeschichte", seufzte Rebecca.

„Nun, dann lass mich dir eben etwas von mir erzählen. Sei gewiss, ich habe genug Geschichten für mehr als nur eine Tagesreise", lachte sie und Alyssa musste ebenso grinsen. Geschichten von einer Kriegerin würden bestimmt spannend sein.

„Also, meinen Namen kennst du ja bereits. Das du noch nie von mir gehört hast wundert mich nicht wenn du noch nie aus dem Kloster raus bist. Wie dem auch sei, ich bin eine Jägerin des Vatikans. Nicht irgendeine, sondern die Beste!", prahlte Rebecca stolz. Alyssa bestaunte sie mit offenem Mund.

„Waren Sie wirklich schon einmal im Vatikan?", fragte sie fasziniert nach.

„Natürlich, unzählige Male schon. Wer weiß, vielleicht machen wir uns in zwei Tagen schon auf den Weg dorthin um meine Belohnung von Kardinal Schönfeld abzuholen. Ich glaube nicht dass dieser Auftrag große Schwierigkeiten machen wird", sprach Rebecca und klopfte sich dabei auf die Brust.

„Darf ich fragen was denn Ihr Auftrag ist?"

„Natürlich, du wirst mir schließlich dabei helfen", lachte Rebecca. Ein Lächeln fand sich auf Alyssas Gesicht. Die Kriegerin war viel netter als sie am Anfang gedacht hätte. Sie schien sie auch tatsächlich wie eine Ordensschwester zu behandeln. Sie redete sogar mit ihr, erlaubte ihr Fragen und hatte sie bisher noch kein einziges Mal geschimpft.

„Wir gehen auf die Dämonenjagd! Genauer gesagt, einen Vampir töten der in der Burg im Yasif Gebirge sein Unwesen treibt", erklärte Rebecca. „Du brauchst aber keine Angst zu haben, ich bin schließlich die Beste und außerdem habe ich ... Alyssa?"

Kurz sah sich die Hündin um bevor sie die Maus einige Meter hinter sich am Weg stehen sah. Fasziniert beobachtete sie dass sogar weißes Fell noch bleich werden konnte. Die Maus stand einer Salzsäule gleich am Wegesrand.

„Na großartig. Ein Angsthase", murmelte Rebecca leise bevor sie zu ihr zurück ging.

„Hey, beruhig dich, du brauchst nichts zu machen außer mir beim Tragen zu helfen. Das ist ein Routinejob für mich. Schon vergessen, ich bin die beste Jägerin im Vatikan. Dir wird also nichts passieren. Nun komm, wir müssen weiter!", befahl Rebecca und tatsächlich bewegten sich Alyssas Beine. Sie taten es jedoch gänzlich ohne das Zutun ihres Verstandes. Dieser war noch immer Gefangen in dem Alptraum einem Dämon begegnen zu können. Sie sah zwar das Rebecca noch immer auf sie einredete, zwischendurch immer wieder laut lachte, doch ihre Worte schafften es nicht bis an Alyssas Ohren. Bei Illias, wo war sie da nur hinein geraten.

Alyssa blieb stumm während des weiteren Weges. Es schien Rebecca nicht sonderlich zu stören. Im Gegenteil, sie schien sich bestens damit zu unterhalten ihre bisherigen Heldentaten wiederzugeben. Nach einer Weile hatte Alyssa ihren Schock überwunden und begann ihr zuzuhören. Den Geschichten nach brauchte sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Rebecca schien in der Tat eine ausgesprochen erfolgreiche Dämonenjägerin zu sein. Dass sie zudem noch das Vertrauen eines Kardinals genoss war ein weitere Beweis für ihre Fähigkeiten. Es half ein kleines bisschen ihr die Angst zu nehmen. Es verhinderte jedoch nicht dass sie immer wieder zu dem hölzernen Kreuz unter ihrer Robe griff um sicherzugehen, dass es noch da ist und die himmlische Mutter sie noch immer schützte.

Erst spät nach Sonnenuntergang erreichten sie das Dorf Strangdorn. Hier wollte Rebecca die Nacht verbringen und Vorräte kaufen. Zielstrebig hielt die Hündin auf das örtliche Gasthaus zu. Selbst zu solch später Stunde schien hier noch reger Betrieb zu herrschen. Fasziniert sah sich Alyssa die Gebäude an. Das Kloster bestand nur aus groben Steinblöcken. Hier jedoch waren die Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut, Dächer die nur mit Stroh gedeckt waren und kein Glas in den Fenstern hatten. Etwas weiter weg sah sie eine kleine Kapelle. So unscheinbar sie auch wirkte, für Alyssa war sie wie eine Oase in der Wüste. Ein vertrautes Bild in dieser fremden Welt in die sie gestolpert war. Zeit zum Beten war ihr jedoch nicht vergönnt. Sie musste sich beeilen um mit Rebecca Schritt zu halten. Vor der Tür zum Gasthof holte Alyssa noch einmal kurz Luft bevor sie der Kriegerin folgte und eintrat.

Der Geruch von Wein und angebranntem Fleisch lag schwer in der Luft. Es war heiß und laut. Gut zwei Dutzend Gäste waren verteilt auf wenige massige Holzbänke. Ruppige Gestalten in lumpenhafter Kleidung wie sie selbst sie bis heute getragen hatte. Rebecca schritt direkt zur Theke und begann mit dem Wirten zu reden. Alyssa wusste nicht so recht was sie nun machen sollte. Geld besaß sie keines und ein Zimmer für die Nacht würde garantiert etwas kosten. Ebenso die Vorräte. Sie hatte heute schon etwas von Rebecca bekommen bei einer kleinen Rast. Wie sie ihr dies zurückbezahlen sollte war ihr noch unklar.

„Oh, verehrte Schwester! Einen Segen für meine Enkelin. Sie ist schwer krank, ich flehe euch an!"

Erschrocken wandte sich Alyssa um. Ein hagerer alter Mann stand vor ihr und hielt ein in Stofflumpen gehülltes Kleinkind. Erwartungsvoll streckte er es ihr entgegen. Überraschend schnell wurde es still um Alyssa herum. Mehr und mehr Augenpaare richteten sich auf die junge Maus. Ein kurzer Blick verriet ihr dass auch Rebecca und der Wirt in ihrem Streit kurz Pause eingelegt hatte um ihr zuzusehen. Alyssa spürte die ersten Schweißperlen bereits unter ihrem Fell hervor kriechen. Sie hatte noch nie etwas gesegnet. Sie war doch noch nicht einmal eine Novizin. Durfte sie das überhaupt? Sie hatte nie die Weihe als Priesterin bekommen, geschweige denn irgendeinen der zahllosen Schritte die dafür überhaupt nötig waren. Ein von ihr gesprochener Segen war nicht mehr wert als der eines jeden der um sie herum stehenden Dorfbewohner.

„Na los Alyssa!", schrie ihr Rebecca von der Theke aus zu. Zustimmendes Gemurmel aus der Menge gab der Hündin recht. Alyssa gab sich ihrem Schicksal hin. Sie könnte diese vielen Menschen ohnehin nicht enttäuschen. Dafür hatte sie weder das Herz noch den Mut. Sie versuchte sich daran zu erinnern ob sie schon einmal bei einer Segnung zugesehen hatte während sie langsam den Rucksack ablegte um noch etwas Zeit zu schinden. Als sie auch ihre Kapuze zurück klappte hörte sie einiges Staunen aus der Menge. Sie hatten wohl noch nicht alle gesehen gehabt dass sie selbst kein Mensch war. Der Alte mit dem Kind kam ein Stück näher zu ihr und hielt seine Enkelin vor Alyssa. Die junge Maus atmete tief durch bevor sie die Augen Schloss.

„Möge Illias Licht dich begleiten auf deinem Weg durch dunkle Täler und finstere Zeiten. Möge ihre Kraft dich stärken in Zeiten der Prüfung. Möge ihre Weisheit dich leiten in Zeiten des Zweifels. Möge ihr Geist dein Herz berühren und dir Gesundheit schenken!", rezitierte sie so gut sie konnte aus ihrem Gedächtnis. Mit ihrem Daumen strich sie ein Kreuz auf die Stirn des Kleinkindes als sie fertig war. Überall um sie herum hörte sie die Dorfbewohner murmeln. „Amen", „Gepriesen sei Illias" und noch einige andere Gebetsformeln. Endlos erleichtert entspannte sich Alyssa etwas. Offenbar hatte sie nichts falsches gesagt.

„Vielen Dank, Schwester! Vielen Dank!", überschlug sich der Alte mit Danksagungen und andere, vermutlich Teil seiner Familie taten es ihm gleich. Mit Lob oder gar Dank war Alyssa heillos überfordert. Sie hoffte nur dass man sie alsbald in Ruhe lassen würde. Dieser Tag war schon ereignisreich genug gewesen auch bevor man von ihr eine Segnung verlangt hatte. „Na komm!", hörte sie Rebecca plötzlich neben sich. Die Kriegerin hatte sich den Rucksack bereits über die Schulter geschlungen und schien ungeduldig darauf zu warten dass sie mitkam. Es war eine willkommen Möglichkeit zur Flucht. Rebecca brachte sie in einen kleinen Gang hinter dem Schankraum und an dessen Ende zu einer modrigen Holztür. Eine kleine Stube versteckte sich darin. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und zwei Stühle. Es war nicht viel doch Rebecca schien es zu reichen und verglichen mit ihrer Kammer im Kloster war es ebenso eine Steigerung.

„Ich wusste doch dass es sich auszahlt eine Ordensschwester mitzunehmen", lachte Rebecca als sie die Tür hinter sich zuschlug und den Rucksack achtlos in die Ecke warf. „Deine kleine Vorstellung eben hat ziemlich Eindruck gemacht. Vor allem auf den Wirt. Es war nämlich seine Tochter die du da eben gesegnet hast. Er hat sich geweigert auch nur einen Groschen für das Zimmer anzunehmen. Das Essen müssen wir zwar bezahlen aber seine Frau bereitet uns dafür ein Bad vor. Nicht schlecht, was?", verkündete Rebecca. Verblüfft hörte ihr Alyssa zu.

„Das ... das geht nicht!", begehrte Alyssa auf. Neugierig sah Rebecca zu ihr. Entschlossenheit war etwas was sie bei Alyssa bisher noch nicht gesehen hatte. Auch die geballten Fäuste der Maus waren neu. „Das dürfen wir nicht annehmen, es wäre falsch!"

„Was redest du da? Du hast seine Tochter gesegnet und er möchte sich dafür bedanken. Das ist doch Gang und Gebe bei den Schwestern von Illias", wunderte sich Rebecca.

„Ich ... ich bin aber keine richtige Ordensschwester!", platzte es aus Alyssa hervor bevor sie ihre Entschlossenheit verlor und stattdessen in sich zusammen sackte.

„Na und?", hörte sie die verständnislosen Worte von Rebecca.

„Na und? Ich habe nie die Priesterweihe erhalten! Ich darf nichts segnen. Ich weiß doch nicht einmal genau wie das geht, ich weiß nicht was in mich gefahren ist es einfach so zu machen. Ich werde zum Wirten gehen und ihm alles erklären!", beschloss Alyssa bevor sie sich auf zur Tür machte. Ein mit braunem Fell bedeckter Arm versperrte ihr jedoch den Weg.

„Jetzt mach aber mal halblang. Wen kümmert es ob du eine Weihe erhalten hast oder nicht? Hast du die Menschen da draußen gesehen? Das sind arme Dorfbewohner die jeden Tag ums nackte Überleben kämpfen. Gebeutelt von Kriegen die ihre jungen Männer fordern, kalten Wintern die ihre Kinder dahinraffen und noch dazu Dämonen die Menschen in die Berge verschleppen. Illias Licht scheint nicht überall hin und hier, hier ist es so fern wie die Sterne im Himmel. Weißt du wann das letzte Mal eine Ordensschwester, eine gesandte Illias hier in diesem Dorf war? Noch nie! Du bist die erste Alyssa! Du bist fleischgewordene Hoffnung für diese Leute. Ob du eine Weihe hast oder nicht spielt keine Rolle. Durch deine bloße Anwesenheit hast du diesen Leuten Mut geschenkt. Hast ihnen die Hoffnung gegeben dass Illias noch immer über sie wacht auch wenn sie selbst nicht mehr daran geglaubt haben. Ist es nicht das wofür die Kirche steht? Den Gläubigen Hoffnung zu schenken in Zeiten der Not? Du bist diese Hoffnung Alyssa. Willst du sie ihnen tatsächlich wieder wegnehmen nur weil du irgendeine Zeremonie nicht mitgemacht hast?", fragte sie Rebecca eindringlich.

Alyssa schwieg. Sie sollte Hoffnung sein? Sie war doch keine Gesandte Illias. Sie war eine Dienerin in einem Kloster der man nur diese Tracht angezogen hatte. Rebeccas Worte jedoch hallten noch laut durch ihren Kopf. Es fühlte sich gut an so gelobt zu werden. Wichtig zu sein. Es war etwas ganz Neues und Aufregendes. Es half jedoch nur bedingt dabei die Schuld zu überdecken die sie spürte wenn sie daran dachte, dass sie diese armen Menschen angelogen hatte. Es war nur ein Trugbild von Hoffnung welches sie brachte. „Aber es ist keine echte Hoffnung", murmelte sie leise. Zwei kräftige Hände legten sich plötzlich auf ihre Schulter und sie sah auf in das Gesicht von Rebecca.

„Falsche Hoffnung ist besser als echte Verzweiflung, oder etwa nicht? Was würde deine heilige Mutter an deiner Stelle tun? Würde sie die Wahrheit sagen und diesen Menschen die Gewissheit geben von allen Göttern verlassen zu sein? Würde sie wirklich wollen dass du ihnen den letzten Funken Hoffnung nimmst? Oder aber würde sie wollen dass du deine Tracht glatt streifst und vor sie trittst, ihnen sagst dass Illias sie nicht aufgegeben hat. Dass sie nicht verlassen sind. Das es noch immer Hoffnung gibt. Das es noch immer einen Grund gibt weiterzukämpfen! Das es sich lohnt weiterzumachen? Du magst vielleicht denken dass du ihnen nicht helfen kannst, aber das kannst du und das tust du auch. Indem du ihnen einfach zeigst, dass es noch Hoffnung gibt. Also was sagst du, wollen wir nachsehen ob unser Bad schon fertig ist?", fragte Rebecca mit einem aufmunterndem Lächeln. Ganz überzeugt was die junge Maus noch nicht doch sie nickte. „Großartig! Ich geh schnell nachsehen", lächelte sie Rebecca an und ließ von ihr ab. Kaum war die Tür hinter ihr geschlossen seufzte die Kriegerin tief. „Puh, das war knapp. Das letzte was ich jetzt gebrauchen kann ist selbst für das alles zu bezahlen", murmelte sie leise vor sich bevor sie zur Frau des Wirten ging.

Alyssa saß derweilen tief in Gedanken versunken auf einem der Stühle in ihrem Zimmer. Ein Symbol der Hoffnung. Es klang beinahe zu schön um wahr zu sein. Rebeccas Worte machten Sinn. Die Verantwortung jedoch die sie bedeuteten war Alyssa ganz und gar unangenehm. Darauf war sie nie vorbereitet worden. Lügen war eine Sünde und etwas anderes war dies alles nicht. Eine Lüge. Ob der Zweck in diesem Fall wirklich die Mittel heiligen würde bliebe am Ende jedoch der himmlischen Mutter überlassen. Sie wusste jedoch dass man im Kloster ein solches Verhalten auf keinen Fall gutheißen würde. Es war ja selbst bei den kleinen Gottesdiensten für Außenstehende verboten einen Messdienst zu übernehmen. In all den neunzehn Jahren im Kloster durfte sie überhaupt nur bei einer Hand voll von Gottesdiensten dabei sein. Sie war schließlich kein Ordensmitglied und die Kapelle betrat sie eigentlich nur wenn sie sie fegen musste.

„Oh Illias himmlische Mutter ich bitte dich um Beistand in dieser Zeit", begann Alyssa und kniete sich vor den Tisch. Die Hände zum Gebet gefaltet begann sie die alten Worte zu rezitieren die sie schon seit ihrer Geburt jeden Tag sprach. Einen Priester gab es hier bestimmt nicht der ihr die Beichte abnehmen konnte und so tröstete sie ihr Gewissen darin, dass sie ihre Zweifel und ihre Reue über die falsche Segnung zumindest im Gebet gebeichtet hatte. Viel Zeit zum Beten blieb ihr jedoch nicht. Rebecca kam gut gelaunt zurück und berichtete ihr, dass das Bad bereit war. Zusammen mit der Hündin ging sie auf den Gang hinaus und in ein anderes Zimmer wo eine Frau mit rot getupftem Kopftuch noch ein paar Holzscheite unter den Zuber legte. Sie verbeugte sich respektvoll als sie Alyssa sah und verließ anschließend den Raum. Die Maus nickte nur etwas überfordert.

„Perfekt. Ich hatte schon ewig kein anständiges Bad mehr!", jubelte die Kriegerin und entledigte sich ihres Umhangs. Ohne auf Alyssas Anwesenheit zu achten begann sie ihre Rüstung abzulegen und auch die darunterlegenden Kleider. Perplex beobachtete Alyssa das Schauspiel bis Rebecca auch ihr Hemd ausgezogen hatte. Schnell wie der Wind wandte sie sich ab als sie bemerkte, dass diese nun nichts mehr trug was ihren Oberkörper bedeckte. „Was ist los?", fragte Rebecca. „Willst du kein Bad nehmen?"

„Also ich ..."

Lautes Lachen hinter ihr unterbrach Alyssa ungalant. „Sag bloß du hast noch nie mit jemand anderem zusammen gebadet?", amüsierte sich Rebecca köstlich. „Dreh dich um!", befahl sie und instinktiv gehorchte Alyssa. So wie Illias sie schuf stand Rebecca vor ihr und stemmte die Hände in die Hüften. Ihr langes Fell versteckte ihre Kurven nur dürftig. Das Brustfell war als einziges weiß gefärbt, der Rest schien ihr in hellen Brauntönen entgegen. Während Rebecca ihren Blick scheinbar sehr zu genießen schien färbten sich Alyssas Wangen feuerrot. „Scheint wohl doch nicht zu stimmen was man so über reine Frauenklöster hört", zuckte sie mit den Schultern und zwinkerte Alyssa kurz zu bevor sie sich umwandte und in den Badezuber stieg. Was sie damit meinte wusste Alyssa ganz und gar nicht. „Du kannst hier gerne wie eine Salzsäule stehen bleiben und mir zusehen wenn du willst. Es ist aber mehr als genug Platz für uns beide hier drin und in ein paar Minuten ist das Feuer niedergebrannt und das Wasser kalt. So schnell werden wir nicht wieder die Gelegenheit haben ein warmes Bad zu nehmen", erklärte ihr Rebecca. Die Hände hatte sie auf den Rand gelegt und genoss das warme Wasser. Alyssa zögerte.

„Stell dich nicht an wie ein kleines Kind. Wir sind beide erwachsen. Zieh dich aus und steig ins Wasser!", befahl die Hündin.

Alyssa schluckte. Mit jemand anderen baden? Durfte man das überhaupt? Ihre Schwester Oberin hatte ihr zum Schluss noch gesagt sie müsste Rebecca gehorchen. Widerwillig erinnerte sie sich daran. Es wäre ihr lieber gewesen sie hätte verzichten können. Wenn Rebecca jedoch darauf bestand, dann müsste sie gehorchen. Mit zittrigen Fingern löste sie die Brosche welche ihren Umhang hielt und legte diesen sorgsam zusammen. Auf einem Stuhl legte sie die Kleidung so behutsam wie ein rohes Ei ab bevor sie sich von Rebecca wegdrehte und begann aus ihren Roben zu schlüpfen. Mit einem süffisantem Grinsen betrachtete Rebecca die scheue Maus. Mit knallroten Wangen drehte sich diese schließlich um, verdeckte jedoch mit ihren Händen und dem dünnen Schweif das Nötigste. So sittlich wie möglich stieg sie in den Waschzuber der bei weitem nicht so groß war wie Rebecca das vorhin gesagt hatte. Das Wasser war angenehm warm und doch konnte sie sich nicht so recht entspannen. Im Gegenteil. Verkrampft und gespannt wie eine Bogensehne saß sie am anderen Ende und hatte die Knie dicht an die Brust gezogen um sich so klein zu machen wie nur möglich. Rebecca machte keinen Hehl daraus dass sie sie anstarrte. Alyssa konnte ihre Blicke förmlich spüren, behielt ihre eigenen jedoch fest auf der Wasseroberfläche direkt vor ihr.

„Hmpf, als ob du dich für so eine Figur schämen müsstest. Du wärst als Tänzerin sicher besser aufgehoben als in einem Kloster", scherzte Rebecca sehr zu Alyssas Unbehagen. „Entspann dich, hier wird schon niemand über dich herfallen und wenn doch ...", mit einer Hand klopfte Rebecca auf den Kleiderhaufen der neben ihr lag. Neugierig sah Alyssa auf. Ihre Augen wurden sichtlich größer als Rebecca daraus den Knauf eines Schwertes hervor zog. Es war nur logisch dass sie als Kriegerin auch eine Waffe trug doch sie nun zum ersten Mal wirklich zu sehen war etwas ganz anderes. Es war ein Anblick der der jungen Maus ganz und gar nicht gefiel. Gewalt war niemals anzustreben. Selbst die Engel im Himmel führten ihre Schwerter nur gegen die Heerscharen der Hölle und niemals gegen Sterbliche. Sie hoffte nur das Rebecca recht behalten würde und dass ihnen hier wirklich nichts passieren würde. Blutvergießen wollte sie auf gar keinen Fall erleben. Es waren schon viel zu viele Dinge passiert über die sie sich nicht im klaren war aber in diesem Punkt war sie sich absolut sicher.

„Hey!"

Erschrocken sah Alyssa auf. „Das ist ein Bad, es dient zur Entspannung und zum Waschen. Da Ersteres bei dir ohnehin nicht klappen wird konzentrieren wir uns eben auf das Andere. Dreh dich um", befahl ihr Rebecca. Widerwillig gehorchte Alyssa. Ihre Nervosität stieg ins unermessliche als sie hörte wie sich Rebecca hinter ihr bewegte. Als sie dann tatsächlich die Hand der Hündin auf ihrer Schulter spürte hätte sie beinahe aufgeschrien. Diese jedoch hielt sie nur sanft fest während die andere eine Bürste durch ihre Haare zog. „Du hast kurzes Fell, das ist gut. Das heißt es trocknet schnell. Lass dir sagen dass du mit deinem kurzen Fell gesegnet bist, meines dauert ewig bis es trocknet", scherzte Rebecca hinter ihr. Die Bürste fühlte sich gut an doch an Entspannung war nicht zu denken. „Du siehst ein bisschen aus wie eine Kerze. Mit dem weißen Fell und den blonden Haaren", lachte Rebecca. So angenehm die Berührungen auch waren, so unangenehm waren sie auch. Von jemand anderem, jemand der ebenso nackt hinter ihr saß berührt zu werden war neu. Es war ein sehr zwiespältiges Gefühl befand Alyssa. Je länger es jedoch dauerte, desto angenehmer wurde es. Rebecca war überraschend sanft selbst als sie auf ein paar Knoten in ihrem Fell stieß und ließ sich alle Zeit der Welt um diese heraus zu bürsten. Als sie schlussendlich zufrieden war ließ sie von ihr ab. „Dein Zug!", sprach sie und hielt Alyssa die Bürste hin. Alyssa nickte und übernahm sie. Nervös wandte sie sich um und begann an den Schultern von Rebecca die Behandlung zu erwidern. Das lange Fell der Hündin machte ihr die Arbeit nicht gerade leicht. Es dauerte eine ganze Weile bis sie die erste Stelle von Knoten befreit hatte. Mehrmals zuckte Rebecca kurz als sie mit der Bürste kurz hängen blieb. Ob sie zu grob oder zu zaghaft war konnte sie schlecht beurteilen. Sie hatte dies schließlich noch nie gemacht. Sie versuchte so sanft wie möglich zu arbeiten doch das Fell von Rebecca ließ dies stellenweise einfach nicht zu. Oft musste sie ein Büschel davon mit der einen Hand festhalten um die Bürste überhaupt hindurch zu bekommen.

„Du hast ziemlich zarte Hände", lobte sie Rebecca. „Und du hast wirklich dein ganzes Leben im Kloster verbracht?", fragte sie. „Mhm", nickte Alyssa. „Was hast du dort den ganzen Tag gemacht? Nur gebetet?", erkundigte sie sich weiter.

„Nein. Ich habe gekocht, geputzt, Wäsche gewaschen, Wäsche geflickt, genäht, mich um den Garten gekümmert, die Messen vorbereitet, gestickt oder Kerzen gezogen. Ich habe aber mindestens dreimal am Tag gebetet", erklärte Alyssa stolz.

„Mädchen für alles, huh? Kannst du Lesen und Schreiben?", fragte sie neugierig weiter. Wieder nickte Alyssa.

„Sehr gut!", befand Rebecca und löste sich von Alyssa. In ihrem Kleiderhaufen wühlte sie eine Weile herum bevor sie eine Schriftrolle hervor zog. „Hier, lies mir das vor!", befahl sie und reichte sie Alyssa. Diese trocknete sich schnell die Hände ab bevor sie die Rolle übernahm. Kurz zögerte sie damit sie mit ihren noch feuchten Händen zu entrollen doch Rebecca bedeutete ihr das es kein Problem wäre.

„Verehrte Rebecca Eisenwald. Mit dem größten Vertrauen wende ich mir in dieser Angelegenheit an Sie. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus und Ihre vergangenen Taten bestärken mich in dem Gedanken, dass Sie die Richtige für diese Aufgabe sind. Seit vielen Jahren schon gibt es ein Problem im Yasif Gebirge. Eine verlassene Burg wurde dort von einem Dämon in Besitz genommen und seither erreichen uns immer wieder Berichte von unschönen Zwischenfällen in dieser Gegend. Ich möchte Sie ersuchen sich der Sache anzunehmen und den Dämon der dort haust auszutreiben. Diesem Schreiben liegt ein Amulett bei welches vom Erzbischof höchstpersönlich für diesen Auftrag gesegnet wurde. Kein Untoter wird Sie je berühren können, solange sie es am Körper tragen. Unsere bisherigen Versuche dem Treiben im Yasif Gebirge einhält zu gebieten sind alle gescheitert und daher haben wir beschlossen dieses Mal keine Risiken mehr einzugehen. Mit dem göttlichen Segen des Erzbischofs und Ihren vortrefflichen Fähigkeiten gehen wir fest davon aus, dass dieser Auftrag zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt wird. Ihre Belohnung für diesen Auftrag beträgt zehn Goldstücke die gegen Vorlage eines Beweises bei mir persönlich abzuholen sind. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und verbleibe mit meinem Segen.

Kardinal Schönfeld, XVI Vatikan", endete Alyssa beeindruckt.

„Sehr gut, dann hat mich der Bote nicht belogen. Ich kann nämlich nicht lesen", erklärte Rebecca.

„Ihr habt ein Amulett welches vom Erzbischof persönlich gesegnet wurde?", fragte Alyssa staunend. Rebecca nickte grinsend. Nach kurzem Suchen in ihrem Kleiderhaufen zog sie eine silberne Kette hervor. An dem filigranem Kettchen hing ein goldenes, kreisförmiges Amulett. Eine Segnung in Latein und ein roter Edelstein waren darin eingelassen. Alyssa traute sich kaum es zu berühren obwohl Rebecca es ihr direkt vors Gesicht hielt.

„Ganz schön beeindruckend, nicht wahr? Damit sollte der Auftrag ein Kinderspiel sein. Du siehst also, kein Grund zur Sorge." Alyssa hörte ihr kein bisschen zu. Sie war wie hypnotisiert von dem Amulett. „Hmm, was hältst du davon: Ich meinte das vorhin ernst als ich sagte dass du eine gute Tänzerin abgeben würdest mit deinem Körper. Wenn du also für mich tanzt, dann lasse ich es dich kurz tragen", bot ihr Rebecca an und brachte Alyssa damit tatsächlich zurück in die Gegenwart. Unsicher ob Rebecca das ernst meinte oder nur als Scherz sah sie sie an. Ihr Blick wechselte hin und her zwischen Rebecca und dem Amulett. „Ich kann aber nicht tanzen", entgegnete Alyssa schlussendlich mit verlegener Stimme. „Zu Schade", seufzte Rebecca sichtlich enttäuscht. „Dann wirst du mir eben einen anderen Gefallen tun. Dazu aber später mehr. Hier, fang!", sprach Rebecca bevor sie ihr das Amulett achtlos zuwarf. Erschrocken riss Alyssa die Hände empor um das wertvolle Artefakt zu fangen. Es war mehr Glück als Können welches dafür sorgte dass sich das Kettchen in einem ihrer Finger verfing und somit nicht im Wasser landete. Alyssa konnte ihren Blick kaum davon abwenden. Sie merkte kaum das Rebecca aus der Wanne stieg und begann sich abzutrocknen. „Ich gehe etwas essen, wir sehen uns in unserem Zimmer", verabschiedete sie sich bevor sie ihre Kleidung packte und damit auf den Gang verschwand.

„Unglaublich die Kleine", schüttelte Rebecca den Kopf. Ihre Rüstung ließ sie liegen und nahm stattdessen nur ihre Unterkleidung und das Schwert mit in den Schankraum des Gasthofes. Es war schon bedeutend ruhiger zu dieser späten Stunde. Nur vereinzelt saßen noch Gäste, nippten an ihren Getränken und wärmten sich am Feuer. Als sie sich auf eine freie Bank setzte dauerte es nicht lange und der Wirt brachte ihr einen Humpen Bier und eine Schüssel Brotsuppe. Mehr gab es zu dieser Stunde nicht mehr doch eine warme Mahlzeit war eine warme Mahlzeit. Nachdem er ihr das Essen brachte blieb er noch bei ihr.

„War das Bad zur Zufriedenheit der verehrten Schwester?", erkundigte er sich demütigst. Rebecca nickte nur.

„Wünscht sie auch noch etwas zu Essen? Ich könnte noch etwas Käse aus dem Keller holen oder etwas Räucherschinken?", bot er ihr an. Kopfschüttelnd verneinte Rebecca. Nach einem kräftigen Schluck von ihrem Bier hob Rebecca den Zeigefinger. „Wir brauchen etwas Proviant für morgen. Genug für zwei Tage. Brot, Trockenfleisch, Wasser, ein wenig Käse wäre nicht schlecht. Wir haben einen langen Marsch vor uns", trug sie dem Wirt auf. Dieser verneigte sich sofort zustimmend. „Natürlich ich werde meiner Frau sagen sie soll etwas vorbereiten, wann werdet ihr morgen früh aufbrechen?", erkundigte er sich. „Früh, bei Sonnenaufgang."

„Denkt Ihr die verehrte Schwester könnte noch vor ihrem Aufbruch eine Messe halten? Das ganze Dorf würde kommen. Ich würde persönlich heute noch jedem Bescheid geben. Wir können ihr nicht viel dafür bezahlen doch was wir haben würde ihr gehören", bot der Wirt demütigst an. „Ich werde sie nach dem Essen fragen", versicherte sie dem Wirten der sich tausendfach bedankte. In Windeseile schlang Rebecca ihr Essen und ihr Bier hinunter und verließ den Schankraum.

Zurück in ihrem Zimmer wartete Alyssa bereits auf sie. „Hey Alyssa, weißt du wie man eine Messe hält?", fragte Rebecca grinsend. Die weiße Maus nickte nur. „Natürlich weiß ich das, ich habe zahllose davon im Kloster vorbereitet und oft zugehört." Rebeccas Grinsen wurde breiter. „Sehr gut, ich bin gleich wieder da", verabschiedete sie sich kurzerhand wieder und ließ die Maus alleine.

Im Schankraum führte sie ihr Weg direkt zum Wirten der sofort zu ihr kam. „Ihr habt Glück. Schwester Alyssa ist bereit eine Messe zu halten. Sie will euch natürlich nicht eure ganze Habe dafür abnehmen. Ihre Reise wird sie jedoch in kältere Gefilde führen. Wenn ihr also einen alten Mantel für sie habt, vielleicht einen Rucksack und eine leichte Pfanne, sowie etwas Salz, dann wäre sie euch bestimmt sehr dankbar", erklärte Rebecca ruhig. Der Wirt nickte eifrig. „Natürlich, natürlich, alles für die verehrte Schwester. Ich werde gleich allen im Dorf bescheid geben. Seid versichert, dass wir alles besorgen werden was die verehrte Schwester braucht!" Zufrieden nickte Rebecca. „Sie wird die Messe bei Sonnenaufgang halten und danach werden wir sofort aufbrechen", verabschiedete sich Rebecca von dem Wirt und ging zurück in ihr Zimmer. Das Alyssa ihr so nützlich werden könnte hätte sie selbst nicht gedacht doch sie war alles andere als dagegen. Jetzt musste sie nur noch Alyssa davon überzeugen die Messe auch wirklich zu halten. Mit einem Lächeln dachte sie an das Amulette zurück.

„Hey Alyssa, es wird morgen früh bei Sonnenaufgang eine Messe hier im Dorf geben.", begrüßte sie die Maus direkt. Diese straffte sofort ihre Haltung und hörte gespannt zu. Freudig hörte sie die Nachricht eines Gottesdienstes. Auch die Aussicht darauf einen Pfarrer zu treffen den sie wegen der jüngsten Ereignisse befragen könnte und der ihr hoffentlich aus dem einem oder anderem moralischen Dilemma heraus helfen könnte.

„Haben wir Zeit um die Messe zu besuchen?", fragte die Maus vorsichtig. Rebecca hatte schon anklingen lassen dass sie früh am Morgen weiterreisen wollte. Sie hätte ihr aber bestimmt nichts von der Messe erzählt nur um ihr dann zu sagen, dass sie nicht hingehen könnten. Alyssa hoffte auf das Beste.

„Das hoffe ich doch, schließlich muss sie ja wer halten", lachte Rebecca. „Ich verstehe nicht?", wunderte sich Alyssa. „Ganz einfach meine Kleine. Du schuldest mir noch etwas, du weißt schon, wegen dem Amulette. Deshalb wirst du morgen bei Sonnenaufgang die Messe hier im Dorf halten!" Selbstzufrieden grinsend stand die Kriegerin vor der verdutzten Maus. Eine Messe halten? Sie? „Schau nicht so entgeistert, du hast gesagt du weißt wie das geht und in diesem Moment weckt der Wirt das ganze Dorf auf um ihnen zu sagen dass es morgen eine Messe geben wird. Das ganze Dorf wird dort sein, du willst sie doch nicht enttäuschen, oder?"

„Aber ..."

„Kein Aber! Das Thema hatten wir schon. Die Dorfbewohner wünschen sich nichts mehr als eine Messe, du kannst sie ihnen geben. Das ist alles was zählt. Deine himmlische Mutter wird dich schon nicht verdammen weil du einem ganzen Dorf den Glauben an Illias zurück gibst. Jetzt genug davon, es war ein langer Tag, ich bin müde, lass uns schlafen, wir müssen morgen früh raus!", bestimmte sie resolut und begann sich zu entkleiden. Dieses Mal störte es Alyssa kaum noch dass sie sich vor ihr auszog. Viel mehr störte sie der Gedanke daran eine ganze Messe halten zu müssen. Sie hatte sich schon oft gewünscht einmal selbst eine Messe halten zu dürfen doch in ihrer Vorstellung war sie immer eine vollwertige Priesterin gewesen. Sie hatte sich das alles immer ganz anders vorgestellt.