Anderssein - Teil III
#3 of Anderssein
Teil III, mit dem ich nicht ganz zufrieden bin...
Ich spekuliere darauf, dass es deutschsprachige Leser auf SoFurry gibt, die auch mehrteilige Geschichten (bis dato) ohne Yiff-Parts interessant finden :)
24.06.2012, 22:59:51 Teil III, und ich bin zum Platzen gefüllt mit Vorstellungen, wie's denn endlich zur Sache gehen könnte mit den zweien. In Teil IV werde ich denn auch hoch und heilig explizit, also bitte noch etwas Geduld, mir fallen diese Teile immer schwer :) Den Wolf lasse ich erstmal aussen vor, der bekommt seine eigene Storyline, sobald die Schiffsreise vorbei ist. Und sagt bitte an, wenn die Geschichte zu wässrig oder langatmig wird. Trotz alledem: Viel Spass.
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- Teil III -
Es war ein gespanntes, erwartungsfreudiges Erwachen, und Hendrik fühlte sich energiegeladen, als er die Augen aufschlug. Er lag in einem unmöglichen Winkel auf dem Sofa; ein Arm lag über der Lehne, der andere berührte den Boden, und die beiden Beine waren kreuz und quer ausgebreitet, und irgendwie - er machte grosse Augen - hatten sich Evelyns Gliedmassen auch noch darin verfangen, selbst ihr buschiger Schwanz hatte sich während der Nacht um sein Bein gewickelt. Sie schlief in einer Haltung, die nach dem Aufwachen meist mit verspannten Muskeln einherging, wirkte jedoch völlig entspannt. Jedes gemächliche Ein- und Ausatmen brachte ihre Schnurrhaare zum Erzittern, und Hendrik sah eine ganze Weile einfach nur zu, ohne an die nächsten Stunden zu denken. Es war sehr früher Morgen, und die Wintersonne war noch auf dem Weg zu ihnen. Das einzige Licht kam vom letzten Rest der Glut im Kamin. Seine Blase meldete sich, doch er blieb sitzen, um die schlafende Raubkatze nicht zu wecken, und verbrachte die Minuten in Gedanken. Er hegte keine Zweifel ob ihres gefassten Unterfangens, wunderte sich aber, wie sich sein Verhältnis zu Evelyn und Avishai weiterentwickeln würde. Wie lange kannten sie sich schon? Wie viel wussten sie wirklich voneinander? Er fürchtete, dass diese kleine Gruppe auf halbem Wege auseinanderbrechen würde, ob aus Streit oder Uneinigkeit, war einerlei. Als sich sein Blick klärte und er die Katze neben sich zum ersten Mal seit seinem Erwachen wirklich sah und wieder alle möglichen Bilder durch seinen Verstand schossen, gestand er sich ein, dass er Gefühle für sie entwickelt hatte, nur: War es Schwärmerei oder etwas Reiferes?
Er war zeitlebens ein Einzelgänger gewesen, und das nur zur Hälfte freiwillig. Die wenigen Freunde, die er als solche bezeichnet hatte, waren allesamt tiefgläubig und männlich gewesen. Und als er erkannt hatte, was sie wirklich waren, nämlich nur das und nichts anderes, erschienen sie ihm nur mehr blass und langweilig, und hier, neben dieser aufregenden, herzensguten Frau, erinnerte er sich an keinen ihrer Namen mehr. Kirche und Eltern hatten streng über all seinen sozialen Umgang gewacht. Wie bedauernswert war es da, dass ihm seine Schwester, der er heute nur noch mit Verachtung begegnete, in seiner Kindheit noch am Nächsten gewesen war? Hendrik wusste freilich nichts von Liebe - wer tat das schon? -, doch er war überzeugt, dass eine feste Freundschaft die Chancen auf eine glückliche Beziehung um ein Vielfaches erhöhten. Eine andere Stimme meldete sich in seinem Kopf und erinnerte ihn daran, dass sie bereits aufeinander zählen konnten. Warum sonst wäre sie ihm zu Hilfe geeilt? Und erst am Tag zuvor hatte sie ihm (lächerlich einfach verschlüsselt, wie er sich eingestehen musste) gesagt, dass sie ihn attraktiv fand. Er fragte sich, ob es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der man sich frei von allen Regeln und Zwängen hatte treffen und zusammen kommen können. Er war neunzehn Jahre alt und unwissend wie ein Neugeborenes.
Evelyn zuckte mit einer Pfote und murmelte etwas Unverständliches, dann rollte sie sich enger zusammen, bis ihr Kopf auf seinem Bein und ihrem drum rum gewickelten Schwanz lag. Ein sachtes Vibrieren ging von ihrem Kopf aus und es dauerte eine Weile, bis er begriff: Sie schnurrte zufrieden. Eine wilde Sehnsucht ergriff ihn, liess sein Herz schneller schlagen. Er kannte dieses Gefühl. Er hatte es gespürt, kurz bevor er beschlossen hatte, seine Heimatstadt zu verlassen, er hatte es gespürt, als er in einem Reisekatalog Bilder eines unbewohnten, weissen Strandes gesehen hatte. Es war die Sehnsucht nach etwas Neuem, Aufregendem, Schönem, nur war das hier um so vieles intensiver. Schliesslich übermannte ihn das Gefühl, und, als würde er sich selbst dabei zusehen, hob er den Arm und streichelte ihr mit der Hand sanft über den Kopf. Das Schnurren wurde mit jeder Streichbewegung ein wenig lauter, und er lächelte, froh, ihr nahe zu sein. Auch wenn es eine höchst invasive, fragwürdige Art der Annäherung war.
Als sie zwei Stunden später ebenfalls erwachte und er sich schlafend stellte, ging alles sehr schnell. Sie weckten Avishai, duschten, assen, prüften ihr Gepäck, putzten, räumten auf, meldeten sich am Computer beim Stadtregister ab, dann sahen sie sich ernst in die Augen und verliessen das Apartment. Da sie davon ausgehen konnten, dass man Avishai im Bus sofort erkannt hätte, beschlossen sie, den Pick-Up seiner Schwester zu nehmen. Bis zum Flughafen würden die Neuigkeiten über Avishai noch nicht gedrungen sein; den Wagen würde seine Schwester nach der Vermisstmeldung schnell ausfindig machen können. So lief Hendrik an der Spitze ihrer Gruppe, schaute um jede Ecke, ob jemand im Weg stand, und führte sie zur Garage. Natürlich wollte es der Zufall, dass die Zutrittstür der Garage nochmals aufging und eine ältere männliche Echse, die zwei Stockwerke über Hendrik wohnte, im dümmsten Moment hindurchtrat: Avishai hievte seine Tasche in den Kofferraum, drehte sich um und fand sich Auge in Auge mit der verhutzelten Gestalt wieder. Hendrik und Evelyn drehten sich um, und für einige Sekunden geschah nichts. Dann erkannte die Echse, wen sie vor sich hatte, schlug das Kreuz und wich zurück. "Hinfort, Kranker!", zischelte sie panisch. "Geh zurück ins Loch, aus dem deinesgleichen gekrochen sind! Das hier ist eine reine Stadt, und deine Anwesenheit brüskiert unseren Gott den Herrn!" Als Avishai sich nicht rührte und nur die Lefzen zurückzog, was seinen abgebrochenen Zahn enthüllte, griff sich die Echse ins Sakko und holte ein Handy hervor. Noch bevor sie aber eine Nummer eingeben konnte - zweifellos die des Priesters oder der Polizei -, hatte Hendrik sich in Bewegung gesetzt und schlug es ihr aus den Krallen. Es knallte laut zu Boden, und Evelyn fauchte. "Tut es nicht", knurrte der Bulle, der gute zwei Köpfe grösser war und vor lauter Wut noch grösser schien. "Wir sind bereits am Gehen; eure reine Stadt wird unseren Anblick nie mehr ertragen müssen." Er bedeutete den anderen, ins Auto zu steigen. Bevor er sich ans Steuer setzte, fügte er an: "Mit Freuden erwarte ich den Tag, an dem euch alle eure Dummheit das Leben kosten wird." Mit quietschenden Reifen fuhr er aus den Parklücken, die er so nachlässig besetzt hatte, und verliess die Garage. Sie sprachen kein Wort, bis sie den Flughafen erreicht hatten.
"Terminal 3, Leute", sagte Avishai als Erstes, als sie das Auto auf einem Parkplatz vor der Haupthalle des Flughafens in Dante abgestellt hatten, dann zog er mit grösster Mühe an seinem Koffer. Schliesslich half ihm Hendrik grinsend. Der Wolf mochte eine Augenweide sein, aber körperliche Stärke war seine Sache nicht. Die Hochstimmung, die er am Morgen verspürt hatte, war wieder da. Abgesehen vom Vorfall mit der Echse war nichts Schlimmes geschehen, und nun wartete eine neue Welt auf sie. Solange unser Flugzeug nicht abstürzt und unser Kahn nicht absäuft, sagte ein spöttisches Stimmchen in seinem Kopf, und wieder grinste er. Evelyn gesellte sich an seine Seite, ebenfalls mit einem glücklichen Gesichtsausdruck. Es war ein kleiner Flughafen mit nur vier Terminals, und sich darin aus den Augen zu verlieren, war ein Ding der Unmöglichkeit. Überdies blieben ihnen noch zwei Stunden, bis ihr Flugzeug abhob. Ein letztes Mal ging er ihre Habseligkeiten durch. Alle drei zusammen hatten sie so viel Geld, dass sie problemlos zwei Monate über die Runden kamen. Einer der wenigen Vorteile, dem gutbürgerlichen Milieu zu entstammen. "Minchin, wir kommen", rief er und marschierte los.
Eine Dreiviertelstunde später hatte er mit seinen Fingernägeln Kratzer im Holz des Schalters hinterlassen und stand kurz davor, Schaum aus seinen Nüstern zu blasen. Oh, sie mochte freundlich sein, diese gebückte Schildkröte, die auf mindestens hundert träge Jahre zurückblicken konnte und deren Gehör in ähnlich gutem Zustand war wie ihr Verstand, und deren Augen hinter satten drei Zentimetern Glas lagen, um überhaupt noch etwas sehen zu können. "Nein, gute Frau, wir wollen nicht abbiegen, wir wollen abfliegen", sagte er flehend und um Beherrschung ringend. Evelyn und Avishai schüttelten sich stumm, im halbherzigen Versuch, ihn nicht noch weiter zu provozieren. "Wir haben für heute Tickets reserviert!" Die Schildkröte rückte die Brille zurecht. "Sie sind Reservist? Wie wunderbar! Ich erinnere mich noch, mein Sohn, der war auch mal in Seiner Armee. Hat den zweiten Kreuzzug miterlebt, wissen Sie! Sagen Sie, sind Sie nicht ein bisschen jung, um Reservist zu sein?" Hendrik atmete kurz ein und verdrehte die Augen. Er würde sich seine gute Laune nicht jetzt verderben lassen. Seine Nägel gruben sich tiefer ins Holz. "Nein, nein", antwortete er schliesslich in doppelter Lautstärke, "ich bin älter, als ich scheine, und diene weiterhin, um meinen Glauben kundzutun und zu festigen. Und ich will ihn in Laibach festigen!" "Wo?" "LAIBACH." "Nie gehört, junger Mann." "Bitte glauben Sie mir, es existiert, und genau da wird mein Glaube am stärksten sein, also müssen wir genau dorthin." Und endlich - durch göttliche Fügung? Es schien Hendrik nicht anders erklärbar. - begriff sie, und begann in schildkrötischer Gemächlichkeit Buchstaben auf der Tastatur ihres Computers anzutippen. Zehn Minuten später hielten sie alle ein Ticket in der Hand, und Hendriks Puls war wieder in der Norm. Er sah auf die Nummer (6-3, sechste Reihe, dritter Platz), dann schielte er auf die Tickets der anderen. 5-1 und 5-2. Verdammt. Er hätte die drei Stunden Flug gerne neben ihr verbracht. Immerhin, so hatte zumindest Avishai etwas Gesellschaft, das tat ihm gut. Ihm blieben ja immer noch zwei Wochen Schifffahrt. Es war ein ruhiger Morgen und der Flughafen der kleinen Stadt spärlich besucht. Die drei ungleichen Gefährten überbrückten die Wartezeit jenseits des Check-Ins mit Kaffeeklatsch und Zukunftsvorstellungen. Sie freuten sich alle darauf, warmen Sandstrand zu sehen und das warme östliche Klima geniessen zu können. Am meisten aber freute sie die Vorstellung, sagen und machen zu können, was sie wollten. Dann war es Zeit, an Bord zu gehen. Kurz bevor sie die Fluggastbrücke betraten, hielt Avishai Hendrik zurück und liess Evelyn weitergehen. Gleich darauf drückte er ihm mit verschmitztem Lächeln sein Ticket in die Hand. "Nutz diesen Flug und sei kein Idiot", raunte er und lief dann weiter, als sei nichts geschehen. Völlig perplex blieb der Bulle, der fast die Decke der Fluggastbrücke berührte, einen Moment stehen. Der Wolf wusste davon? Natürlich tat er das. So subtil, wie sich Hendrik manchmal benahm, mussten seine Gefühle ähnlich unauffällig gewesen sein wie... ein gestrandeter Wal in einem All-you-can-eat-Restaurant? Er schüttelte den Kopf. Kreativität war heute nicht sein Ding, und so dachte er schlicht: Ein Freund. Ein guter Freund, dieser fremde Wolf.
"Verehrte Fluggäste, das Crewpersonal der YGBTFWU möchte Sie herzlich an Bord der Iron Zeppelin begrüssen und wünscht Ihnen einen angenehmen Flug nach Laibach. Wir werden unser Ziel in voraussichtlich drei Stunden erreichen. Bitte verfolgen Sie in den nächsten Minuten die Anweisungen der Instruktorin aufmerksam, welche Massnahmen in einem Notfall zu ergreifen sind. Doch zuerst: Sprechen wir ein Gebet für Unseren Herrn, damit er uns heil im Ziel unserer Reise ankommen lässt." Die Prozedur, die Hendrik bereits zwei Mal mitgemacht hatte, löste Erheiterung bei Evelyn und, eine Reihe hinter ihm, Avishai aus, die beide noch nie ein Flugzeug bestiegen hatten, und für wenige Minuten hatte er das Gefühl, der Erwachsenste der Gruppe zu sein. Dann erwachten die zwei Düsentriebwerke des Kleinflugzeugs heulend, und plötzlich war er es, der grinste, weil die anderen hektisch umherschauten und sich keinen Reim auf den Lärm machen konnten. Immerhin war die Wandverschalung so gut gearbeitet, dass selbst feine Ohren wie die Evelyns das Geheule der Turbinen nicht als schmerzhaft empfanden. Dann fuhr das Flugzeug auf die Landebahn hinaus und begann die Beschleunigung, und sofort richtete Evelyn die Haare ihres Pelzes auf und grollte. Der Bulle, der kaum Platz fand auf seinem kleinen Sitz, tätschelte ihr die Hand, die sie in die Sitzlehnen gekrallt hatte. "Kein Grund zur Sorge", lachte er, und in seinen Augen funkelte es. "Der Kapitän hat noch etwa hundert Meter, um abzuheben. Das Holpern danach, wenn er's nicht tut, das wäre ein Grund zur Sorge. Das hier ist normal, und sobald wir in der Luft sind, wird's dir vorkommen, als hättest du Land unter den Füssen." Sie schenkte ihm einen zweifelnden Blick, doch in diesem Moment hoben sie ab, und das Zittern verschwand. Er hob eine Augenbraue, und sie sagte nachdenklich: "Huh... fliegen. Faszinierend."
Das nur halb besetzte Flugzeug bot eine wunderbare Gelegenheit, in aller Ruhe zu lesen. Bevor sie das Apartment verlassen hatten, war Avishai die kleine Bibliothek durchgegangen auf der Suche nach interessanter Lektüre. Schliesslich war er über ein Werk gestolpert, von dem er nie gedacht hätte, dass es sich im Besitz einer so tief religiösen Person wie Hendriks Schwester befinden könnte. Nun sass er auf seinem Stuhl, hatte das Tablett vor sich heruntergeklappt und las Paradise Lost, während er mit einem Ohr den Gesprächen der zwei anderen zuhörte. "Gibt es sie noch?", fragte Evelyn gerade. "Ich glaube", antwortete die tiefe Stimme des Bullen. "Jedenfalls kam ihr letztes Album A Dramatic Turn of Events vor einem Jahr raus. Aber der Schlagzeuger wurde ausgewechselt, und das neuste Album höre ich nicht." Es gab eine kurze Pause. Dann: "Warum nicht?" Hendrik liess sich Zeit mit der Antwort. "Du kennst das sicher. Du lernst etwas Neues kennen, und es gefällt dir genau so, wie es ist. Diese Band begleitet mich seit zehn Jahren. Und ich spiele selbst Schlagzeug, ich hatte einen besonderen Draht zu ihm. Plötzlich war er weg, und mir schien es, als wäre ich bestohlen worden, und als würde das Herz der Band fehlen. Wenn mir etwas ans Herz gewachsen ist, dann will ich, das alles so bleibt, dann will ich es beschützen." Wieder eine Pause. "Das ist eine sehr egoistische Einstellung", tadelte sie, "aber ich verstehe dich. Wie heisst das Lied von vorhin?" " 'Octavarium'. " "Mhm. Zeig mir noch andere. Ich bin immer auf der Suche nach Dingen, die auch mir ans Herz wachsen könnten." Der Wolf lächelte und las weiter.
Das Meer war herrlich blau, und am nachmittäglichen Himmel war keine Wolke zu sehen. Das Boot, ein ausrangiertes, kleines, aller luxuriösen Annehmlichkeiten beraubtes Kreuzfahrtschiff, lief aus dem Hafen Laibachs aus und trat die lange Reise gen Osten an. Mit an Bord: Eine geschätzte Hundertschaft verschiedenster Anthros, allesamt im Rentenalter, eine unbestimmbare Anzahl Crewmitglieder und natürlich sie drei. Dienstleistungen an Bord: Eine einzige, aus Holzresten erbaute Bar mit einem Barkeeper ohne Lizenz. So schnell wie möglich verstauten sie ihr Gepäck in den drei Kajüten im obersten Stockwerk und machten, dass sie an die frische Luft kamen. Überwältigender Meeresgeruch lag in der Luft, und sie hatten bereits zwei, drei Meilen zwischen sich und Laibach gebracht. Man sah gerade noch die Kuppel des Flughafens. Nun also war es vollbracht, dachten sie, als sie auf dem Oberdeck auf schlampig zurechtgezimmerten Barhockern sassen und sich, wohl zur Feier des Tages, ein Bier genehmigten. Ein erster religiöser Regelverstoss, dem noch viele folgen würden. Vom Winter war in diesen Breitengraden nichts mehr zu spüren, und die Sonne schien ihnen freundlich auf das Fell.
Eine gute Stunde später entschuldigte sich Evelyn und zog sich in ihre Kabine zurück. Hendrik sah ihr nach, bis sie verschwunden war, dann sagte er zum Wolf: "Das war sehr freundlich von dir, der Tausch der Tickets." Avishai trank einen Schluck Bier. "Keine Ursache." "Und war ich ein Idiot?" "Nein. Du bist nur wesentlich langsamer vorgegangen, als ich erwartet hatte. Ich meine, sieh sie dir an! Diese Frau muss für dich ein Fleisch gewordener Traum sein! Da erst noch drei Stunden über Musik reden, ist... beängstigend?" Der Bulle wand sich. "Nun ja, ich halte eine gemeinsame Basis für wichtig. Ein simples One-Night-Stand? Nur an Sex denken, wenn ich sie sehe? Das bin nicht ich; das könnte ich gar nicht. Und vergiss nicht: Ich mag ja smart und selbstbewusst auftreten, aber wenn's um Frauen geht, ist das nicht mehr als bröckelnde Fassade. Ich hab nun halt mal keine Erfahrung." Sein Blick wurde herausfordernd. "Was würdest du mir denn raten?" Der Wolf antwortete sofort: "Sei leidenschaftlicher. Benimm dich so, wie wenn du über Musik redest. Da bringst du mehr als genug Begeisterung mit. Sie ist eine Pantherin, Hendrik, ihre Gene verlangen nervenaufreibende Jagd und Adrenalin. Und noch etwas: Ich weiss es, du weisst es, sie wird's wohl auch wissen, denn sie ist nicht dumm." "Dann bleibt die Frage, ob sie auch Interesse hat." Der Wolf deutete Beifall an. "Deswegen mein Tipp. Das hier ist kein Schicksal, und es ist kein Entweder-Oder. Du hast es in der Hand, du kannst ihr Interesse wecken, also versaue es nicht. Vielleicht ein tröstlicher Gedanke: In jedem Falle wirst du eine Antwort auf diese Frage finden."
Die Kojen waren erstaunlich angenehm, obgleich sie vor Dreck starrten und das Interieur der Kabine Albträume bescherte. Gleich nach ihrem Gespräch hatte sich Hendrik auf die schmale Matratze gelegt und sich seinen Wachträumen hingegeben, in denen er, wie wohl jeder Verliebte dieser Welt, sich alle möglichen Zukünfte, Dialoge und Ereignisse mit Evelyn ausmalte. Unschuldiger und naiver konnte Liebe nicht sein, und genau diese Liebe fehlte der Welt, in der er Tag für Tag zu leben gezwungen war. Der kleine Bruder des Todes schlich sich leise heran, und bald schon wichen Träumereien richtigen Träumen, deren Inhalt wesentlich mysteriöser war, aber die sich immer noch um die Pantherin eine Kabine weiter drehten. Als es schliesslich an der Tür klopfte und die näselnde Stimme eines Crewmitglieds rief: "Das Abendessen wird nun serviert, Mr. Stahls. Wir würden uns freuen, Sie bei uns im Speisesaal begrüssen zu dürfen", hatte Hendrik den Entschluss gefasst, den Ratschlag des Wolfs zu befolgen und gleich mit dessen Umsetzung zu beginnen. Im Grunde bot das Abendessen eine exzellente Bühne dafür. Immerhin würde er sich nur vor hundert Leuten blamieren, das war ja nicht so schlimm, und wie Avishai gesagt hatte: Sollte alles schief gehen, hatte er trotzdem eine Antwort. Geduscht und korrekt bekleidet fanden sich die drei bald darauf im Speisesaal wieder, der glücklicherweise zur Hälfte unbesetzt war. So durften sie sich an den Kapitänstisch setzen (was nicht halb so beeindruckend und glamourös war, wie es sich Hendrik vorgestellt hatte), wobei Hendrik neben Evelyn und Avishai ihnen gegenüber sass. Avishai nickte ihm zu und grinste verstohlen. Alles klar, dachte Hendrik, leidenschaftlich. Auf ins Gefecht und so.