Beltaine
#1 of 18+ Geschichten
Die kalte Abendluft zerrte an Jasons schwerer Jacke, als er die fast völlig dunkle Landstraße entlang fuhr. Nur selten wich die Dunkelheit dem blassgelben Licht einer Straßenlaterne, die eine Kreuzung oder einen Feldweg markierte. Der junge Mann steuerte sein Motorrad über die leere Straße und genoß Kurve um Kurve. Die kurzen Tage hatten die Kälte des Winters noch nicht ganz vertreiben können, aber Jason war froh, dass er nach so langer Zeit wieder auf dem Motorrad sitzen konnte. Für dieses Erlebnis nahm er gern einen Umweg in Kauf und fuhr, statt direkt nach Hause, noch eine abendliche Runde über die Landstraßen. So konnte ein öder Arbeitstag seinen entspannenden Abschluß finden.
Aber dann horchte er auf, als sich ein neues Geräusch in das bisher gleichmäßige Brummen des Motors mischte. Er stoppte die Maschine am Straßenrand und lauschte. Jetzt, wo der Motor verstummt war, konnte er die tiefen Schläge der Trommeln hören. Die lockenden Schläge. Feierte da irgend jemand tief im Wald eine Party? Der wilde Rhythmus schien ihn magisch anzuziehen und in die Dunkelheit des Waldes zu rufen.
Jason startete das Motorrad wieder und fuhr langsam weiter. Direkt vor ihm schien sich der Wald ein kleines Stück zu öffnen und ein dunkler Feldweg führte zwischen den Bäumen in die Finsternis. Finsternis? Nein, nicht ganz. Ein schwacher Lichtschein drang durch die Stämme hindurch zu ihm auf die Straße, als wolle er ihm den Weg weisen.. Jason schlug den Lenker ein und fuhr in den Waldweg hinein. Das flackernde Licht wurde heller und Jason schaltete den Scheinwerfer ab, als er im Widerschein eines Feuers den Weg vor sich erkennen konnte. Die Trommeln wurden lauter, je näher er dem flackernden Licht kam. Ein schneller, wilder Rhythmus, der in Jasons Herz ein Echo fand und ihn immer tiefer in den Wald lockte. Bald war er nah genug, dass er die Flammen durch die Bäume hindurch lodern sehen konnte und das Prasseln des Feuers an sein Ohr drang. Der Motor verstummte und Jason beugte sich vor um zu lauschen. Komm zu uns! Wie in Trance stieg Jason von seiner Maschine und folgte dem Weg, bis dieser sich auf eine große Lichtung öffnete. Der Mann erstarrte. Unter ihm, mitten auf der sanft abfallenden Wiese, war ein riesiges Feuer entzündet. Gestalten bewegten sich im Tanz darum herum, schlugen die Trommeln und spielten die Flöten.
Er sah die Wesen aus den Nebeln heraus ins Licht des Feuers tanzen. Wirbelnd, springend, manche schienen gar zu schweben. Sie kreisten um das lodernde Feuer, Körper an Körper, wie miteinander verschmolzen und verschwanden wieder in der Nacht, nur um an anderer Stelle erneut aufzutauchen. Jason konnte sie erkennen, doch schien sich sein Hirn zu weigern das zu glauben, was da geschah. Waren es menschgewordene Tiere oder Menschen, die sich verkleidet hatten? Er sah ihre Pfoten, Hufe und Tatzen. Fell in allen möglichen Farben. Geweihe, Hörner, Zähne und Krallen. Und doch bewegten sie sich aufrecht und elegant, sprangen umher und verbogen sich zu den immer lauter werdenden Trommelwirbeln.
Etwas riß Jason mit sich, zog ihn den Abhang hinunter ans Feuer und wirbelte ihn mitten unter die Tänzer. Sein Herzschlag fand den wilden Rhythmus der Trommeln, die ihn mit Energie erfüllten und in den wirbelnden Tanz hinein rissen. Das über mannshohe Feuer prasselte und knackte und die lodernden Flammen vertrieben die kalte Frühlingsluft. Eine Tänzerin driftete an seine Seite. Schlank und grazil bewegte sie sich auf schwarzen Pfoten und ihr rotes Fell leuchtete im Feuerschein. Die spitze Schnauze und die großen, dunklen Ohren der Füchsin waren auf ihn gerichtet und die Flammen spiegelten sich in ihren dunklen Augen wider. Er zuckte zurück, als sie sich näherte, aber dann riß ihn ihre Umarmung mit und er ließ sich von ihr herumwirbeln.
Jason spürte ihr Fell, dass an seinem Arm kitzelte, der plötzlich nicht mehr von der schweren Motorradjacke bedeckt war. Die Füchsin drehte ihn, ließ ihn los, verschwand im Nebel. Andere Gestalten tauchten auf, führten ihren Tanz fort und zogen Jason um das Feuer herum. Eine Hirschkuh, ein Wolf, dann wieder die junge, schlanke Füchsin. Es schien, als hätten sich die Tiere des Waldes versammelt, um den Frühling zu feiern. Die Trommeln durchdrangen Jason und erfüllten ihn mit einer Lebendigkeit, die er so noch nie zuvor gespürt hatte. Schneller und schneller schlugen sie, rissen ihn hinauf in die Nacht, bis er wie die Funken des Feuers über den Bäumen zu tanzen schien. Die Berührungen wurden intensiver, die Tänze enger. Jason versuchte, sich bei der Füchsin zu halten, aber immer kamen neue Gestalten und drängten ihn im Reigen um das Feuer herum. Körper an Körper und seine nackte Haut an weichem Fell.
Jason wußte nicht mehr, wann er seine Kleidung verloren hatte oder wer sie ihm auszog. Wie besessen tanzte er um das Feuer herum und trank die Hitze der Flammen wie berauschenden Met. Der Tänzer neben Jason löste sich aus dem Reigen, nahm Anlauf und sprang in die Flammen. Diese schienen ihn zu verschlucken, seine Gestalt im Loder zu verwischen, bis er auf der anderen Seite wieder heraus kam und sich unter dem Jubel der Menge wieder in den Tanz einreihte. Ein zweiter folgte. Dann ein dritter. Der Reihe nach liefen sie in die Mitte des Kreises, um den Sprung durch die Flammen zu wagen. Auch Jason. Er ließ sich mitreißen, dachte nicht mehr nach und nahm Anlauf. Für Sekunden, die sich wie Ewigkeiten dehnten, war er eins mit der glühenden Hitze der Flammen. Es schien ihm, als könnte er auf einmal alles sehen. Hier, im Zentrum des wilden Tanzes, stand die Zeit still.
Die Hitze des Feuers umspülte Jason und zeichnete Bilder aus Vergangenheit und Zukunft um ihn herum. Anfang und Ende, Geburt und Tod. Die jungen Triebe, die aus den Samen sprossen und die alten Stämme, die in den Flammen vergingen. Und dann war er hindurch. Jasons nackten Füße landeten sicher auf dem bereits ausgetretenden Grasboden und auch die Füchsin war wieder da, um ihn vor dem Stürzen zu bewahren. Und der Tanz riß ihn wieder mit sich. Der Kreis des Lebens endet nie. Hatte die Füchsin das geflüstert? Oder schallte es als Ruf über die Lichtung? Jedes Ende ist auch ein Anfang. Die wirbelnden Trommeln wurden immer lauter und die Tänze noch schneller und wilder. Jason spürte das weiche, nach Wald und Moschus duftende Fell an sich. Er ließ sich von der Füchsin durch den Tanz führen, immer schneller um das Feuer herum. Plötzlich ließ sie ihn los, nahm Anlauf und verschwand in den Flammen. Auf der anderen Seite, Bruchteile einer Ewigkeit später, sah er sie wieder. Sie lachte ihn an, winkte. Und Jason sprang. Leben ist Sterben und Sterben neues Leben. Wieder war es, als würde Jason auf dem Höhepunkt es Sprunges alle Zeiten gleichzeitig sehen können. Den Wald, die plötzlich so fern scheinende Stadt und die Welt, die hinter dem Zauber dieser Nacht wie hinter einem Schleier verborgen schien. Er sah die Vergangenheit, als der Wald sich schier endlos erstreckte und die Menschen in kleinen, nur durch dunkle Wege verbundene Dörfer lebten. Und er sah, welch Freiheit der riesige Wald bot.
Die Füchsin fing ihn wieder auf, nahm ihn in ihre Arme und sie lachten gemeinsam, als sie sich wiederum in den wilden Tanz einreihten. Jason genoss ihr weiches Fell und ihre Wärme, als sie sich an seinem nackten Körper rieb. Es schien Jason, als würde es immer mehr Tiere und andere Wesen des Waldes auf die Lichtung ziehen, um sich dem Tanz um das lodernde Feuer anzuschließen. Und er war der einzige Mensch unter ihnen.
Ein Wisent, groß und massig, brach durch die Flammen und landete neben Jason auf dem Boden. Er lachte mit einer tiefen, vollen Stimme und war Augenblicke später wieder in der Menge entschwunden. Jasons nackte Füße fanden wie von selbst den stampfenden Takt der Hufe und Pfoten um ihn herum. Und wie einer von ihnen, wie ein Bewohner des Waldes, ließ er sich vom Wind und den Trommeln um das Feuer herum tragen. Die Füchsin zog ihn aus dem Reigen und ihre Pfote schloß sich fest um seine Hand, als sie Anlauf nahm. Jason folgte, rannte auf das immer heißer werdende Feuer zu, stieß sich ab. Und gemeinsam sprangen sie in die lodernden Flammen. Mit vereinten Kräften schafften sie es, auf dem Höhepunkt ihres Sprunges Raum und Zeit zu entfliehen. Wie ein Karussell schien sich die Wiese um sie herum zu drehen und die erstarrten Flammen umgaben sie wie glühende Stalagtiten. Die Füchsin wandte sich Jason zu und lächelte ihn an. "Heute ist Beltaine, Menschenkind. Kind der Natur. Heute beginnt das neue Leben." Sie umarmte Jason, der sich kaum rühren konnte. Ihr warmer Kuß zog ihn an sie und es schien, als würden sie die Hitze des Feuers noch überstrahlen, als sie miteinander verschmolzen. Dann schlugen die Flammen wieder hoch und gaben sie frei. Eng umschlungen stürzten sie aus dem Feuer, landeten auf der nachtkalten Wiese und rollten innig verbunden den Hang hinab. Erst war sie über, dann unter ihm und er spürte ihre Hitze in der Kälte der Nacht.
Weit, endlos weit schien das Feuer plötzlich entfernt und Jason wußte, dass diese Nacht jetzt nur noch ihnen gehörte. Er spürte nicht mehr die Kälte der Nacht und den Frost, der noch immer unter dem vom Frühling angetauten Waldboden schlummerte. Alles, was er spürte, war die Hitze ihrer gemeinsamen Verbindung. Weit hinter ihnen vermischten sich die Flammen des Feuers mit dem langsam rot werdenden Horizont, wo sich das Ende dieser magischen Nacht ankündigte. Doch noch dröhnten die Trommeln durch die Nacht, vereinigte sich Jasons angestrengtes Keuchen mit dem erregten Atem der Füchsin. Wild und urtümlich, wie die Trommelwirbel und der ferne Tanz um das Feuer war auch ihre Verenigung. Die Füchsin lag unter Jason im nachtfeuchten Gras und hielt ihn mit ihren Pfoten umarmt. Und er versank mit jeder seiner Bewegungen tiefer in ihrem seidenweichen Fell.
Und dann brach die Sonne über den Horizont.
Jason blinzelte erschreckt in das grelle Licht und bremste sein Motorrad ab. Die Sonne spülte die Dunkelheit von der Straße und durchflutete die nahen Bäume mit ihrem hellen Licht. Verwirrt sah er sich um. Direkt vor ihm zweigte der Feldweg ab und verschwand im noch immer dunklen Wald. Jason betastete sich erstaunt, aber er trug nicht nur seine Motorradjacke, sondern auch seine restliche Kleidung, so als wäre nichts geschehen. Einzig der heiße, hämmernde Herzschlag in seiner Brust schrie ihn an, dass die vergangenen Stunden kein Traum gewesen sein können. Langsam fuhr Jason den Feldweg entlang und der Scheinwerfer des Motorrads trieb die Morgennebel vor sich her. Dann lag die Lichtung vor ihm und im morgendlichen Licht konnte Jason die grasbewachsene Fläche überblicken. Doch da war kein Feuer. Keine tanzenden Gestalten, keine Trommeln. Die Nebel, durch die die Geister der Nacht getanzt sind, zogen sich langsam tiefer in den Wald zurück, vertrieben vom warmen, gelben Licht des Frühlings. Eine Weile sah Jason über die Lichtung, versuchte sich an die Hitze und die Energie der Nacht zu erinnern. Aber die Bilder blieben in seinem Kopf, formten sich nicht in den Nebeln neu. Er war allein.
Schließlich drehte er wieder um, aber gerade als er fahren wollte, sah er eine Bewegung im Rückspiegel. Die Füchsin. Sie kam aus dem Nebel und schien zu ihm herüber zu schauen. Doch als Jason den Kopf drehte, war die Lichtung leer. Eine ganze Weile suchte sein Blick den Waldrand ab, aber bis auf die wabernden Nebel war keine Bewegung mehr zu sehen. Doch als er losfuhr, glaubte er wieder in der Ferne leise die Trommeln zu hören und sein Herz stimmte in freudiger Erwartung in den Takt ein. Aber diesmal stoppte er nicht mehr. Diese Nacht war ein Traum und die Erinnerungen würde ihn eine lange Zeit begleiten. Der wilde Tanz. Das Feuer. Und die Füchsin. Diese geheimnisvolle Kreatur des Waldes, die ihm das Erblühen des Frühlings gezeigt hatte.
Der Motor brummte zufrieden, als Jason das Motorrad auf die Straße zurück lenkte und beschleunigte. Und tief in seinem Herzen echote ein Wort. Ein leises Versprechen, dass sie sich vielleicht einmal wiedersehen könnten.
Beltaine.