Schneeweißchen und Rosenrot Teil 07
#12 of Praxis van Fur
Hallo,
der 7te und damit abschließende Teil der Geschichte.
Ich möchte mich auch auf diesem Wege, bei den Lesern bedanken, die die vergangenen Teile nicht nur gelesen haben, sondern auch favorisiert und bewertet haben.
Nochmals vielen Dank! ^^
Schneeweißchen und Rosenrot Teil 07
Autor: Gendori Kabashi
28.10.2012 ? 04.08.2013
Vorwort
Hallo Werter Leser,
die nachfolgende Geschichte verdankt ihr der Anfrage von jemandem, der auch dieses mal im Hintergrund und anonym bleiben möchte. Der Siebte und letzte Teil der Reihe.
Die Schneeleoparden leben sich in der neuen Heimat ein und erleben ein paar Abenteuer, doch mit einem freudigen Ereignis kommt dann auch ein Abschied.
Die neue Heimat
Jorge lag auf der Klippe und beobachtete Rosenrot, der auf einem tiefer gelegenen Felsvorsprung lauerte. Neben dem großen Kater hatte sich Schneeweißchen hingehockt und die Schneeleopardin beobachtete ebenfalls aufmerksam ihren Partner, der auf der Jagd war und sich auf seine Beute konzentriert hatte. Rosenrot befand sich ein paar Meter oberhalb seiner Beute. Einer alten, aber recht großen Steinbock-Geiß, das sich in trügerischer Sicherheit wähnte und auf dem schmalen Felssims, zu dem es aufgestiegen war, ein paar Kräuter gefunden hatte und dies abgraste. Gelegentlich hob das prächtige Tier seinen Kopf und während sie gleichzeitig das nahrhafte Grünfutter grob zerkaute, schnupperte sie im Wind nach mögliche Gefahren. Doch die Katzen, die sich oberhalb von ihr befanden, bemerkte sie nicht. Ein kleiner Fehler, den das alte, erfahrene Tier gemacht hatte, doch so klein er auch war, dieser Fehler war tödlich.
Rosenrot konzentrierte sich voll und ganz auf die Jagd. Es war purer Zufall gewesen, das Jorge das einsame Steinbockweibchen entdeckt hatte, das weit unterhalb von ihnen im Steilhang nach Futter suchte. Fast eine Stunde folgten sie dem Tier, das nichts von der tödlichen Gefahr ahnte, in der es schwebte. Jorge hatte ihm schließlich zugenickt und Rosenrot hatte verstanden.
In den letzten Wochen hatten sie sich an die neue Umgebung gewöhnt und hatten weite Erkundungsmärsche unternommen. Tag für Tag unternahmen sie gemeinsam diese Entdeckungstouren, die immer weitläufiger wurden. Zu Anfang kehrten sie immer wieder zu dem Camp zurück, das inmitten des neuen Schutzgebietes aufgebaut war, doch mittlerweile dehnten sich diese Ausflüge immer weiter aus. Sie hatten ein paar Höhlen gefunden, die ihnen als Lager dienen konnten und nach ein paar Verbesserungen sich als recht komfortabel erwiesen. Für einen zufälligen Beobachter wäre es ein ungewöhnlicher Anblick gewesen, denn er hätte drei Katzen gesehen, die jede mit Heu im Maul immer wieder in einem Loch im Felsen verschwanden, nur um wenig später die nächste Fuhre heranzuschleppen. Doch niemand beobachtete ihr seltsames Treiben. Doch so idyllisch es auch anmuten würde, so war die Umgebung doch sehr gefährlich, besonders für eine Katze, die für den eher flachen brasilianischen Dschungel geschaffen war, nicht für so ein bergiges Gelände wie die Ausläufer des Altai. Immer wieder trainierten sie bei diesen Touren das Vorgehen bei der Jagd. Mit wachsendem Erfolg, darauf waren alle drei verdientermaßen Stolz. Häufig übten sie das Anpirschen, das möglichst lautlos vonstattengehen musste. Sie wurden dabei immer geschickter und mittlerweile konnten die drei fast lautlos auch über die Geröllhalden streifen. Deren lockeres Material setzte sich ansonsten bei der leichtesten Berührung in Bewegung und dann donnernde Steinschläge auslöste. Ein Erlebnis, das Jorge leidvoll am eigenen Leiber erlebt und nur durch pures Glück überlebt hatte.
Sie hatten eine Herde verwilderter Ziegen aufgespürt und Jorge wollte seinen beiden Lehrlingen zeigen wie man diese flinke Beute fängt. Also machte er sich alleine auf den Weg um einen Punkt oberhalb der Herde zu erreichen. Dadurch würde er zum einen für seinen Angriff eine bessere Ausgangsposition haben und zum anderen würde der Wind seinen Geruch verblasen. Die Ziegen und besonders der kapitale Leithammel sollten ihn nicht so einfach bemerken können. Rosenrot und Schneeweißchen blieben derweil auf Abstand und verfolgten aufmerksam wie der übergroße Kater, den Aufstieg mit geschmeidig fließenden Bewegungen bewältigte. Die Herde schien Jorge noch immer nicht bemerkt zu haben und graste auf der kleinen Alm. Er gelangte an einen Steilhang, der voller Geröll war. Etwa 15 Meter dieses Gerölls musste er nun überwinden, um wieder einen festeren Untergrund zu erreichen. Behutsam setzte er eine Pfote vor die andere. 10 Meter hatte er bereits geschafft, als er spürte wie ein Stein unter seiner linken Hinterpfote nachgab und ins rutschen geriet. Verzweifelt bemühte er sich das Gleichgewicht zurückzuerlangen, doch das Geröll geriet in Bewegung und Jorge mit ihm. Jorge heulte verzweifelt auf. Der Leithammel hob seinen Kopf, erblickte die Gefahr und gab einen lauten Warnton von sich, dessen Echo von den Felswänden widerhallte. Die Herde ergriff geschlossen die Flucht, während Jorge verzweifelt versuchte aus der Gerölllawine zu entkommen, die auf eine Klippe zu rutschte. Schneeweißchen und Rosenrot waren in der Zwischenzeit aufgesprungen und eilten in Riesensätzen zu dem Abhang, um zu retten was zu retten war. Der Lärm der Steine war ohrenbetäubend. Als Rosenrot sich die Zeit nahm zur Lawine zu sehen, sah er entsetzt, wie Jorge über die Klippe rutschte. Ein paar Sekunden schien er sich an der Kante halten zu können. Und Rosenrot sah, wie Jorge sich bemühte einen Halt zu finden. Doch dann verschwand er in den Abgrund. Sie gelangten an den Rand des Abgrundes und erwarteten die zerschmetterten Überreste ihres Freundes in der Tiefe zu vorzufinden, doch als der Staub sich gelegt hatte, war nichts dergleichen zu entdecken. Angestrengt blickten die beiden in die Tiefe. Doch keine Spur von Jorge. Rosenrot rief klagend nach seinem Freund und er war überrascht, als er eine Antwort erhielt! Und die schien aus nächster Nähe zu kommen. Die beiden Katzen lugten erneut in den Abgrund. Dieses mal weitaus sorgfältiger als zuvor. Jorge rief noch einmal und da entdeckten sie ihren Kameraden. Er befand sich etwa 4 Meter unterhalb der Klippe und 10 Meter weiter links von ihnen auf einem schmalen Absatz.
Jorge hatte mit seinem Leben abgeschlossen, als er verzweifelt versuchte sich an der Klippe zu halten, er meinte schon mit seiner Hinterpfote einen halt gefunden zu haben, doch da traf ihn ein Stein am Kopf und ihm wurde schwarz vor Augen. Seine Pfoten verloren den letzten Halt und es ging Abwärts. Sein Leben schien vor seinen Augen abzulaufen, doch er prallte, nach überraschend kurzer Zeit, hart auf. Verwirrt blinzelte er, als er sein unglaubliches Glück begriff. Ihm taten zwar all seine Knochen weh, aber er lebte! Mühsam rappelte er sich auf und sah sich um. Er war wie auch immer auf einem schmalen Absatz gelandet. Vorsichtig lugte er die Kante hinab und er blickte den gut einhundert Meter tiefen Abgrund hinab.
„Oh du gute Güte!" dachte er, „Das ist verdammt knapp gewesen!"
Es schauderte ihn und er schüttelte sich. Dann hörte er den traurigen Ruf Rosenrots und er antwortete erleichtert. Aufmerksam blickte er auf und entdeckte die beiden über ihm, die aber in eine andere Richtung sahen, also rief er noch einmal und da trafen sich endlich ihre Blicke. Jorge verblieb noch kurze Zeit auf dem rettenden Absatz, um sich zu erholen, dann suchte er einen Weg zurück zu seinen Kameraden. Es dauerte eine gute Stunde, bis die drei für Jorge einen passenden Aufstieg gefunden hatten. Später, als sie sich wieder in ihrem Lager befanden, mit knurrenden Mägen, denn an von der Jagd hatten die drei für diesen Tag erstmal genug, kuschelten sich Rosenrot und Schneeweißchen eng an Jorge, um ihm Wärme zu spenden. Und so schliefen sie ein. Der nächste Tag wurde sicher eine neue Gelegenheit bieten.
Jorge schauderte, als er an dieses unglückselige Abenteuer zurückdenken musste. Doch er hatte seine Lektion gelernt. Und nun war es endlich an der Zeit für Rosenrot zu zeigen, was er gelernt hatte und wie weit seine Instinkte gediehen waren. Freudig nahm Rosenrot die Herausforderung an, denn die Mägen der drei lechzten nach Fleisch und ein Steinbock war eine Menge Fleisch. Und etwas anderes war die Steinbock-Geiß für sie nicht. Sie bedeutete Futter und das bedeutete Leben für die drei und das ungeborene Leben in Schneeweißchens Bauch, der in den letzten Wochen immer weiter angeschwollen war.
Rosenrot schätzte die Entfernung ab und kam zum Schluss, das er den Sprung wagen konnte. Er spannte jeden seiner Muskeln an. Er war bereit! Als seine Beute sich wieder dem Gras zuwandte, stieß er sich ab. Kopfüber stürzte er sich die steile Felswand hinab. Geschickt nutzte er jeden noch so kleinen Vorsprung und balancierte sich mit seinem langen Schwanz aus. Ein paar kleinere Steine lösten sich unter seinen Pfoten und fielen klackend in die Tiefe. Die Geiß hörte das Geräusch der fallenden Steine und setzte instinktiv zu einer waghalsigen Flucht an. Es lief ab, wie ein Schaustück von Jahrmillionen der Evolution und des Überlebenskampfes zwischen Beute und Räuber. Rosenrot landete genau dort, wo seine Beute nur wenige Sekunden zuvor noch geweidet hatte und startete augenblicklich die Verfolgung. Die Geiß war mittlerweile ein paar Meter tiefer geflohen, doch war Rosenrot ihr dicht auf den Fersen. Sie hätte sicher eine Chance zum Entkommen gehabt, doch das Schicksal wollte es anders. In ihrer Eile übersah sie einen losen Stein und als einer ihrer Vorderhufe auf diesen trat, löste er sich unter ihrem Gewicht und die Geiß verlor das Gleichgewicht. Panisch blökte das Tier und stürzte den steilen Abhang hinunter. Es überschlug sich mehrfach und prallte schließlich gegen einen Fels. Benommen versuchte sie sich noch einmal aufzurappeln und die Flucht fortzusetzen, doch da war schon Rosenrot über ihr und schlug mit seiner Pranke gegen den Schädel der Geiß. Benommen brach das Tier endgültig zusammen und Rosenrot versenkte seine Zähne in die Kehle seiner Beute. Röchelnd blökte das todgeweihte Tier ein letztes mal, dann hatte Rosenrot ihre Kehle zerquetscht. Die weit aufgerissenen Augen seiner Beute brachen. Doch Rosenrot ließ noch nicht los, er wollte ganz sichergehen. Die Läufe zuckten noch ein paar mal, als ob das Tier noch fliehen sollte, doch die Bewegungen wurden schwächer und schwächer. Rosenrots Schnurrhaare registrierten noch ein zwei Herzschläge, dann erstarben auch diese letzten Lebenszeichen und es war vorbei. Vorbei, seine erste erfolgreiche Jagd war vorbei, und er hatte Erfolg gehabt. Rosenrot ließ den Hals der Geiß los und leckte sich seine blutige Schnauze. Er blickte die Felswand hinauf und registrierte erst jetzt, wie steil dieser Abhang war. Im Eifer der Jagd hatte er das gar nicht bemerkt. Dann fielen ihm seine beiden Begleiter ein und laut rief er nach ihnen und erwartete die beiden. Stolz über seinem Fang thronend erwartete er die Ankunft seiner Genossen. Dies war mit die wichtigste Prüfung gewesen, die er bestanden hatte und er wusste, das ein Abschied folgen würde, denn Jorges Zeit mit ihnen würde bald schon beendet sein.
Schneeweißchen und Jorge waren aufgesprungen, als sie sahen, wie Rosenrot sich auf seine Beute gestürzt hatte und machten sich auf den Weg. Sie sahen noch, wie er in wilder Hatz der Geiß folgte, dann verschwand er aus dem Blickfeld. Wenig später hörten sie Rosenrot triumphierend rufen. Beide waren beim Abstieg vorsichtig. Jorge, weil er immer noch kein besonders guter Kletterer war und Schneeweißchen um sich zu schonen. Ihr Bauch war bereits mehr als nur gerundet. Sie war kurz davor neues Leben zu schenken, doch sie hatte trotzdem den beschwerlichen Weg auf sich genommen, um ihren Partner bei der Jagd zu beobachten. Immer wieder suchten sie nach Stellen um leichter den Hang zu bewältigen, den Rosenrot innerhalb von Sekunden bewältigt hatte. Rosenrot rief sie immer wieder, um ihnen den Weg zu weisen. Endlich erreichten sie ihn. Freudig begrüßten und beglückwünschten sie, den zurecht, stolzen Kater, der über der Geiß thronte und bewunderten seinen Fang. Das anschließende Festmahl stellte alle drei zufrieden. Rosenrot und Schneeweißchen erhielten mit die besten Stücke. Als die drei satt waren nahm jeder der drei eine Portion der Reste auf und kehrten damit zu ihrem Lager zurück. Zufrieden und satt kuschelten sie sich dann in ihrer Höhle zusammen und bald schon schliefen sie tief und fest, um den nächsten Ausflug angehen zu können.
Am nächsten Morgen gebärdete sich Schneeweißchen nervös und reizbar. Sie fauchte Rosenrot zornig an und ihr Partner, der sich keiner Schuld bewusst war, verzog sich mit eingezogenem Schwanz aus ihrem gemeinsamen Felsenloch. Auch Jorge bekam sein Fett weg und er ließ die knurrende Katze allein zurück. Doch er erkannte den Grund für das ungewöhnliche Gebaren, schließlich hatte er lange genug in der Praxis gelebt und gearbeitet. Es war soweit. Die Geburt der
Kleinen stand bevor. Die mütterlichen Instinkte waren für ihr Verhalten verantwortlich. In der nächsten Stunde lungerten Jorge und Rosenrot vor dem schmalen Eingang der Höhle herum, doch dann knurrten beiden die Bäuche und sie machten sich auf um ihr Jagdglück zu versuchen. Drei ganze Stunden suchten sie und hatten schließlich Erfolg. Jeder kehrte mit einem Murmeltier im Maul in das Lager zurück.
Schneeweißchen wachte mit einem Stechen im Leib auf, und wie jede Mutter wusste sie was die Uhr geschlagen hatte. Schon in den vorhergehenden Tagen hatte sie gemerkt, dass ihre Zitzen anschwollen und empfindlicher wurden. In stillen Momenten leckte sie ihre Nippel exzessiv um sich durch diese Massage zu erleichtern und bemerkte dabei, wie ihr das Fell ausging. Ihre beiden Begleiter schienen es nicht zu bemerken oder wollten es nicht bemerken. Schneeweißchen war es letztlich egal, denn sie folgte dem Ruf der Natur. Doch an diesem Morgen war ihr die Gegenwart der beiden Kater ein Gräuel und trotz der aufkeimenden Wehen, denn nichts anderes war das stechen das sie plagte, scheuchte sie die beiden aus ihrem Lager. Anschließend richtete sie das Lager her, das bald eine Kinderstube werden würde. Nur kurz unterbrach sie ihre Aufgabe, wenn wieder eine Wehe sie schüttelte, dann setzte sie noch angestrengter ihre Bemühungen fort. Schließlich war sie mit ihrem Werk zufrieden und legte sich nieder. In ihrem Inneren wurde es unruhig. Es war als ob es die kleinen Wesen nicht erwarten konnten die Geborgenheit des mütterlichen Leibes zu verlassen. Ein Krampf, die nächste Wehe, heftiger als zuvor, durchfuhr sie und ein Schwall Wasser schoss aus ihrer Scheide. Die Fruchtblase war geplatzt. Schneeweißchen hechelte. Instinktiv presste sie bei der nächsten Wehe und sie spürte wie sich etwas in ihr seinen Weg durch den Geburtskanal bahnte. Die nächste Wehe und wieder presste sie und wieder, der nächste Schub kam. Ihr Atem ging schwerer, die Wehen schmerzten, dann plötzlich eine Erleichterung. Sie sank für einen Moment zur Seite um neue Kraft zu sammeln, dann kümmerte sie sich um das Neugeborene. Es lag reglos in einer Mischung aus Schleim und Blut. Instinktiv leckte Schneeweißchen das kleine Wesen sauber und erleichtert stellte sie fest, dass das winzige Geschöpf lebte. Unbeholfen kroch das Kätzchen, seinem eigen Instinkt folgend in Richtung eines Duftes und schließlich erreichte es sein Ziel. Schneeweißchen schnurrte glücklich auf, als es anfing an einer Zitze zu saugen und seine Erste Mahlzeit einnahm. Doch schon folgte die nächste Wehe, denn das zweite wollte zur Welt kommen. Und so ging es die nächste Stunde weiter. Zu gegebener Zeit kehrten Rosenrot und Jorge nun von ihrem erfolgreichen Jagdausflug zurück und nach einigem Zögern betrat Rosenrot die Höhle. Schneeweißchen war wie elektrisiert, sie grollte leise und bekam ein bittendes Winseln als Antwort. Sie verstummte und ihr Gefährte, der Vater ihres ersten Wurfes, näherte sich dem Lagerplatz in der Höhle. Er war sehr vorsichtig und vermied jede Bewegung, die Schneeweißchen reizen könnte, doch sie blieb ruhig und entspannt. Rosenrot schnupperte und erwartungsvoll warf er einen Blick auf Schneeweißchen. Die Katze hatte sich den buschigen Schwanz über ihren Bauch gelegt und verdeckte so ihren Leib und das was darunter war.
Rosenrot und Jorge legten ihre Beute ab. Die beiden schnupperten am Höhleneingang und lauschten neugierig. Jorge stupste Rosenrot an und ermutigte ihn endlich das Lager zu betreten. Scheu und zögerlich trat er ein und wurde von einem warnendem Grollen empfangen. Leise winselnd bat er um Einlass und als Schneeweißchen verstummte trat er näher und fand seine Geliebte auf dem Lager ruhend vor. Sie musterte ihn aufmerksam, dann lupfte sie ihren Schweif und offenbarte ihm seinen Nachwuchs. Rosenrot starrte wie gebannt auf die Kätzchen. Vier kleine Schneeleoparden saugten hungrig an den Zitzen ihrer Mutter. Ihm klappte das Mal auf und überwältigt vor Freude trat er an Schneeweißchen heran, liebkoste sie zärtlich und sein Blick wurde immer wieder auf seinen Nachwuchs gezogen. 4 Welpen waren es, 1 Kater, der älteste des Wurfes und 3 Kätzchen. Sie alle waren gesund und tranken durstig und waren durch und durch Schneeleoparden. Zu guter Letzt trat Jorge ein, Schneeweißchen duldete ihn und bewies ihr Vertrauen in den guten Freund, als sie ohne ein Zeichen größerer Erregung es zuließ, dass er ihren Nachwuchs begutachtete. Jorge freute sich für das Paar und nun war er sicher, dass für die Zukunft gesorgt sei und er wieder in seine Heimat zurückkehren konnte. Er dachte an Katti, Karolus und auch an den Doktor, der ihm ein guter Freund geworden war und erinnerte sich an das Codewort, das ihm für diesen Fall mitgeteilt worden war, und an das er nun angestrengt dachte. „Sie sind da."
In den nächsten Tagen versorgten die beiden Schneeweißchen und ihre vier Welpen aufopferungsvoll, bis eines Morgens Jorge aus der Höhle trat und einen vertrauten Duft in einer schwachen Brise wahrnahm. Besuch? Er legte sich neben den Eingang und wartete. Rosenrot nahm auch den Duft wahr und wusste was die Stunde geschlagen hatte. Betrübt legte er sich neben Jorge. Sie mochten so eine Stunde gelegen haben, als sie Schritte und rutschende Kiesel hörten und bald schon erschien ein einzelner Mann. Er trug ein dicker Anorak schützte ihn vor dem kalten Wind und er hatte die Kapuze übergezogen. Sein Gesicht wurde von einer Sonnenbrille verdeckt, doch Jorge erkannte van Furr auch so. Der Arzt erblickte die beiden Katzen und hielt inne. Er warf die Kapuze zurück und breitete seine Arme aus, die Handflächen offen und kam näher. Jorge sprang freudig auf und trabte auf seinen Freund zu. Bei ihm angelangt strich er ihm um die Beine und schnurrte zur Begrüßung.
„Hallo, mein Freund! Wie ich sehe habt Ihr euch ja gut eingelebt." grüßte van Furr und kraulte Jorges Ohren. „Hallo Rosenrot! Wie geht es dir?" grüßte er auch den zweiten Kater.
Nun erhob sich auch der Schneeleopard und trat heran, aber er blieb etwas auf Distanz und bewahrte seine Würde, er war schließlich kein Schmusekätzchen. Zudem fragte er sich, wie van Furr sie hatte finden können?
„Du wunderst dich sicher, wie und warum ich hier bin, habe ich recht?" fragte van Furr.
Rosenrot nickte.
„Nun, Jorge hat mich gerufen. In ihm befindet sich ein kleiner aber leistungsfähiger Sender. Ihr habt so etwas übrigens auch!"
„Wie Bitte?" dachte Rosenrot überrascht, als er das hörte.
„Aber keine Sorge, der Sender kann nur von euch aktiviert werden und ist nur für Notfälle gedacht." fügte van Furr zu, als er den Blick des Katers sah. „Ich werde euch eure Codewörter geben, damit ihr im Fall des Falles um Hilfe bitten könnt. Ich bin auf Jorges Ruf hin gekommen, denn er hat mir die gute Nachricht übermittelt und ich möchte doch zu gerne eure Welpen sehen, wenn du und Schneeweißchen es gestatten."
Rosenrot überlegte, da sah er zum Eingang, in dem Schneeweißchen stand. Sie war, als sie die Stimme van Furrs gehört, aufgestanden und hatte, im Ausgang stehend, seine kurze Ansprache verfolgt. Und als Rosenrot sie fragend anblickte, nickte sie ihm zu. Van Furr legte daraufhin seinen Rucksack ab und holte ein kleines Gerät hervor. Er begab sich zur Höhle und Schneeweißchen ließ ihn passieren. Dort fand er die vier Welpen vor, die eng aneinander geschmiegt schliefen.
„Wunderbar!" flüsterte er.
Dann führte er den Scanner über die vier.
„Wie interessant!" stieß er überrascht vor. „Das war zwar zu erwarten, aber dieses Ausmaß!"
Er spürte die wachsamen Blicke der beiden Katzen in seinem Nacken und vorsichtig zog er sich zurück, auch wenn die beiden noch immer einen Teil ihrer Menschlichkeit besaßen, so waren sie nun doch hier und jetzt zwei Raubtiere, die man nicht unterschätzen durfte. Einen Blick warf er noch auf die schlafende Viererbande und ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, dann verließ er die Höhle.
„Die vier sind Kerngesund und wenn nichts dazwischenkommt werden sie mal prächtige Schneeleoparden werden." sagte er, „Kümmert euch bitte gut um die Vier und wenn sie soweit sind kommt ins Camp. Die kleinen brauchen Namen und Dr. Fornitov ist ein vertrauenswürdiger Veterinär, der sicher eine Abwechselung zu schätzen weiß. Zur Zeit kümmert er sich mehr um die Herden der Clans. Wenn ihr dazu bereit seit, denkt einfach an folgende Worte „Checkup, wir kommen". Dann erhält er eine Nachricht. Kommt ins Lager, wenn es dunkel ist, dann ist wenig los und ihr erregt kein Aufsehen. Und sollte jemals meine Hilfe notwendig sein, dann denkt an mich, ich werde kommen! Versprochen! Habt ihr das Verstanden?"
Rosenrot und Schneeweißchen sahen ihn an und nickten. Das hatten sie.
„Fein."
Er ging zu seinem Rucksack, steckte den Scanner ein und holte ein altbekanntes blaues Halsband hervor. Jorge, der neben dem Rucksack ausgehalten hatte, reckte seinen Hals und ließ sich es umlegen.
„Und bist du bereit für die Heimreise? Karolus und Katti vermissen dich nämlich und sind schon gespannt darauf zu hören, was ihr so alles erlebt habt!"
Jorge sammelte sich und wartete darauf, das das Halsband die Verbindung zu den Naniten aufnahm, die sein Sprachzentrum besetzt halten. Ein leises helles „Ding" ertönte und zeigte ihm so an, das es soweit war.
„Ich bin bereit!" erschallte seine Stimme klar und deutlich.
„Dann ist nun wohl die Zeit des Abschiedes gekommen."
Jorge trabte in die Höhle und verabschiedete sich von den vier kleinen auf seine Weise. Jorge hatte die Kätzchen liebgewonnen und hoffte, das es ihnen auch in Zukunft gut ergehen würde. Dann waren die beiden dran. Rosenrot und Schneeweißchen sahen etwas traurig drein, doch sie hatten gewusst, das dieser Augenblick mal kommen würde. Sie stupsten ihre Nasen aneinander und leckten sich gegenseitig die Schnauzen ab und wünschten sich im Geiste alles Gute. Van Furr legte sich seinen Rucksack wieder an, streifte sich die Kapuze über und bedeutete Jorge ihm zu folgen.
„Lebt Wohl! Und vergesst nicht was ich gesagt habe !"
Dann verließen van Furr und Jorge die beiden Schneeleoparden, die ihnen solange sie in Sichtweite waren hinterher blickten. Erst ein leises fiepen löste die Starre auf, in der sich die beiden zu befinden schienen. Ihr Sohn war erwacht und es verlangte den kleinen Kater nach seiner Mahlzeit und bald schon hatte er seine Schwestern geweckt, die nicht minder hungrig waren. Schneeweißchen verschwand in die Höhle, die ihr nun etwas leerer vorkam. Doch diese Gedanken verschwanden schon bald wieder, als die hungrigen Mäuler sich an ihre Zitzen machten um ein wohlverdientes Frühstück zu bekommen. Rosenrot dagegen machte sich auf, um für seine Partnerin und sich eine Mahlzeit zu ergattern. Tags zuvor hatte er eine Herde wilder Ziegen gefunden, vielleicht würde heute eine davon erwischen. Die Viecher waren schlau.
Van Furr und Jorge stiegen schweigend ins Tal herab. Endlich brach van Furr das Schweigen.
„Weißt du Jorge, die vier sind was ganz besonderes!"
„Klar, es ist der erste Wurf, das ist immer etwas Besonderes, oder?" und Jorge dachte ein seinen eigenen Nachwuchs.
„Schon, aber die hier haben etwas Neues in sich."
„Wie ist das denn gemeint? Was Neues?"
„Naniten! Jorge, es sind Naniten und es sind vollkommen neue Naniten."
„Naniten? Wie?"
„Der übliche Weg. Austausch von Körperflüssigkeiten. Nein nicht die Muttermilch, die Naniten der vier unterscheiden sich in Nuancen voneinander. Es muss schon während der Befruchtung geschehen sein. Hätte nie gedacht, das meine Entwicklung sich in diesem Maße weiterentwickeln könnte. Und ich kann jetzt noch nicht sagen was daraus erwachsen wird."
Van Furr zwinkerte Jorge verschmitzt zu und der Kater tat das schlaueste was ihm hätte einfallen können. Er schwieg und dachte sich seinen eigenen Teil. So wanderten die beiden noch eine gute Stunde, bis sie einen abgestellten Geländewagen erreichten. Jorge war von dem massigen GAZ sehr beeindruckt. Van Furr öffnete eine Tür und Jorge sprang bereitwillig in den Fond des Geländewagens. Dort machte er es sich auf der Rückbank bequem.
„Nun geht es ab nach Hause!"
Epilog
Einen Monat später.
Rosenrot schreckte aus dem Schlaf hoch. Ihm war etwas auf den Rücken gehopst und kleine Zähne zwickten in sein Ohr. Sein übermütiger Sohn war es und der kleine Teufel hatte ihn mit einem Kauknochen verwechselt. Rosenrot revanchierte sich umgehend und zwickte seinen Sohn ebenfalls ins hrchen. Der kleine Kater fiepte protestierend und dann leckte er seinem alten Herren das malträtierte Ohr, wohl um sich zu entschuldigen und Rosenrot nahm diese Entschuldigung gutmütig an. Die kleine Familie befand sich bereits einige Tage im Camp, wie vor Wochen mit van Furr vereinbart und Dr. Fornitov untersuchte ein Kätzchen nach dem anderen, immer unter den wachsamen Blicken von Schneeweißchen, die wie es bei Müttern üblich ist, ihrem Nachwuchs nicht von der Seite wich. Die Viererbande hatten sich wunderbar entwickelt, vielleicht etwas untergewichtig, ansonsten aber Kerngesund. Fornitov verabreichte jedem Kätzchen zum Abschluss ein paar Spritzen, die üblichen Impfungen und Vitamine, wie er es noch von seiner Arbeit im Zoo gewohnt war. Er bemühte sich dabei den kleinen Katzen so wenig Schmerzen wie nur möglich zu bereiten und er wunderte sich, wie ruhig die Eltern blieben, wenn ein Junges doch lautstark protestierte. Es kam ihm vor, als ob die Alten genau wussten, dass den kleinen nichts geschehen würde, ganz im Gegenteil, er meinte zu sehen, das die Mama, Schneeweißchen, belustigt grinsen würde. Das war irgendwie seltsam. Andere Schneeleoparden waren da viel protektiver und man musste die Eltern fast immer sedieren, wenn man den Nachwuchs untersuchen oder behandeln wollte, aber nicht diese beiden.
„So das war die letzte." Fornitov setzte die kleine auf den Boden und gab ihr einen Klaps. „Braves Mädchen. Husch, husch ab zu Muttern!"
Das ließ sich die kleine Schneeleopardin nicht zweimal sagen und hopste geschwind zu ihrer Mama, von der wurde sie mit einem Leck über das Gesicht empfangen und dann zu den Zitzen gestupst, an denen bereit ihre zwei Schwestern saugten, wohl als Belohnung für das brave Verhalten oder auch Tapferkeit.
Fornitov schüttelte verwundert seinen Kopf. Das waren die seltsamsten Schneeleoparden, die er jemals kennengelernt hatte. Fornitov ließ die sechs nun in Ruhe und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück und setzte sich an seinen Computer. Er fasste die Untersuchungsergebnisse aller Katzen kurz zusammen und sendete seinen Bericht an van Furr. Danach goss er sich einen Wodka ein und lehnte sich zufrieden zurück. Die Arbeit in diesem neuen Schutzgebiet war ein richtiger Karriereschub für Fornitov gewesen. Er bekam ein, für seine Verhältnisse, fürstliches Gehalt, besonders, wenn er es mit dem Gehalt verglich, das er bei seiner vorherigen Arbeitsstelle im guten alten Kasan bezogen hatte. Dass er sich dafür auch als Viehdoktor betätigen musste störte ihn gar nicht, eher im Gegenteil. Der Kontakt mit den Einwohnern und seine medizinische Hilfe für die Herden hatte in den letzten Monaten für eine immer bessere Akzeptanz des Schutzgebietes gesorgt. Und er hatte freie Hand! Kein Abteilungsleiter oder Chef, der ihm Vorschriften machen wollte oder die Lorbeeren für die gute Arbeit, die er leistete, einheimste. Das er van Furr, diesem seltsamen Deutschen, regelmäßig Bericht erstatten musste, ging in Ordnung, denn dessen Antworten und Kommentare waren stets hilfreich und die gelegentlichen Anfragen aus Deutschland waren immer schnell erledigt. Und der Eigentümer des Schutzgebietes, den Fornitov wie alle anderen auch nur „den Herrn Baron" nannten, ließ sich auch regelmäßig Bericht erstatten. Der alte Herr wollte sogar in den nächsten Tagen höchstpersönlich erscheinen, als er erfahren hatte, das die beiden Schneeleoparden samt Nachwuchs im Camp eingetroffen waren. Fornitov würde die Gesellschaft genießen. Als er das einem der anderen Mitarbeiter gegenüber erwähnt hatte, bemerkte er wie der Kater, Rosenrot, der in dem großen Gehege döste, die Ohren gespitzt hatte und dann aufgesprungen war um wie irre um seine Gefährtin herumzutollen. „Verrückte Katze!" hatte Fornitov da gedacht, und er und sein Kollege hatten belustigt das Schauspiel verfolgt.
Auszug aus einer Forschungsarbeit eines gewissen Dr. Fornitov. Erschienen einige Jahre nach diesen Ereignissen:
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Abschließend komme ich zu der Überzeugung, dass wir es hier mit einer neuen Unterart des _Panthera uncia_zu tun haben. Nach langen Jahren des Niederganges scheint sich die Population der Schneeleoparden zu erholen. Auch die beobachteten Verhaltensänderungen passen in dieses Bild. Der Evolutionäre Druck, der von der Menschheit aufgebaut worden ist, scheint entscheidende Änderungen zur Folge gehabt zu haben.
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In einer Stadt in Deutschland.
Ein Telefon klingelte und jemand nahm pflichtbewusst das Gespräch an.
„Hier Praxis van Furr, mein Name ist Jorge, was darf ich für Sie tun." fragte Jorge freundlich.
Der Jaguar, dessen Fell langsam aber sicher wieder seine alte Färbung annahm, war gespannt darauf in welches neue Abenteuer dieses Gespräch ihn und seine Freunde stürzen würde.
Ein paar abschließende Worte.
Hallo,
an dieser Geschichte habe ich fast 9 Monate geschrieben. Und wieder hat mein Auftraggeber sehr viel Geduld bewiesen.
Die ursprüngliche Idee kam schon zu der Zeit auf, als die erste Geschichte um Jorge reifte. Und dann wurde ich auf ein paar Sequenzen hingewiesen, die von Arania stammten und mir eine ungefähre Vorstellung gaben. Ich suchte selber auch noch nach einigen Infos und kam so auf den Altai und letztlich auf die prekäre Lage der Schneeleoparden. Und wenn ich schon im RL da wenig machen kann, so sollte die Zukunft dieser wunderschönen Spezies in einer meiner Geschichten in eine neue Richtung geschubst werden. ^^
Ich danke dem geduldigen Auftraggeber und auch den Lesern.
Greetings
Gendori Kabashi
Bis zum nächsten Streich