Flora Lightningfate (Teil 1)

Story by P999P on SoFurry

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#14 of Praxis van Fur


Flora Lightningfate

Autor: Gendori Kabashi

17.08.2013 - 22.02.2014

Vorwort

Hallo werter Leser,

Der falsche Körper, das falsche Geschlecht und, da aller guten Dinge drei sind, durch einen fatalen Unfall verkrüppelt. Holger von Rottenbach muss all das durchleiden. Mit 22 Jahren liegt das ganze Leben noch vor einem, nicht so für ihn. Seine Gedanken waren düster. Flora war da ganz anders, Flora sprühte vor Lebensfreude, sie war aktive Langstreckenläuferin, Heilerin, liebte Meditation und war von der japanischen Kultur fasziniert, doch sie hatte auch eine dunkle Seite. Ihr Körper hat­te die Rundungen, nach denen Män­ner lechzten und Frauen morden würden. Flora hatte nur ein Problem, ihr Körper entsprang nur ei­ner Fantasie, einer Sehnsucht, dem Ideal Holgers, der in ihr die wahre Verkörperung seiner selbst sah, denn sie war nicht nur weiblich sondern nicht einmal ein Mensch.

Die Wege des Herrn sind unergründlich, wie Holgers Eltern es nie müde waren ihm zu sagen. Und dennoch konnten sie nicht akzeptieren, das in Holgers Fall eben diese Wege wirklich unergründlich waren.

Jedenfalls hat Holger vor ein paar Wochen Kontakt mit jemandem aufgenommen, der ihm vielleicht helfen könnte. Er hatte Gerüchte gehört, alles unter der Hand, nie etwas Genaues, immer war es ein Buddy, des Buddies, eines kaum bekannten Freundes, der dieses oder jenes gehört haben wollte. Ur­bane Legenden, zu fantastisch um wahr zu sein. Sicherlich der überbordenden Fantasie irgendeines Spinners entwachsen, oder vielleicht nicht? Holger und Flora waren überzeugt, da musste mehr da­hinterstecken, viel mehr als nur eine Spinnerei. Jedenfalls hatte er einen Namen in Erfahrung ge­bracht, Wolf van Furr.

Diese Geschichte verdankt ihr Unicron Regenbogen. Ihm habt ihr sowohl Holger, als auch Flora zu verdanken. In dieser Geschichte kommen Familiäre Gewalt, religiöser Fanatismus und Diskriminie­rung vor. Das sind alles Themen, von denen ich mich persönlich abgestoßen fühle, aber ohne Zwei­fel exis­tent sind. Sollte jemand Anstoß darin finden, so ist es sein gutes Recht, aber ich habe es mit Absicht etwas übertrieben dargestellt. Also denkt daran, das es reine Fiktion ist, ein Hirngespinst und sich nicht, ich wiederhole nicht, auf irgendwelchen mir bekannten realen Ereignissen, Organi­sationen oder Personen bezieht.

Erster Kontakt

Holger von Rottenbach nestelte an dem Zettel herum, den ihm sein Freund Kenji unter dem Siegel der Verschwiegenheit zugesteckt hatte. Ihm fiel jede Bewegung so schwer, seit dem verfluchten Un­fall, der ihn an den elektrischen Rollstuhl band. Es hinderte ihn nicht daran seine Ideen umzusetzen, aber viel lieber würde er doch in der Natur sein. Im Freien herumstreifen, das Wachstum der Pflan­zen beobachten und um die Kräuter persönlich zu sammeln, aus denen er seine Mischungen her­stellte. Querschnittslähmung ist kein Spaß und jeden Tag, jede Stunde, nein, sogar jede Minute wur­de er an den Drecksunfall erinnert, der sein so oder so schon kompliziertes Leben noch komplizier­ter gemacht hatte. Wenn sie jemals das Arschloch erwischen würde, der die Bremsschläuche seines Autos gekappt hatte, so hatte Flora sich geschworen, würde er oder sie es büßen müssen und Flora hatte einen Verdacht. Der Rasante Wechsel seiner Persönlichkeit von Holger zu Flora und zurück war das schlimmste. Der Junge Mann war innerlich zerrissen.

Möglicherweise war das die Schuld seiner über-frommen Eltern, die ihn als Kind jeden Sonntag in die Kirche gezerrt hatten. Die abendlichen Andachten, die endlosen Bibelstunden, das Lesen aus der Bibel, die anschließenden Gespräche über die gelesenen Bibelverse. Als Kind erschien ihm das nor­mal, doch er spürte, das etwas fehlte, Freunde, gleichaltrige Kameraden und das etwas anders war mit ihm. Er wurde von seinen Eltern gehindert mit seinen Schulkameraden engere freundschaftliche Bande zu knüpfen. Und immer wieder schoben sie ihren Glauben vor. Salomon Finkelstein war Jude, verboten, Ahmad Cevik, in vierter Generation in Deutschland geboren, ein Moslem, verboten, die Eltern der Kessler Zwillinge waren Atheisten, verboten. Die Katholiken waren so oder so ver­dorben.

Als er mit der Grundschule fertig war, schickten sie ihren Sohn auf eine exklusive Schule mit christ­licher Ausrichtung, nur für Jungen, damit er ja nicht von den Mädchen in Versuchung geführt wer­den konnte. Es war ein Internat und zum ersten Mal in seinem jungen Leben spürte Holger so etwas wie einen Hauch von Freiheit. Er lernte fleißig, brachte erst gute und dann ausgezeichnete Zeugnis­se zustande, besonders in Biologie lobten seine Lehrer die Leistungen von Holger. Seine Eltern schoben es auf die gute Schule und dankten Gott für seine Gnade dieser Wahl, halleluja. Doch Hol­ger wusste es besser.

Und das kam so. Traditionell führte nämlich der Frischlingsjahrgang jedes Jahr, kurz vor dem Ende des Schuljahres, ein Shakespeare Stück auf. Die Klasse von Holger sollte „Romeo und Julia" auf­führen. Das gesamte Stück, nicht nur einzelne Szenen und dazu in der Originalsprache. Sein Eng­lischlehrer wählte Holger für die Hauptrolle aus. Er sollte die Julia spielen. Holger war zart gebaut. Sein Ge­sicht weich und mädchenhaft und wenn Holger sich konzentrierte, dann klang seine Stimme wie die eines Mädchens. Er war perfekt. Seine Mitschüler neckten ihn natürlich, manche etwas bös­artiger, manche etwas schaden-freudiger und einige, ja bei einigen wenigen meinte er sogar Neid in der Ne­ckerei zu spüren. Die Kostüme sollten modern sein und so erhielt Holger eine Vollausstattung an Kleidung für Mädchen. Panties, Bras, Strumpfhosen, ein Minirock und ein Sommerkleid auch ein kleines Schwarzes war dabei. Zurückgeben brauchte er die Kleider nicht, seine Eltern zahlten pau­schal alles, auf der Rechnung stand Kostümbedarf und mehr interessierte sie nicht. Halleluja. Er durfte die Kleider also behalten und sie wurden sein größter Schatz. Denn als er in die Rolle der Ju­lia schlüpfte, mit Kleidung und Makeup, das ihm eine professionelle Visagistin auflegte, da merkte er zum ersten mal in seinem kurzen Leben, das es fast richtig war. Er war darüber sehr bestürzt und fragte sich warum er so zufrieden war, wenn er in die Kleider schlüpfte und sich schminkte. Im In­ternet fand er schließlich die Lösung, was mit ihm nicht stimmte. Er war im falschen Körper. Er war tief in seinem inneren eigentlich ein Mädchen, eine Frau die im Körper eines Mannes gefangen war. Ein Transsexueller. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen und er wusste, das er diese Veranla­gung, diese Bestimmung vor seinen Eltern unbedingt geheim halten musste. Die beiden wa­ren so von ihrem Glauben verblendet, das konnten sie sicher nicht akzeptieren.

„Für Flora" stand auf dem gefalteten Papier. Holger strich sanft über den Schriftzug und klappte dann den Zettel auf. Zum Vorschein kam eine lange Zahlenreihe und darüber ein Name „Black-Jaguar_Ger65". Es hatte Holger, in dem Fall Flora, seiner Fursona, etwas Überredungskunst und ein paar Kräutermischungen gekostet, sehr besondere Kräuter übrigens, bis einer seiner Nerd-Freunde im Fandom sich bereit erklärt hatte für Flora diese Zahlenreihe zu besorgen. Deswegen auch der Zettel und keine E-Mail. Die Zahlen waren eine Telefonnummer aus Deutschland. Holger war ganz aufgeregt und sein geschundener Körper zitterte vor Aufregung. Er setzte sich sein Headset auf und tippte die Zahlen in seinen Laptop ein. Einen Moment lang schwebte sein Finger zögernd über der Maustaste. Holger atmete durch, dann klickte er das Wählen Feld an. Kurz erklang ein Freizeichen, dann folgten Wahltöne. Die Nummer war richtig, er hörte den Warteton. Die Leitung war geschaltet. Würde nun auch der Richtige am anderen Ende der Leitung das Gespräch annehmen? Quälend lang waren die Sekunden die verstrichen, doch dann knackte es in der Leitung und eine Männerstimme meldete sich und im Hintergrund hörte man ein Radio sehr leise dudeln.

„Hier Praxis van Furr, mein Name ist Jorge, was darf ich für Sie tun." drang es freundlich aus den Kopfhörern.

Holger schwieg. Er war wie gelähmt. Nun Gelähmt war er sowieso, aber nun war es so als ob er auch noch seine Zunge verschluckt hätte.

„Hallo? ... Wer ist da? ... Ich kann Sie leider nicht hören! ... Hallo, melden Sie sich, ich höre Sie doch atmen! ... Dann lege ich halt wieder auf! Verdammte Telefonstreiche!"

„H ... halt! Warten Sie, bitte!" stieß Holger hervor.

Würde das Gespräch jetzt beendet werden, so wusste er nicht, ob er jemals wieder den Mut finden würde dort anzurufen. Der inneren Flora ging es genauso und sie übernahm.

„Aha, haben Sie Ihre Stimme wiedergefunden. Schön, was darf ich für Sie tun?"

„Spreche ich mit Black-Jaguar_Ger65?"

Wenn Flora aus Holger sprach, hörte sich das so seltsam an. Es war Holgers Stimme, doch hatte sie nun einen exotischen, verführerischen Beiklang angenommen. Es geschah vollkommen unbewusst.

Schweigen am anderen Ende. Flora hörte kein Geräusch außer einem gelegentlichen knacken und dem Radio, er konnte nun eine Werbepause hören.

„Wer will das wissen? Wer sind Sie?" fragte der Mann, der sich Jorge genannt hatte.

„Ich bin es Flora, Flora Lightningfate!"

„Flora? Flora Lightningfate? Du? Wie kommst du an diese Nummer? Ich ..."

„Dann bist du wirklich Blacky!" Unterbrach Flora ihren Gesprächspartner. „Oh was bin ich froh, deine Stimme zu hören. Ich will einen Termin mit van Furr!"

Jorge glotzte fassungslos auf den Bildschirm. Flora Lightningfate! Natürlich kannte er Flora. In den letzten Wochen hatte er häufig mit ihr gechattet, doch die Stimme am Telefon, war männlich, auch wenn da so ein seltsamer Unterton war. Verfluchtes Internet, man konnte nie jemandem wirklich über den Weg trauen. Wie hatte diese verrückte Füchsin es nur geschafft ihn zu finden. Jorge würde mit Karolus mal ein Gespräch führen müssen. Und ein Termin mit van Furr? WTF! Was für 'ne hei­ße Scheiße bahnte sich da denn an?

„Blacky? Was hat denn mein schwarzes Katerchen. Zunge verschluckt?" neckte Flora frech.

„Ahem, einen Termin?"

Jorge schluckte und war froh, dass er und Karolus den Stimmgenerator sorgfältig justiert hatten, so dass neben seiner synthetischen Stimme auch ein Streamfile mit den typischen Hintergrundge­räuschen einer Praxis übertragen wurde und jeder überflüssige Laut herausgefiltert wurde.

„Wenn es um Geld geht, ich habe genügend auf der hohen Kante!"

Und das entsprach der Wahrheit. Zum einen eine außerordentliche Summe, die Holger von seinen Eltern erstritten hatte und zum anderen das Geld aus seiner Unfallversicherung, alles in allem eine schöne sechsstellige Summe mit beruhigend hoher Ziffer als erste Zahl. Zudem bekam er aus einem Lizenzvertrag mit einem Pharmakonzern jeden Monat einen ansehnlichen Betrag auf sein Konto. Teilweise in bar und teilweise in Aktien und Fondsanteilen ausgezahlt. Hätte Holger/Flora nicht sei­ne/ihre hinderlichen Probleme, so hätte er/sie sich als gemachte/r Frau/Mann bezeichnet.

„Das ist es nicht, nur wie ...?"

„Wie ich dich und diesen van Furr gefunden habe. Betriebsgeheimnis. Sagen wir mal so, ich kenne genügend Nerds und weiß welche Knöpfe ich drücken muss!"

Jorge konnte das Grinsen förmlich hören.

„Einen Moment bitte."

Jorge öffnete den Terminplaner und suchte nach einem freien Termin. Er wusste eines sicher, der Anruf kam aus Japan, in den nächsten Tagen wäre es zwecklos zu suchen.

„Übernächste Woche, am Dienstag 17 Uhr und sei pünktlich."

„Gut, ich werde da sein!"

„Auf welchen Namen soll der Termin eingetragen werden? Und damit meine ich deinen richtigen Namen!"

„Es geht wohl nicht anders?" fragte Flora.

„Nein, also bitte?"

„Holger von Rottenbach!"

Jorge war verwirrt, die Stimme klang plötzlich wieder wie die eines Mannes. Er würde Karolus auf diesen Holger von Rottenbach oder Flora Lightningfate ansetzen, mal sehen was für eine Story da­hintersteckt.

„Gut das habe ich notiert, sonst noch etwas?"

„Kann ich bei euch unterkommen?"

„Werden wir sehen, wenn es soweit ist, wir haben ein gutes Hotel in der Stadt!"

„Ich mag Hotels nicht und wäre mit einem einfachen Zimmer einverstanden. Am besten ebenerdig."

„Ebenerdig?"

„Ich sitze im Rollstuhl."

„Wir werden sehen!"

„Damit muss ich wohl leben?"

„So ist es. Also übernächste Woche Dienstag 17 Uhr! Unsere Adresse hast du?"

„Ich werde da sein und ja die habe ich. Wir sehen uns."

Holger legte auf. Das war besser gelaufen als gedacht. Gut das Flora das Gespräch übernommen hat­te. Holger litt nicht unter einer gespaltenen Persönlichkeit. Flora war seine Erweiterung, sein an­deres ich, sein wahres ich. Wann immer Flora übernahm, so war es sich Holger immer bewusst, es war ungefähr so, als ob ein Teil seines selbst auf die Ersatzbank geschickt wurde und ein anderer hineinkam. Holger hatte nun eine Menge zu tun. In den nächsten Tagen ordnete er seine Angelegen­heiten, regelte dies und das, bezahlte ein paar kleinere Außenstände und gab seinem Vermieter Herrn Hasita die Miete für ein ganzes Jahr im Voraus. Unter der Voraussetzung, das Kenji, der Sohn seines Vermieters, die Wohnung sauber hielt und darauf achten sollte, das sich nichts verändert. Kenji half ihm zudem noch bei einigen weiteren Erledigungen. Darunter war auch ein Besuch eines Shinto Schreins an dem sich Holger frische Energie holte und die Gottheiten um Stärke bat, für das, was er vorhatte. Holger hatte sich kurz nach seiner Ankunft in Japan, dem Schintoismus zugewen­det, dem Christentum konnte er nichts mehr abgewinnen, jedenfalls nicht dem Christentum, dem seine Eltern anhingen, und erst als er nach Japan gekommen war und einen Schrein der Inari be­sucht hat­te, meinte er wieder in einer Religion Vertrauen fassen zu können. Er hatte bei diesem ers­ten Be­such ein sehr interessantes Gespräch mit einem der Priester geführt.

Diesem war der junge Europäer in seinem elektrischen Rollstuhl aufgefallen und er sprach den Hol­ger ungezwungen an, in dem brüchigsten Englisch, dass man sich vorstellen konnte. Holger von der Ansprache überrascht, antwortete respektvoll auf Japanisch, auch wenn man seinen harten deut­schen Akzent nicht überhören konnte. Und Holger war nach dem Gespräch, dass sich über mehrere Stunden hingezogen hatte, von dem Verständnis und der freundlichen Aufmerksamkeit des alten Weisen sehr überrascht gewesen.

Erinnerungen 1

Drei Jahre waren seit Holgers Entdeckung vergangen, seit er seine wahre Natur erkannt hatte. In der Schule war er ein Klassenprimus, er hatte spielend Klassen übersprungen und hoffte bald studieren zu können. Er hatte vor Pharmakologie zu studieren mit einer Spezialisierung auf Heilpflanzen. Sei­ne Eltern sahen das recht wohlwollend, besonders da er damit für sie bewies, wie groß die Schaf­fenskraft des Herrn war, der gegen jede Krankheit ein Kraut geschaffen hatte. Doch auch seine ge­heime Seite versuchte er auszuleben und heimlich schminkte er sich und schlüpfte in die Kleider, die er von der Aufführung noch hatte, und als diese zu eng wurden, besorgte er sich billige Second-Hand Sachen, hübschte sie etwas auf und warf sich am Wochenende in Schale, um sich im Spiegel zu bewundern. Doch all das geschah im geheimen und niemals zu Hause.

Auch lebte er seine Phantasie im Internet aus und dort wurde auch Flora geboren. Er besorgte sich Zugänge zu einigen einschlägigen Seiten und bemerkte dabei, dass er nicht alleine war. Es gab viele Transfrauen und Transmänner auf diesen Seiten, die sich auf diesen Seiten offenbarten und er sich ihnen, natürlich ohne über sein wahres Alter zu schreiben. Manche waren verschüchtert, andere ge­radezu provokant. Doch immer wieder las Holger die Berichte und Erfahrungen seiner Schicksals­genossen und -genossinen und erkannte sich in vielen Dingen wieder. Und als man ihm im Chat dann die Frage stellte, ob er schon sein Outing gehabt hätte, da antwortete er wahrheitsgemäß.

Flora: „Nein, wegen meiner Eltern, die würden es nicht verstehen."

Beast23: „Deine Eltern, bist du so ein junges Küken?"

Ladylike: „Flora, kleiner Pumpkin, gib darauf dich acht nicht im falschen Moment zu outen, die fressen dich sonst mit Haut und Haaren!"

Der Chat ging noch über mehrere Stunden und Holger dämmerte es langsam, dass er mit seinen El­tern noch einen schweren Kampf vor sich haben würde. Er musste sich darauf vorbereiten, und er benötigte dafür Hilfe, nur von wem? Als er an dem Abend zu Bett ging, kam ihm schließlich der ret­tende Einfall. Sein Onkel Manuel, der würde es verstehen. Soviel Holger wusste, wohnte sein Onkel in seiner Heimatstadt, aber so lange er sich erinnern konnte war dessen Name nur selten ge­fallen.

Sein Onkel war das so genante schwarze Schaf der Familie. Warum das so war wusste Holger nicht. Dieses Thema wurde innerhalb der Familie totgeschwiegen, ignoriert, es war einfach nicht existent und wann immer Holger Fragen gestellt hatte, bekam er nur diese pseudoreligiösen Aussagen zu hö­ren, die seine Kindheit so geprägt hatten, und denen misstraute er mittlerweile. Das ließ er sich aber nicht anmerken und er folgte weiterhin brav seinen Eltern zu den Gottesdiensten und den Bibelstun­den, wann immer er zu Hause war. Doch er hatte sich seine eigene Meinung gebildet und er verab­scheute insgeheim die Art und Weise der Religiosität, wie sie von seinen Eltern ausgelegt wurde.

In seinen letzten Sommerferien vor dem abschließenden Schuljahr, kam es dann doch zum lang be­fürchteten Eklat. Holger hatte in diesem Sommer endlich Telefonnummer und Adresse seines On­kels in Erfahrung gebracht, er war überrascht gewesen, wie nahebei die Adresse lag. Und am nächs­ten Tag wollte er endlich Kontakt aufnehmen. Doch am jetzigen Tag war in ihm der Drang immer stärker geworden, sich in Schale zu schmeißen, sich voll aufzudonnern und für ein paar Stunden zu Flora zu werden. Dieser Tag war dafür perfekt. Seine Eltern waren auf einer Gemeindeversamm­lung und Holger, von dem eigentlich erwartet wurde mitzukommen, war es gelungen sich mit einer „wichtigen" Sommeraufgabe für die Schule herauszureden.

„Nun gut mein Junge, aber übertreibe es nicht und halte deine Andacht!"

Innerlich schüttelte sich Holger, doch er beherrschte sich und stimmte seinem Vater zu. Dann mach­ten sich seine Eltern endlich auf den Weg und Holger hatte das Haus ganz für sich alleine. Kaum das der Wagen seiner Eltern das Grundstück verlassen hatte, stürmte er auf sein Zimmer und kramte einen Koffer hervor, für den nur er einen Schlüssel hatte. Er wuchtete das Gepäckstück auf sein Bett, öffnete das Schloss und klappte den Koffer auf. Seine Augen leuchteten freudig auf, als er den Inhalt betrachtete. Doch zuerst war noch einiges zu erledigen.

Er entkleidete sich vollständig, schnappte sich eine Tasche, die im Koffer lag und ging ins Bad. Dort wollte er die Transformation starten. Holger duschte sich sorgfältig, dafür nahm er das feine Duschgel seiner Mutter, sie hatte im­mer einige Flaschen bevorratet und das eine etwas leerer wurde würde nicht auffallen. Nach dem Duschen betrachtete Holger sich im Spiegel. Er war schmal gebaut und hatte eine fast feminine Sta­tur. Glatte Haut, kaum von Akne gezeichnet. Sein Gesicht kam nach seinem Vater und war bereits etwas kantig, doch machte sich bei ihm noch kein Bartwuchs bemerk­bar. Anders als bei seinem Vater, der von sich selber behauptete, sich schon im Alter seines Sohnes hatte rasieren zu müssen. Deprimiert schaute er auf seinen Schritt, auf das widerliche Ding zwi­schen seinen Beinen. Transsexuell oder nicht, aber sein Glied war recht eindrucksvoll. Beim Du­schen nach dem Sportunterricht konnte er die neidischen Blicke seiner Mitschüler spüren. Wenn sein Glied doch nur kleiner wäre, würde das was er vorhatte nicht so schwierig sein. Aber weiter im Text. Holger nahm sich eine Schere und schnitt behutsam seine Schamhaare ab, bis auf ein Dreieck über seinem Glied ab. Danach nahm er das Rasierzeug und schäumte die geschnittenen Schamhaare gründlich ein und rasierte sich den Ge­nitalbereich. Etwas Lotion gegen die Hautreizung und dann sachte mit Bimsstein den Rest abgerie­ben, schließlich war er mit seinem Werk zufrieden. Dann hol­te er eine Rolle medizinisches Klebe­band hervor und begann sein Glied abzukleben. Er hatte sich für diese Art des Tucking entschieden. Er hatte es schon mehrfach geübt und schon bald hatte er den gewünschten Effekt.

Er schlüpfte in ein Seidenhöschen und als er sich dann im Spiegel betrachtete blieb ihm die Spucke weg, er konnte sogar eine Cameltoe sehen. Sacht strich er sich über seine Scham und zufrieden grinste er über sei­ne neu gewonnene Weiblichkeit, die es noch zu verbessern galt. Zurück in seinem Raum kam der nächste Schritt. Die Prothesen. Es waren Brustprothesen, die ihm AA-Cups schenk­ten. Sorgfältig setzte er sie an und dann kam der passende BH dazu. Kurz das ungewohnte Klei­dungsstück zurecht­gerückt. Fast perfekt. Mit Makeup kaschierte er die Ränder der Silikonbrüste. Dann schlüpfte er in eine Art fleischfarbenen Bodystrumpf. Seine Figur wurde von dem stark elasti­schen Stoff in eine weiblichere Form gezwungen. Als nächstes die schwarzen Strumpfhosen. Das Gefühl, wie die Ny­lons sich an seinen Beine schmiegten, war himmlisch. Dann kam das Top und Hotpants. Er hatte sich ganz bewusst für diese sexy Outfit entschieden.

Er setzte sich nun an seinen Computer und nutzte seine Webcam als Spiegelersatz. Mascara, Lid­schatten, die Brauen etwas nachgezogen und die Wangen ganz leicht gepudert. Dann holte er eine Perücke mit langem blondem Haar hervor. Er hatte die Perücke, wie auch die anderen Kleidungs­stücke in einem Secondhandshop gekauft und die Brüste waren von ihm über das Internet gekauft worden. Holger schloss seine Augen und setzte die Perücke auf und als er die Augen öffnete, da war er nicht mehr Holger, sondern sie war Flora. Sie bestaunte ihr Abbild auf dem Monitor und fand sich schön. Sie hätte ihre Finger- und Zehennägel gerne noch mit einem passenden Nagellack ver­schönert, doch sie dachte an Holger und wie er den Nagellack seinen Eltern erklären sollte? Sie seufzte, vielleicht beim nächsten mal. Flora schlüpfte in ein paar weiße Sneakers, zu gerne hätte sie High-Heels ausprobiert, doch sie hatte noch keine passenden gefunden, die sie sich auch hätte leis­ten können.

Auch wenn Holgers Eltern wohlhabend waren, so waren sie doch recht knauserig in Bezug auf Ta­schengeld. Holger war also gezwungen selber Geld zu verdienen und er nutzte dafür seine Kennt­nisse in der Pflanzenkunde und mixte seinen Schulkameraden Kräutermischungen zusammen, die sehr begehrt waren.

Flora erhob sich und machte ein paar Schritte. Sie fühlte sich wohl und genau richtig, wie jedes mal wenn Holger sie herausließ. Flora zog keinen sexuellen Kick aus diesem Crossdressing. Sie fühlte sich einfach als „fast" richtige Frau, nicht wie ein Mann in Frauenkleidern. Der Aufzug war nur Mittel zum Zweck, nicht zum Aufgeilen gedacht. Sie ging ins Schlafzimmer von Holgers Eltern, denn dort war der größte Spiegel im ganzen Hause und bestaunte ihr Spiegelbild. Sie machte sogar ein paar Posings. Ein Blick auf die Uhr holte sie wieder in die Realität zurück. Holgers Eltern wür­den bald wieder Heimkehren und dann musste Holger wieder da sein. Sie begab sich zur Tür und öffnete sie und sah in das überraschte Gesicht von Holgers Vater.

Jorge legte auf und dachte fieberhaft nach, was er tun sollte. Gut er hatte einen Termin vereinbart, nicht gut, dieser Holger, den er nur als Flora kannte, hatte ihn und die Praxis aufstöbern können. Van Furr liebte Verschwiegenheit und scheute aus verständlichen Gründen das Licht der ffentlich­keit. Immerhin konnten die Behandlungen durchaus als schwere Körperverletzung und unethisch angese­hen werden. Einige der umgewandelten waren zu Anfang auch wohl gegen ihren Willen transformiert wor­den. Was, wenn die Presse davon Wind bekam? Jorge machte sich schwere Vor­würfe. Irgendwie hatte er eine Spur hinterlassen, die zu ihm und zur Praxis führte. Er machte sich sofort auf zum Pra­xisgebäude.

Van Furr saß wieder mal in seinem Büro und überflog seine Papiere. Die Geschäfte florierten. Die Anteile an der Insel rentierten sich langsam aber sicher und trugen zum Einkommen der Praxis einen immer größeren Anteil bei. Bald könnte er endlich sein Sanatorium in Angriff nehmen. Da hörte er Jorge, der um Einlass bat. Van Furr erhob sich und öffnete die Tür und der schwarze Jaguar trat gesenkten Hauptes in das Büro und ließ sich ohne ein Wort zu verlieren auf seinem Lieblings­platz nieder.

„Was ist los? Warum ziehst du ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?" fragte der Doktor.

„Doc, ich muss einen Riesenfehler begangen haben!" maunzte der Kater geknickt und erzählte in wenigen Worten was sich zugetragen hatte.

„Hm, das ist ein ernstes Problem. Und du bist dir sicher nichts versehentlich verraten zu haben?"

„Ich habe meine Logs natürlich noch nicht prüfen können, aber ich bin mir sicher, dass ich nie einen Eintrag gemacht habe, die auf uns direkt hinweisen würde. Ich schwöre, bei meinem Vater!"

„Ich glaube dir ja, mach dir keinen Kopf drum! Da muss sich Karolus mal daransetzen, schließlich ist er für den Bereich mit verantwortlich. Wenn nicht anders, muss er da etwas eingreifen. Aber viel wichtiger, was ist dieser Holger für ein Mensch?"

„Ich, ich weiß nicht. Ich habe gestern das erste mal mit Ihm oder Ihr gesprochen."

„Ihr?"

„Flora Lightningfate, sie ist sein Avatar, eine blaue Kitsunetaurin."

„Ein was?"

„Sie überraschen mich! Doc, Sie haben Furries um sich, aber wissen nicht was ein Kitsunetaur ist?"

„Ähem, offen gesagt nein!"

„Gut, dann zeige ich es Ihnen. Das Interface ist bei Ihnen aktiv?"

„Nur zu!"

Jorge sprang von seinem Platz auf und tappte zum Schreibtisch. Es war zwar unbequemer als in sei­nem Unterschlupf, aber es würde schon gehen. Jorge konzentrierte sich und rief die Internetseite auf, über die er Flora kennengelernt hatte. Er loggte sich ein und manövrierte sich zu ihrem Profil.

„Vielleicht gibt Ihnen das einen Eindruck von Ihr oder Ihm, was auch immer."

„Nicht schlecht. Okay. Jorge ich werde mir mal das hier zu Gemüte ziehen, wenn Du gestattest?"

„Bitte, solange Sie nichts kaputt machen."

Jorge machte van Furr bereitwillig Platz und verzog sich wieder auf seinem Stammplatz. Er würde die Zeit nutzen und ein Nickerchen machen, van Furr würde ein paar Stunden benötigen. Und sollte ein Anruf erfolgen, würde Jorge zum Rechner im Eingangsbereich gehen.

Van Furr besah sich das Profil und wechselte dann zu der Galerie. Es waren viele Bilder vorhanden, die in unterschiedlichsten Stilen immer wieder dieselbe Figur zeigten. Manche sahen sehr nach Co­mic aus, an­dere schienen Karikaturen zu sein, aber einige waren auch äußerst lebensechte Darstel­lungen eines fuchsartigen We­sens mit drei buschigen Schwänzen, dem Leib eines Fuchses, einem menschenähnlichen Oberkör­per und einem Fuchskopf. Das Fell war in verschiedenen Blautönen ge­halten und die kecken Augen waren verschiedenfarbig. Und die Gestalt war überaus feminin. Auch hatte Flora einige kurze Ge­schichten veröffentlicht, die etwas verwirrend waren und immer ver­zwickte Rachepläne beinhalte­ten. Dann wendete er sich ihren Favoriten zu und auch dort war der Tenor eindeutig dieselbe The­matik. Ein Unrecht wurde vergolten.

„Was muss diese Flora für eine komplizierte Persönlichkeit sein. Irgendwie freue ich mich den rea­len Menschen dahinter kennenzulernen!" dachte van Furr als er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und über das, was er in dem Profil gesehen hatte nachdachte.

Van Furr rief schließlich Katti und Karolus zu sich ins Büro. Er und Jorge informierten die beiden über den anstehenden Auftrag und über das mögliche Sicherheitsleck. Karolus war natürlich sehr bestürzt, fast schon in seiner Ehre getroffen, als er von der Vermutung hörte, dass es ein Sicherheits­leck geben könnte. Van Furr war sich sicher, dass sein ambitionierter Assistent nicht nur jedes ein­zelne Detail des Lebens und der Person dieses Holger von Rottenbach herausfinden, sondern zudem noch die Spuren verwischen würde, die von Ihnen im Netz hinterlassen worden sind. Nachdem das geklärt war schickte er die drei wieder an ihre Arbeit und machte sich selber mit neuem Elan an die Planung für sein Sanatorium.

Flora erschrak zu Tode. Und aus dem Gesicht des älteren Mannes verschwand die Überraschung und wandelte sich vom überraschten Erstaunen, zum Erkennen und schließlich zu offener Wut. Flo­ra sah die Hand nicht kommen, als Holgers Vater ihr eine gewaltige Maulschelle verpasste. Ihr Kopf wurde zur Seite geschlagen und von der Wucht des Schlages wurde ihr die Perücke vom Kopf geris­sen. Bevor Holger noch reagieren konnte, gab ihm sein Vater eine weitere gewaltige Ohrfeige und er ging in die Knie. Sterne tanzten vor seinen Augen

„Sodom und Gomorrha!" schrie sein Vater.

Vom Erdgeschoss erklang die besorgte Stimme von Holgers Mutter herauf.

„Christian? Was ist passiert? Warum schreist du so?"

„Gotteslästerung!" rief er herunter und zu seinem Sohn gewandt. „Du perverses Schwein."

Holger versuchte zu sprechen. Seine Backen brannten und die vorquellenden Tränen fingen an sein Makeup zu verschmieren. 'Oh Gott!', dachte er und hielt sich die brennende Backe.

„Vater, ich..." -Klatsch- eine weitere Ohrfeige.

Nun brannten beide Backen und die Handabdrücke seines Vaters zeichneten sich deutlich ab. Die ersten Tränen flossen über das Makeup.

„Schweig! Was bist du für ein Perversling?" -Klatsch- „Haben wir dir keine Christliche Erziehung zukommen lassen?" -Klatsch- „Ich hatte so meinen Verdacht, aber jetzt erst sehe ich, was wir hier für eine perverse Hure haben!" -Klatsch.

Schnelle Schritte erklangen, als Holgers Mutter die Treppe heraufkam und dort ihren Mann sah, der über ih­ren Sohn gebeugt stand. Ihrem Sohn, der in Frauenkleidern gekleidet, zusammengekrümmt auf dem Teppich lag, und wie ein Mädchen heulte. Schockiert von dem Anblick stand sie auf der Treppe. Ihre Hand hatte sie auf den Mund gelegt.

„Christian? ... Holger? Was geht hier vor. Warum trägst du Frauenkleider?" fragte sie erschrocken. Sie fragte aber nicht, warum ihr Mann ihren gemeinsamen Sohn brutal verprügelte, noch versuchte sie ihn daran zu hindern. Sie liebte ihren Christian, ihren Ehemann, ihren Herrn, ganz und gar. Er sorgte gut für sie und sie sorgte gut für ihn.

„Teufelswerk, Sünde. Wir haben hier einen Satan aufgezogen, einen Wechselbalg! Geh sofort zur Haustür und mach sie auf, Weib, sofort. Das ist eine Teufelsaustreibung und der Teufel wird gleich verschwinden!" schrie Holgers Vater.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren tat Holgers Mutter wie ihr unmissverständlich befohlen worden war. Aus den Augenwinkeln sah sie wie Christian mit dem Fuß ausholte.-Thumb- das war ein Tritt. Holger schrie vor Schmerzen auf. Er blutete aus der Nase, seine Lip­pen waren aufgeplatzt und sein Gesicht dick angeschwollen. Rot brannten die Handabdrücke seines Vaters auf seinen Wangen. Der Tritt war auf seinen Unterleib gezielt, doch Holger hatte seinen lin­ken Arm schützend vor sich ge­halten, doch nun war sein Arm taub und er konnte ihn kaum rühren. Er schluchzte vor Schmerzen, doch auch das konnte seinen Vater anscheinend nicht zur Besinnung bringen. Denn er riss Holger an den Haaren hoch und zerrte ihn zur Treppe.

Mit eiskaltem Blick auf seinen Sohn zitierte er: „Eine Frau soll nicht Männersachen tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen; denn wer das tut, der ist dem HERRN, deinem Gott, ein Gräuel."

„Christian nicht!" flehte seine Mutter, die von der Haustür zurückkam und die Brutalität sah, mit dem ihr Kind behandelt wurde, doch das Flehen klang nur halbherzig. Auch sie schien ange­widert zu sein von Holgers Aufzug.

„Vater, nein nicht!" schrie Holger angsterfüllt, doch dann wurde er auch schon die Treppe hinunter­gestoßen.

Cynthia schrie erschrocken auf.

„Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten." zi­tierte Christian, „Hätte ich das nur früher beherzigt."

Holger stürzte die Treppe herunter und überschlug sich. Glücklicherweise verletzte er sich bei die­sem Sturz nicht schlimmer, aber in den nächsten Wochen würde er jede Bewegung spüren. Seine Mutter war auf die Knie gefallen, hatte die Hände gefaltet und betete. Den Blick hatte sie auf ein Kruzifix gerichtet. Als Holger wieder etwas zu sich kam, sah er seinen Vater wieder über sich. Angsterfüllt blickte er den wü­tenden Mann an. Und mit seinen verschwollenen und von Tränen ver­schleiertem Blick meinte er, dass das vor unbändigen Zorn hochrote Gesicht des Mannes, wie dass eines Teufels wirkte. Wieder wurde Holger hoch gerissen und zur Haustür gezerrt.

„Ich habe keinen Sohn mehr, der ist tot und du Wechselbalg bist enterbt, keinen Cent wirst du be­kommen, verschwinde und lass dich hier niemals wieder sehen! Gott sei deiner Seele gnädig."

Und mit diesen Worten versetzte Holgers Vater ihm einen gewaltigen tritt in den Hintern und beför­derte seinen 15 jährigen Sohn aus dem Haus. Ihn hohem Bogen flog er aus der Tür auf den mit gro­ben Kies bedeckten Platz. Holger schrie vor Schmerz auf, als er über den Kies schlitterte und als er zu Halt kam, blieb er regungslos liegen. Dann kam in seinem Körper wieder Bewegung und er blickte zur Tür. Tränen, Rotz und Blut liefen ihm übers Gesicht, doch er begriff immer noch nicht was da geschehen war. Er musste ein paar Minuten weggetreten sein, denn als er wieder zur Tür blickte, sah er wie sein Koffer herausgeworfen wurde und sein Va­ter verächtlich vor ihm ausspuck­te. Dann drehte der Mann sich ohne ein weiteres Wort zu verlieren um, stampfte ins Haus und knall­te die Tür hinter sich zu. Aus dem inneren des Hau­ses konnte Holger seine Mutter weinen hören und auch die üblen Verwün­schungen seines Vaters drangen weiterhin bis auf den Hof hinaus. Müh­sam rappelte Holger sich auf, hinkte zu seinem Koffer und nahm ihn hoch. Holger verstand die Welt nicht mehr. Mit so einer Re­aktion, so einen fanatischen Gewaltausbruch, hatte er nicht gerech­net. Sein Vater war ein gläubiger Christ und noch nie zuvor hatte er die Hand gegen seinen Sohn oder ir­gendjemand anders er­hoben. Was war nur geschehen? Warum waren seine Eltern so früh zurückge­kommen? Wo sollte er nun hin? Viele Fragen, zu viele Fragen, auf die der überforderte Geist des Jungen keine Antwort finden konnten, nur eine Frage, eine Frage, die konnte er beantwor­ten. Diese eine Frage, von so vielen. Wohin nun? Die Adresse, die Adresse seines Onkels? Ja, die Adresse, die hatte er im Kopf, dort musste er hin! Er verließ das Grundstück seines Elternhauses, seines Heimes und warf noch einen verzweifelten Blick zurück, dann wandte er sich ab und hinkte los.

Er wusste es noch nicht, aber einmal würde er zurückkehren und seine Eltern würden ihr blaues Wunder erleben, aber dazu später.

Später konnte Holger nicht mehr sagen, wie er zu seinem Onkel gelangt war. Es war, als ob er in ei­ner Art Trancezustand gewesen wäre. Hinkend war er durch die Straßen gestolpert. Den zerkratzten Koffer zog er mühsam hinter sich her. Das Gepäckstück schlingerte immer wieder und fiel schließ­lich um, doch Holger realisierte das nicht. Sein Gesicht war mit einer Mischung aus Blut, Schweiß und den Makeupresten verschmiert, die Haare wirr und voller Steinchen. Er achtete nicht auf die Menschen, die ihm entgegenkamen und die ihn geschockt hinterher sahen. Sich aber nicht trauten den Jungen oder das Mädchen anzusprechen, der/die aussah, als ob er/sie aus einer Müllpresse ge­sprungen sei. Er gelangte bei der mutmaßlichen Adresse schließlich an und betrat den sauber ge­pflasterten Vorhof. Vor der Treppe ließ er den Koffer achtlos liegen. Mit einer schier unfassbaren Willensstärke zwang er sich dann die wenigen Stufen zur Haustür hinauf und klingelte. Er musste nicht lange warten und ein hochauf­geschossener Mann öffnete die Tür. Holger meinte noch zu se­hen, wie die Augen von einem fragenden zu einem überrascht, schockiertem Ausdruck wechselten

„Onkel Manuel?" nuschelte Holger mit letzter Kraft, dann schwanden dem Jungen die Sinne und er stürzte wie ein gefällter Baum in die Arme des fremden, hübschen Mannes, der ihn sanft auffing.

Erinnerungen 2

Holger schrak aus dem Traum auf. Sein Sitznachbar sah ihn erschrocken an.

„Bitte entschuldigen Sie, ich hatte einen Albtraum!"

„Das muss ein sehr schlimmer Traum gewesen sein? Sie sehen schrecklich aus."

„Tue ich das? Es war ein sehr realer Traum, wissen Sie."

„Träume sind sehr wichtig junger Mann. Damit wird der Verstand aufgeräumt."

Aus den Deckenlautsprechern erklang die Ansage, das die Passagiere bitte sich anschnallen sollen, dennman würde durch eine Sturmfront fliegen. Die Flugbegleiter und -innen wuselten zwischen den Sitzreihen und räumten eilig die leeren Tabletts ab oderhalfen dem einen oder anderen Passa­gier beim Angurten. Eine wunderhübsche Asiatin lächelte Holger an.

„Darf ich Ihnen helfen?" fragte sie mit sanfter glockenheller Stimme.

„Sehr freundlich, dass dürfen Sie gerne." erwiderte Holger dankbar.

Nachdem die Flugbegleiterin ihm geholfen hatte, den Sicherheitsgurt anzulegen,wandte sie sich den anderen Passagieren zu. Holger sah ihr kurz nach, dann blickte er zu seinem Nachbarn, doch der Herr war tatsächlich eingeschlafen. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Tage, als er sein El­ternhaus verlassen musste und an den ersten Tag bei seinem Onkel und dessen Lebensgefährten.

Holger wachte plötzlich auf und setzte sich kerzengerade in einem Bett auf, weder das Bett, noch das Zimmer in dem er sich befand, kamen ihm auch nur im entferntesten bekannt vor. Der Raum war in einem Dachgeschoss gelegen und er war hellblau gestrichen. Der gesamte Raum war zudem mit vielen ausgestattet, die in den verschiedensten Blautönen gefärbt waren. Holger und auch Flora liebten Blau. Doch er hatte zur Zeit ein ganz anderes Problem. Sein Kopf schmerzte höllisch. Seine Augen waren stark geschwollen und seinem linkem Arm ging es auch nicht besser. Sein Vater hatte ganze Arbeit geleistet. Mit seiner rechten Hand tastete er vorsichtig sein Gesicht ab, zumindest ver­suchte er es, doch selbst diese leichte Berührung rief heftige Schmerzen hervor.

„Danke Papa, möge dir dein Herr vergeben, ich kann es ganz bestimmt nicht." nuschelte Holger.

Er bemerkte überrascht, das er in einem Pyjama steckte und das Tucking war fort. Jemand hatte ihn ganz und gar entkleidet und dann wieder angezogen. Zudem waren seine Wunden versorgt und sein Arm steckte in einer Schlinge „Gute Güte." stöhnte er und realisierte, das sein Geheimnis nicht nur von seinen Eltern, sondern auch von einem Fremden entdeckt war. Er sank zurück und glotzte die Himmelblaue Decke an.

„Ah ist die junge Frau wieder wach?"

Holger riss die Augen so weit auf, wie es möglich war und richtete sich auf. In der Tür stand ein Mann lässig an den Türrahmen gelehnt.

„Oder sollte ich junger Mann sagen?"

„Shit!" zischte Holger.

„Na, na, na, junger Freund. Am frühen Morgen sagt man so etwas nicht."

Der Mann war derselbe, dem Holger in die Arme gefallen war. Wie lange es auch her war.

„Schatz würdest du dich bitte mal herbemühen, das Prinzeschen ist erwacht." rief der Mann in den Flur hinaus."

Prinzeschen? Oh verdammt, das Tucking, die Klamotten. Holger errötete beschämt.

„Komme sofort Richard, komme sofort." erklang es leicht gedämpft vom Flur.

Holger konnte sich irren, aber die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor. Der Mann im Türrah­men war groß, fast 1 m 90 und schlank und vielleicht 35 Jahre alt. Er hatte langes, blondes Haar, dass er sich zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Aus dem schmalen, kantigen Gesicht blitzten Holger zwei wache Dunkelblaue Augen an. Der Mann lächelte ihn an und hielt die Arme vor sei­nem Leib verschränkt. Er trug dunkelblaue Jeans, ein grün kariertes Hemd und trug Sneakers ohne Socken. Schnelle Fußtritte waren zu hören und ein zweiter Mann erschien in der Tür. Holger er­schrak und trotz der Schmerzen rutschte er zum Kopfende des Bettes, bis die Wand ihn stoppte. Einen Augenblick hatte er wirklich gedacht, dass sein Vater den Raum betreten hätte. Er hatte mit vielem gerechnet, nicht aber dass sein Onkel, denn es konnte nur sein Onkel sein, der da vor dem Bett stand, seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Er war dessen Zwilling.

„Du musst Holger sein!"

Holger nickte nur. Sein Onkel stand kopfschüttelnd neben dem anderen Mann und hielt die Arme vor der Brust verschränkt.

„Woher ... ?

„Woher ich deinen Namen weiß? Die Familienähnlichkeit ist frappierend, du kannst nur ein von Rottenbach sein! Junge, junge, junge, ich habe mal ein überfahrenes Reh gesehen, das war der trau­rigste Anblick meines Lebens gewesen, du bist der zweit-traurigste." sagte er trocken.

„Sie, Sie sind mein Onkel? Onkel Manuel?" fragte Holger schüchtern.

„Ja, das bin ich wohl. Und lass das Siezen. Onkel Manuel oder Manuel geht schon in Ordnung. Und der hübsche Feger, der da drüben in der Tür steht, ist Richard."

Der Mann winkte kurz. Sein Onkel warf dem Mann, Richard, eine Kusshand zu, der den imaginären Kuss auffing und an seine eigen Lippen presste. Dann zwinkerte er verschmitzt Holger an. Holgers Augen wurden groß, langsam begann er zu verstehen.

„Ihr seid ein Paar?" fragte er.

„Jep. Hast du was gegen Homos?"

„Ich?"

„Sodom und Gomorrha, Sünde und Verdammnis!" hörte er im Geiste seinen Vater brüllen.

„Vergiss es, darüber kann man später sprechen." winkte sein Onkel ab, der im Gesicht des jungen Burschen, seines Neffen, die Gesichtszüge derer von Rottenbach sofort erkannt hatte und darin le­sen konnte wie in einem Buch. Und er konnte sich gut vorstellen an was das Kind vor ihm dachte.

„Fürs erste würde es mich natürlich brennend interessieren, warum mein Neffe plötzlich vor meiner Haustür stand. Übel zugerichtet und in Frauenkleidern, die mehr aus Fetzen bestanden als aus Stoff und, wenn ich Richard glauben darf, auch noch getuckt? Sind das nun die neuesten Mannbarkeitsri­ten unter den jungen Leuten oder steckt da was anderes hinter?"

„Du darfst mir ruhig glauben, dein Neffe hat sich alle Mühe gegeben seine Mannbarkeit zu verber­gen und er hat eine Menge zu verbergen." warf Richard ein.

Holgers Gesicht wurde heiß und er wäre am liebsten im Boden versunken.

„Richard!"

„Sorry, tut mir leid man. Nichts für ungut mein Junge, aber die Mädels werden hinter dir her sein wie der Teufel hinter der guten Seele." hakte Richard nach.

„Nun ist aber gut!"

Richard feixte und hob beschwichtigend die Arme.

„Du musst ihm verzeihen, aber Richard ist manchmal ein frecher pubertierender Bengel!"

„'kayy"

„Also erzähl uns mal was geschehen ist, dann sehen wir weiter. Einverstanden?"

Holger nickte und schniefte. Manuel trat nun näher und setzte sich auf den Bettrand. Seine bern­steinfarbenen Augen blickten ruhig und erwartungsvoll den Jungen vor sich an. Richard trat nun auch in das Zimmer und setzte sich in einen Korbsessel, den er noch in Richtung Bett drehte. Die blauen Augen des Mannes glitzerten und waren voller Liebe auf seinen Onkel gerichtet, doch als Holger begann stockend von sich zu erzählen, legte sich ein Schatten über Richards und Manuels Gesicht, denn vieles was der Junge erzählte kam ihnen selber mehr als nur bekannt vor. Holger er­zählte den beiden Männern alles, wirklich alles, er behielt kein Blatt vor dem Mund. Er offenbarte ihnen sein gesamtes Leben. Von seiner Kindheit, von den ersten Jahren in der Schule, dann das Le­ben im Inter­nat und seiner Erkenntnis, das er anders war, von der Aufführung. Da unterbrach in Ri­chard mit ei­ner Frage.

„Was hast du gefühlt?"

„Gefühlt, was meinst du?"

„Beim Kuss? Ihr habt euch doch geküsst oder? Was hast du da gefühlt?"

Holger schluckte und dachte nach. Hatten sich er und Martin damals geküsst? Ja das hatten sie und es war, es war ein interessantes Gefühl gewesen. Er im Fummel und Martin mit Lederjacke, Jeans und Lederstiefeln. Hatte er nicht sogar Martins Zunge gespürt. Später hatte sich Martin etwas selt­sam benommen und Holger meinte gelegentlich die Blicke des scheu gewordenen Jungen gespürt zu haben. Kleine, verstohlene und irgendwie verliebte Blicke.

„Ich weiß es nicht mehr so genau!"

Richard lachte auf.

„Dein Gesicht spricht aber Bände, aber ist schon gut. Erzähl weiter!"

Holger fuhr mit seiner Geschichte fort und stockend berichtete er von seiner Erkenntnis, das er Transsexuell sei. Die Augen der beiden Männer wurden vor Überraschung groß, doch sie schwiegen und ließen ihn erzählen. Bis ins kleinste Detail breitete er alles aus. Am schwersten war es für ihn die Geschehnisse des vergangenen Tages zu erzählen und zuletzt brach seine Stimme, als er von der Prügel und dem Rauswurf erzählte und er weinte bitterlich. Sein Onkel war schockiert und er rückte näher und umarmte seinen verzweifelten Neffen und drückte ihn fest an seine Brust.

„Oh Christian, du Arschloch, was hast du nur getan!" dachte er

„Lass es raus, lass es alles raus!" flüsterte er beruhigend auf Holger ein.

Es dauerte einige Minuten, bis Holger sich wieder beruhigt hatte. Seine Augen waren verweint und er schniefte. Manuel winkte Richard kurz zu und sein Gefährte verstand. Aus einer Hosentasche zog er ein Taschentuch hervor und warf es Manuel zu, der es Holger vor die Nase hielt.

„Hier Junge, schneuz dich mal richtig aus."

Dankbar nahm Holger das Tuch und lautstark putze er sich die Nase.

„Und geht es dir nun besser?"

„Mhmm."

Sein Onkel stand auf und trat an das Dachfenster, er stützte sich an einer Kommode ab und seine Hände krallten sich an das Möbelstück. In seinem Gesicht arbeitete es und ein lang vergessener Groll kam in ihm hoch. Er selber war damals erwachen gewesen und war für sich selber verantwort­lich, aber was er da von seinem Neffen gehört hatte. Was diesem Kind angetan worden ist. Einem zudem vollkommen überforderten Kind, das sich der Tragweite seines Zustandes nicht bewusst sein konnte. Nein, das konnte er, das wollte er so nicht akzeptieren und er würde alles in Bewegung set­zen, damit Holger selber später eigenverantwortlich entscheiden konnte.

„Ich muss sagen, deine Geschichte ist verflucht harter Tobak. Ich hätte nie gedacht, dass mein Bru­der so ein Hurensohn ist! Aber er schlug schon immer mehr nach unserem Vater, als ich. Und Vater war nichts besser. Nur Gewalt hat unser alter Herr nie angewendet, der ging viel subtiler vor. Chris­tian aber ist deutlich zu weit gegangen!"

Und dann lachte Holgers Onkel leise. Es war kein fröhliches Lachen es klang mehr nach Bedauern. Schnell verstummte er wieder und dachte nach. Holgers und Richards Blick waren auf ihn gerichtet und die beiden warteten. Schließlich drehte er sich um und sogar Holger konnte mit seinem ge­schwollenen Augen das wilde blitzen in den Augen seines Onkels sehen.

„Ich habe eine Entscheidung getroffen und ich denke Richard wird mir zustimmen."

„Was hast du vor Schatz?"

„Holger du kannst fürs erste bei uns bleiben. Zurück zu deinen Eltern kannst du nicht und ich würde nicht mal im Traum daran denken, dich dem Jugendamt zu übergeben. Einverstanden?"

„Meinetwegen Manuel, dann machen wir jetzt auf Familie!" stimmte auch Richard zu. „Hätte nie gedacht, dass du diese Seite hast."

„Ohh, Liebling, das wird noch besser!" erwiderte Manuel

Holger hatte noch nicht-mal daran gedacht, wo er unterkommen sollte. Das Angebot war ihm sehr willkommen.

„Einverstanden! Gerne, aber ich habe nix, Ihr müsstet mich aushalten und ..."

„Papperlapap mein Junge. Da weiß ich anscheinend mehr als Du. Mein Bruder meint seinen Sohn enterben zu können, hah, das werden wir ja sehen!"

Holger sah ihn fragend an.

„Was?"

„Hat Christian Dir das nie erzählt?"

„Was sollte er mir verschwiegen haben?"

„Das sieht diesem Herzchen ähnlich. Da muss ich etwas weiter ausholen. Deinen Großvater hast du ja nicht mehr kennengelernt."

„Nein, ich war noch ein Baby, als er starb."

„Richtig. Vor fünfzehn Jahren hatte ich mit Richard mein Outing. Oh was war Vater böse, Schwefel und Feuer hätte er gespuckt, wenn er gekonnt hätte. Ich war mit meinem Studium fertig und Ri­chard noch mittendrin. Irgendwie hatte Paps von meiner Homosexualität erfahren, möglicherweise von Christian, aber das ist nur eine Vermutung. Jedenfalls hat der Alte mich verstoßen und enterbt. Ich hab auf die Kohle gepfiffen, Richard war mir wichtiger."

„Danke, ich liebe dich dafür immer noch wie verrückt!"

„Ich dich auch!"

Die beiden Männer warfen sich wieder verliebte Blicke zu. Und Holger saß im Bett und fühlte sich etwas fehl am Platze.

„Wo war ich stehen geblieben?" setzte Manuel seine Geschichte fort, „Ach ja, Vater hatte mich also enterbt, doch der Alte schien nicht begreifen zu können das es mir egal war, also rieb er es mir bei unserem letzten Treffen unter die Nase, an wen mein Erbteil gehen sollte. Rate mal, wen er da ge­wählt hatte!"

Holger sah bestürzt drein.

„Etwa an mich?"

Das hatte er nicht gewusst.

„Bingo! Genau so war es. Und wir werden dir helfen an die Kohle heranzukommen. Wir haben ge­nügend Anwälte in unserem Bekanntenkreis, die mit Freuden jemanden wie meinem Bruder das Fell über die Ohren ziehen."

Und er erklärte Richard und Holger seinen Plan. Und Flora, die tief in Holgers Geist verborgen war, grinste dämonisch.

Als erstes wurde Holger genau untersucht und seine Wunden wurden dokumentiert. Richard war Arzt und es war nicht der erste Fall häuslicher Gewalt, den er zu untersuchen hatte. Holger hatte zu­dem Glück gehabt, den sein Onkel und sein Partner waren am Tag zuvor von ihrem Jahresurlaub zu­rückgekehrt und hatten noch ein paar Tage frei. Sobald sich Holger besser fühlte, zauberte sein On­kel eine deftige Brotzeit hervor und danach wurde neu eingekleidet, denn in dem Koffer, den er mit­gebracht hatte, waren nur Floras Kleider.

Und genau so wie sein Onkel es vorausgesehen haben mag, geschah es auch. Anfangs war Christian abweisend und uneinsichtig, erst als die An­wälte ihm die Atteste und Beweisphotos für die schwere Misshandlung vorlegten, derer er sich schuldig gemacht hatte, wurde er lammfromm. Zähneknir­schend stimme Christian von Rottenbach allen Be­dingungen zu, um zum einen den Skandal zu ver­meiden, zum zweiten nicht vor Gericht ge­zerrt zu werden, was er eigentlich ohne jeden Zweifel ver­dient hätte, aber zum dritten und für die­sen ver­bohrten Mann wohl am wichtigsten, um nicht mehr in Kontakt mit den zwei Menschen zu kommen, die er geradezu inbrünstig verachtete. Seinen eige­nen Bruder, dem Schwulen Taugenichts und sei­nem Sohn dem Wechselbalg. Halleluja!

Und so erhielt Holger nicht nur sein Erbe, sondern auch all sein Hab und Gut ausgehändigt, was von seinen Eltern nicht bereitsentsorgt worden war. Die Vormundschaft wurde seinem Onkel über­tragen. Holger konnte sein gewünschtes Studium aufnehmen und er war fleißig wie eh und je und auch ließ er regelmäßig Flora ihren freien Lauf. Und dieses brauchte er nicht mal mehr zu verheim­lichen. In gewisser Weise war er sehr glücklich, denn er wurde akzeptiert und von seinen Ziehvätern darin bestärkt, sich zu der Person zu entwickeln, die er sein wollte. Insgesamt war Holger war mit dem Ausgang mehr als zufrieden, Anfangs. Später, viel später, würde aber Flora ein Wörtchen mit seinen Eltern führen wollen. Sie hatten es verdient, denn durch ihre übertriebene Auslegung von Re­ligion hatte Holger die schlimmste Erfahrung machen müs­sen, die man sich vorstellen konnte, die Verstoßung aus seinem Elternhaus.

Was darf es sein?

Holger lenkte etwas mühsam seinen Rollstuhl zur Eingangshalle des Flughafens. Seinen elektri­schen Rolli musste er in Japan zurücklassen, doch die Fluggesellschaft hat ihm einen normalen Rollstuhl zur Verfügung gestellt, zudem hatte das Unternehmen ihm bereitwillig einen Mitarbeiter zur Seite gestellt, der sich um Holgers Gepäck kümmerte. Die Gesellschaft legte großen Wert dar­auf als besonders Serviceorientiert zu gelten und bewies Holger das ihre Werbung zutraf.

„Können Sie mir ein Taxi rufen?" fragte er seinen Begleiter, der nur wenig älter schien als Holger selber.

„Natürlich Herr von Rottenbach, haben Sie ein bestimmtes Unternehmen im Sinn?"

„Nein, nein, ich bin hier vollkommen fremd."

„Hm, dann glaube ich habe ich genau das richtige im Sinn. Bitte einen Augenblick um Geduld!"

Der junge Mann, Anton, so hatte er sich vorgestellt, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Er musste nur kurz warten, dann hatte er eine Verbindung.

„Guten Tag Frau Müller, Anton hier. ... Danke der Nachfrage, es geht mir ausgezeichnet. ... Genau­so ist es. Ich benötige ein spezielles Taxi, denn unser Gast ist an den Rollstuhl gefesselt. ... Paschul­ke? Klar der ist gut! Wann wird er da sein? ... Gut ich warte. ... Ja, kein Problem. ... Schön, sein Passagier wird am Haupteingang warten. ... Nichts zu danken, war mir ein Vergnügen. Tschüss!"

Sein Begleiter beendete das Gespräch und steckte sein Handy ein.

„Das Taxi wird in ein paar Minuten hier sein, der Fahrer ist bekannt wie ein bunter Hund." Anton lachte.

„So schlimm?" fragte Holger, der mit Taxifahrern schon üble Erfahrungen machen musste.

„Ganz im Gegenteil, Sie werden sehen, was ich meine. Aber davon abgesehen ist er, glaube ich, ei­ner der besten Taxifahrer der Stadt."

Holger betrachtete den hübschen jungen Mann und er spürte, wie Flora hervorkommen wollte. 'Nicht jetzt, bitte?' dachte er und oh Wunder Floras Präsenz zog sich wieder zurück.

Anton dachte: „Seltsamer Bursche, sah fast aus, als ob er mich abgecheckt hätte. Verdammich, der Arme Kerl, wäre der verdammte Rollstuhl nicht, wäre ich nicht abgeneigt."

Holger und sein Begleiter waren schließlich vor dem Flughafengebäude angelangt und warteten auf das Taxi. Schließlich fuhr ein Großraumtaxi vor und hielt direkt vor den beiden. Als der Fahrer aus den Wagen stieg, schnappte Holger nach Luft. Er war selber ein begeisterter Furry, aber der Fahrer schien den Fetisch voll auszuleben. Er trug keine Maske oder einen Fursuit, er war einen Schritt weiter ge­gangen.

„Habe ich es nicht gesagt?" flüsterte Anton belustigt.

Holger sagte nichts. Er fand es wundervoll. Er bewunderte den Mut des Taxifahrers sich sogar ope­rativ ver­ändern zu lassen. Er musste sich sogar Haare auf die spitz zulaufenden Ohren transplantiert haben, oder war er ein Patient des Mannes zu dem er wollte? Wolf van Furr, der Arzt, Wissenschaftler oder Quacksalber, von dem die Legenden handeln sollten, die ihn letztlich zurück nach Deutschland geführt hatten.

„Hallo Paschulke, wie ist die Lage?" begrüßte Anton den Fahrer.

„Anton, du bist's. Alles in bester Ordnung!" erwiderte Paschulke, der den Jungen Mann wohl gut zu kennen schien.

„Was macht die Familie?"

„Karinchen ist das hübschte Mädchen der Welt! Darauf nehme ich Wetten an." Sagte der hundege­sichtige Mann mit vor Stolz geschwellter Brust

„Schön, schön. Seit wann fährst du den Spezialwagen?"

„Nur zur Aushilfe, Theo ist krank und ich bin für ihn eingesprungen."

Dann wandte sich Paschulke an den Rollstuhlfahrer vor sich.

„Sie sind also mein Gast. Paschulke mein Name." Und streckte Holger die Pranke entgegen.

„Von Rottenbach, sehr angenehm."

Holger ergriff die dargebotene Hand. Anstelle von Fingernägeln hatte Paschulke wirklich Krallen, Krallen! Wie abgefahren ist das denn? Holgers linker Arm taugte zu nichts, aber sei­ne Rechte war dafür bärenstark, jahrelanges Training zahlt sich aus und drückte fest zu. Als die beiden den Hand­schlag lösten, schüt­telte Paschulke seine Hand kurz aus.

'Hölle, hat der Kerl einen Griff! Verdammte Sauerei, dass er im Rollstuhl sitzt.' dachte er bedau­ernd.

„Dann wollen wir als erstes mal das Gepäck verstauen."

Paschulke trat zum hinteren Ende des Vans und öffnete die Türen zum Laderaum und Anton verlor keine Zeit die Koffer von dem Gepäckwagen in den Van zu wuchten. Holger rollte seinen Stuhl mit der rechten Hand zur Seite des Wagens, das war etwas schwieriger als mit seinem Elektro Rolli, aber es ging. Paschulke öffnete ihm die Tür zum Fond.

„Soll ich helfen?" fragte der Taxifahrer freundlich.

Holger überlegte kurz und dankend nahm er das ehrlich gemeinte Angebot an. Mit der Hilfe von Pa­schulke gelangte er in den Wagen und schnallte sich an. Paschulke brachte den Rollstuhl zum Kof­ferraum und lud das zusammengeklappte Gefährt neben Holgers Gepäck. Holger nestelte in seiner Jackenta­sche kurz herum und rief er nach seinem Helfer, der noch immer am Taxi stand.

„Anton! Kommen Sie doch noch kurz her."

„Was ist denn Herr von Rottenbach?" fragte der Angesprochene formell, als er neben der Tür ange­langt war.

Holger streckte ihm seine Rechte entgegen und als Anton sie ergriff wurden seine Augen vor Über­raschung etwas größer. Holger löste seinen Griff und Anton sah in seine Hand, in der ein Geld­schein wie durch Zauber erschienen war.

„Das, das wäre doch nicht nötig gewesen."

„Es ist nicht viel, aber es kommt von Herzen."

„Danke sehr." und der Schein verschwand in der Hosentasche des jungen Mannes. Trinkgelder wa­ren zur Zeit recht knapp bemessen.

„Machen Sie es gut." verabschiedete sich Anton und schloss die Tür.

„Das werde ich und wenn ich wieder Hilfe brauche werde ich nach Ihnen fragen."

Holger sah wie sich Anton und der Taxifahrer, Paschulke, voneinander verabschiedeten. Der Junge Dienstmann verschwand wieder im Flughafengebäude um wahrscheinlich seinem nächsten VIP bei­zustehen und Paschulke bestieg den Van.

„So, wo soll es denn hingehen?" fragte er.

„Zur Praxis von Doktor van Furr am Kuckucksweg."

„Zum Doktor van Furr geht es also?"

„Sie kennen Ihn?" fragte Holger.

„Das sollte ich wohl. Er ist mein Hausarzt!"

„Wirklich. Zufälle gibt es." aber sein Erstaunen war gespielt, in ihm jauchzte Flora. Paschulke schaltete den Taxameter ein und fuhr los. Paschulke begann während der Fahrt zu sprechen wie ein Wasserfall, doch als er merkte, dass sein Fahrgast nicht darauf reagierte, verstummte er und schalte­te das Radio ein, aus dem die aktuellen Hits drangen.

Holger starrte während der Fahrt aus dem Fenster und hing seinen eigenen Gedanken nach. Er hatte mehrere Aufgaben und eine davon betraf zwei Menschen, die er für seinen aktuellen Zustand ver­antwortlich machte. Die Gedanken an dieses Ereignis waren fürwahr schmerzhaft. Sie hatten letzt­lich dazu geführt, dass er, nein nicht nur er, sondern vor allem Flora sich im Furry Fandom so aktiv einbrachte. Vor seinem inneren Auge sah er wie sich seine weibliche Seite, so wie er sich sah lang­sam aber sich in etwas nichtmenschliches umgewandelt hatte und Flora ihren wahren Charakter fand. Kitsune sind wahre Racheengel und Rache war eines der Ziele, das er und Flora mit Hilfe die­ses Dr. van Furr vielleicht erreichen könnte. Und seine Gedanken kehrten wieder zu den Gescheh­nissen an dem Abend zu­rück, die wohl die Ursache für seinen jetzigen Zustand waren.

Holger Studium lief wunder-prächtig und sein Onkel Manuel und dessen Lebensgefährte Richard hatten ihm alle Unterstützung gegeben, die er und Flora sich vorstellen konnten. Für die beiden ho­mosexuellen Männer schien es kein Problem zu sein, einen Transsexuellen Teenie unter ihre Fitti­che zu nehmen. Und er war den beiden für diese Unterstützung sehr dankbar. Aber sein Onkel be­stand darauf, dass er erst an sich die ersehnte Umwandlung machen durfte, wenn er 21 Jahre alt sein würde.

„Überhaste nichts mein Junge!" sagte er, „Wenn mal was weg ist, ist es weg!"

Oh wie sein Onkel und Vormund damit recht hatte. Doch an seine, oder besser Floras regelmäßigen Stylingversuche und Crossdressing-Abenteuer nahm sein Onkel keinen Anstoß.

Flora hatte sich für diesen Samstagabend wunderbar aufgestylt und war mit Holgers gebrauchtem aber gut gepflegten Volkswagen zu Ihrem bevorzugtem Danceclub gefahren um dort für ein paar Stunden abzuhängen. Dieser Club war gut besucht und ein großer Teil der Besucher war wie Flora. Einem zufälligen Besucher würde es höchstens auffällig vorkommen, das einige Frauen, sehr mas­kulin und einige Männer Androgyn wirkten, fast schon feminin. Mehr nicht. Der Club war immer gut besucht und die Security sorgte dafür, dass es friedlich blieb. Nur wenige Störenfriede wagten es nach einem Rauswurf jemals wieder dort aufzuschlagen und wenn, dann benahmen sie sich vor­bildhaft.

Flora kam von der Tanzfläche und setzte sich an die Bar. Sie bestellte sich beim Barkeeper einen Alkoholfreien Cocktail und beobachtete wie der dicke Mann überaus geschickt die verschiedensten Säfte zu einem wahren Kunstwerk komponierte. Mit einem Lächeln servierte er ihr das Getränk.

„Wohl bekomm's junge Dame!"

Flora strahlte ihn an, reichte die Karte kurz herüber zum Abrechnen und nippte an dem Cocktail. Sie genoss den fruchtigen Geschmack und schenkte dem Barkeeper noch ein weiteres Lächeln. Sie drehte sich dann zur Tanzfläche und lauschte den wummernden Bässen und der anregenden Melo­die, die der DJ zum besten gab und nippte hin und wieder an dem leckeren Cocktail. Sie bemerkte dabei aus den Augenwinkeln zwei Männer, die sehr interessiert in ihre Richtung sahen. Sie konnte die Blicke der beiden Checker spüren. Flora errötete und drehte sich schnell in eine andere Rich­tung. Sie wollte nur ihren Spaß haben, hatte aber kein Interesse daran flachgelegt zu werden. Beson­ders nicht von zwei Typen, die sie so ungeniert anstarrten.

'Shit! Und nun kommen die beiden auch noch zu mir hin, verdammt.' dachte sie bestürzt.

Tatsächlich näherten sich die beiden Männer dem Bartresen und sie checkte die beiden aus. Der größere der beiden war blond und sehr blass, seine Augen waren in dem wechselnden Licht nicht zu erkennen und er war nicht rasiert. Der kleinere war muskulös, sein Gesicht hatte einen dunklen Teint und er war schwarzhaarig, seine Augen waren hinter einer Sonnenbrille verborgen. 'Sonnen­brille? In einer Disco, am Abend, Idiot.' dachte sie belustigt. Auch er hatte wohl längere Zeit keinen Rasierapparat benutzt. Beide waren definitiv nicht, der Typ Mann auf den Flora stehen würde, ganz zu schweigen von Holger, der definitiv nicht auf Männer stand. Auch wenn er eine Frau sein wollte, so war er nicht auf Sex mit Männern aus, jedenfalls nicht, solange er selber diesem Geschlecht an­gehörte.

Flora holte ihr Handy aus ihrer Gürteltasche und tat so, als ob sie eine Nachricht bekommen hätte. Sie verzog ihr Gesicht zu einer Art Bestürzung, als ob sie ein Date vergessen hätte, steckte dann das Handy wider ein und leerte ihr Glas in einem Zug. Dann machte sie sich auf, den Club zu verlassen. An der Garderobe ließ sie sich ihren Mantel geben und an der Kasse zahlte sie schnell die Zeche, der Abend war für sie gelaufen. So schnell sie mit denn High Heels konnte begab sie sich zu ihrem Wagen. Doch auf den Weg zum Parkplatz bemerkte sie, dass zwei schattenhafte Gestalten ihr folg­ten. Flora schritt schneller aus, die Heels klackten auf dem Asphalt und sie war fast schon beim Auto, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.

Klaus und sein Freund Karem hingen in dem Dance Club herum, auf den sie aus purem Zufall ge­stoßen waren. Die beiden so unter­schiedlichen Männer waren seit Kindertagen miteinander eng be­freundet und teilten viele Interessen miteinander. Unter anderem auch Frauen. Die Musik war geni­al, die Stimmung im Laden war am Kochen und überall waren Chicks, die darauf zu warten schie­nen aufgerissen zu werden. Leichte Beute. Beide waren nicht mehr ganz nüchtern, nah eigentlich schon ziemlich angetrunken. Karem stieß ihn an.

„Klaus! Sieh mal dort an der Theke!"

„Wo? Wer?"

„Die schlanke Blonde, die sich 'nen Drink ordert!"

Klaus pfiff leise durch die Zähne. 'Ja gar nicht übel, vielleicht etwas zu schlank und zu flach, aber im großen und ganzen nicht schlecht.' Die beiden Freunde verschlangen die junge Frau regelrecht mit ihren Blicken. Dann nickte Klaus seinem Freund zu und die beiden setzten sich in Bewegung. Die Blondine kramte plötzlich ihr Handy aus der Tasche und schien eine Nachricht zu lesen. Die Nachricht schien wichtig zu sein, denn sie verzog das Gesicht und leerte ihr Glas. Dann machte sie sich auf den Weg zum Ausgang.

Klaus und Karem folgten ihr möglichst unauffällig. Sie ließen dem Ziel ihrer Träume einen Vor­sprung, doch auf dem Weg zum Parkplatz verringerten sie den Abstand zusehends. Das Mädel schi­en sie bemerkt zu haben, denn sie schritt mit einem mal schneller aus. Aus dem tap, tap wurde ein klack, klack, klack. An einem Wagen vor ihr hörten sie deutlich die Türschlösser schnappen. Da sprintete Klaus plötzlich los und Karem folgte ihm. Er legte der Schnecke seine Hand auf die Schul­ter und wünschte sich im nächsten Moment bereits das nicht getan zu haben.

Flora spürte die Hand auf Ihrer Schulter und ohne zu überlegen hatte sie ihren rechten Arm ange­spannt und holte aus. Im selben Moment drehte sie sich zu dem Grabscher, es war der große Blonde und ließ ihre Hand vorschnellen. Sie traf genau mit ihrem Handballen genau seine Stirn. Das Ge­räusch hörte sich an, als ob sie eine Melone getroffen hätte. Der Stoß war um so heftiger, da ihr Arm in einer Linie mit dem Handballen war. Der Bursche schien damit nicht gerechnet zu haben und tau­melte benommen gegen seinen Kumpel. Flora zischte vor Schmerz in der Hand. In den Filmen sah das immer so einfach aus.

„Lasst mich in Ruhe!" schrie sie die beiden Rüpel an.

„Klaus!" brüllte der kleine Schwarzhaarige, mit seiner lächerlich wirkenden Sonnenbrille. Und be­wahrte seinen Kumpel vor einen heftigen Aufprall auf dem Asphalt.

„Du verdammte Schlampe!" Schrie der kleine und setzte zum Angriff an, doch er hatte die Rech­nung ohne Flora gemacht, die ihm mit dem Absatz ihres rechten High Heels in den Oberschenkel trat.

„Auuuuuuuuuuuuu." jaulte der Kleine und fiel zur Seite. Seine Sonnenbrille verabschiedete sich von der Nase und das billige Gestell landete auf dem Parkplatz.

Das durch den Tritt der Absatz abgebrochen war bemerkte sie nicht. Die beiden Typen waren erst­mal außer Gefecht und Flora hatte keine Lust sich noch länger mit Ihnen zu beschäftigen. Zudem schienen sich ein oder zwei Türsteher zu nähern, sie hatten wohl den Ruckus auf dem Parkplatz be­merkt und wollten nach dem rechten sehen. Sie humpelte zu ihrem Wagen, setzte sich hinein und startete den Motor. Sie blendete gerade die Scheinwerfer auf und fuhr los, als wirklich zwei der Tür­steher auftauchten und sich über Karem und Klaus beugten. Dann war Flora auch schon weg.

„Was ist hier los?" schnarrte der ältere der beiden.

„Die verdammte Bitch, hat mich getreten!" schimpfte Karem, der sich den Oberschenkel hielt. Hät­te er keine Jeans angehabt, hätte der Absatz sicherlich in seinem Bein gesteckt.

„Und deinem Kumpel scheint sie voll eins auf die zwölf gegeben zu haben." lachte der jüngere und wurde dann ernst. „Wenn wir euch beide hier nochmal erwischen, wenn ihr einen unserer Special Guests belästigt, dann Gnade euch Gott!"

„Special Guest? Was ist an der Schnecke so Special." meldete sich Klaus, der langsam wieder einen klaren Kopf bekam. 'Himmel hat die einen Schlag drauf!' fluchte er innerlich.

„Sie ist 'ne Transe! Man was seid Ihr für Transusen. Und nun verschwindet endlich! Ich will euch heute hier nicht mehr sehen!" damit drehte der eine Türsteher sich um und ging fort. Sein Kollege folgte ihm. Karem und Klaus hörten noch ein paar Worte.

„Man hätten die eine Überraschung erlebt."

„Kannst du laut sagen." und lachend verschwanden die beiden wieder im Club.

Klaus und Karem sahen sich belämmert an. Doch dann flammte Wut in ihnen auf.

„?Ne Transe? Wir wären beinahe auf einen Kerl hereingefallen?"krächzte Klaus.

„Dem Wichser verpassen wir ?ne Abreibung!" knurrte Karem, der sich sein Bein rieb.

„Wie denn?"

„Der Typ wird wieder kommen, nächste Woche oder übernächste, egal wann, wir werden hier sein und dann, ja dann werden wir sehen." Karem grinste diabolisch und Klaus's Augen blitzen verste­hend.

Flora fuhr bei der nächst besten Gelegenheit an die Seite, schaltete den Motor aus und nahm die Pe­rücke ab. Holger atmete tief durch. 'Verdammt, so hart wollte ich gar nicht zuschlagen! Idioten.', nervös lachte er auf. Er wartete noch ein paar Minuten, dann fuhr er heim. Von dem Zwischenfall erwähnte er nichts. Das hätte Manuel und Richard nur aufgeregt und er selber dachte bald auch schon nicht mehr daran.

Am nächsten Sonnabend machte er sich wieder auf zu dem Club und der Abend verlief erfreulich Ereignislos. Auch wenn Flora meinte die beiden Männer gesehen zu haben, so konnte sie sich doch täuschen. Nach einigen vergnüglichen Stunden machte sie sich wieder auf den Heimweg. Es hatte geregnet und die Straßen waren Nass, deshalb fuhr sie recht langsam. Die ganze Zeit über folgte ihr ein weiteres Auto, doch dieses näherte sich immer mehr. Der Abstand wurde immer geringer. Flora blickte besorgt in den Rückspiegel.

„Was soll'n das?" fragte sie sich und beschleunigte, doch der Wagen hinter ihr verringerte wieder den Abstand. Sie beschleunigte weiter. Es war fast schon eine Art Rennen oder eine Verfolgungs­jagd. Zu allem Überfluss fing es auch wieder zu regnen an. Dann blendet der Wagen hinter ihr auf, das gleißende Xenonlicht stach in Floras Augen. Sie erschrak und trat auf die Bremse. Der Wagen hinter ihr fuhr sofort auf die linke Seite der Straße und brauste an ihr vorbei. Und Flora wurde sich mit schrecken bewusst, das ihr Wagen keinen Deut langsamer wurde. Sie hatte das Bremspedal durchgetreten, doch erzielte damit keine Wirkung. Im Scheinwerferlicht tauchte vor Ihr eine Kurve auf und verzweifelt versuchte sie die Kurve zu erwischen. 'Bäume, Bäume. Oh Gott die Bäume!' dachte Flora. Dann ertönte in der Nassen Dunkelheit das hässliche Geräusch von reißendem Metall, berstendem Glas, brechendem Holz und das Aufheulen eines Automotors und dann Stille. Ein Wa­gen fuhr langsam an der Unfallstelle vorbei, blieb im Licht der Scheinwerfer des Wracks stehen und die Seitenscheibe wurde heruntergefahren. Flora, die erstaunlicherweise noch bei Bewusstsein war, konnte zwei Gesichter erkennen, die ihr seltsam bekannt vorkamen. Die Visagen der beiden Männer brannten sich ihr Gedächtnis ein wie ein Brandmal.

„So geschieht es dir recht, scheiß Transe!" schrie einer, der Blonde war es. Dann gab der schwarz­haarige Fahrer, der eine Sonnenbrille trug, Gas und brauste davon. Flora verlor das Bewusstsein. Doch die Gesichter, die beiden grinsenden Visagen, der beiden Männer würde sie nicht vergessen, niemals, nie! Die Rache ist mein, sprach der Herr, doch Flora würde da eine Ausnahme machen, ir­gendwie, irgendwann!

Holger schrak aus dem Tagtraum, der Fahrer hatte etwas zu ihm gesagt.

„Wie bitte?"

„Wir sind da!" wiederholte Paschulke.

Holger sah auf und wirklich stand das Taxi vor einer Einfahrt zu einem ummauerten Anwesen.

„Oh, fein, das ging ja schnell.!"

Paschulke senkte die Seitenscheibe und betätigte einen Klingelknopf, der an einer Säule montiert war. Holger sah vor dem Wagen ein hohes eisernes Tor und links und rechts ragte die hohe Mauer auf, die ein großes Grundstück umfassen musste. Der kleine Lautsprecher knackte und eine Frauen­stimme erklang.

„Womit kann ich dienen?"

„Ahh, Fräulein Katti, es ist immer wieder schön Ihre bezaubernde Stimme zu hören."

„Herr Paschulke? Was führt sie zu uns?"

„Ich habe einen Passagier an Bord, der sagt, dass er einen Termin beim Doktor hat. Ein Herr von Rottenbach."

„Herr von Rottenbach? Heute? ... Nun, dann kommen Sie. Ich werde das Tor öffnen."

Der Lautsprecher knackte und langsam schwang das schwere Tor auf und machte den Weg frei. Es quietschte und als es scheppernd zum Halt gekommen war, fuhr der Taxifahrer auf das Grundstück. Holger blickte sich um und sah wie das Tor sich wieder hinter dem Auto schloss, dann fuhr das Taxi um eine Biegung und das Tor verschwand hinter hohen Hecken aus seinem Blickfeld. Die Auffahrt war gewunden und als das Taxi auf einen Hof angelangt war, erblickte Holger zum einen riesigen, alten Kasten und daneben ein vergleichbar kleines Gebäude, vor dessen Eingang zwei Männer stan­den.Das Empfangskomitee. Der ältere Mann im weißen Laborkittel dürfte wohl Dr. van Furr sein und sein jüngerer Begleiter war wohl Jorge, oder Black-Jaguar_Ger65, wie er sich im Netz nannte, dachte sich Holger. Paschulke stoppte sein Taxi vor den beiden Männern.

Katti starrte auf die Sprechanlage, dann sprang sie auf und rief nach Karolus und van Furr.

„Karolus! Doc! Kommt sofort her!"

„Was ist den Schatz?"

„Was soll die Aufregung Katti?"

Van Furr und sein Assistent kamen aus dem Labor und blickten Katti fragend an, die am Emp­fangstresen stand. Sie deutete auf einen Monitor, auf dem man Paschulkes Taxi sehen konnte, wie es gerade durch das Tor fuhr.

„Eine kleine Planänderung. Der Termin für Morgen, Holger von Rottenbach, er ist schon da!"

„Wie bitte?" fragte van Furr überrascht. Er mochte es am liebsten pünktlich. Abweichungen und Improvisationen waren ihm im Grunde ein Gräuel, auch wenn sein Fachgebiet ihn immer wieder dazu zwang, auf unvorhersehbare Entwicklungen oft unkonventionell zu handeln.

„Sie haben ganz richtig verstanden." erwiderte Katti, die wieder mal in ihr Lieblingskostüm, das sie „Slutty Nurse" nannte, geschlüpft war. „Er wird gerade von Paschulke den Weg herauf kutschiert, Ihr beide solltet euch für den Empfang bereit machen. Ich werde erstmal verschwinden."

Die beiden Männer verstanden sofort, was Katti meinte. Was immer ihr „Gast" wusste, so sollte man doch nichts überstürzen. Van Furr hatte erst am Vorabend den vollständigen Bericht über ihren „Gast" von Karolus erhalten. Einen bemerkenswerten und sehr ausführlichen Bericht, der ihm be­reits vieles über den jungen Mann verraten hatte, vielleicht mehr als der Mann ihnen direkt erzählen könnte, aber das würde man schon sehen.

„Gut, mach das! Karolus komm mit. Das erste Gespräch findet im Büro statt!"

"OK."

Die beiden Männer verließen das Gebäude. Katti schnappte sich noch ein paar Sachen und lief so schnell sie konnte zu ihrem Zimmer im Dachgeschoss. Dort würde sie als nächstes Jorge informie­ren und abwarten wie sich die Dinge entwickeln würden.

Unterdessen hatten sich van Furr und Karolus gerade auf den Hof begeben, als auch schon das Taxi vorfuhr. Es war nicht der übliche Wagen den Paschulke fuhr, sondern ein Großraumtaxi und er hatte nur einen Passagier, der sich neugierig umblickte, dann aber seine Aufmerksamkeit auf van Furr und Karolus richtete.

Paschulke stieg als erster aus und grüßte mit einem Kopfnicken die beiden Männer. Er hatte als ers­tes seine Pflicht als Taxifahrer zu erfüllen, bevor er ein paar Worte wechseln konnte. Er holte aus dem Laderaum den Rollstuhl hervor, klappte das Gerät auseinander und rollte es zur hinteren Tür, die er dann mit kräftigem Schwung öffnete.

„Darf ich Sie herausheben?" fragte er seinen Passagier.

Er hatte es oft genug erlebt, das gerade Rollstuhlfahrer sehr eigensinnig sein konnten. Sie wollten immer zeigen, wie unabhängig sie sind und nahmen nur selten seine Hilfe an. Manche waren richtig biestig geworden. Doch sein jetziger Fahrgast sah in mit seinen seltsam weiblich wirkenden Augen an und nahm das Angebot freundlich dankend an.

„Sehr gerne."

Paschulke hob Holger aus den Sitz und Holger schlang seinen Arm um den Nacken seines Fahrers. Wie stark der Mann war. Er konnte die kräftigen Muskeln unter der Kleidung spüren. Flora kam kurz hervor, sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen und drückte ihr Gesicht wie durch Zufall gegen die Brust des Fahrers. Sie sog einen tiefen Atemzug durch die Nase ein und nahm den intensiven männlichen Geruch des so hundeartigen Mannes wahr. 'Himmlisch!' dachte sie, dann machte sie wieder Holger Platz.

Es war für ihn immer verwirrender geworden, seit dem verfluchten Unfall, an den er sich nur un­deutlich und verschwommen erinnerte, tauchte Flora immer wieder blitzartig auf und verschwand dann wieder in ihre Ecke seines Verstandes. Er war es sich durchaus bewusst, wenn seine zweite Persönlichkeit übernahm, doch in den letzten Wochen war es immer schwerer geworden sie im Zaum zu halten. Eben saß er noch im Wagen und nun saß er plötzlich im Rollstuhl und Paschulke schob ihn zu den beiden Männern.

„Herr von Rottenbach, wir hatten Sie erst für morgen erwartet. Aber wo sind meine Manieren ge­blieben. Dr. Wolf van Furr Ihnen zu Diensten." stellte sich der ältere der beiden Männer vor und streckte ihm die Rechte Hand entgegen, die Holger automatisch ergriff und schüttelte.

„Holger von Rottenbach, sehr erfreut, Sie kennenzulernen." erwiderte Holger.

Dann legte van Furr seine Linke Hand auf die Schulter seines Begleiters.

„Die ist mein langjähriger Assistent, Karolus."

'Oh, dann hatte ich mich wohl vertan.' dachte Holger, als er auch die Hand des jüngeren Mannes schüttelte.

„Sehr erfreut." sagte Karolus, wortkarg.

„Schön Sie kennenzulernen. Ist Blacky ..., ich meine Jorge auch da?"

Van Furr und Karolus wechselten einen kurzen Blick, dann ergriff Karolus das Wort.

„Jorge ist nicht da. Er muss einen Auftrag erledigen, Sie werden sich also noch etwas gedulden müssen."

„Schade, ich dachte zuerst Sie wären Jorge."

„Ich, nein wirklich." Karolus lächelte verschmitzt.

„Nun, da Sie ja schon mal hier sind kommen sie herein." Van Furr stutzte, als er bemerkte wie Pa­schulke ein paar Koffer auslud und neben den Rollstuhl stellte.

„Paschulke, was soll das?"

„Ich lade die Koffer aus, was sonst?"

Van Furr wandte sich an Holger.

„Sie kommen nicht vom Hotel?"

Nein, direkt vom Flughafen. Ich möchte bei Ihnen übernachten, wenn möglich."

'Verflixt, das hatte ich ja ganz und gar vergessen! Jorge hatte das doch kurz erwähnt.' dachte van Furr. Fieberhaft überlegte er, oh, wie er dieses ständige Improvisieren hasste. Die einzigen freien Zimmer sind im Keller, das wäre nur ein geringes Problem, nur Katti und Jorge konnte er nicht so lange verstecken, da muss also noch am heutigen Tage etwas gemacht werden. Karolus hatte doch vor kurzem ein neues Programm für die Naniten entwickelt. Das würde gehen. Ganz bestimmt.

„Hm, wir hatten Sie eigentlich für morgen erwartet, aber darum kümmern wir uns noch. Sollte kein Problem darstellen, oder Karolus?"

„Nein, das Zimmer ist so gut wie bereit, etwas frische Bettwäsche, etwas Staubwischen und Herr von Rottenbach kann seine Zelte bei uns aufschlagen."

„Supie!"

Holger nestelte in seiner Jacke. Van Furr sah die Bewegung und legte seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes.

„Lassen Sie mal stecken."

„Aber das Taxi?"

„Da haben Sie mal keine Sorge. Das übernehmen wir fürs erste." und zu Paschulke gewandt. „Sie schicken die Rechnung wie üblich?"

„Natürlich Herr Doktor, alles wie gehabt."

„Karolus bring doch unseren Gast in Büro. Ich möchte noch mit Paschulke ein paar Worte wech­seln."

„Mache ich."

Und bevor Holger noch ein Wort verlieren konnte wurde er von Karolus ins Haus geschoben. Als Karolus die Tür hinter sich schloss konnte Holger noch hören, wie der Doktor den Taxifahrer be­glückwünschte, dann war er im Gebäude. Er befand sich in einem angemessen großen Eingangsbe­reich eine Sitzgruppe auf der einen und ein Tresen auf der anderen. Die Praxis roch nicht unbedingt so, wie er es kannte. Kein Geruch nach Bleiche und Desinfektionsmittel, da war ein Duft, den er ir­gendwie mit Frauen assoziierte. Hatte nicht eine Frau ihnen das Tor geöffnet, doch keine Spur von ihr, nur ihr Duft.

„Wo ist Katti?" fragte er Karolus.

„Katti? Woher?"

„Der Taxifahrer hat den Namen genannt."

„Ach so. Katti hat sich zurückgezogen. Sie werden sie später sicherlich noch kennenlernen."

Holger wurde den Flur entlang geschoben und sie gelangten schließlich zum Büro des Doktors. Ka­rolus schob ihn hinein. Neugierig blickte er sich um, das war also das Reich des geheimnisvollen Doktors, von dem er so erstaunliche Gerüchte und Legenden gehört hatte. Das Büro war aufge­räumt, doch überall waren Aktenordner, Bücher, Zeitschriften, seltsame Gerätschaften verteilt. Teil­weise in Schränken, Regalen und Kommoden gelagert. Ein gewaltiger Schreibtisch aus Eichenholz dominierte den ganzen Raum. Zudem war in einer halbwegs freien Ecke eine Sitzgruppe platziert und ein großer Hundekorb war auch noch vorhanden. 'Komisch ich kann keinen Hund riechen?' dachte Holger, als er den Korb betrachtete. An den Wänden waren mehrere Diplome aufgehängt und ein paar Bilder waren hie und da verteilt, die Bilder sahen sehr interessant aus und anfangs dachte er es wären Grafiken, so wie er sie auch in seinen Galerien hatte, Computergenerierte Grafiken, doch diese hier waren in Fotoqualität und sahen sehr lebensecht aus. Er wollte sich gerade eines näher betrachten, da betraten schließlich der Doktor und sein Assistent das Büro.

„So, Herr von Rottenbach, es hat zwar etwas gedauert, doch nun stehe ich Ihnen zur Verfügung."

Van Furr nahm an seinem Schreibtisch Platz und Karolus stellte sich hinter ihm. Der Doktor lehnte sich zurück und wartete, das Holger das Wort ergriff.

„Ich, ... ich möchte mich zuerst entschuldigen, dass ich so hereingeplatzt bin. Ich weiß, dass Sie ein sehr beschäftigter Mann sind und danke Ihnen, dass Sie mich nicht gleich vor die Tür gesetzt ha­ben."

„Ach hatten sie diese Furcht. Ich muss sagen, dass ich mich auf diese Begegnung gefreut habe. Im­merhin sind Sie bereits recht erfolgreich!"

„Woher wissen Sie ...?"

„Glauben Sie, dass Sie der einzige sind, der das Internet nutzen kann?" Van Furr wartete einen Au­genblick, dann sprach er weiter. „Wir haben sehr viel über Sie und ihrem weiblich Alter Ego Flora herausgefunden. Nun sehen Sie nicht so geschockt drein, ich sagte doch, das auch ich meine Quel­len nutzen kann!"

„Natürlich, entschuldigen Sie."

„Kein Problem. Doch was erwarten Sie von mir? Ich bin schließlich nur ein kleiner Landarzt und bekomme selten Anrufe aus Japan für einen Termin. Was führt Sie zu mir?" neugierig setzte sich van Furr auf und nahm direkten Augenkontakt mit dem jungen Mann vor ihm auf.

Nun war es an Holger sich zu erklären. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken umher und all das was er sich vorgenommen hatte zu sagen, war wie weggeblasen. Leise begann er zu sprechen.

„Ich habe Legenden, Urbane Legenden gehört. Von einem Wissenschaftler hier in Deutschland, des­sen Patienten drastische Verwandlungen durchmachen. Menschen, die von ihm behandelt wurden, um dann auf nimmer wiedersehen von der Bildfläche zu verschwinden. Es waren alles nur Bruch­stücke die ich sammeln konnte und ich kenne niemanden, der sich bisher dieselbe mühe gemacht hat diesen Geschichten nachzugehen und zu einem sinnvollen ganzen zusammenzufassen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Es musste für jeden zu sehr nach Science Fiction geklungen haben, die Ideen eines verwirrten Geistes. Naniten, winzig kleine Maschinen, die das Erbgut eines Wesens, eines Menschen, auseinander pflücken und dann mit einem anderen Erbgut, einem tierischen Erbgut, zu etwas ganz neuem zusammen mixen, zu Tiermenschen, Furries oder Monstren, ganz wie es dem Wissenschaftler beliebt."

„Tiermenschen? Ach, sie meinen wie Satyrn, Minotauren und so was?"

„Genau so etwas."

„Und wie kommen Sie dann auf mich?"

„Ihr Name. Immer wieder tauchte der Name van Furr auf und natürlich die Schwierigkeiten, die ich hatte, als ich mehr über Dr. Wolf van Furr herauszufinden wollte. Googelt man nach ihrem Namen bekommt man 0 Ergebnisse, erstaunlich nicht? In der heutigen Zeit sollte man einige hundert Er­gebnisse erwarten, aber ihr Name, Null Treffer! Es hat mich einige Mühe gekostet einen IT-Profi zu finden, der mir den Zugang zu Informationen über sie verschaffte. Himmel hat der Mann Flüche ge­kannt und drei seiner Rechner waren dabei buchstäblich in Rauch aufgegangen, bis er mir erste Er­gebnisse lieferte."

„Hm, Karolus ich wusste gar nicht, das du mich so gut abschirmst?"

„Anscheinend nicht gut genug, das werde ich verbessern."

„Dann sind sie wirklich in der Lage ..., Sie, Sie können das?" Holger wäre aufgesprungen, wenn er gekonnt hätte.

„Sieht so aus, mein junger Freund."

„Dann können Sie, dann werden Sie mir helfen!" fragte Holger erwartungsvoll.

„Helfen? Das werden wir noch sehen!"

Holger wollte gerade etwas erwidern, als er von einer Geste van Furrs zum Schweigen gebracht wurde.

„Bevor Sie etwas sagen, müssen Sie eines wissen. Was in diesen 4 Wänden gesprochen wird, das bleibt in diesen 4 Wänden. Sie haben die Legenden gehört. Sie haben eine Ahnung, aber auch nur eine vage Ahnung, zu was wir hier in der Lage sind. Sie sind auf dem besten Wege Ihr innerstes Verlangen erfüllt zu bekommen, doch das wird einen Preis haben, unter Umständen einen sehr ho­hen Preis, doch das sollten Ihre Finanzen zulassen. Karolus hat eine Menge Material über Sie zu­sammentragen können, doch ich will es aus Ihrem Mund hören. Ich will mehr über Sie erfahren, mehr als nur diese Fakten."

Van Furr griff nach einer Kladde neben sich und warf sie Holger vor die Füße. Ein Wust Blätter flatterte durch den Raum und senkte sich zu Boden.

„Wo soll ich anfangen?"

„Wie wäre es mit dem Anfang? Karolus bring uns doch Kaffee." und zu Holger gewandt, „Wenn es Ihnen recht ist?"

„Kaffee, klingt Gut. Also geboren wurde ich ..."

Gebannt lauschten van Furr und Karolus der Erzählung seiner Lebensgeschichte. Holger gab in den nächsten Stunden alles über sich Preis. Er hielt nichts zurück. Hin und wieder unterbrachen sie ihn. Sie stellten gezielte Fragen und er antwortete so wahrheitsgetreu er nur konnte, doch als er schließ­lich zu dem Unfall kam, in dessen Folge er zum Krüppel wurde, stockte seine Erzählung.

„ ... Ich sah nur noch die Bäume und dann wurde es Dunkel. Das nächste, an das ich mich erinnere war, dass ich im Krankenhaus wieder zu mir kam. Mein Onkel und Richard saßen an meinem Bett. Und glauben Sie mir zwei gestandene Männer, die mit Tränen in den Augen einen angucken ist schon ein seltsamer Anblick. ..."

„Sie haben also keine direkten Erinnerungen mehr vom Unfall?"

Holger schüttelte den Kopf. „Nein, da ist nur ein schwarzes Loch!"

„Und wie steht es mit Flora? Sie wissen schon, unterdrückte Erinnerungen und so weiter."

„Flora?"

„Nun später vielleicht. Erzählen Sie doch erstmal weiter. Was war nach dem Unfall?"

„Nach dem Unfall. Nun der Unfall hatte alles verändert. Ich wachte, wie schon gesagt, im Kranken­haus auf. Aber nicht am nächsten Tag, ich war volle 3 Monate weggetreten. Koma. Es muss haar­sträubend für Onkel Manuel und Richard gewesen sein. Später erzählten sie mir, dass die Ärzte es angesprochen hatten die Maschinen abzuschalten. Richard soll fuchsteufelswild geworden sein, als er das aus dem Munde eines Assistenzarztes gehört hatte. Er ist schließlich selber Arzt. Bei dem Crash war ich jedenfalls übel zugerichtet worden. Zerschmetterte Beine und Hüften, Wirbelbrüche und daraus folgend eine handfeste Querschnittslähmung, wie sie ja sehen können."

Van Furr konnte es nicht nur sehen, er hatte die Krankenhausakte seines jungen Gastes sehr genau studiert. Die Verletzungen waren wirklich schwer gewesen. Holger fuhr derweil mit seiner Ge­schichte fort.

„Es hat ein weiteres halbes Jahr gedauert, bis ich wieder auf die Beine kam." er grinste schief und klopfte auf den Rollstuhl. „Nun, nicht auf die Beine, wie Sie ja sehen können, aber ich lernte ver­hältnismäßig schnell damit zurechtzukommen."

„Und Flora?"

Holger Gesicht wurde ernst.

„Seitdem hat sie sich nicht mehr öffentlich gezeigt."

„Das ist traurig, verdammt traurig."

„Aber sie war weiterhin da, nur verschob sich ihre Existenz voll und ganz in die virtuelle Realität der Foren und Sie wandelte sich vom Menschen in ..."

„Einen Kitsune?" vervollständigte van Furr Holgers Satz.

„Genau und ich, ... ich ..." Holger rang nach den richtigen Worten.

Van Furr bemerkte die Unsicherheit seines Gastes, der offensichtlich nach den richtigen Worten rang um sein innerstes Verlangen zu offenbaren. Dafür war es vielleicht noch etwas früh.

„Was geschah, nachdem Sie sich wieder erholt hatten?"

Holger war nicht unglücklich über den plötzlichen Themenwechsel, später, wenn er seine Geschich­te vollendet hätte, würde er vielleicht die richtigen Worte finden. Er fuhr also mit seiner Geschichte fort.

„Da kann ich mich recht kurz fassen. Nach ein paar Monaten Ergotherapie war ich endlich wieder soweit mein Studium fortzusetzen und erfolgreich abzuschließen. Ich begann damit Heilpflanzen zu züchten und aus den verschiedenen Kräutern recht wirksame Mischungen zu kreieren. Ich hatte einen durchschlagenden Erfolg mit meinen Kreationen, eine Asiatische Firma bot mir einen lukrati­ven Vertrag an, der mir ein ordentliches Auskommen bot. Ich verließ dann meine Ersatzfamilie und machte mich nach Asien auf, um mich dort weiterzubilden, die Firma hat wohl gedacht mein Poten­tial weiter auszubauen. Sie hatten mich nämlich eingeladen."

Holger lachte leise.

„Neben meiner Weiterbildung begann ich mich in den Foren breit zu machen. Das war allerdings mehr Floras Part, sie genoss die Gemeinschaft, sie lebte sich aus, so gut es ging und entwickelte sich weiter. Und ehe ich es mich versah, stieß ich so auf die ersten Geschichten über eine geheim­nisvolle Praxis, den Rest kennen Sie. Ich denke Jorge wird Ihnen bereits vieles davon erzählt haben. Habe ich Recht?"

„Ja, das stimmt."

Van Furr sah auf seine Armbanduhr, das Gespräch dauerte nun schon 2 ½ Stunden und bis zum Abendessen konnten sie noch etwas ausprobieren. Er machte eine kurze Notiz und reichte sie an Karolus weiter. Sein Assistent hatte die gesamte Zeit hinter ihm gestanden undwartete brennend auf seinen Einsatz.So ein langes Vorgespräch war selten und ermüdend.Er las die Nachricht und ver­ließ ohne ein Wort zu verlieren die beiden Männer, die sich weiter unterhielten.

In den letzten Wochen hatte Karolusan einem Projekt gearbeitet, das bei Erfolg zum einen das De­sign der Transformation deutlich vereinfachen und zum anderen die Integrität der Sicherheit der Praxisgarantieren würde. Natürlich beinhaltete dieses Projekt auch den Einsatz der Naniten, doch sie waren in diesem Fall nicht auf Transformation programmiert, sondern auf Kommunikation und Datenübertragung. Fast so wie die Naniten, die Jorge es ermöglichten eine menschliche Stimme zu haben, nur würde dieses mal das Unterbewusstsein angezapft werden. Eine deutliche Verbesserung um in Zukunft die tiefsten und vielleicht vollkommen unbewusstenWünsche der Kunden zumindest Virtuell zu manifestieren. Der Doktor war von seiner Idee fasziniert gewesen und hat ihn voraus­schauend gebeten eine Dosis für ihren neuesten Patienten bereitzustellen. Es war zwar noch ein Pro­totyp, aber man würde ja sehen. Er kam an der Treppe vorbei und lauschte kurz, leise Musik drang vom Dachgeschoss herunter. 'Arme Katti,' dachte er, 'ich werde sie später etwas trösten!' Dann be­gab er sich ins Labor und summte dabei vergnügt die Melodie, die er gehört hatte. Im Labor füllte er sorgsam eine Spritze mit der Dosis Naniten, die das kleine Wunder vollbringen sollten, die in­nersten Gedanken, Gelüste und Wunschvorstellungen ihres Kunden in spe, in den Computer zu übertragen. Karolus versprach sich sehr viel davon und es war ihm gelungen auch van Furr davon zu überzeugen. Die gefüllte Spritze verstaute er in ein Etui und legte es auf ein Tablett. Das nächste Teil, dass auf dem Tablett landete, war eine Art Haube aus dünnem dehnbarem Stoff. Der Stoff war mit silbrigen Fäden durchwirkt, die sich zu einem Kabel vereinigten, das zu einem Kästchen führte, aus dem wiederum ein USB-Kabel herausragte. Es war ein Empfänger, der noch viel empfindlicher und leistungsfähiger war, als das Modul, dass in den Halsbändern eingesetzt wurde. Jorge war ein sehr williges Testsubjekt bei den vorhergehenden Tests des Prototypen gewesenunderwar begeistert über die Ergebnisse der ersten Versuche mit dem „Bewusstseinleser". Aber das unbedingt notwendige Kabel machte das Gerät zuhinderlich für den tagtäglichen Gebrauch.Jorgezog sein zuverlässiges Halsband weiterhin vor. „Außerdem steht es mir besser!" hatteder schwarze Jaguar nach den Tests geschnurrt.Karolus war sich der Tatsache bewusst, dass sie seit Jahren die Naniten per Funk steuerten und es kam einem Anachronismus gleich, nun wieder mit etwas zu arbeiten, das eine Kabelverbindung nutzte, aber die schiere Menge an Daten, die im Betrieb übermittelt werden, waren für Funkverbindungen, einfach zu groß. Immerhin war es ihm möglich, mit Hilfe der Haube, so gut wie jeden einzelnen Naniten im Hirn des Patienten anzusprechen und dessen Daten, direkt und in Echtzeit, abzurufen. Und dabei ging es um mehrere Millionen dieser kleinen Maschinen, an deren stetiger Weiterentwicklung er und sein Chef vieleJahregearbeitethatten.Vergnügt summte er eine Melodie, die zur Zeit im Radio sehr populär war und brachte das Tablett in den Behandlungsraum 6. Der Behandlungsstuhl dort war perfekt für die Prozedur, die für Ihren neuesten Fall angedacht war. Er stellte das Tablett auf den Schreibtisch, dann nahm er die Haube und hängte sie an einen Haken, der von der Decke herabbaumelte. Die Haube verband er über einen Steckplatz mit dem Stuhl. Das nächste war, das er den Beamer einschaltete und anschließend den Computer startete. Das Betriebssystem erkannte die neue Hardware und mäkelte am Treiber herum, gelangweilt klickte er die Meldung beiseite. Das neue Diagnoseprogramm startete er und ließ von ihm einen Systemtest des Stuhles durchführen. Wenige Minuten später kam das erfreuliche Ergebnis, das die Sensorik im Rahmen der Spezifikationen lief. Karolus stellte das System auf Standby, drückte einen kleinen Knopf am Schreibtischund lehnte sich zufrieden zurück. Er war bereit.

Im Büro blinkte kurz ein Licht auf. Van Furr bemerkte es und wandte sich an seinen zukünftigen Patienten, mit dem er sich in der letztenhalbenStundeangeregt über die moderne Pflanzenheilkun­de unterhalten hatte.

„Nun Herr von Rottenbach, ..."

„Holger, Sie können mich ruhig Holger nennen."

„Also gut, dann Holger. Mein Assistent hat etwas vorbereitet. Eine neue Art von Diagnose und Ihr Fall scheint mir der genau richtige zu sein, um es zu Testen."

„Testen, aber wir haben ja noch gar nicht über die Bezahlung gesprochen!"

„Ist Ihnen das so wichtig? Sie können es sich leisten! Das ist das einzige was zählt."

Holger überlegte kurz, dann nickte er.

„Sie haben recht. Also dann los. Lassen Sie sehen, was Sie drauf haben."

„So ist es recht!" Van Furr ließ seine Hände auf die Tischplatte fallen und stieß sich zurück und mit einer fließenden Bewegung stand er auf.

„Folgen Sie mir."

Fortsetzung folgt