Máella Twins - Kapitel 2: Ahnungslos
Ahnungslos
(Panther)
Als ich de Augen öffnete, wunderte ich mich, dass es nicht der Wecker war, der meinen Schlaf beendet hatte. Vermutlich waren wieder die Batterien leer und ich hatte verschlafen. Aber seltsamerweise war alles dunkel. Wenn ich schon verschlief, dann auch den halben Mittag, doch hier war es dunkel und vermisste die morgendliche Wärme, von der ich mich sonst nur ungern löste. Meine Handgelenke schmerzten. Ich wollte sie nah an mich ziehen, doch irgendwas hinderte mich daran. Mir fiel auf, dass ich nicht auf meinem Bett lag, sondern irgendwo anders. Mit einem Schlag war ich hellwach. Jemand hatte mich an eine Wand gekettet!
Verzweifelt suchte ich in meinem Gedächtnis nach einer Antwort, warum ich hier war. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war daran, dass ich am Abend mit meinem besten Freund Essen gegangen war und wir uns anschließend im Kino einen Film angesehen hatten. Danach bin ich nach Hause gegangen, hab mich geduscht, ein gutes Buch gelesen und bin schlafen gegangen. Nichts außergewöhnliches. Warum also wachte ich an diesen Ort wieder auf?
Mir kam der Gedanke, dass es nur ein Traum war, doch es fühlte sich real an. Die Kälte, die mich umarmte, der Schmerz an den Handgelenken und, wie ich gerade bemerkte, ein feuchtes Gefühl an einer Stelle, die nicht feucht sein sollte.
Zum Glück schien ich nicht verletzt worden zu sein, doch man hatte mir die Kleidung abgenommen. Ich nahm an, dass man mich entführt, betäubt und vergewaltigt hatte, das würde auch erklären, warum man mich breitbeinig festgekettet hatte. Allerdings war ich mit dem Rücken zur Wand gekettet.
Ich versuchte einen klaren Kopf zu bewahren, doch die Panik stieg in mir auf. Vielleicht wollte man mich umbringen oder irgendetwas anderes mit mir anstellen. Es konnte auf jeden fall nichts Gutes verheißen, wenn man in einem dunklen Raum eingesperrt wurde.
In völliger Dunkelheit halfen mir nichtmal meine reflektierenden Katzenaugen, doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Dunkelheit, allerdings half mir das nicht weiter. Alles was ich erkannte, war, dass die Wände aus Stein waren und eine lange Stange an der Wand entlang lief, an der meine Ketten befestigt waren.
Meine Augen folgten der Stange. Sie endeten auf der einen Seite an der breiten Käfigtür aus metallenen Stäben. Der ganze Raum erinnerte mich an einen Kerker. Kein sehr gemütlicher Kerker. Und vor allem kein Kerker mit Heizung.
Hinter der Gittertür konnte ich nichts erkennen, alles war schwarz. Ich folgte der Stange in die andere Richtung. Etwas gelbes blitzte in einer Ecke des Raumes auf und ich zuckte zusammen. Ich war nicht allein in diesem Kerker. Zwei funkelnde Augen starrten mich an. Ich wollte schreien, doch der Fremde sagte: „Bleib ruhig. Nicht schreien."
Ich erkannte, dass es sich ebenfalls um einen Jungen handelte. Seine Stimme klang nicht beunruhigt, sie klang sanft und weich.
„Wo bin ich hier und wer bist du?", wollte ich wissen.
Langsam wurde das Gesicht des anderen sichtbar. Er schien wie ich angekettet worden zu sein und auch ihn hatte man seiner Kleidung beraubt. Es handelte sich um einen Wolf, vermutete ich aufgrund der Gesichtszüge.
„Mein Name ist Loup und wir sind hier, um unseren Tod zu erwarten."
„Was?!", stieß ich ungläubig hervor.
„Still!"
Plötzlich hörte ich einen Schrei, der mir durch das Mark ging. In diesem Moment bekam ich Angst um mein Leben. Ich wollte raus. Wesen wie wir waren stärker als Menschen und das musste ich jetzt beweisen. Mit aller Kraft riss ich an den Ketten und kämpfte um meine Freiheit.
„Sie töten gerade eine junge Reporterin. Ich glaube Zerna hieß sie", erzählte Loup.
Ich konnte nicht glauben, wie er so einfach behaupten konnte, dass gerade eine Frau ermordet wurde und er dabei keine Miene verzog. „Was meinst du damit? Woher willst du das wissen?"
„Sie hing eben an dem Platz, wo du jetzt hängst. Sie haben sie eben fortgebracht und beginnen jetzt mit dem töten."
Erneut hallte ein Schrei wider, der mein Fell zu Berge stehen ließ. Ich spürte, dass diese Frau Schmerzen haben musste und um ihr Leben kämpfte.
„Sie wurde nur hergebracht, um von ihnen ermordet werden zu können", flüsterte Loup.
Das Geräusch von rasselnden Ketten wurde hörbar, allerdings wurde es übertönt von dem Kreischen einer Frau. Allem Anschein nach wurde sie gegen ihren Willen irgendwohin gedrängt. Geschockt blickte ich Loup an, doch der hielt die Augen geschlossen und bleib ruhig.
Das Kreischen wurde lauter. Ich machte es Loup gleich und tat so, als wäre ich noch bewusstlos. Irgendjemand kam zu der Gittertür und öffnete sie. Das Mädchen schrie und wehrte sich hörbar, doch der Kerl, der sie in unseren Kerker brachte, musste ziemlich stark sein, da er sie leicht zum Schweigen brachte. Aufgrund des Geruchs ging ich davon aus, dass er ihr ein Betäubungsmittel verabreichte. Die Frau wurde neben Loup an die Wand gekettet, wo sie bewusstlos hing und sich nicht mehr wehren konnte.
Da es vollkommen still war, öffnete ich kurz die Augen und sah in die tiefe Bräune von wilden Tieraugen. Das musste der Entführer sein! Schnell presste ich die Augenlider zusammen und hoffte, dass er mich nicht erkannt hatte.
Ich spürte, wie er mir seinen Atem entgegen stieß und anschließend an mir vorbei stapfte. Er verschloss die Gittertür und verschwand. Erleichtert atmete ich auf und warf einen Blick auf unseren neuen Mitbewohner.
„Wie lange bist du schon hier?", wollte ich von Loup wissen.
„Seit gestern. Zerna war nur wenige Stunden hier."
„Und wer ist sie?" Ich deutete mit der Schnauze auf die Tigerin, die noch von dem Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt war.
„Keine Ahnung. Glaubst du, ich kenne jeden einzelnen Furry aus dieser Stadt? Ich bin eigentlich nur ein stinknormaler Bürger so wie du", entgegnete mit der Wolf.
Ich glaubte ihm nicht. Er machte auf mich keinen positiven Eindruck, doch ich hatte auch das Gefühl, ihn irgendwo schon mal gesehen zu haben. Vermutlich in einer Gasse, wo sich die ganzen Szenengänger zurückzogen.
„Wie ist denn dein Name?", fragte Loup.
„Panther Hi Lang."
„Chinesische Abstammung?"
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht."
Ich sah, wie der Wolf die Zähne fletschte. Sofort bereute ich meine patzige Antwort. Unter Stress reagierte ich manchmal unfreundlich, doch was sollte er in solch einer Situation auch schon von mir erwarten?
„Ich bin hier dein Verbündeter. Du kannst niemandem außerhalb dieses Kerkers trauen. Es wurde viel Geld dafür bezahlt, dass man dich, mich und diese Frau umbringt, daher wäre es für uns alle von Vorteil, wenn wir zusammenarbeiten und uns gemeinsam überlegen, wie wir hier raus kommen."
Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. Langsam verarbeitete ich die Informationen und versuchte, bei klarem Verstand zu bleiben. Warum war ich bloß an diesem Ort wieder aufgewacht? Die Hoffnung, ich würde gleich in meinem Bett liegen und bemerken, dass alles nur ein böser Traum war, musste ich verwerfen. Es war real und scheinbar wurden wirklich Leute entführt, um getötet zu werden. Weshalb sie das taten, wusste ich nicht und ich glaube auch nicht, dass es einen sinnvollen Grund hatte. „Aber wie sollen wir hier raus kommen? Was ist das überhaupt hier? Wer hat uns das angetan?", fragte ich völlig aufgelöst.
„Erinnerst du dich an den Löwen, der die Frau hier rein gebracht hat? Ich kenne ihn. Hast du die Piercings an seinen Brustwarzen gesehen? Die hab ich ihm gestochen."
ich spielte wieder mit meinem Lippenpiercing, wie ich es so oft tat. Erst eine Sekunde später verstand ich, was Loup erzählte und ich erinnerte mich, dass ich Loup damals im Piercingstudio gesehen hatte, als seine Kollegin mich gestochen hatte.
„Er war eigentlich sehr nett und hat mir erzählt, dass er für Trustburgh arbeitete. Trustburgh ist eine Organisation, über die ich heimlich Nachforschungen angestellt hatte, da niemand wusste, was sie herstellten oder was sie taten und keine Fragen beantworteten. Es ist auch nur ein kleiner Gebäudekomplex, der inmitten der riesigen Einrichtungen und Bauwerken einer Großstadt nicht weiter auffällt. Vor einigen Jahren ist ein Freund von mir und ich zum Spielen auf dieses Gelände gegangen. Wir hatten verstecken gespielt. Ich musste suchen und hatte ihn niemals gefunden. Heute weiß ich, dass sie ihn geschnappt und getötet haben müssen."
„Diese Organisation ist nur dazu da, um Leute zu töten?", fragte ich ungläubig. Ich erkannte Trauer in Loups Augen. Es war verständlich, dass es schwer war, einen Freund zu verlieren und ich wollte auch nicht speziell danach fragen, um größeren Schmerz zu vermeiden.
„Nein. Sie töten nur Furries."
Ich hob erschrocken die Augenbrauen.
„Wie du weißt, ist der Furry in unserer Gesellschaft nicht gleichberechtigt mit dem Menschen. Für einige Menschen sind wir sogar zu knapp an ihnen dran und sie wollen sich wehren. Sie unterdrücken uns mit Organisationen wie dieser. Die Einflussreicheren, die es sich leisten können, lassen diese Einrichtungen errichten und heuern Auftragsmörder an, Furries zu entführen. Sie quälen und töten sie. Das ganze halten sie auf Videoband fest und halten dieses den höher gestellten Furries vor, die sich für unsere Gleichberechtigung einsetzen. Sie erpressen sie, damit sie nachgeben und der Mensch seine Position nicht verliert."
Ich konnte nichts anderes als mit dem Kopf schütteln. Das konnte und wollte ich einfach nicht glauben. Nie würde ich dem Menschen zutrauen, so harte Maßnahmen zu ergreifen, um an der Spitze bleiben zu können. Ich kannte viele Menschen, die sich als sehr freundlich erwiesen hatten und konnte mir nicht vorstellen, dass es Menschen gab, die so handelten.
„Tut mir leid dein vermutlich noch ungetrübtes Weltbild zu zerstören. Aber es gibt immer und überall brutale und unglaubliche Dinge, die man nicht nachvollziehen kann."
Ich fletschte die Zähne. Meine Trauer wechselte zu Wut. Wie konnte man so etwas nur tun? Das konnte nicht wahr sein! „Und warum wehren wir uns nicht?"
„Das tun wir. Es gibt viele Furries, die herausgefunden haben, dass ihre Freunde und Angehörigen von Menschen getötet wurden und deshalb Menschen töteten. Das ist ein ewiger Kreislauf und niemand glaubt dem anderen."
„Das ist grauenhaft!"
Plötzlich erklang ein gequältes Röcheln und wir zuckten zusammen. Die Tigerin schien wieder zu sich zu kommen. Sie schnappte nach Luft, rüttelte an den Ketten und schrie.
„Ruhig! Hör auf zu schreien!", knurrte Loup sie an.
„Wo bin ich hier?! Was wollt ihr von mir?! Lasst mich sofort frei oder ihr werdet es bereuen!", fauchte sie zurück.
„Du musst still sein, sonst kommen sie vielleicht zurück", versuchte ich sie zu beruhigen.
Die Tigerin schluckte ihren Schrei herunter und sah sich verzweifelt im Kerker um. Ich erkannte die Panik in ihren Augen und konnte verstehen, wie es ihr ging. Wenn wir nichts unternahmen, würden wir drei dasselbe Schicksal wie das andere Mädchen vor uns erleiden.
„Was?! Wir sind in Trustburgh?!", rief die Tigerin ungläubig.
„Schscht", wies ich sie zum ruhig sein an.
„Das kann ich nicht glauben. Ich wusste, dass irgendwas mit Trustburgh faul ist. Wisst ihr, ich bin Reporterin und habe bereits über Trustburgh berichtet. Viel konnte ich allerdings nicht herausfinden", erzählte die Tigerin.
Ich war erstaunt, dass sie so schnell ihre Panik vergessen hatte.
„Du bist auch Reporterin?", fragte Loup verwirrt.
„Ja, ich schreibe für Pawz."
„Vor kurzem war schon eine Reporterin hier, ebenfalls eine Tigerin. Sie hieß Zerna. Sagt dir der Name etwas?", wollte der Löwe wissen.
Schweigend starrte die Tigerin auf den Boden. Ihre Hände zitterten und in ihre Augen hatten einen seltsamen Ausdruck.
„Sie war meine Mitarbeiterin. Ich habe sie erst heute im Café getroffen."
Niemand sagte etwas. Nur unser leises Atmen war hörbar. Niemand von uns hatte eine Ahnung, ob wir hier je wieder lebend herauskamen. Ich musste an meine Familie denken, die so stolz war, dass ich auf eine Schule für Begabte ging und so gute Noten mit nach Hause brachte. Und meine Freunde, mit denen ich immer Federball gespielt habe und nachts durch die Wälder gewandert sind, um uns gegenseitig zu erschrecken.
„Mein Name ist Loup Karasch und der Kleine dort heißt Panther. Wie heißt du?", fragte der Wolf plötzlich.
„Tea."
„Gut, Tea, Panther. Seid ihr bereit, euch einen Fluchtplan zu überlegen? Es muss einen Weg hier raus geben."
Wir nickten.