[2] Von Verrat, Verlust und Vertrauen

Story by Exylonx on SoFurry

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#2 of Verrat, Verlust und Vertrauen

Disclaimer: Fort...


Disclaimer: Fortsetzung der ersten Geschiche, "Verrat". Allgemeiner Hinweis: In diesem zweiten Teil gibt es keine sexuellen Handlungen, dafür zwei, drei Anspielungen und Audrücke. Deswegen lass ich die Kategorie mal bei "Adult". Ist wohl eh nicht so wichtig ;) Ich hoffe, der zweite Teil gefällt, über Kritik würde ich mich sehr freuen! :)


** [2] Verlust**

Der Bulle, der über Nacht zum Mann geworden war, erwachte. Er war allein. Fürsorgliche Hände hatten die Decke um seinen zerzausten Körper geschlungen und ein Kissen unter seinen gehörnten Kopf gelegt, und so lag er wunderbar weich unter dem warmen Stoff. Ein kurzer Blick auf die Kuhle in der Matratze neben dem Bullen verriet seinem schläfrigen Geist, wo seine Liebe bis vor Kurzem geschlafen hatte. Aufgeschreckt setzte er sich auf, ein zwiespältiges Gefühl beschäftigte ihn. Warum ist sie gegangen? Bereut sie die Geschehnisse der vergangenen Stunden? Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie Zeit brauchte, um sich Klarheit zu verschaffen. Gleich darauf realisierte er, dass das auch für ihn der Fall war. Biqos würde eine Weile brauchen, all die Emotionen, Eindrücke und Anstrengungen zu verdauen, die die junge Tigerin hervorgerufen hatte. So schwang er die Beine aus dem Bett und tappte die wenigen Meter zur Dusche, um zu denken und sich die getrockneten Überreste seines Ausbruchs durch ihre geschickten Pfoten aus dem Fell zu waschen. Sie hatte vor ihm geduscht; die nassen Duschwände und pfotenförmige Wasserpfützen auf dem Boden verrieten es ihm. Er musste tief geschlafen haben. Biqos konnte das umschmeichelnde Gefühl des warmen Wasserstrahls nur kurz geniessen, dann wurde die Unruhe in ihm zu stark. Er trocknete seinen wieder sauberen Körper, bis sein dunkles Fell flauschig war und glänzte. Kurz darauf schlüpfte er in den Thermoanzug, dem er, dem flexiblen Nano-Gewebe sei Dank, die Form eines schwarzen, kurzärmeligen Hemdes und einer weichen, weiten Hose im Farbton seines Fells gegeben hatte. Es hatte etwas Seltsames, bald bekleidet einer Tigerin gegenüber zu treten, die nur Stunden zuvor das Bett mit ihm geteilt hatte; ein Ereignis, dass er gerne wiederholt hätte, um sich zu revanchieren. Ihm war aber ohne Zweifel klar, dass sie zuerst Klarheit schaffen mussten. Auch er zweifelte daran, ob es eine gute Idee gewesen war. Er hätte nicht gedacht, dass er aufwachen und etwas anderes als Glück und Liebe fühlen wurde. Der Bulle trat, glücklich und voll Sorge zugleich, aus seinem Zimmer und machte sich in den stählernen Eingeweiden der Glorious auf die Suche nach ihr.

Biqos irrte durch das Schiff wie durch die Irrgärten seiner Kindheit auf seinem Heimatplaneten, die er und die anderen gleichaltrigen Bullen als Teil ihrer Mutproben hatten betreten müssen. Die Glorious war gigantisch. Als sie mit ihrem Gleiter angekommen waren, hatten sie keinen Gedanken daran verschwendet, und auch das Innere hatte sie nicht zu faszinieren vermocht; zu müde und abgelenkt waren sie gewesen. Sie hatten im Deck Eins, dem Hangardeck, die Aufzüge gesucht und waren nur ins dreizehnte Deck, das Mannschaftsdeck, gefahren. Die Erkundung des Schiffes hatten sie auf unbestimmte Zeit verschoben. Nun aber, nach erholsamem Schlaf, hatte Biqos in der Nähe der Aufzüge einen Querschnitt des von Menschenhand erbauten Personentransporters gefunden. Das im All treibende, vollkommen verlassene Ungetüm hatte eine Länge von über viertausend, eine Breite von sechshundert und eine Tiefe von neunhundert Metern. Biqos hielt den Menschen vieles vor, aber er kam nicht umhin, ihnen für diese monströse und unförmige Konstruktion Respekt zu zollen. Die Glorious bestand aus fünfzehn Hauptdecks und sieben Zwischendecks, die der Wartung dienten. Es gab Reaktorräume, ein Transportsystem, eine Brücke, und es gab die kilometerlangen Kryo-Hallen, die mehrere Decks umfassten und vor Jahren Millionen tiefgekühlter Menschen transportiert hatte. Sie waren die letzten Überlebenden der Menschenerde gewesen. Nachdem sie geflohen waren, hatten sie sich auf den verschiedensten Planeten wieder angesiedelt und zu alter Stärke zurückgefunden. Schliesslich entdeckte der Bulle zwischen all den Zeichen, Farben und Illustrationen ein kleines Feld mit der Beschriftung Bibliothek, und gleich daneben ein weiteres, als Kapelle bezeichnetes. Er lächelte dünn und rief den Aufzug. Einige Sekunden später trat er ein Deck höher wieder heraus und fand sich in einer kreisrunden Halle wieder, aus der verschiedene Gänge in alle Richtungen führten. Er rief sich den Plan vor Augen und wandte sich nach rechts.

Die Bibliothek war auf eine Art gestaltet worden, die die Menschen in einer längst vergangenen Zeit als "britisch" bezeichnet hätten. Wuchtige, dunkle Bücherregale ragten bis zur Decke empor, dicke Teppiche lagen wie vielfarbige Schlangen auf dem uralten Holzboden, und die Lesenischen waren gleichermassen edel geschmückt worden: Tiefe Ledersessel, niedrige Holztische und weiches, gedämpftes Licht der schmalen Leselampen verrieten den kundigen Geist, der wusste, wie es sich angenehm liest. Biqos schritt durch die Gänge zwischen den Regalen und genoss das warme Zwielicht ebenso wie das weiche Gefühl unter seinen Hufen. Der Bulle wunderte sich beiläufig darüber, dass die Notgeneratoren die Stromversorgung der Bibliothek aufrecht erhielten. Menschen hatten interessante Prioritäten. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, um sich ein Buch aus den Regalen zu holen, das sein Interesse geweckt hatte. Die Menschen waren fleissige Wortschmiede gewesen; allein diese Bibliothek umfasste wahrscheinlich mehrere hunderttausend Titel. So arbeitete er sich weiter, während die Hyperion-Gesänge, die Stadt der Träumenden Bücher, der Name des Windes und viele andere Werke durch seine Hände wanderten, allesamt in wunderbarem Zustand und begierig darauf, gelesen zu werden. Schliesslich machte der Gang vor ihm einen Knick, und dahinter entdeckte er eine geschickt platzierte Leseecke neben einem der verschwenderisch vielen Panorama-Fenster, die auf subtile Weise das Gefühl der Enge in der Bibliothek vertrieben. Im hintersten Winkel, halb verborgen von Möbeln und Schatten, sah er zwei schwarzweisse Ohren und wusste, dass er Hannah gefunden hatte. Behutsam und so leise wie möglich setzte er seine nächsten Schritte, um sie nicht durch sein plötzliches Erscheinen zu erschrecken, doch aus dem Halbdunkel erklang sogleich ihre weiche Stimme, in der ein beunruhigender, ihm unbekannter Unterton mitschwang: "Versuch's bitte nicht. Du bist ein miserabler Schleicher. Ich habe dich schon gehört, als du aus dem Aufzug getreten bist." Da war sie wieder, diese Befangenheit zwischen ihnen, die er überwunden zu haben geglaubt hatte. Er begann, seine Hände zu kneten, bis er sich schliesslich einen Ruck gab. Er hasste sich für die Worte, die seinen Mund verliessen. "Könnte ich kurz mit dir über... uns reden? Es muss nicht jetzt sein, aber es gibt einiges, das mich beschäftigt, und über das ich mir Gewissheit verschaffen möchte." Keine Antwort kam aus den Schatten, und Biqos seufzte in Gedanken. Mit besorgtem Blick wandte er sich nach einer Weile ab, um die Bibliothek zu verlassen, doch auf halbem Wege hielt sie ihn zurück. "Warte", sagte sie leise. Ein Buch wurde zusammengeklappt, dann raschelte es und sie trat aus den Schatten, ihre Haltung angespannt und ihr Blick ernst. Auch sie hatte ihren Thermoanzug umgeformt und trug die selbe schwarze Hose wie Biqos, daneben ein ärmelloses , dunkles Oberteil, das ihr bis zum Bauchnabel reichte und ihre Brüste betonte. Der Puls des Bullen beschleunigte sich leicht, als er ihr so schlichtes und zur selben Zeit wundervolles Äusseres betrachtete. Sie setzte sich vor ihm auf den Teppich, den Schwanz um sich geschlungen. Biqos tat es ihr gleich und lehnte sich mit dem Rücken an eines der Regale. Als er sich eingerichtet hatte, begann Hannah ohne weitere Umschweife. "Ich glaube, wir haben letzte Nacht einen Fehler gemacht", sagte sie sachlich. Keine Spur der Wildheit und Leidenschaft, die sie während ihres Spiels gezeigt hatte. Keine Zuneigung. "Das hätte nicht passieren dürfen. Es war mein Fehler, und ich hätte mich kontrollieren müssen. Dafür entschuldige ich mich." Ein Schlag in seine Weichteile hätte Biqos nicht härter treffen können als ihr unbeteiligter und kalter Tonfall. Woher der Umschwung? Was war mit ihr geschehen? "Ich denke, es ist besser, wenn wir unser Abenteuer hier beenden, bevor uns die Dinge entgleiten", fuhr sie fort. "Ich wünschte, ich hätte frohere Kunde, aber ich spüre, dass hier etwas geschieht, das nicht geschehen sollte." Damit stand sie auf und schickte sich an, zu gehen. Biqos stellte sich ihr in den Weg, sich seiner plötzlichen Wut nur zu bewusst. "Wag' es nicht", flüsterte er, "wag' es nicht, jetzt einfach zu gehen und dich der Sache nicht zu stellen. Letzte Nacht war kein Fehler, sondern etwas gänzlich anderes... etwas Wunderbares." Er legte den Kopf schief und beugte sich mit zusammengekniffenen Augen nach vorne wie jemand, der einen Sprung in einem Edelstein entdeckt hat. "Denkst du, mich hat es nicht beschäftigt? Eine Tigerin und ein Bulle vereint? Denkst du, ich wüsste nicht um die vielen Tabus, die wir gestern gebrochen haben? Er schüttelte ungläubig den Kopf. "Vielleicht ist es dir entgangen, vielleicht habe ich es nicht deutlich genug gezeigt, aber ich vertraue dir vollkommen. In deiner Nähe fühle ich mich sicher, denn ich weiss, du verstehst mich. Selbiges gilt für mich; ich weiss, wie du fühlst und was dich antreibt." Biqos spannte unwissentlich die Armmuskeln an. "Genau deswegen ergeben deine Worte keinen Sinn. Du denkst nicht, dass letzte Nacht ein Fehler war, du hast es geschehen lassen, weil du es wolltest. Du entschuldigst dich für gar nichts." Hannah stand starr wie eine Statue vor ihm, die Ohren nach hinten geklappt. "Ich war genau so allein wie du, Hannah. Ich hatte kein wundervolles Leben. Keine Freunde. Ich bekam keinen Respekt. Dann kam ich in dieses Dorf und habe dich kennen gelernt. Du hast mich schlechter behandelt als alle anderen zuvor, aber du hast mich verstanden", sagte er mit klarer Stimme. Sie bedeutete ihm mehr, als er ahnte, und seine Worte klangen auch so bereits hohl und leer. "Hast du die geringste Ahnung, wie wichtig mir das ist? Ich will nicht die einzige Person verlieren, der ich mich je nahe gefühlt habe", flüsterte er eindringlich und mit flehendem Unterton. "Wir haben nur uns, und wenn sich unsere Wege jetzt trennen sollten, dann sind wir die Schmiede unseres eigenen Unglücks." Biqos' Stimme wurde weicher. "Ich bitte dich, geh nicht. Ein Narr ist, wer meint, unsere Freundschaft würde keine Arbeit erfordern. Wir können es bewerkstelligen, vorausgesetzt, wir vertrauen uns. Genau jetzt kontrollieren uns Angst und Scham." Daraufhin schwiegen sie beide, und Biqos meinte, aus ihrer Richtung Kälte zu spüren. Es ist zum Verzweifeln, erkannte er, wir haben so vieles zu tun und bringen es doch nicht über uns, unsere Gefühle kundzutun. Hannah blieb still, als sie mit gesenktem Kopf neben ihm hindurch schlüpfte. Verdammt. Biqos rieb sich die Stirn und verfluchte die Umstände, die ihn zu dieser forschen Forderung gezwungen hatten, als er ein Glitzern in seinem Fell bemerkte. Er hob den Arm auf Augenhöhe. Irgendwie war Wasser in seinem Fell gelandet. Dann fiel der Groschen, und Biqos begriff. Tränen. Sie hatte geweint, eine Träne hatte sich im Schatten des Lichts von ihr getrennt und war an ihm hängen geblieben. Er seufzte und wusste nicht recht, was er als Nächstes tun sollte. Schliesslich schritt er zur Leseecke im Halbdunkel und nahm das Buch in Augenschein, das sie bis zu seiner Ankunft gelesen hatte. Biqos erstarrte, als er den Titel las. Plötzlich verstand er. Er warf das Buch achtlos auf den Tisch und rannte zum Aufzug, so schnell in seine Hufe trugen.

"Deck Zwölf: Mannschaftsduschen, Fitnessraum, Gemeinschaftsraum, Sparring-Halle." Die schwere Tür des Aufzugs öffnete sich lautlos, und Biqos schlüpfte eilig hinaus. Intuition hatte ihn hierher geführt und von ihr liess er sich leiten, als er durch die immer gleichen, trostlosen Korridore hastete und sich ausser Atem vor der hölzernen Doppeltür der Sparring-Halle wiederfand. Er zögerte kurz, als er die Hand gegen die Tür drückte, aber es half alles nichts: Er musste jetzt handeln. Biqos trat hindurch und stand in einem hohen, quadratischen Raum mit gedämpften Wänden und einer grossen Matte in der Mitte. Eine einzelne Lampe beleuchtete die Matte, während das Drumherum in Dunkelheit gehüllt war. Sie sollten die Fusionsreaktoren so bald wie möglich in Betrieb nehmen, damit endlich wieder genügend Licht vorhanden war. Hannah stand in der Mitte und bewegte sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit, wechselte von Stellung zu Stellung mit Bewegungen so flüssig wie Wasser. Angriff, Verteidigung, Blocken. Finte. Ausweichrolle. Nervenschlag. Genickbrecher. Biqos kannte die Formen alle, obwohl er sie nicht annähernd so kunstvoll beherrschte wie sie. Hannah hatte ihn, bevor sie das Dorf verlassen hatten, widerwillig instruiert und ihm die Grundlagen ihrer namenlosen Technik beigebracht, die absolute Kontrolle über Geist und Körper zu lehren vermochte und letztlich dennoch eher philosophischer denn praktischer Natur war. Hannah hatte sämtliche zweihundertdreizehn Bewegungen ersonnen und in Einklang miteinander gebracht. Sie war eine Meisterin, eine tödliche Gegnerin und ein kreatives Genie. Biqos wusste wohl, was ihn erwartete, als er die Matte betrat. Es war bereits einige Wochen her, seit er die letzten Wunden erhalten hatte, doch er erinnerte sich nur zu gut an Ohnmacht, Schmerz und Blut. Hannah nahm das Training ernst. Selbst nicht ganz untalentiert, wartete er den richtigen Moment ab, als sie sich im Übergang von Angriff zu Verteidigung befand, und trat zu ihr. Der erste Schlag, ein mit der Handkante ausgeführter Hieb in die Nieren, gefolgt von einer Rückwärtsrolle, folgte augenblicklich, doch Hannah wich aus, ergriff seinen Arm, bevor er rückwärts hechten konnte, und riss ihn nach vorne in eine Hebelbewegung. Biqos drehte sich um seinen Arm und schlug mit der zweiten Hand auf Hannah's stahlharten Griff. Sie liess los, denn der Schlag wurde mit solcher Kraft geführt, dass ihre Hand zersplittert wäre wie Glas. Dann rutschte sie neben ihm vorbei, ergriff wiederum seinen Arm und nahm ihn in den Schwitzkasten. Biqos liess seinen Kopf nach hinten schiessen, und wieder liess sie los. Sie wirbelte um ihn herum und deckte seine Brust mit kleinflächigen, aber mit enormem Druck geführten Schlägen ein, schwang sich dann zwischen seinen Beinen hindurch und trat ihm in den Rücken. Biqos taumelte nach vorne; hilflos wie ein Stein.Ein Lamm gegen einen Wolf. Sobald er zu Boden gefallen war, drehte er sich um, damit er ihre nächsten Angriffe so gut als möglich parieren konnte. Sie stand nicht mehr vor ihm. Sie war über ihm und fiel herab, um ihn mit einem Kniewinkler zu betäuben. Falsch, dachte er verwundert, man gibt niemals den sicheren Stand auf. Dass jemand wie sie einen solchen Fehler beging, noch dazu in der eigens ersonnenen Kunst, war alarmierend. Biqos begriff, dass sie nicht sie selbst war und ihr die nötige Konzentration fehlte. Er musste ihren Fehler ausnutzen, obwohl es ihm zutiefst widerstrebte. Als ihr Knie nur noch Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war, rollte er sich zur Seite und riss ihr Bein mit sich. Sie fiel zu Boden, und zum ersten Mal in einem ihrer Kämpfe war Biqos schneller als sie. Er versuchte, sie zu packen, doch sie wehrte sich, mit Pfoten, mit Zähnen und letzten Endes gar mit ihren Krallen. Wie eine Furie kratzte und biss sie, bis sich Biqos nicht mehr zu schützen versuchte, sondern sie in die Arme nahm. Er drückte sie an sich, und langsam liessen die Hiebe nach, fuhr sie die Krallen ein. Ihr Fauchen wurde zu Schluchzen, und er wiegte sie sanft, versteckte sie vor der Dunkelheit und dem Leiden, das hinter und vor ihr lag.

"Duale DNA-Stränge in einem Körper wurden 2313 zum ersten Male eingesetzt mit dem Ziel, im Falle einer genetischen Beschädigung einen Ersatz zu haben. Dieses zweite Genom ist verpackt in einer Nano-Hülle und befindet sich am Rückenmark. Die Nano-Hülle kann nur durch ein bestimmtes Protein aufgebrochen werden...meine Güte, soviel Subtext... verdammt." Biqos blätterte weiter und fuhr mit dem Finger die schwarzen Zeilen des Buches entlang, das er nach stundenlanger Suche in der Bibliothek gefunden hatte. Hannah sass in sich gekehrt neben ihm auf einem der Lesesessel der Bibliothek. Sie wirkte klein, verschwand fast in den hohen Lehnen. Es hatte all seiner Überzeugungskunst bedurft, sie wieder in die Bibliothek zu geleiten. Von ihr konnte er keine Hilfe erwarten, zu hart hatte sie die Erkenntnis getroffen, eine irreparabel beschädigte DNA in sich zu tragen, die sich früher oder später vollends zersetzen würde. Biqos vermutete, dass es ein Nebeneffekt ihrer mysteriösen Verwandlung war, und er war genauso geschockt wie sie über ihr mögliches... Ableben. "Proteine, DNA-Struktur, hypervariable Bereiche, Nano-Rezeptoren... oha. Hier." Er hob eine Augenbraue und begann, mit gerunzelter Stirn zu lesen. "Mutationen. Duale DNA-Systeme sind generell unsicher. Die Nano-Hülle kann über die Jahre zerfallen, weiterhin können emotionaler Stress, Traumata und Strahlen bestimmter Frequenzen zu der sogenannten genetischen Rivalität führen: Eines der DNA-Systeme attackiert das andere, bis nur mehr eines - ein beschädigtes - überlebt. Trifft dieser extrem seltene Fall ein, werden die Überreste des verlorenen Genoms ersetzt durch verwandte Basenpaare. Beispiele für eine Genom-Ersetzung wären Mensch/Schimpanse, Mensch/Pferd und Mensch/Hund. Diese Ersetzung ist aber in keinem Falle komplett. Nebenwirkungen sind unter Anderen emotionale Unausgeglichenheit, Muskelwachstum, niedrige Hemmschwellen. Je nach Art der Ersetzung führt dies innert Sekunden bis hin zu Monaten zu äusseren Mutationen, zu Hirnschäden, Organversagen und... zum Tod." Hannah barg das Gesicht in den Händen, und Biqos fluchte leise. Mangels Alternativen las er weiter und zwei Seiten später war ihm, als ob ein Berg von seiner Brust gehoben wurde. Er las den Absatz mehrere Male und spürte Hoffnung. "Behandlungsmethoden", fuhr er fort, "das beschädigte Genom muss mit Omni-Patches, dem genetischen/synthetischen Pendant zu Stammzellen, ergänzt werden. Omni-Patches können jedes Gen simulieren und die Lücken auffüllen. Moderne medizinische Bots können dies vollautomatisch und befinden sich teils gar auf grösseren Raumschiffen. Ihr hauptsächlicher Verwendungszweck aber ist die Behandlung von Strahlenschäden... egal." Er ging um den Stuhl herum, kniete sich vor sie hin und legte ihr die Hände auf die Knie. Sie sah auf, ihr Blick war leer. Hannah hatte nicht zugehört. "Wir müssen zur medizinischen Abteilung", sagte er, "und zwar sofort." Ohne auf eine Antwort zu warten, zog er sie aus dem Sessel und mit sich. Es muss funktionieren, dachte er,es muss auf der Glorious Omni-Patches geben. Die Bots müssen intakt sein. Der Notstrom muss ausreichen. Sie muss es überleben.

"Ich habe dich nicht verdient." Hinter ihr schüttelte Biqos belustigt den Kopf. Sie würde es nie verstehen. "Ja, das kann sein", gab er zurück und lachte. "Aber nach meinen Berechnungen sind wir momentan in etwa gleichauf." Hannah sass, ein Rückenverband unter ihrem Oberteil, in einem antiken Rollstuhl und wurde von ihm durch die Metallgänge geschoben. Es war ein langer Weg von der MedAb bis zu den Kajüten, und sie hatten die meiste Zeit des Weges geschwiegen, obwohl sie Grund genug hatten, sich zu freuen: Sie hatten dem tödlichen Defekt in Hannah's Körper den Krieg erklärt und ihn gewonnen. Ihr Genom war komplett, sie war eine gesunde, wenngleich anthropomorphe Tigerin. Eine kleine Nadel im Rücken, ein elektrisches Summen des Bots, dann war es schon vorbei gewesen. Die Patches hatten sich erfolgreich angesiedelt und würden bald sämtliche Aufgaben von Hannah's alten Genen übernehmen. Manchmal war das Schicksal mit ihnen. Das ungleiche Paar hatte die Kabinen erreicht, und Biqos liess es sich nicht nehmen, die rekonvaleszente Tigerin persönlich in ihr Gemach zu schieben; trotz all ihrer lautstarken Proteste. Er sah sich um, während sie sich vorsichtig aufs Bett legte. Ihre Erhu lehnte an das Fenster, einige Bücher lagen herum, und auf dem Arbeitstisch sah er einige recht kunstvolle Skizzen, die sein Interesse erregten. Er beugte sich unauffällig nach vorne. Hörner. Hufe. Ein Bulle. Er. Sie hatte sich die Mühe gemacht und ihn in seiner üblichen Stellung gezeichnet: Den Rücken an die Wand gelehnt, die Hände im Schoss gefaltet, ein Bein ausgestreckt, eines angewinkelt. Biqos sah in seine eigenen nachdenklichen Augen und fuhr mit dem Finger das leise Lächeln auf den Lippen nach. So also erscheine ich ihr. Nachdenklich, freundlich, entspannt. Biqos war taktvoll genug, kein Wort darüber zu verlieren, doch konnte er nicht verhindern, dass eben jenes Lächeln, das ihr so gefiel, über seine Lippen strich. Hannah hatte sich auf den Bettrand gesetzt und nichts davon registriert. "Ich lasse dich jetzt. Solltest du mich suchen, ich bin in der Bibliothek und lese, bis mein Hirn zu Brei wird. Gute Nacht." Sie nickte erschöpft. "Tu das." Biqos wandte sich ab und schloss die Tür hinter sich. Durch das Metall hörte er sie noch ein schlichtes "Danke!" sagen; keine fünf Minuten später stand er schon in der Bibliothek.

"Playlists", murmelte er. Der Bulle hatte sich weit nach vorne gebeugt, um die Buchstaben auf dem Bildschirm lesen zu können. Er hatte in den tiefsten Untiefen der Bibliothek, im hintersten Winkel, ein Terminal gefunden, dessen Zweck er nun zu ergründen versuchte. Auf dem Bildschirm drängten sich verschiedene Symbole, ein Viereck, ein nach rechts gekipptes Dreieck, zwei senkrechte Balken und viele andere. Er drückte aufs Geratewohl mit dem Finger auf Playlists, und ein neues Fenster voller Namen erschien. Das sind Besatzungsmitglieder, erkannte er und liess die Liste durchlaufen, bis er bei Private Gregor Mullen stoppte. Biqos drückte auf den Namen und eine weitere Liste erschien. Da wurde es ihm zu bunt und er fuhr mit dem Finger über das grösste Symbol auf dem Bildschirm - das gekippte Dreieck -, in der Hoffnung, dass etwas Interessanteres als das Aufklappen von Listen geschehen möge. Es knackte und rauschte um Biqos herum, und er fuhr zusammen. Dann nahm das Rauschen ab und wich dem Geräusch von Meereswellen, dem wehmütigen Geschrei von Möwen und ätherischen Klängen eines ihm unbekannten Instruments. Zart, beinahe schüchtern drangen die fremden Klänge in Biqos' Ohren und erzählten ihm ihre Geschichte ohne Worte, eine Geschichte der Abgeschiedenheit und der Selbstfindung; Bilder von fremden Inseln in namenlosen Ozeanen, Sonnenaufgängen und türkisem Wasser zogen an ihm vorbei, lockten ihn, doch er konnte ihnen nicht folgen. Zur Statue erstarrt stand er vor dem Terminal. Schmerz wallte auf in ihm, er konnte ihn nicht begreifen, nicht beschreiben, und alles in ihm sehnte sich nach Dingen, die er nicht kannte. Er wurde fortgespült von der betörenden Melodie, verlor allen Halt, doch bevor er untergehen konnte, setzte das Schlagzeug ein - eines der wenigen Instrumente, die Biqos kannte -, zwang der Melodie Rhythmus auf und zog ihn zurück auf festen Boden. Dann setzte das Klavier ein, begleitete die Melodie unauffällig, doch mit viel Wärme, und Biqos lief eine einzelne Träne das Gesicht herunter, an der Schnauze vorbei, und landete auf seinem Anzug. Zu viel. Es war zu viel für ihn, und dennoch er wollte der Musik weiter lauschen, wollte den Klängen hinterher eilen, bevor sie entschwanden, doch es war hoffnungslos. Ganze fünf Minuten und achtundzwanzig Sekunden befand sich Biqos in der Schwebe zwischen Himmel und Hölle, dann war das Lied vorbei und er glitt zurück in die Wirklichkeit. Bevor etwas anderes geschehen konnte, stürzte er zum Terminal und drückte wahllos auf den Bildschirm, um eine weitere Wiedergabe zu verhindern. Dabei fiel sein Blick auf die Mitte des Monitors. Marooned. Dann, rechts daneben: Pink Floyd, The Division Bell, 1994. Mehr als tausend Jahre waren vergangen, und noch immer lebte diese von Menschen gemachte Musik. Biqos drückte zitternd auf das gekippte Dreieck, denn er wollte mehr. Nur ein Lied, nur noch einmal solche Gefühle erleben. Nur noch einmal verstehen, welche Verluste es zu betrauern galt. Stunden vergingen. Erinnerungen wurden zur Wirklichkeit, und es war an der Zeit, wieder aufzuwachen.

Die Sonne war gewichen, damit Cassius und Copeius, die Zwillingsmonde, ihr silbernes Licht auf Berge und in Täler scheinen lassen konnten, ein bereits Jahrmillionen andauernder Zyklus, der noch lange, nachdem das letzte Herz dieses Planeten zu schlagen aufgehört hatte, weitergehen würde. Ferne Wolken kündeten von der Unruhe der Natur, und nur die hellsten unter den Sternen vermochten in dieser unheiligen Düsternis gesehen zu werden; diese Nacht würde gewiss nicht wie all die anderen sein. Alles Getier, ob von Beinen oder Schwingen getragen, floh unter Steine, ins Erdreich oder in die Baumkronen, denn dies war eine gefährliche Zeit und Furcht füllte die Herzen selbst der kleinsten Lebewesen. Selbst der Wind, der rastlos wandernde, vermied es, durch Baumkronen und Gräser zu rascheln, und auf seinen Pfaden war er keinen Wanderern begegnet, denen er sein Lied ins Ohr hätte flüstern können. So lag die Welt still da und hielt den Atem an. Die unförmige Gestalt, die sich die steinerne Treppe hinab mühte, verspürte keine Furcht, nur ein unterschwelliges Gefühl des Blutdurstes. Sie hatte dafür gesorgt, dass diese Nacht nicht wie alle anderen sein würde. Hufe schlugen dumpf auf Stein, eiserne Ketten rasselten, und jemand, der ihm dichtauf gefolgt wäre, hätte vielleicht Gemurmel und hingehauchte Wörter vernehmen können, als die Gestalt unter dem Blätterdach der Bäume dahin stapfte. Doch die Gestalt war allein, und das war gut so. Ein viele Meilen entfernter Fluss glitzerte, und die umgebenden bewaldeten Berge glühten in allen Farben; ein von Myriaden Leuchtsporen vollbrachtes Wunder, das vor langer Zeit als Schönstes seiner Art gegolten hatte. Sie waren die einzigen Lichter, die es noch wagten, ihren Schein zu verbreiten. Ein metallisches Klingen scholl über den Felshang neben der Treppe hinunter in die Tiefe, als sich der Bulle seines Harnischs entledigte und ihn achtlos neben sich zu Boden fallen liess. Die astrale Botin hatte wahr gesprochen, als sie sagte, seine Suche wäre beendet. Er brauchte den Schutz nicht länger, den ihm Rüstung, Ausbildung und Intelligenz bieten konnten. Der Bulle war das einzige Wesen auf allen Planeten, Habitaten und zwischen den Sternen, das keinen Sinn mehr hatte. Und doch lebte er weiter. Warum? Die Treppe machte einen Knick nach rechts, und Biqos sah das Ende der Treppe keine hundert Meter unter sich. Er drehte gegen seinen Willen um und blickte zurück auf den Weg, den er genommen hatte. Über ihm, sichtbar nur für diejenigen, die wussten, dass er dort war, lag der Tempel, wo er sie gefunden und erlöst hatte. Biqos wandte sich ab, doch es war zu spät. Der ungebetene Gast, seine verfluchten Erinnerungen, war wieder zu Besuch. Der Bulle hastete, so gut es ihm seine Verletzungen erlaubten, die Treppe hinunter, in der nichtigen Hoffnung, seinen Erinnerungen entkommen zu sein, sobald er den Torbogen am Fusse der Treppe passiert hatte. Dunkelheit legte sich auf die Umgebung, und keine Sterne waren mehr zu sehen. Die Leuchtsporen erloschen.