Máella Twins - Kapitel 15: Bruderlos
Bruderlos
(Lion)
Voller Euphorie sprang Panther über die letzten Waldwege. Es war höchstens noch ein Kilometer, bis wir den Wald hinter uns ließen konnten. Danach waren es auch nur noch wenige Kilometer, bis wir in die Stadt kamen. Es sah gut für uns aus.
Schließlich hatten wir auch genug Unglück in den vergangenen Tagen gehabt.
Es war später Nachmittag. Bei unserem gemächlichem Tempo würde es Abend werden, bis wir die Stadt erreichten, doch das was egal. Wir schienen nah genug an der Stadt zu sein, sodass uns die Menschen hier nicht schnappen würden. Zumindest nahm ich das an. Ich hielt dennoch die Augen offen. Man konnte nie wissen, ob sie nicht doch irgendwo lauerten.
Die Sonne stand hoch, als wir den Wald hinter uns ließen und über die Wiesen liefen. Sie gehörten noch zu dem Teil des Waldes, der nicht betreten werden durfte, daher achtete ich darauf, dass man uns nicht bemerkte.
Wir hätten auch zu der Straße gehen können und dort entlang zur Stadt gehen können, doch von der Idee hielt sowohl ich als auch Panther wenig. Es bestand die Möglichkeit, dass die Kerle aus Trustburgh die Straßen nutzten und uns kurz vor dem Ziel doch noch schnappten.
Das kühle Gefühl des Grases auf den wunden Pfotenballen war angenehm. Der steinige und dreckige Boden des Waldes war auf Dauer eine ziemliche Belastung. Ich war das eindeutig nicht gewohnt.
Panther ging ein Stück voraus und schien ziemlich glücklich darüber zu sein, dass wir die Stadt fast erreicht hatten.
Plötzlich brüllte er auf und brach zusammen. Instinktiv rannte ich zu ihm und sah, wie das Blut spritzte und Panther sich voller Schmerz am Boden krümmte. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was passiert war. Es war eine Falle. Ein Tellereisen. Eine Falle, die sonst für die Jagd verwendet wurde. Wenn man hineintrat, schnellten die spitzen Metallteile hoch und gruben sich in das Bein des Opfers.
Ich kniete mich zu Panther herab und sah, dass die Metallspitzen tief im Fleisch des Jungen steckte. Es mussten unerträgliche Schmerzen sein, die Panther gerade erlebte.
Er keuchte vor Schmerz.
Zwar war es schwierig, da Panther nicht ruhig liegen blieb, doch irgendwie musste ich die Falle entfernen. Mit einer Pranke drückte ich das gefangene Bein zu Boden, sodass es sich nicht mehr bewegte, mit der anderen versuchte ich das Eisen aufzubiegen.
Das Blut spritzte mir entgegen und ich hatte das Gefühl, dass ich Panther nur noch mehr Schmerzen bereitete, doch es gab keine andere Möglichkeit. Ich trat auf sein Knie, da ich beide Pfoten brauchte. Mit aller Kraft zog ich die Zähne der Falle auseinander, sodass Panther das Bein herausziehen konnte.
Als ich die Falle wieder losließ, schnappte sie wieder zusammen. Sie hatte eine unglaubliche Kraft und die Spitzen hatten tiefe Löcher in Panthers Bein gebohrt. Vielleicht war auch sein Knochen verletzt.
Ich nahm den winselnden Jungen auf den Arm und rannte so schnell es mir möglich war zur Stadt. In Máella musste es einen Arzt geben, der Panther helfen konnte. Ich selbst besaß zu wenig Kenntnisse, sodass ich Panther nicht helfen würde, wenn ich mich um die Wunde kümmerte. Abgesehen davon hatte ich meine Tasche mit dem Verbandszeug und den Medikamenten in der Höhle vergessen.
Ich rannte über die Wiesen und achtete darauf, nicht selbst auch noch in eine Falle zu treten. Dann wäre alles vorbei. Ich könnte mich vermutlich nicht selbst befreien und Panther war sowieso zu nichts mehr in der Lage.
Nach einem langen Sprint erreichte ich schließlich die Stadt und rannte die Straßen entlang. Ich wusste nicht, wo ein Krankenhaus war und suchte vergeblich alle Stadtteile ab. Schließlich blieb ich keuchend an einer Kreuzung stehen und mir fiel auf, dass Máella wie ausgestorben war. Es gab niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte. Niemanden, der mir den Weg weisen würde. Die Stadt war leergefegt.
Nichts war hier.
Warum war die Stadt tot? Das ergab keinen Sinn!
Kein Mensch und kein Furry war auf den Wegen zu sehen, die Straße wurde von keinem Auto befahren und die Häuser sahen unbewohnt aus.
Ich zuckte mit den Ohren und sah hinter mich.
Schüsse erhallten und ich riss die Augen auf.
Ich ging zu Boden und Panther fiel mir aus den Armen.
Man hatte mich getroffen.
Ich spürte kaum, wo ich getroffen war. Alles fühlte sich taub an. Doch ich hörte das Röcheln von Panther. Ich drehte den Kopf zu ihm und sah, wie er die Hand nach mir ausstreckte. Dann ein Schuss. Blut lief über Panthers Kopf und er gab keinen Laut mehr von sich.
Ich blickte auf. Der Mörder war einer der Wissenschaftler, der von einem weißen Kittel verhüllt war.
„Ihr Dreckskerle!", brüllte ich und wollte auf ihn springen, doch ich war nichtmal in der Lage, aufzustehen.
„So redest du mit mir? Ich dachte, du würdest mich lieben, Bruderherz", flüsterte er in einer rauen Stimme.
Als er die Kapuze abzog, konnte ich es nicht glauben. Das war nicht möglich. Es konnte einfach nicht sein.
Er beugte sich zu mir herab und drückte mir ein getränktes Taschentuch gegen die Schnauze.
Als ich aufwachte, fand ich mich an einen Labortisch geschnallt wieder. Grelles Licht war auf mich gerichtet. Kameras filmten mich und überall lagen Operationsbesteck und andere Objekte.
An einer Wand entdeckte ich eine Reihe von Fotos. Unter anderem fand ich die Fotos von Tea, Jackel, Loup und Panther. Sie waren alle mit einem roten Stift durchgestrichen. Ganz am Ende sah ich das Foto eines weißen Löwen. Es war kein Foto von mir, doch ich wusste genau, wer der Löwe auf dem Bild war.
Die Tür öffnete sich und einige Männer in weißen Kitteln betraten den Raum. Ihre Kleidung war blutverschmiert.
Einer von ihnen ging zu dem Foto des Löwen und strich es durch. Anschließend hing er daneben ein Foto von mir auf.
Das einzige, was ich noch tun konnte, war schreien. Niemand würde mir zu Hilfe kommen, doch das war egal. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach schreien.
Ich schrie, in der Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war...