Weit und Windig
#1 of Weit und Windig
Findus war in der Gegend um Tannöd aufgewachsen, wo die Tannennadeln aufs Dach rieselten und man als Fuchs selbst im heißesten Sommer von kühlem Schatten zu Schatten springen konnte. Dort, wo auf den wenig befahrenen Straßen das Moos wuchs und der Horizont kein Knick von Hell zu Dunkel war, sondern aus nichts, als Tannenwipfeln zu bestehen schien.
Und nun stand er auf der Kuppe einer Düne, wo ihm der Seewind mit dem Duft von Meer, Sand und Gras das schwarze Fell sträubte und konnte so weit sehen, dass er das Meer nicht mehr vom Himmel unterscheiden mochte. Er stellte die Ohren auf, hob die schmale Schnauze und genoss dieses wilde Gefühl von Weite und Wind, das ihn beinahe von seinen Zehenspitzen hob und in das Brausen hinaus trug. Die Welt roch wunderbar, so frisch und rau, aufregend und größer, als sein Wald. Der Fuchs hatte sein Leben im grünen Zwielicht zwischen den Stämmen verbracht, in weichem Regen und feinem Schnee, wo man ihn mit seinem dunklen Pelz kaum sah. Dort gehörte er hin. Das hier war besser.
Für diesen Sommermonat würde Findus mit seinen Eltern ein kleines Haus bewohnen, mit einem versandetem Garten direkt am Kanal. Bescheiden, aber sauber und hübsch. Sein Zimmer lag unter dem Dach, blau betäfelt mit einem kleinen Bett unter dem Fenster, einem Tisch mit Stehlampe und einem schmalen Schrank in der Ecke, alles aus rauem weißem Holz. ffnete er die Tür, konnte er den Wind hindurch fegen lassen. Vom seinem Fensterbrett aus, kaum groß genug um darauf zu sitzen, sah er über die grauen Dächer hinweg das Meer und die Dünen.
Heute Vormittag waren sie angekommen, er hatte seinen Koffer ins Zimmer geschleudert und war zum Empfang gelaufen, um sich ein Motorboot und ein Fahrrad auszuleihen. Nach einem schnellen Mittagessen "von leichter Seemannskost" wie sein Vater zu sagen pflegte (womit er Kartoffeln, Fisch und Salat aus dem Supermarkt meinte, wie es sie bei ihnen zu Hause auch gab, nur dass sie die Verpackung nicht richtig lesen konnten.) und einem Spaziergang durch die Altstadt, zogen seine Eltern davon, um sich bei einer Fellbehandlung und anschließender Wellness von der Reise zu erholen.
Findus dagegen brannte darauf, die ungeheure Masse an Wasser zu erkunden, die sich durch viele Adern tief ins Land hineinzog und alles mit dem Geruch der See tränkte. Da war Etwas, etwas Aufregendes, an all den alten Häusern, die die Kanäle säumten, an den Meilen von Rohrkolben und den säumenden Gras- und Sandhügeln. Er würde nicht einmal ein Hundertstel davon befahren können, außerdem hatte ihm die alte Katze am Empfang streng geboten, mit dem Boot in einem Radius von 15 Meilen zu verbleiben, sichtlich verdrossen, dass sie ihm angesichts seines frisch erworbenen Führerscheins die Schlüssel für Eines ihrer Boote aushändigen musste.
Das Boot selbst war bloß ein paar Jahre alt, schmal und windschnittig aus leichtem Holz geschnitten doch nur mit einer Hand voll Pferdestärken, sodass er kaum über zehn Kilometer in der Stunde hinauskam. Gut genug für die Kanäle war das allerdings alle Mal und die offene See war ihm ohnehin verboten worden. Der schlanke, schwarze Fuchs lehnte sich also in den Sitz zurück, ließ eine Pfote ins Wasser hängen und genoss den Wind um seine Schnauze, als er behutsam vom Haus wegsteuerte und die Brücken zur Hafenstadt passierte.
Die Stadt Alkum war nach und nach im 17. Jahrhundert um den Hafen herum entstanden und erstreckte sich mittlerweile eine halbe Meile entlang der unzähligen Kanäle ins Land hinein. Hohe Häuser aus braunem, schwarzen und rotem Backstein mit schmalen Fenstern und eleganten Vorgärten und leere Fabrikhallen aus der Industrialisierung des letzten Jahrhunderts, voll rottender Maschinen und Kohlestaub, der noch immer aus den Fensteröffnungen pfiff, zogen an ihm vorbei. Aufregender noch waren die verwachsenen Werften, klein und groß, in denen tatsächlich noch das ein oder andere Schiff aufgebockt war. Ein rostender Fischerkahn hing vor einer davon, mit schwerer Schlagseite und finsterer Kajüte, die nun ein Heim für Vögel bot. Vor einer Anderen lag ein Zweimaster am Grund des Kanals, abgesperrt mit gelben Ketten, die Masten nur zwei Fuß über Wasser.
Findus würgte den Motor ab, hob ihn aus dem Wasser und griff nach dem behelfsmäßigen Ruder. Die Katze vom Empfang würde ihm den Schwanz abbeißen, sähe sie, wie er das Boot an die algige Takelage heransteuerte und sich vorsichtig auf dem verwitterten Holz niederließ. Dort saß er für eine Weile, sah auf das Wrack unter sich herab und angelte mit einer Eisenkette nach einer Schiffslaterne, die dort unten auf dem Deck lag. Es war nicht so, dass die Stadt im Verfall begriffen war. Doch die Zentralisierung hatte nichts übrig gehabt für diesen verwinkelten, unpraktischen Stadtteil und so waren nun nur noch die Hälfte der Häuser bewohnt und die Arbeit in die hellen, sauberen Hallen der Hafenbucht verlegt worden.
Die Sonne hatte den Zenit vor guten zwei Stunden überschritten, doch noch immer war der Wind der Hitze nicht ganz gewachsen. Findus fühlte sich träge und glücklich, als er in einem weiten Bogen aus der Stadt hinausfuhr, zurück zur See, und auf den Seiten wieder Sand und tief hängende Bäume erschienen. Die Häuser standen nun nicht mehr Rücken an Rücken sondern schmiegten sich in lange wilde Gärten, zwischen denen das Meer in der Nachmittagssonne glänzte. Hier draußen war der Platz weniger knapp als in Alkum und so fuhr die Brise wieder über ihn hinweg, mit der gleichen Rauheit und dem Geruch von Salz und den raschelnden Rohrkolben.
Das GPS im Bug piepte. Zeit für ihn, umzudrehen. Findus beschloss, eine halbe Meile weiter hinauszufahren um eine Biegung im Meeresarm zu nutzen, die ihn auf einfacherem Wege zurück zum Haus geleiten würde. Auf dem Display erschien ein blinkender roter Punkt und er fragte sich besorgt, ob man seine Route nachverfolgen konnte. Er hob den Blick vom Bildschirm und seine Ohren stellten sich auf. Am Ufer saß ein zarter sandfarbener Fuchs auf einem verwitterten Steg und sah zu ihm hinüber. Oh, er war schön. Ein fein gezeichnetes Gesicht mit hellen Augen und langer Schnauze, die Ohren schmal und weich. Das fließende Fell um den leichten Körper war zerzaust und an vielen Stellen noch feucht. Er trug keine Badehose, doch der dichte Pelz und die Böhen verbargen sämtliche verdächtige Formen.
Der Wind wehte seinen Geruch herüber und ließ Findus schnuppern. Meer, junger Fuchs und... etwas Süßes, etwas Aufregendes. Er schlug die Augen nieder, doch er spürte den Blick auf sich und er konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen. Der buschige Schwanz hing ins Wasser und der Helle lehnte sich mit vorsichtigem Interesse nach vorne zu ihm hinüber, gerade so, dass es auch einfach reine Gemütlichkeit sein konnte. Findus trieb vorbei, die Hand am Ruder, so sehr versucht, den Motor abzustellen, dass seine Pfote zitterte. Seine Verlegenheit war ihm seltsam. Im letzten Moment fasste er den Mut, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Das Eine grau, das Andere ein schwaches Braun und so hell, so freundlich, dass sie beinah leuchteten. Und gerade, als er um die Biegung fuhr, zwinkerte ihm der Fennec zwischen dem Gras zu.
Für den Rest des Weges war Findus´ Trägheit verschwunden. Wer war das denn? Er hatte noch nie etwas anderes, als Füchsinnen probiert und wenn er ehrlich war, hatte er auch auf deren Gebiet nicht sonderlich viel Erfahrung. Doch nun ließ der Gedanke an den Fennec seinen Schwanz vor Aufregung im Boot hin und her zucken. Er hatte so nett ausgesehen, so rein und liebenswert. Der Helle musste sein Leben an der See verbringen, draußen in Wind und Sonne. Sein Geruch war wunderbar fremdartig, so viel leichter als Findus´, dem Harz und Regen im Fell hingen. Es war diese Wildheit von Sand und See, gepaart mit der Vertrautheit eines so schönen Artgenossen, die dem schwarzen Fuchs das Fell aufstellten. Nun, da er darüber nachdachte... War nicht so, dass er es nicht auch schon früher in Erwägung gezogen hatte...
In Träumereien wie diese versunken legte Findus am heimatlichen Pier an und lief hoch ins Wohnzimmer. Seine Mutter war damit beschäftigt, Sonnenhüte und Verpflegung in einen Seesack zu packen.
"Wie ist dein Boot? Dein Vater und ich haben für heute eine Fahrt mit einem Segelschiff entlang der Küste gebucht - Klingt nach gerade dem Richtigen für dich."
Findus brummte nur und half ihr, den Seesack in ihren alten Kombi zu schaffen. Es war eine kurze Fahrt hinunter zum Hafen, die der Fuchs auf dem Dach verbrachte, mit den Beinen durch das Schiebedach. Sein Vater mochte nur zähneknirschend eingewilligt haben, doch da sie die 30er Zone nie verließen, konnte er kaum etwas dagegen einwenden.
Das "Segelschiff" stellte sich als altes, einmastiges Fischerboot heraus, das ordentlich hergerichtet und lackiert worden war. Die Segel wurden nur zum Schein gehisst, denn im Heck blubberten zwei nachgerüstete Motoren. Nichtsdestotrotz, es waren kaum andere Passagiere an Bord und so konnte sich Findus am Rand des Bugs niederlassen und den schäumenden Wellen zusehen, wie sie sich an den Kanten brachen und nur um Fingerbreite an ihm vorbei emporspritzten.
Es war spannend, an der Küstenlinie entlang zu rauschen, doch Findus selbst fühlte sich wohler auf den Dünen selbst, wo man den Sand und das Gras riechen konnte. Zu seiner Linken zogen sich See und Himmel bis zum ewig weit entfernten England. Unter ihm erstreckte sich nichts als Wasser, auf dessen Grund er nicht herabsehen konnte. Der Gedanke jagte ihm keine Angst ein, doch angenehm war er auch nicht. Die Reise sollte vier Stunden dauern, doch nach kaum 50 Minuten frischte der Wind auf und drückte die leichten weißen Wolken auf wenige hundert Meter heran, zusammen mit einer dunklen Masse voll Unwetter die jedoch parallel zu ihnen vorbei zog.
Hier draußen auf dem Meer konnte Findus das Gewitter nicht riechen und es war laut dem Kapitän auch Keines angesagt gewesen. Doch als das Hauptsegel zu schlackern und brausen begann, das Boot schlingerte und bockte, entschied sich der kräftige, graue Wolf, umzukehren. Die Fahrgäste wurden unter Deck gebeten, wo Kuchen und Kaffee serviert wurden. Findus selbst blieb an Deck und gesellte sich zum Kapitän, der ihm freundlich zu nickte und um Hilfe beim Einholen der Segel bat. Es war eine angenehme Arbeit, den Anweisungen nach die Seile aufzuwickeln und die Stege zu befestigen.
Kaum geschehen, nahm das Schiff enorm an Fahrt auf, um unter dem Rauschen und Brüllen der Motoren dem Regen davon zulaufen. Mit gut 12 Knoten schossen sie nun vom Hell ins Dunkel und wieder ins Licht, unter Lücken zwischen den Wolken hindurch. Hinter ihnen brodelte das Unwetter, doch mit jeder zurückgelegten Meile wurde es klarer um das Schiff. Der schwarze Fuchs stemmte sich an der Reling gegen den Wind, reckte sich in die Gischt und sah mit Freude, wie sich sein Fell von tiefem Schwarz in Grau verfärbte, als die See und die harte Brise hindurch fuhren. Die Wellen schlugen gegen den Rumpf wie Donnerschläge und die Böhen zerrten an Ohren und Schwanz. Inmitten all dieser Wildheit schlug sein Herz schneller und er fühlte sich schnell und mutig.
Und es war hier, im Wirbelwind der zwei kalten Elemente und seiner Übermut, dass Findus den Beschluss fasste, nach dem sandfarbenen Fuchs zu suchen. Er wusste, dass ihm diese Gelegenheit keine Ruhe lassen würde, bis er sich nicht Klarheit darüber verschafft hatte, wie es wirklich um ihn stand. Solange das Gewitter also nicht über ihre Hafenstadt hereinbrach, so schwor er sich, würde er schon an diesem Abend losziehen.
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Um halb neun zog er die Tür hinter sich zu und trabte den Kiesweg zum Hafen hinunter. In seiner Pfote eine Karte, auf der er sich vage die Route und das Ziel markiert hatte. Er würde nur die Randbereiche der Stadt durchqueren, nicht das Herz wie beim letzten Mal. Danach ging es für eine Weile durch flache Dünen und über einen Damm bis er schließlich die Gegend der großen Gärten erreichte. Im Nachhinein war es unmöglich zu sagen, welches der alten Häuser dort dem sandfarbenen Fuchs gehörte, hatte er in der Überaschung doch kaum genug Geistesgegenwart besessen, um sich die ungefähre Position auf dem Kanal zu merken.
Alkum am Abend wäre in jedem anderen Fall ein Abenteuer gewesen, doch diesmal hatte er keinen Blick für all das Alte und Verwinkelte und lief stattdessen seiner Schnauze nach. Der Wind pfiff an den Hauswänden der Gasse und wehte den Staub in einem Strom entlang der Ziegel, die unter dem Druck der See vibrierten. Findus bemerkte nichts davon. Als der schwarze Fuchs schließlich aus dem roten Dämmerlicht der Stadt in das Grün und Blau der Dünen trat, beschleunigte die Unruhe seine Schritte nur noch. Der Kies flog förmlich unter seinen Pfoten, so leicht war ihm. Wenn er das Haus fand, würde er anklopfen und nach dem Weg in die Stadt fragen, hatte er beschlossen.
Neben ihm verliefen kleine Mauern und Zäune, tief hängende Weiden und Kiefern, wie sie in den Regionen ums Meer wuchsen. Die Häuser waren schön, doch teils ein wenig verwahrlost und keines der Autos auf der engen Straße ließ auf sonderlichen Reichtum schließen. Findus wanderte für eine halbe Stunde, zunehmend nervöser, denn keines der Grundstücke schien das Richtige zu sein. Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über dem Horizont und auf der anderen Seite des Himmels ging das Abendblau schon in das Grau der Nacht über.
Schließlich allerdings, vor einem kleinen grünen Gartentor, meinte er einen schwachen Funken des Duftes aus der Brise und dem Rascheln zu erschnuppern. In der Tat, zwischen den Bäumen hindurch sah er das blasse Band des Meeresarms und die Biegung, um die er verschwunden war. Sein Schwanz zuckte aufgeregt, als er einen Finger zur Klingel hob. Und dann zog er ihn klopfenden Herzes wieder zurück. Was, wenn der Fennec sich nur einen Spaß mit ihm getrieben hatte? Wenn das Zwinkern einfach nur eine Geste lässigen Übermuts gewesen war? Er würde ihn zweifellos als den Schwarzen vom Fluss wiedererkennen und der Spott wäre groß. Was, wenn...
"Hey." Findus machte einen Satz in die Hecke und der Duft traf seine Schnauze süß und klar. Er fuhr herum. Auf dem Dach eines alten Mercedes`, mit Blick über Straße und Kanal, saß der Fennec und sah aus glücklichen Augen zu ihm hinunter. So, wie er dort oben im blauen Halblicht lachte, war er genauso schön, wie es Findus in Erinnerung hatte. Die schmalen Ohren leicht angelegt, nicht ängstlich aber vorsichtig, und ein schüchternes Grinsen auf dem Gesicht, das seine weißen, scharfen Zähne entblößte. "Ben je verdwaald?" Findus brachte nur ein verlegenes "Uh" zustande und wischte sich ein Blatt aus dem Fell.
"Ah. Hast du dich verlaufen?" Der Helle hatte einen weichen Akzent und eine ungewöhnliche Betonung. Findus gefiel der Klang sofort.
"Nein." Er hätte sich die Zunge abbeißen mögen, doch seine Notlüge kam ihm nicht in den Sinn.
"Gouwt." Der Fennec sprang vom Dach und landete kaum einen Fuß vor Findus auf dem Weg. So zart und leicht, dass der schwarze Fuchs unwillkürlich mit dem Schwanz zu wedeln begann. Sein Gegenüber bemerkte es, lachte und kam doch nicht umhin, in den Rhythmus einzufallen. Findus konnte nun die gleiche Aufregung an ihm riechen, wie an sich selbst. Er war so niedlich.
"Ich bin Kand.", stellte er sich vor und Findus erwiederte. Sie berührten Schnauzen. Eine höfliche Geste, doch so viel sanfter und zärtlicher. Er trug ein verblasstes gestreiftes T-Shirt und eine vom Seewasser verschlissene Hose. Keine Schuhe; nur ein heller Schemen Seeluft vor ihm, der unschlüssig den Weg hinunter blickte.
"Bist douw wandern?", fragte er.
"Mhm. Möchtest du mitkommen?"
Der Fennec strahlte und Findus grinste zurück. Er zeigte Richtung Stadt und sie schlenderten los. Kand lief leicht und mühelos, ganz das zarte Geschöpf, das den schwarzen Fuchs so sehr in seinen Bann gezogen hatte. Die Art und Weise wie der Sandfarbene in den Dünen aufging, machte Findus ein wenig befangen, denn er selbst fühlte sich wie ein Schatten am falschen Ort. Doch die leuchtenden Seitenblicke, die ihm der Fennec zuwarf, vertrieben das Gefühl.
So nahmen sie Findus´ Weg zurück, durch Straßen und Gassen, über die Dünen und schließlich aus dem Sand aufs Pflaster der Hafenstadt. An den hohen Wänden flackerten die Plakate und das Mauerwerk rückte zusehens näher zusammen, als sie tiefer vordrangen. Der schwarze Fuchs wusste schon bald nicht mehr wohin, dafür schien Kand eine bestimmte Richtung einschlagen zu wollen. So ließ er ihm an einer geeigneten Stelle den Vortritt und der Helle ließ es kommentarlos geschehen. Wieder hatte Findus keinen Blick für die Stadt selbst, doch seine Unruhe war angenehmer Vorfreude gewichen.
Sie sprachen kaum ein Wort, doch an den schmalen Stellen berührten sich ihre Schwanzspitzen bei jedem Schwung. Es war, als folgte er einer Seebrise durch die Straßen. Möwenrufe und der Geruch von Wasser drifteten über den Dächer und Kand hielt inne. Die beiden standen vor einem niedrigen Torbogen, unter dem Gäste jeglicher Spezies und Alters ein- und ausgingen. Der Helle zeigte hinein und Findus fand sich in einem Innenhof wieder, staubig und verwachsen, mit einer Reihe von Tischen, die sich entlang eines Meeresarms auf verblichenen Holzbohlen zogen.
Inmitten der anderen Gäste fanden sie einen Korbtisch und eine Bank. Das Holz war feucht und knirschte, doch Findus hätte das kaum weniger kümmern können. Nur eine Fingerbreit von ihm entfernt schmiegte sich der Fennec in die Lehne und sah an ihm vorbei aufs Meer. Vielleicht auch nicht aufs Meer, doch Findus wollte den Kopf nicht drehen. Sein Nackenfell sträubte sich, als ihm der Duft des Sandfarbenen um die Schnauze fuhr, die Mischung aus See, Wind und hübschem Fuchs.
Eine Kellnerin nahm ihre Bestellung auf und widmete sich noch im gleichen Gang zwei anderen Tischen. Die Sonne teilte sich, verlief am Horizont und zwei kleine Teller mit Lachs oder Forelle oder was auch immer wurden serviert. "Woher kommst du?", fragte ihn Kand und Findus erzählte von seinem Wald. "Ah. Schnee.", seufzte sein Gegenüber sehnsüchtig. Als der Schwarze hinzufügte, wie sehr ihm die Dünen und das Meer gefielen, lachte Kand und berichtete von seinen Ausflügen in die Tannenwälder im Landesinneren.
Findus lief ein Schauer den Rücken hinunter, als er sich das zarte, helle Geschöpf in der Dunkelheit des Tannöds vorstellte und wie hübsch die flackernden Augen aussehen würden. Wie ein Geist. War es nicht seltsam, dass etwas, das hier im rauen Norden so wunderbar mit den Elementen verschmolz, dort unten einem Fabelwesen glich? Er schloss die Augen und dachte an Meeresduft zwischen dem schweren Geruch von Tannennadeln.
Mit dem Grau der Nacht kam die Kälte. Doch erst, als nur noch ein schmaler Strich warmes Rot über der See lag, verließen sie das Restaurant. Es war aufregend gewesen, sich mit dem Fennec zu unterhalten. Aufregend und seltsam zugleich. Er sprach mit leiser, sanfter Stimme in seinem netten Akzent von Tannen und Schnee, von Ferien und Angeln. Und er sah so lieb dabei aus, dass der schwarze Fuchs kaum einen Bissen herunterbrachte. Doch, hier war sich Findus sicher, sie ließen in ihren Gesprächen etwas aus, etwas, worüber sie beide gerne geredet hätten und das sie doch nur schwerlich greifen konnten.
Die Gassen lagen nun schummrig und wurden zunehmend spärlicher ausgeleuchtet, je näher sie dem Rand der Stadt kamen. Findus hatte gelernt, sich selbst bei Nacht und Regen an der Grenze zwischen tiefen Ästen und Moos zurecht zufinden. So genoss er es dort zwischen den Schatten und dem spärlichen Rest des blauen Abendlichtes. Kand jedoch lief langsamer und vorsichtiger, stolperte einmal beinah über den Randstein und legte die Ohren an. Ob vor Scham oder Kälte mochte Findus nicht so recht sagen.
"Meine Nachtsicht ist nicht gut.", gestand er schließlich ein. Findus wollte nichts mehr, als dem Hellen die Arme umwerfen und ihn auf den sicheren Gehweg hinaufziehen. Sie rückten bis auf einen Handbreit zusammen, wobei der schwarze Fuchs mit seiner Pfote an der des Hellen vorbei strich. Beim ersten Mal versehentlich, beim nächsten Mal mit Vorsatz und oh, wie sich sein Fell dabei vor Aufregung sträubte. Kand funkelte ihn glücklich an und als er erneut strauchelte, griff er sanft danach. Es war kaum mehr, als eine vorsichtige Berührung der Pfotenballen, doch bis zum Ende der Stadt war Findus die Spannung von der Schwanzspitze bis in die spitzen Ohren gefahren.
"Wohin?" stand vor ihnen beiden und der schwarze Fuchs wäre in Anbetracht der Möglichkeiten vor Aufregung beinahe die Düne hinuntergefallen, so sehr wirbelte sein Schwanz. Er bemerkte die gleiche Aufregung in dem zarten Fennec an seiner Seite und schließlich hielten sie inne. Nach Hause? Undenkbar, nicht in das Gewitter, das seine Eltern entfesseln würden. Schlimm genug, dass er zu spät war. Ein fremder Fuchs, so hübsch und so sichtlich aufgeregt wäre schlimmer, als all seine Fehltritte zusammen.
Kand musste die gleichen Gedanken gehabt haben, denn er hatte die Abzweigungen zu seinem Haus mit Bedacht gemieden. Bis zu der Letzten, die, vor der sie nun standen. Der Sandfarbene zitterte in seinem Sommerfell, denn die Böhen waren scharf und feucht. Findus hob schüchtern den Kopf und sah ihn an. Kand flackerte zurück und zog sachte an seiner Pfote. Der schwarze Fuchs zog zurück, fester noch, bis er und der Fennec in einer Umarmung auf dem staubigen Pflaster standen. Nicht für einen Augenblick dachte Findus darüber nach, dass Kand keine Füchsin war. Er war einfach zu hübsch, zu lieb, zu... aufregend. "Humm... Sneeuw" seufzte der Helle mit einem Atem wie Seewind, als er die zierliche Schnauze in Findus´ Brustfell vergrub. Er schmiegte sich an ihn mit leichten Armen und sein feines, kühles Fell verschmolz mit dem Schwarzen.
Findus sog die sandfarbene Version von Meeresduft und Fuchs ein, bis er sie auf der Zunge schmecken konnte und seine Erregung ihn beinah trunken machte. An ihm bebte der Helle in gleicher Weise, leckte ihm unter Winseln und Knurren über die Schnauze bis in den Rachen und rieb sich an ihm, dass Findus die kleine, feuchte Felltasche spüren konnte, die er sich bei ihrem letzten Zusammentreffen nur hatte ausmahlen können. Er roch Kands Vorfreude, wollte die Pfote danach heben und da spitzte der Helle die Ohren.
Fernes Motorengeräusch, ein Lichtkegel und auf einmal war der Fennec zwei Schritte weiter weg, die Ohren gänzlich angelegt und mit einem erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht. "Vater.", hauchte er und wusste nicht wohin. Etwas in seinem Blick sagte Findus, dass die Nachtsicht des Fahrers ausgezeichnet war und sie nicht einfach ein Paar Sprünge die Dünen hinunter wagen konnten. Der Wagen holperte näher und der schwarze Fuchs wünschte, sie wären noch immer in den Gassen, wo sich ein Geruch inmitten des Staubs und Drecks für kaum zwei Meter hielt.
Kands Miene hellte sich auf und er zeigte auf die andere Seite der Straße, dort, wo der Wind ihren Duft die Sandberge hinunter blies. Als das Auto anhielt und das Fenster hinuntergekurbelt wurde, standen sie schon auf dem Kies, zugleich erleichtert und enttäuscht. Findus, der einen Fennec hinter der Glas erwartet hatte, konnte seine Überaschung nicht verbergen, als das Antlitz eines seltenen Mähnenwolfes darüber auftauchte.
"Zo laat?", fragte er und warf Kand einen mahnenden Blick zu. Der Helle antwortete schnell und leise, offensichtlich beschämt, aber mit eine Hauch von Trotz. "Okay.", brummte der ältere Wolf. "Möchtest du nach Hause fahren?", wandte er sich dann an Findus. Der Gedanke, in seinem Zustand in ein geschlossenes Auto mit dem Vater seines... mit Kands Vater zu steigen, war unmöglich. "Ich wohne nicht weit von hier. Werd den Weg schon finden."
"Gut." "Kom je?" Das war an Kand gerichtet, der ihn flüchtig mit der Schnauze berührte, so sehnsüchtig, wie es ein unverdächtiger Stups nur sein konnte, und auf den Beifahrersitz sprang. "Morgen?", hörte er ihn noch wispern, dann war er schon an ihm vorbeigezogen. Es war wirklich kein langer Weg nach Hause, doch Findus benötigte doppelt so lange wie sonst, so sehr war er in Gedanken versunken. Der kalte Wind vertrieb die Trance recht schnell und übrig blieb ein glücklicher, schwarzer Fuchs, noch immer zittrig in Erinngerung an den Sandfarbenen.
Staub pfiff über das Pflaster. Der letzte Rest Abendlicht sank hinter die Dächer. Nacht und Ruhe über der Stadt. Weit und windig.
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