Unter Drachen 1 - Eine ungewöhnliche Begegnung
#1 of Unter Drachen
Teil Eins der Geschichte um einen Menschen, der als Lord Eldingar mit und bei den Drachen lebt.
Ich versuche dabei die Gedanken und Empfindungen des Menschen in den Vordergrund zu stellen. Daher sind besonders die ersten Teile eher gesprächslastig und bringen keine großen Actionhöhepunkte. ;)
Hoffentlich gefällt es trotzdem.
Unter Drachen
1. Eine ungewöhnliche Begegnung
Das Frühstück hier im Trekkinghotel im Tal des Adyl-Su ist verspeist, ich schaue noch mal aus dem Fenster. Alles klar, es ist allerbestes Wetter, also packe ich meine Sachen - heute will ich die Schchelda hoch wandern.
Der Wanderurlaub im Kaukasus dieses Jahr fängt richtig gut an, bei jetzt richtig schönem Wetter hier um den Elbrus. Bevor ich mich gestern in meine Trekkingklamotten geworfen hatte, waren die ersten beiden Tage zwar wettermäßig etwas durchwachsener gewesen, aber da ich, um mich ein wenig zu akklimatisieren, ohnehin mit dem Auto und den Bergbahnen erst mal den Elbrus 'besichtigt' hatte, war das nicht weiter störend. Aber pünktlich zu meinem Einstieg gestern in das Adyl-Su-Valley wurde das Wetter besser. Sonnenschein, aber nicht zu warm - da macht das trekken richtig Spaß. Gestern bin ich gemütlich entlang des Flusses Adyl-Su das Tal hinauf gewandert, um in den Unterkünften hier ein paar Tage zu übernachten und die Seitentäler zu erkunden. Zwar sind die Unterkünfte einfach, aber ich brauche ja nur ein Dach über den Kopf zum Schlafen und das Frühstück ist reichhaltig. Ja, und heute will ich eben ins Seitental der Schchelda, das gleich hier beginnt - das verspricht, ein schönes Gebirgsbachtal zu sein.
Der gut begehbare Weg führt anfangs überwiegend durch dichten Wald, teilweise nahe der Schchelda entlang das Tal hoch. Eine gute Stunde später wird der Wald teilweise etwas lichter und der Weg bietet schöne Ausblicke über das Tal. Oder ich überquere kleine Lichtungen und höre den Bach über die Steine rauschen, während die Vögel zwitschern und die Insekten zwischen den Pflanzen summen. Nach ungefähr vier Stunden erreiche ich eine große Fläche auf der sich die Schchelda mit ihren Sand- und Kiesbänken ausgebreitet hat, die mitten durch fließt. Ein lockerer, niedriger Bewuchs aus kleinen Kiefern und Tannen gemischt mit Büschen bildet Vegetationsinseln, die sich zwischen die Kiesbänke vorschieben.
Dieser Ausblick und die warme Sonne laden mich zur Pause ein. Ja, ein wenig könnte ich schon essen, es ist ja gegen Mittag, also bin ich mit ein paar schnellen Schritten durch das hohe Gras unten und finde auf meinem Weg über die eher spärlich bewachsenen Kiesfelder - wobei ich die Bereiche mit den groben Geröll umgehe. Neben so einer Vegetationsinsel finde ich einen Bereich mit schönem feinen Kies, auf dem ich es mir bequem mache und hole mir die Butterbrote und einen Energieriegel aus dem Rucksack.
Nach zwei Broten mit einer Art Salami und ein paar Schluck Tee, lege ich mich zurück und entspanne mich um mir ein wenig die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen.
Irgendwo hinter mir raschelt es im Gebüsch - ein Tier? Ich horche - nein nach einen Bären klingt es nicht, also bleibe ich ruhig liegen, wenn es mich bemerkt, wird es sicher schnell verschwinden, da brauche ich es nicht erschrecken. Hm, vielleicht ein kleines Nickerchen... Vielleicht zwei, drei Minuten später höre ich ein leises Knirschen im Kies neben mir und dann ein Schnuppern, erst rechts neben, dann vor und über mir. Ein warmer Atem streift mein Gesicht. Ah ja, da wird ein anderer Wanderer wohl seinen Hund dabeihaben, der hier jetzt neugierig umherstreift. Langsam mache ich ein Auge etwas auf, bemüht mich nicht zu bewegen, ich will den Hund nicht erschrecken. Gegen die Sonne kann ich kaum einen Schattenriß erkennen.
- Nein, das ist kein Hund. Ein Reh, oder eine Gazelle - gibt es Gazellen hier? Keine Ahnung, so genau habe ich mich über die Tierwelt hier nicht informiert. Jedenfalls ist das Tier sehr zutraulich. Ich mache langsam beide Augen auf und versuche mich an das Licht zu gewöhnen. Als die Gazelle bemerkt, dass ich sie ansehe, legt sie den Kopf etwas schief und sieht mich aus großen, hübschen grünen Katzenaugen an.
„Hallo" sagt eine Kinderstimme. -
Ich antworte
„Hallo, gehört Dir die Gazelle?"
Die Gazelle hebt den Kopf und blickt sich um.
„Welche Gazelle?" fragt die Mädchenstimme.
- Richtig, welche Gazelle... - jetzt, da meine Augen sich an das Licht angepasst haben, frage ich mich das auch: Kopfform und Hörner passen ja noch halbwegs zu einer Gazelle, aber die laubgrünen Schuppen und die hellgrünen Katzenaugen irgendwie nicht so recht.
„Tja, wenn das, was mich hier gerade interessiert ansieht, keine Gazelle ist - was ist es dann?" frage ich das Mädchen.
Die Gazelle zeigt mir plötzlich eine beeindruckende Anzahl spitzer Zähne, was auf mich aber nicht bedrohlich wirkt, eher als würde sie grinsen. „Ach so" sagt das Mädchen. „Du meinst mich - ich bin ein Drache."
Aha, Ja nee, ist klar jetzt. Ein Drache. Und der spricht mit mir.
„Bitte mache keine Scherze mit mir." sage ich dem Mädchen.
Die Gazelle sieht mich an und schüttelt energisch den Kopf.
„Nein ehrlich, ich bin ein Drache." antwortet das Mädchen.
Langsam richte ich mich auf, um keinen zu erschrecken. Die Gazelle geht einen Schritt zurück und sieht mir zu, wie ich mich kurz umsehe. Nirgends ein Mädchen oder überhaupt jemand zu sehen. Ich sehe wieder die Gazelle an. Moment mal, das Mädchen hatte ja gesagt. 'ICH bin ein Drache.' Könnte...?
Sie hatte mich interessiert beobachtet, schnuppert jetzt aber an meinem Rucksack. Jetzt kann ich sie mir auch besser ansehen. Der ganze Körper ist mit feinen laubgrünen Schuppen bedeckt, die Brustschuppen sind deutlich größer, eher platten-ähnlich und etwas heller. Die fast schwarzen, nach hinten zeigenden Hörner sind recht kurz, scheinen aber noch wachsen zu wollen. Auf dem Nasenrücken finden sich größere, breite Schuppen, die von den Nasenlöchern bis zu Stirn laufen und auch etwas heller im Grün sind. Die Hinterbeine sind denen einer Raubkatze sehr ähnlich, aber die Vorderbeine wirken eher wie Arme mit feinen fünffingrigen Händen, fast menschlich, nur eben mit Schuppen bedeckt und mit offensichtlich scharfen Krallen bestückt.
Ja und dann die Flügel, fast wie bei einer Fledermaus, die Arme und Hände der Flügel zeigen auch feine Schuppen, die Flughaut ist glatt. In der Farbe wie der Körper. Also, wenn das kein Drache ist... Aber wie und woher, das müsste doch eigentlich bekannt sein...
Zum Glück scheint zumindest dieser Drache eine freundliche, friedliche Art gegenüber Menschen zu haben, nicht so wie in einigen mittelalterlichen Sagen. Denn auch wenn sie nur etwas größer als ein Reh ist - wobei da noch der ebenso lange schlanke Schwanz dazukommt - mit ihren Zähnen und Krallen könnte sie mich sicher ganz schön zurichten, ohne dass ich mich wirklich wehren könnte.
Inzwischen hat sie sich fast so wie eine Katze hingesetzt und sieht mich wieder mit ihren hellgrünen Katzenaugen an - falsch: Drachenaugen. Ich kratze mich am Kopf.
„Entschuldige Bitte, dass ich Dir nicht geglaubt habe. Aber ich sehe jetzt, dass Du anscheinend wirklich ein Drache bist, bzw. eine Drachin. - weißt Du, bei mir zu Hause gibt es nämlich keine und dass hier welche leben, war mir nicht bekannt."
Wieder zeigt sie mir ihre beeindruckenden Zahnreihen, das kann hoffentlich nur als freundlich gemeintes Grinsen gemeint sein.
„Ach so. - Ja hier sind nur ganz wenige, aber bei mir zu Hause gibt es noch mehr von uns."
Ihr Gesicht wird ernster, sie senkt den Kopf und gräbt etwas verlegen mit Ihren Krallen im Kies. „Duuuu..." sie sieht mich so von unten her an... „ich habe ein bisschen Hunger - und Du hast da..." Ein Seitenblick auf den Müsliriegel.
Jetzt grinse ich.
„Ja, klar, ich habe mehr mit, als ich brauche - aber der Müsliriegel ist wohl nicht so das rechte, das Zeug bleibt Dir nachher in den Zähnen kleben. Und soweit ich weiß, ernähren sich Drachen auch eher von Fleisch, oder? Ich habe immer etwas Trockenfleisch mit, sogar ungewürztes, das ist sicher besser."
Sie nickt heftig. Wieder muss ich grinsen und greife mir den Rucksack, kaum habe ich den Deckel auf, steckt schon ihr Kopf drinnen und ich höre, dass sie intensiv schnuppert. Ich lasse sie erstmal machen. Nach einem Moment fällt ihr offenbar irgendetwas ein, sie zieht ihren Kopf wieder aus dem Rucksack und sieht mich richtig schuldbewusst an, wieder im Kies scharrend.
„Oh, entschuldige bitte - das war unhöflich, aber es riecht da drin so interessant... und ich bin so neugierig auf euch Menschen..." -
Lächelnd streiche ich leicht mit meinem Zeigefinger über die Schuppen auf ihrem Nasenrücken, die sich gleichzeitig hart, aber auch irgendwie ganz weich anfühlen. Sie scheint das zu mögen.
„Ist schon gut," sage ich zu ihr „wir können ja nachher den Rucksack schnell auspacken, dann siehst Du was da drin ist."
Sie nickt - und wirkt irgendwie froh, dass ich ihr nicht böse bin.
Das Trockenfleisch habe ich schnell gefunden und die Tüte aufgemacht. Ein kleines Stück nehme ich mir aus der Tüte und esse davon, um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Sie schnuppert an meinem Stück Trockenfleisch, dann an der Tüte und angelt sich mit zwei Fingern, bzw. den Krallen, vorsichtig ein Stück heraus. Schwupps ist ein Stück abgebissen. Oha, also eine Gazelle mit Dinosauriergebiss - das ist definitiv ein Drache...
„Mmmmh, das schmeckt gut - darf ich noch..."
also dieser Drache hat den 'Hundeblick' drauf, sogar mit Katzenaugen, keine Frage.
„Klar, iss nur." antworte ich.
Sie rückt an meine rechte Seite, schmiegt sich regelrecht an, legt ihre linke Hand vorsichtig auf meine Rechte, in der ich die Tüte halte, darauf achtend mich mit den Krallen nicht zu verletzen - offensichtlich ist ihr klar, daß meine weiche Haut auf Ihre Krallen nicht unbedingt gut zu sprechen wäre. Ihre Handinnenfläche ist ganz weich, mir scheint so, dass sie mir leicht über die Hand streichelt und ich spüre ihre Körperwärme, es ist richtig angenehm. Sie angelt sich nach und nach weitere Fleischstücke aus der Tüte. Obwohl die die Fleischstücke sicher auch ganz schlucken könnte, beißt sie immer kleine Stückchen vom Trockenfleisch ab, so fällt es fast nicht auf, dass sie mit ihrem Gebiss ja nicht kauen kann.
In der Zeit betrachte ich sie und überlege, wo hier wohl so ein Drache wohnt und warum keiner was davon weiß. Aber irgendwie vertraut kommt es mir auch vor - ich komme gar nicht auf die Idee, dass hier was falsch ist, oder dass ich Angst haben müsste. Hat sie mich telepathisch unter Kontrolle? Denn, wie verstehen wir uns eigentlich, wir sind hier in der Russischen Föderation und ich komme aus Deutschland und ob ein Drache russisch oder deutsch spricht...? Andererseits - würde sie mich kontrollieren, würde ich wohl kaum darüber nachdenken können...
Den Gedanken schiebe ich erstmal beiseite und entschließe mich, unser Beisammensein einfach mal zu genießen. Die Nähe, die sie offenbar bei mir sucht und mir gleichzeitig bietet. Kann ich zu diesem kleinen Drachen eine echte Freundschaft aufbauen? - Haben wir vielleicht schon eine?
Etwas später schaut sie in die Tüte, in der noch ein paar Stücke übrig sind, überlegt kurz und entscheidet sich dagegen,
„Nein, das reicht, es ist ja Trockenfleisch."
Da sie immer noch meine rechte Hand festhält, suche in mit der Linken eine PET-Mineralwasserflasche aus dem Rucksack.
„Möchtest Du einen Schluck Wasser?"
Sie überlegt nicht lange.
„Ja, danke."
Sie nimmt die Flasche mit der Rechten - ihre Linke hält meine immer noch - drückt sie ein bisschen, überlegt offenbar und legt sie sich dann quer in den Mund äh, Maul - zwischen die Zähne - hebt den Kopf und beißt zu. Mit einem Schluck ist das auslaufende Wasser getrunken.
„Huh, das kribbelt aber," sagt sie überrascht und erfreut, sieht mich an und kichert. „sonst denkst Du gleich noch, ich bin ein Mensch..." -
„Oh, Du hast meine Gedanken gehört?"
Sie schüttelt den Kopf,
„nein, nur Deine Gefühle gespürt und dann geraten."
Grinsend gibt sie mir die jetzt durchlöcherte Plastikflasche zurück, die ich wieder im Rucksack verstaue. Dabei merke ich, dass sie an meiner rechten Wange schnuppert. Ich drehe meinen Kopf zu ihr, um sie zu sehen was sie möchte, da leckt sie mir auch schon quer über das Gesicht.
Verdutzt sehe ich sie an.
„Sind wir schon beim Zungenkuss...?"
Sie grinst kurz, wird aber gleich wieder ernst, sieht mich an und breitet plötzlich ihre Schwingen aus, mit denen sie mich hält, praktisch umarmt.
„Weißt Du, ich mag die Menschen, sie sind interessant, manchmal auch lustig - aber Dich mag ich ganz besonders gerne."
Einen Moment hält sie mich, dann lässt sie mich los, steht auf und reckt sich genüsslich mit ausgestreckten Schwingen.
Also, so mit den ausgebreiteten Schwingen sieht auch eine freundliche, kleine Drachin schon recht beeindruckend aus. - Aber irgendwie scheinen mir ihre Schwingen doch ein wenig klein, um sie in die Luft zu bringen.
Ob ich danach fragen darf, ich will sie nicht verletzen mit einer dummen Frage...
„Äh, entschuldige bitte, wenn ich jetzt so, vielleicht dumm frage - ich möchte Dich auch nicht kränken, oder so." beginne ich und schaue auf ihre Schwingen. „aber, äh..."
Meinen Blick bemerkend antwortet sie mir. „Nein, ich kann noch nicht richtig fliegen, nur ein wenig gleiten. Meine Flugarme sind noch zu schwach, aber das dauert nicht mehr lange. Und Du darfst mich das fragen, kein Problem."
Jetzt muss ich mich auch mal recken, ohnehin müsste ich mich wohl bald wieder auf den Rückweg machen. Aber noch ist ein wenig Zeit, die ich gerne noch mit meiner neuen Bekanntschaft verbringen möchte. Ich gehe über die Kiesbänke an den Bach um ein paar Schritte zu machen. Die kleine Drachin läuft neben mir her und schaut und schnuppert neugierig in der Gegend herum. Wir unterhalten uns über diesen Busch und jenen Kieselstein, warum die Bäche und Flüsse fließen, was das für ein komisches, weißes Zeug da oben auf den Bergen ist - sie hat noch nie Schnee gesehen, wie sie mir sagt - plantschen ein wenig im Wasser - wobei sie unfairer weise sofort wieder trocken ist, sobald sie aus dem Wasser kommt, während mein Hemd ziemlich nass wird. Das Wasser perlt einfach an ihr ab. Und so verbringen wir bestimmt mehr als eine Stunde miteinander. Eine Zeit, die besonders meine kleine Freundin zu genießen scheint.
Als eine Wolke über uns durchzieht, schaut sie hoch, fängt an, wie ein kleines Mädchen herumzuhüpfen und kräht begeistert
„Mama kommt!"
Ich schaue sofort hoch, nichts zu sehen, blauer Himmel, nur am Horizont ein paar Cirren.
Mama? Scheiße! Auf die Idee bin ich die ganze Zeit nicht gekommen, dass sie nur ein Jungdrache ist - und dass vielleicht Drachen ihre Jungen auch aufziehen und sich um sie kümmern. Dieser süße Fratz hat mir doch die ganze Zeit bewiesen, dass sie hochintelligent ist, dass da irgendeine Ausbildung dahintersteckt - und das bestimmt nicht in einer menschlichen Schule. Und egal, ob zivilisiert oder wild: komme nie zwischen eine besorgte Mutter und ihr Kind! Das gilt für Bären, Menschen und ganz sicher für Drachen! Und wenn ich daran denke, wie mich dieser kleine Drache schon zurichten könnte, wenn sie denn wollte, mag ich gar nicht daran denken, was dann erst ein ausgewachsener Drache mit mir anstellen kann. Wie groß mag ihre Mutter sein, doppelt so groß, dreimal? Ich muss ganz schnell weg hier, vielleicht habe ich dann Glück - aber ich mag jetzt auch nicht einfach weglaufen, ich möchte es der Kleinen wenigstens erklären.
Sie steht neben mir, ich hocke mich hin, nehme ihren Kopf sanft in meine Hände und versuche ihr zu erklären, warum ich jetzt weggehen muss, während ich mich bemühe, sie mir einzuprägen, um mich an ihre wunderschönen, grünen Augen immer erinnern zu können. Ich mochte schon immer grüne Augen gerne, aber diese hellgrünen Drachenaugen hauen mich einfach um wie ein Punkttreffer vom Weltmeister im Superschwergewicht.
„Meine kleine Drachenfreundin - oh, ich habe ja ganz vergessen, Dich nach Deinem Namen zu fragen..." -
„Manvinkona" sagt sie schnell. -
„Ich heiße Ralf. - Du Manvinkona, es tut mir sehr leid, aber ich muss jetzt dringend gehen."
Sie sieht mich erstaunt an.
„Aber jetzt kommt gleich Mama..." -
„Ja, richtig. Und ich würde sie auch gerne kennenlernen. Aber ich fürchte, Deine Mutter wird nicht ganz damit einverstanden sein, dass ich hier mit Dir so engen Kontakt habe. Sie hat mich hier sicher gerade mit Dir stehen sehen und ich fürchte, dass sie jetzt gerade in sehr großer Sorge um Deine Sicherheit ist - und auf mich deswegen sehr wütend. Und Du weißt sicher besser, was ein wütender Drache mit einem Menschen machen kann. Ich bin sicher, dass Deine Mutter mir sonst vermutlich nichts tun würde, aber hier geht es um Dich, um ihr Kind."
Die Kleine kämpft mit sich. Aber sie scheint es wirklich einzusehen.
„Ja, ich verstehe. Ich bin froh, Dich getroffen zu haben und hoffe, Dich bald einmal wiederzusehen." -
„Ja, ich habe mich auch sehr gefreut. Vielleicht klappt es ja einmal, dass wir uns treffen."
Hoffnung habe ich aber nicht wirklich. Ich drücke sie noch einmal, gebe ihr einen schnellen Kuss auf den Nasenrücken und laufe dann zu meinem Rucksack um meine Sachen zusammen zu packen. Die kleine Manvinkona kommt langsam mit hängendem Kopf vom Ufer hoch getrottet. Gott, mir tut die Kleine leid. Aber es ist besser so - für mich, Sie wird sich sicher bald fangen.
Ich nehme meinen Rucksack winke noch einmal und drehe mich zum Waldrand. Noch bevor ich zwei Schritte gemacht habe höre ich hinter mir einen röhrenden Schrei, den die Welt wohl seit ewigen Zeiten nicht mehr gehört hat und der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Das kann nur ein Drache gewesen sein! Ich will es nicht, ich will weg - aber völlig geschockt drehe ich mich um, ich muss! Und erstarre.
Ein Drache setzt gerade mit drei, vier kräftigen Schwingenschlägen am Bachufer zur Landung an. Er, nein wohl eher sie, ist tannengrün - in der Form und Färbung sehr ähnlich wie meine kleine Manvinkona, nur eben dunkler - und größer. Nein, falsch, nicht größer - Riesig!
Mir fehlt der Vergleich, aber die hochgereckten Schwingen überragen die Bäume hier sicher deutlich. Ihr Kopf ist langgestreckter, als der von Manvinkona, nicht so rundlich, rehähnlich - mehr wie eine Impala, eckiger, auch die langen Hörner passen dazu, die leuchtend smaragdgrünen Augen mit der typischen schmalen Schlitzpupille und dem drohenden Blick der Drachen wirken durch ihren Zorn noch bedrohlicher.
Diese riesige Drachin duckt sich, senkt ihren Kopf dicht über den Boden, ihre Schuppen auf dem Nasenrücken gesträubt - sie entblößt dabei neben den nadelspitzen Zahnreihen noch vier gewaltige Fangzähne und stößt einen weiteren röhrenden Schrei aus.
Ich will mich umdrehen, weglaufen - ich bewege mich nicht, ihr Schrei hat mich völlig erstarren lassen. Lässt mich nur diesen gewaltigen Drachen anstarren, der mir gerade sehr deutlich zu verstehen gibt, dass ich, wenn überhaupt, nur noch Sekunden zu leben habe.
In den Augenwinkeln sehe ich, dass Manvinkona sich offenbar ihrer Mutter in den Weg stellen will, um sie aufzuhalten - aber ich registriere es nicht mehr wirklich. Ich sehe nur noch die Fangzähne, die leuchtend smaragdgrünen Augen und die gewaltigen Krallen auf mich zukommen, als die Drachin auf mich zuspringt.
Ich versuche ein, zwei Schritte rückwärts zu machen - sinnlos, ich stolpere und falle auf den Rücken in den Kies, der Rucksack fällt mir dabei aus der Hand. Ein grüner Berg stürzt auf mich herab, ich mache die Augen zu, höre Manvinkona schreien
„Mama, NEIN!"
Liebe kleine Drachin, ich bereue meine Begegnung mit Dir nicht, auch wenn es die letzte Erfahrung in meinem Leben war, schade nur, dass ich es Dir nicht mehr sagen kann. Dann stürzt ein unendliches Gewicht auf mich herab, presst mich in den Boden, drückt mir den letzten Atemzug aus den Lungen.
- Stille.
Ich war wohl kurz bewusstlos, jedenfalls habe ich das Gefühl aus einer Bewusstlosigkeit aufzuwachen. Komisch, kein weißes Licht, keine bunten Bilder, keine Nahtod-Erfahrung - also muß ich wohl noch leben.
Aber es muss doch einen Bergrutsch gegeben haben, ein unbewegbares Gewicht liegt auf mir, ich kann kaum atmen, so drückt es mich zusammen. Ich kann weder Arme noch Beine bewegen, aber meine rechte Hand liegt mit der Handfläche nach oben, ich taste den Felsbrocken ab, soweit ich die Hand bewegen kann.
Merkwürdig - ich spüre keinen harten Fels, sondern eine samtweiche Oberfläche. Eine Oberfläche, die mich an etwas erinnert. Ich reiße meine Augen auf. Es ist nicht dunkel, mein Kopf liegt frei, ich sehe nach rechts und erkenne etwas, was ich vorhin schon viel kleiner gesehen hatte - ich drehe den Kopf und sehe links das gleiche.
Je eine große, scharfe Kralle auf jeder Seite von meinem Kopf am Ende von langen, mit dunkelgrünen Schuppen bedeckten Fingern. Es war kein Traum, es ist die Wirklichkeit. Die Hand eines riesigen Drachen, genauer einer Drachin, der Mutter meiner kleinen Drachenfreundin, presst mich so auf den Boden, dass ich kaum atmen kann.
Jetzt kommt auch der Kopf der Drachin in mein eingeschränktes Blickfeld. Aus himmelhoher Warte sehen mich die zwei smaragdgrünen Augen an, immer noch Zorn im Blick. Ihr Kopf wirkt eigentlich hübsch, so dunkelgrün geschuppt, schmal und langgestreckt mit den langen, schwarzen Hörnern, die aus der Stirn nach hinten ragen.
Das Gebiss, vor dem sicher selbst ein T-Rex Angst hätte, ist jetzt nicht zu sehen. Die Schuppenplatten, die von den Nüstern bis zur Stirn den Nasenrücken hinauflaufen, sind deutlicher erkennbar, als bei der kleinen Manvinkona und immer noch in Wut gesträubt. Ebenso sind die großen Schuppenplatten, die die Vorderseite von Hals und Brust bedecken, kräftiger ausgeprägt - nun ja, der Drache, der mich gerade pinnt, ist ganz offensichtlich ausgewachsen und bestimmt 10 m hoch. Sie knurrt, ein Grollen, dass ich durch ihre Hand bis in meinen Körper spüre.
Jetzt kommt auch Manvinkona in mein Gesichtsfeld - ihr Gesicht zeigt ein Entsetzen, dass sogar ich deutlich erkenne. Sie schreit auf - nicht so, wie sie vorhin mit mir gesprochen hat, sondern ein Ruf aus ihren Stimmbändern, aus ihrem Mund.
Verzweifelt versucht sie, die Krallen ihrer Mutter wegzuziehen, ihre Hand anzuheben und mich zu befreien. Ihre Mutter faucht sie an, aber trotzig ruft sie zurück und versucht weiter mich zu befreien. Ein erneutes Fauchen, schärfer im Ton, Manvinkona schreit zurück, laut, trotzig, ich meine fast deutlich „NEIN!" zu verstehen. Die kleine Drachin gibt die Versuche, mich zu befreien auf, legt sich hinter mich und nimmt mein Gesicht in ihre Hände. Sie sieht mich unendlich traurig an. Ich höre sie flüstern.
„Es tut mir leid."
Mühsam versuche ich zu antworten, ich kann nur noch kurze Atemzüge machen.
„Ich ... freue mich ... dass ich ... Dich kennenlernen ... durfte."
Mir geht die Luft aus. Schmerzen habe ich nicht, aber Manvinkonas Mutter presst mich so zusammen, dass ich kaum Luft bekomme. Sie grollt ihre Tochter jetzt bedrohlicher an. Aber die Kleine widersetzt sich immer noch, sie legt ihre Stirn kopfüber gegen meine. Die Welle ihrer Trauer spült mich fast weg, so deutlich spüre ich ihre Gefühle jetzt.
Das schwere Knurren, dass ihre Mutter jetzt von sich gibt, lässt sie erzittern, offenbar die allerletzte Warnung. Sie hebt langsam ihren Kopf, sieht mir traurig in die Augen, noch einmal streichelt sie mein Gesicht und dann steht sie langsam auf und zieht sich zurück.
Kaum ist sie aus meinem Gesichtsfeld verschwunden, senkt ihre Mutter ihren Kopf und stoppt mit Ihrer Schnauze direkt vor meinem Gesicht. Sie öffnet die Lippen und zeigt mir die spitzen, scharfen Schneidezähne, ihre Fangzähne sind seitlich zu erkennen.
„Was hast Du mit meiner Tochter getan?!" donnert sie mich an.
Der Druck auf meinen Körper ist dadurch noch stärker geworden, mehr als Schnappatmung ist mir nicht mehr möglich, ich fühle, wie sich irgendwas in mir verschiebt, spüre aber weiter keine Schmerzen und spüre auch nichts brechen oder ein knacken.
„Nur ... Freund ... schaft."
Mehr gedacht, als gesprochen, offenbar hat sie mich trotzdem verstanden, sie hebt minimal eine Augenbraue. Aber der Druck lässt wieder ein wenig nach, wieder verschiebt sich irgendetwas in mir. Hat die Drachin das gespürt? Irgendwie sehe ich eine winzig kleine Verunsicherung in ihren Augen aufflackern.
„Bitte ... lass mich ... nicht leiden ... Mach es ... schnell ... schon wegen ... Man ... vinkona."
So schnell kann ich gar nicht mehr atmen, damit die winzigen Atemzüge noch reichen.
'Bitte mach ein Ende. Einmal kurz das volle Gewicht auf die Hand, die auf mir liegt und ich bin frei.'
Ich versuche diesen Gedanken in meinen Blick zu legen, als ich in ihre Augen sehe. Vermutlich das letzte, was ich je sehen werde. - Bitte - jetzt...
Ich sehe plötzlich Zweifel im Blick der Drachin. Sie sieht mich durchdringend an, saugt die Luft in ihre Nüstern. Schaut plötzlich hoch, wohl zu Manvinkona und ich erkenne, schon mit langsam schwindenden Sinnen so etwas wie leichte Verzweiflung in ihrem Gesicht - oder mehr in ihren Augen. Sie zuckt zurück, hebt ihre Hand von meinem Körper und schüttelt den Kopf.
„Oh Nein - was habe ich getan..."
Sie hebt den Kopf in die Höhe und stößt einen Seufzer aus.
Luft, endlich Luft - ist im Moment das Einzige, an das ich denken kann. Ich nehme tiefe Atemzüge, so tief es nur geht, die stechenden Schmerzen in der Rippengegend erstmal ignorierend. Meine Sinne sind schnell wieder klar, halbwegs...
Kaum bin ich frei, ist Manvinkona wieder neben mir, legt sich neben mich, ergreift meine rechte Hand, die kann ich noch weitgehend schmerzfrei bewegen - was meine kleine Drachin wohl sehr genau spürt - und fängt an, mit todtraurigen Augen mein Gesicht abzuschlecken, als ob sie mir die Schmerzen wegnehmen, oder mich in sich aufnehmen will.
Währenddessen versuche ich herauszufinden, wieweit ich mich ohne Schmerzen bewegen kann, weit komme ich nicht. Der rechte Unterarm und die Hand geht, aber die Schulter schmerzt schon stark, links scheint einiges gebrochen zu sein, den Arm bewege ich lieber gar nicht. Den Kopf kann ich drehen, beim Anheben zuckt ein heftiger Schmerz durch den tieferen Nackenbereich. Und ich weiß jetzt, warum ich keine Schmerzen gespürt habe: unterhalb der Arme spüre ich meinen Körper nicht mehr. - Na klasse...
Wut brandet in mir auf - Wut gegen Manvinkonas Mutter: warum hat sie das gemacht? Ich habe ihrer Tochter nichts getan! Und Gut, wenn schon, warum dann nicht gleich richtig, Kurz, knapp, schnell - Fertig! Schluss! Aus!
- Aber diese Kleine neben mir leckt meine Wut mit ihrer zärtlichen kleinen Zunge ganz schnell wieder weg.
„Mein lieber, kleiner Drache..." flüstere ich.
Sie lächelt mich traurig an, sie weiß vermutlich besser als ich, wie es um mich steht:
„Bitte bleibe bei mir, Großer." flüstert Sie zurück.
Ihre Mutter legt sich langsam, fast schon vorsichtig halb vor, halb neben mich hin. Sie liegt da und schaut uns von der anderen Seite her an.
Mit leiser und irgendwie trauriger Stimme erklärt sie mir.
„Ralf - Manvinkona hat mir Deinen Namen gesagt - Ralf, Es tut mir wirklich leid, ich habe nie wirklich die Absicht gehabt, Dir ernsthaft Schaden zuzufügen. Wir sind hier zu einem Besuch und meine Tochter hatte darum gebettelt, mitkommen zu dürfen.
Weil sie noch nicht selber fliegen kann, habe ich sie hier gelassen, da sie sich hier gut beschäftigen kann und nur selten Menschen herkommen. Zusätzlich habe ich ihr eingeschärft, sich nicht zu zeigen, wenn doch Menschen hierherkommen sollten. - Und dann bist Du hier angekommen und der heimliche Wunsch von Manvinkona - einen Menschen dieser Welt zu treffen - konnte in Erfüllung gehen."
Die Kleine hat inzwischen ihren Kopf auf meine Brust gelegt und ergänzt:
„Ich dachte, er schläft, da wollte ich ihn mal angucken - und er war ja alleine..."
Der Blick ihrer Mutter lässt sie verstummen.
„Jedenfalls hat dieser Schlingel hier die Gelegenheit genutzt - und hat anscheinend Glück gehabt, auf einen Menschen zu treffen, der nicht nur damit umgehen konnte, überraschend auf ein für ihn mystisches Wesen zu treffen, sondern der auch noch in irgendeiner Form seelenverwandt ist, wie ich gerade feststelle.
Ich komme nun zurück und muss sehen, dass da ein Mensch bei meiner Tochter steht. - Bitte verstehe mich, da kommt in mir die Besorgnis und Angst hoch und gleichzeitig auch Ärger, weil meine Tochter nicht gehorcht hat. - Aber ich habe dann den Fehler gemacht, diesen Ärger pauschal auf Dich zu übertragen, Ralf, obwohl ich gar nicht wissen konnte, ob Du überhaupt Schuld daran hast.
Und so habe ich mich entschlossen, Dich ordentlich zu erschrecken, mir meine Tochter zu schnappen und dann schnell nach Hause zu fliegen. Nur dann..." ein Seufzer „... ich weiß nicht was falsch gelaufen ist, ob mir der vertraute Kraftstrom meiner Welt so fehlt, dass meine innere Balance dadurch gestört ist - und die Versuche von Manvinkona, mich zu stoppen machten mich immer noch ärgerlicher, weil ich Dir mittlerweile unterstellt habe, Du hättest meine Tochter irgendwie unter Deiner Kontrolle.
Trotzdem wollte ich Dich eigentlich immer noch nicht ernsthaft verletzen, nur einen Denkzettel verpassen - und dabei habe ich nicht aufgepasst, meine Körperkraft nicht richtig kontrolliert, Deine menschliche Zerbrechlichkeit nicht bedacht und Dich leider sehr schwer verletzt.
Und schlimmer - ich habe dann meiner Tochter nicht geglaubt, als sie mir sagte, dass ich Dich so schwer verletzt habe und es dann noch schlimmer gemacht. - Erst bei Deiner Bitte, daß ich dich töten möge, begann ich zu verstehen, was ich getan habe... - sicher weißt Du nicht, was das für mich bedeutet - eine Hüterin des Lebensstromes tötet ohne Notwendigkeit... - aus Rachsucht..."
Es klingt verzweifelt.
Langsam bekomme ich Probleme, mich zu konzentrieren - ich beginne zu spüren, dass eine Rettung für mich wohl nicht mehr rechtzeitig kommen wird.
„Danke, äh..." -
Sie unterbricht mich:
„Was ist mit mir los... Ich töte Dich und verschweige Dir dazu meinen Namen, entschuldige bitte. Mein Name ist Fjörgyn, Erd-Elemental und Große Hüterin derKraft von Erce, eorðan módor" -
„Danke Fjörgyn, ich verstehe ja Deine Beweggründe und weiß nicht, wie ich an Deiner Stelle gehandelt hätte. Es ist, wie es jetzt ist. - Aber ich glaube, ich...ähm - ich meine, vielleicht kannst Du es mir einfacher machen - auch als Hüterin..."
Manvinkona schreckt hoch.
„Nein! Bitte, bleibe! Du darfst nicht gehen, Großer!"
Sie fängt wieder an, mein Gesicht zu lecken. -
„Fjörgyn, wenn Du es nicht machen möchtest, dann geht ihr beide bitte nach Hause, ich habe ein Telefon im Rucksack, damit rufe ich die Bergrettung. Sollte ich noch leben, wenn sie kommen, sage ich einfach, ein Drache hätte mich getreten. Obwohl die mir das wohl nicht glauben werden."
Keine Ahnung ob sie meinen müden Versuch, einen Witz zu machen, versteht.
„Es tut mir leid Ralf, ich stecke in einem Dilemma." antwortet Fjörgyn „Ich würde Dich ja auf Deinen Weg bringen, egal wohin er Dich führt, selbst wenn Deine Seele in dieser Welt dann in der Leere vergeht...Das zumindest bin ich Dir schuldig."
Manvinkona stöhnt bei den letzten Worten auf.
„Aber zum einen klammert meine Tochter sich sehr an Deine Seele, weil Sie Dich nicht gehen lassen will. Ich glaube sogar, dass Du nur noch nicht gegangen bist, weil sie Dich einfach nicht loslässt. Wenn Du jetzt gehst, fürchte ich sogar, daß ich sie nicht davon abhalten kann, Dir zu folgen, wohin es sie auch führt. Sie ist zwar jung und noch unerfahren, aber ihre Kraft ist bereits erwacht und sehr stark. Irgendetwas intensives, großes ist da zwischen euch geschehen."
Das muss ich erstmal sortieren, das fällt mir nicht mehr so leicht, meine Gedanken verlaufen sich jetzt schon häufig, obwohl ich mich tatsächlich wieder etwas besser fühle. Manvinkona hält jetzt mit beiden Händen meinen Kopf.
Irgendwie bekomme ich meine rechte Hand nach oben und streiche ihr wieder leicht mit dem Zeigefinger über die Schuppenplatten auf ihrem Nasenrücken.
„Mein kleiner, tapferer Drache. Mach jetzt bitte keinen Quatsch. Meine Seele wird schon irgendwo ankommen, ich wollte schon immer zu den Sternen reisen - aber wenn ich mir dann den Vorwurf machen müsste, dass Deine Seele wegen mir verlorengeht... - Laß mich bitte einfach gehen und mich in Deiner Erinnerung weiterleben. In Deiner Erinnerung werde ich so unendlich viel länger leben können, als je ein Mensch vor, oder nach mir."
Dass ich mit diesem kaputten Körper auch gar nicht unbedingt weiterleben möchte, verrate ich ihr lieber nicht. Aber sie schüttelt nur den Kopf und sagt drängend.
„Mama - Bitte."
Und hält mich weiter fest. Tatsächlich glaube ich jetzt nicht nur ihre Hände an meinem Kopf zu spüren, die mich halten. Fjörgyn kommt jetzt zu der Sache, die sie sich anscheinend überlegt haben.
„Da siehst Du ihren kleinen Sturkopf. - Es gibt auch noch ein anderes Problem: wenn man Dich hier findet, so zerquetscht und dann noch mit einer tödlichen Krallenwunde - da wird man sicher anfangen nach Spuren zu suchen. Und das würde meine Besuche hier schnell verraten. Wenn ich Dich lebenlasse, wirst Du von unserer Begegnung berichten, das könnte für mich sogar noch gefährlicher werden, wenn ich wieder hierherkomme."
Ich hebe schwach meine Hand.
„Entschuldige, das sollte ein Scherz sein, ich werde Dich nicht verraten."
Sie legt ihren Kopf auf die Seite und sieht mich fragend an.
„Warum solltest Du die Unwahrheit sagen, Du hättest keinen Vorteil dadurch."
Ich grinse schwach.
„Weil Du mich dann vielleicht am Leben lässt?" -
Etwas wie verstehen leuchtet in ihren Augen auf.
„Ah - doch, das klingt logisch. - Trotzdem wäre es gefährlich für mich, da Du keine logische Erklärung für Deine Verletzungen hast und mich so irgendwann doch verraten könntest. Also sollte ich Dich eigentlich töten, doch liegenlassen kann ich Dich dann auch nicht und Menschen esse ich nicht, aus Prinzip. Also müsste ich Dich irgendwo entsorgen... - entschuldige, das ist wohl nicht angemessen so über Dich zu sprechen solange Du noch lebst. Aber ich müsste dann Deinen Körper verstecken und dazu habe ich keine Zeit mehr, wenn ich nicht entdeckt werden will."
Sie sieht mich jetzt durchdringend und ernst an.
„Es gibt aber eine Möglichkeit. Es wird für Dich merkwürdig klingen und vermutlich einen Abschied von Deinem bisherigen Leben bedeuten:
Wir nehmen Dich aus Deiner Welt hier mit uns in unsere Welt.
Unsere Welt ist nicht völlig anders. Es ist auch die Erde, aber sie hat eine andere Entwicklung genommen. Dort ist das Leben - auch die Menschen - mit der Lebenskraft Erces verbunden, die uns Hüter mit besonderen Kräften ausstattet. Mein Sohn Græðarinn ist ein Heiler und er kann Dinge vollbringen, die selbst euren Medizinern nicht möglich sind.
Sollte das aber auch nicht ausreichen, dann können wir Dich dort auf den Weg in die Lebenskraft Erces führen, wo Manvinkona Dich eines Tages dann wiederfinden wird - sollte sie auch 10.000 Jahre suchen müssen.
Und wenn Du geheilt bist, kannst Du dann wieder hierher, in Deine Welt zurückkommen, aber das kann ich Dir nicht sicher versprechen."
Was ist jetzt die Alternative für mich? Meine Gedanken rasen: Hier sterbe ich auf jeden Fall, praktisch bin ich ja schon tot - und womöglich bin ich dann auch noch für den Tod von Manvinkona mit verantwortlich. Oder dort - wo immer das auch ist - dort habe ich zumindest eine kleine Chance aufs Leben - und wer weiß, auch eine Chance auf das Leben nach dem Tod - die beiden sind davon ja sehr überzeugt und wenn ich diesbezüglich jemandem glauben kann, dann doch vielleicht einem Drachen...
Und - zumindest eine Freundin, eine sehr gute Freundin, habe ich da ja bereits: meine kleine Drachin. Ich streiche ihr wieder über die Nase.
„Meine Kleine, sage bitte Deiner Mutter, dass ich mitkomme."
Zwei grüne Augenpaare sehen mich mit spürbarer Erleichterung an.
„Dann schnell jetzt, ich weiß nicht, wie lange Manvinkona Dich hier noch halten kann. In unserer Welt sind ihre Kräfte stärker."
Fjörgyn steht auf und sieht sich um.
„Deinen Rucksack nehmen wir mit, auf die Spuren wird so keiner achten, die sind schnell vergangen und niemand wird von unserer Anwesenheit etwas merken."
Sie überlegt kurz.
„Hmm, falls Du noch etwas privates zu erledigen hast, oder Dinge mitnehmen möchtest - darum werden wir uns später kümmern, sei unbesorgt deswegen. Aber jetzt haben wir nicht die Zeit dazu."
Ich nicke nur und versuche mich jetzt ganz auf Manvinkona zu konzentrieren, weil ich irgendwie spüre, dass ich es ihr so einfacher mache, ihr helfe, wenn ich versuche mich bei ihr festzuhalten. Sie bemerkt es sofort.
„Ja gut, kämpfe Großer, halte Dich an mir fest."
Fjörgyn steht direkt vor uns, hat meinen Rucksack an der Kralle ihres kleinen Fingers gehängt und sieht uns von hoch oben an.
„Hmm. Ralf, Du kannst Dich nicht selber mehr festhalten und Manvinkona im Moment auch nicht - am besten ist, ich nehme euch in die Hand..."
Ein plötzlicher Gedanke lässt sie stocken und verlegen auf ihre Hand blicken - die Hand, die vor ein paar Minuten meinen Körper zerquetscht hat.
Leicht nickend - Manvinkona hält immer noch meinen Kopf in ihren Händen - stimme ich zu.
„Ja, das wird am besten sein. Warum sollte ich Deine Hände fürchten, wo doch die Hände Deiner Tochter mich halten."
Irgendetwas in ihrem Blick schien sagen zu wollen: 'hätte sie dich doch nur schon vorher gehalten...'
Manvinkona positioniert sich um. Sorgfältig darauf achtend, mir keine Schmerzen oder zusätzliche Verletzungen zuzufügen, turnt sie so über mich, dass diese kleine, junge Drachendame praktisch auf meinem Bauch liegt. Sie hebt jetzt vorsichtig meinen Kopf an, den sie weiterhin in ihren Händen hält und legt ihre Stirn an meine.
Ihre Augen - Drachen können als Jäger ja auch direkt nach vorne sehen - liegen jetzt so dicht vor meinen, dass ich zwar nicht mehr auf diese fokussieren kann, aber dafür in ihrem leuchtenden Grün versinke. Ich konzentriere mich auf dieses Grün, auf meine kleine Drachenfreundin und bemerke nur indirekt, durch die entstehende Verbindung mit Manvinkonas Geist, wie Fjörgyn meinen gelähmten, zerquetschten Körper mit dem kleinen Körper ihrer Tochter darauf, vorsichtig in ihre zu einer Schale zusammengelegten Hände nimmt und, sich gleichzeitig aufrichtend, schützend an ihre Brust hebt. Die Schwingen ausbreitend springt sie dann mit einem gewaltigen Satz ihrer kräftigen Beine in die Luft und mit wuchtigen Schlägen der Schwingen gewinnt Fjörgyn schnell an Höhe.
Eine kleine Gruppe Bergwanderer, die auf ihrem Weg von der Hochebene zurück zur Adyl-Su durch das Schchelda-Tal, gerade in der Nähe sind, bemerken nur ein paar plötzliche Böen, die durch die Äste rauschen und einen schnell über den Boden huschenden Schatten, dem sie aber keine Bedeutung zumessen.
Schnell werden die Schwingenschläge von Fjörgyn ruhig und gleichmäßig. Dies und das konstante Rauschen des Windes wirken auf mich beruhigend und einschläfernd -
Nein! Nicht einschlafen! Sage ich zu mir - ich muss wach bleiben, mich festhalten an dieser leuchtenden grünen See, die meinen Blick ausfüllt. Festhalten an diesen Edelsteinen, wertvoller als alles andere in dieser Welt, die die Augen meiner kleinen Drachin sind.
Ich suche sie, meine Freundin, versuche sie mit meinen Gedanken, meiner Seele zu finden. Und habe plötzlich das Gefühl, in warmen, samtweichen Händen zu liegen, die mich festhalten. Sehe mich in zwei kleinen, laubgrün geschuppten Händen liegen, die sich um mich gelegt haben um mich vor dem Dunkel um uns zu schützen. Und begreife, was mir mein Bewusstsein da übersetzt. Meine Seele, mein Ich, mein Leben, das von Manvinkonas Seele, von ihrer Kraft, schützend festgehalten wird. Und ich versuche, ihr zu helfen, indem ich mich an ihren Händen festhalte. Ich fühle Bestätigung - aber ich fühle mich auch irgendwie langsam kleiner werdend, schwächer. Ist es schon zu spät?
Manvinkona beruhigt mich, lenkt meine Aufmerksamkeit nach vorne. Dort sehe ich ein Tor, rund, wie ein Stargate - ich vermute, wieder ein Gleichnis aus meinen Erinnerungen. Schnell kommen wir dem Tor näher, tauchen ein - ein merkwürdig ziehendes Gefühl macht sich kurz bemerkbar. Mir wird klar, dass es real ist, kein Gleichnis, nicht nur hier in unseren Seelen. Und plötzlich wird es übergangslos hell um uns.
Eine warme, wohlige Helligkeit, wie vor - wie lange? Ein, zwei Stunden? - als ich in der Sonne lag und Manvinkona mich erstmals neugierig beschnupperte. Und ich spüre nicht nur ihre Hände stärker werden - viel stärker - auch mir tut diese angenehme warme Helligkeit gut, flößt mir neue Kräfte ein und macht mich wieder zuversichtlicher. Zögernd lasse ich Manvinkona los, spüre ihre Zustimmung, lasse sie ganz los - und sehe plötzlich große grüne Schuppenplatten über den Händen, in denen ich liege.
Auf meinem Bauch hockt Manvinkona, sie hat mich losgelassen und lächelt mich an.
„Da bist Du ja wieder, Großer. Willkommen bei mir zu Hause - oder fast, ein Stück muss Mama noch fliegen, ehe wir da sind." -
„Das ist also eure Welt?"
Ich erzähle ihr von dem, was ich 'gesehen' und gefühlt habe in den letzten Minuten - oder waren es Stunden? -
Erstaunt fragt sie:
„Das hast Du gesehen? Ich habe nicht gewusst, dass Menschen die Kraft Erces auch so erleben können. Die anderen, die ich kenne, sind da leider blind."
Fjörgyn geht ein einen Gleitflug über, offenbar sind wir am Ziel. Nach kurzer Zeit setzt sie mit kräftigen Schlägen ihrer Schwingen zur Landung an. Vorsichtig senkt Sie ihre Hände und setzt Manvinkona ab, mich hält sie noch in ihrer Handfläche.
„Einen Moment musst Du noch aushalten. Wir bereiten Dir nur schnell ein Lager." informiert sie mich.
Ich nicke - obwohl es eigentlich egal ist, selbst wenn sie mich auf ein Nagelbett legen würde - ich könnte es doch nicht spüren. Zwar fühle ich mich jetzt wieder gut und überraschend stark, aber ob die Kraft dieser Welt auch meinen Körper wiederherstellen kann, bezweifele ich doch ein wenig. Aber wichtiger ist, dass Manvinkona in Sicherheit ist - was mit mir passiert, ist mir momentan fast schon egal.
Ich sehe mich um, soweit ich das kann. Fjörgyn sitzt ruhig da und ich liege in ihrer offenen Handfläche. Auf der einen Seite sehe ich einige Berge, alle sind frei von Schnee oder Eis, die Hänge bis weit nach oben von Wäldern und Wiesen bedeckt. Auch rings um uns sehe ich Wald, wir sind offenbar auf einer Bergwiese, hinter mir höre ich einen Bach fließen. Links von mir sehe ich gerade noch eine Höhle zwischen den Bäumen und von dort kommt jetzt ein Drache auf uns zu.
Fasziniert beobachte ich ihn, trotz seiner Größe sind die Bewegungen der hochbeinigen Gestalt mit dem vergleichsweise schlanken, langgestreckten Körper und dem elegant geschwungenen Hals sehr geschmeidig, wie bei einem Rassepferd. Fjörgyn habe ich bisher so gar nicht sehen können, bin mir aber sicher, dass ihre Bewegungen um keinen Deut weniger elegant sind.
Der sich nähernde Drache ist dunkler, als Fjörgyn, anthrazitfarben, fast schwarz glänzen seine glatten Schuppen in der Sonne. Seine Brustschuppen sind dunkelblau, ebenso die leichte Tigerung der Körperzeichnung. Die Hörner sind dagegen beinahe elfenbeinfarben wie die Wangendornen, ansonsten ist seine Kopfform und der Körperbau sehr ähnlich wie bei Fjörgyn und ihrer Tochter, nur ein klein wenig kräftiger in den Formen. Ich vermute, das es sich um Fjörgyns Sohn handelt.
Schon wenig später bestätigt er mir meine Vermutung.
„Willkommen bei uns, Freund Manvinkonas, ich bin Græðarinn, ihr Bruder und der Sohn Fjörgyns." -
Ihm zunickend erwidere ich:
„Danke für das Willkommen, Græðarinn."
Etwas verwundert sieht er mich mit seinen orangefarbenen Augen an. Manvinkona, die ständig in meiner Nähe bleibt, kommt mir zur Hilfe.
„Er kommt von Drüben, da sprechen sie alle anders und Drachen kennen sie auch nicht."
Fjörgyn erläutert mir kurz:
„Hier wird Dir die Sprache vermutlich etwas altmodisch vorkommen, im Vergleich zu Deiner Welt. Aber insbesondere wir Drachen bedienen uns einiger alter Formen - wir Langlebigen sind da recht konservativ. Die korrekte Anrede gegenüber einem der Großen Drachen lautet 'Lord' oder 'Lady', bei jüngeren, noch nicht voll eingeführten wäre es 'Sir' oder 'Dame' und in der Regel immer im Plural. Nur bei sehr engen Beziehungen, wie in der Familie, nehmen wir auch das Du und verzichten auf die Anrede."
Ah ja - gut, das hätte auch komplizierter sein können, werde ich wohl hinbekommen:
„Ich danke Euch, Lady Fjörgyn, für die Unterweisung und bitte meine Unkenntnis und bisherige Unhöflichkeit zu entschuldigen." -
„Wehe, Du redest so mit mir" droht Manvinkona mir mit blitzenden Augen.
Ich schüttele den Kopf:
„Nie! Wo wäre ich jetzt, ohne Dich."
Sie grinst, wird aber schnell nachdenklich:
„Wahrscheinlich zu Hause..." -
„Hey, kleine Freundin! Fang jetzt nicht an, Dir irgendeine Schuld einzureden - Normalerweise hätte ich ängstlich schreiend weglaufen müssen, als ich Dich gesehen habe."
Ich merke ihr an, dass sie sich gerade vorstellt, wie ich, vor Angst schreiend, vor ihr davonlaufe und sie grinst wieder.
Fjörgyn geht es wohl ähnlich, als sie lächelnd zu mir sagt:
„Natürlich entschuldige ich Dir das, Ralf. Ja, so wäre es korrekt - aber lass uns beim 'Du' bleiben, immerhin ist unsere Beziehung ja auch ziemlich ... 'speziell'." -
Und auch Græðarinn meint:
„Ich bin dann auch mit dem Du einverstanden, und wir werden ja auch noch in einen engen Kontakt kommen." -
„Danke, euch beiden..." antworte ich, „...wie geht es nun weiter? Fjörgyn wird mich sicher nicht ewig in der Hand halten wollen." -
„Richtig. Dort neben dem Teich ist ein starker Kreuzpunkt der Lebenskraft, das wird uns helfen." beantwortet Græðarinn meine Frage.
Fjörgyn nickt und trägt mich ein Stück weiter. Nun kann ich etwas weiter sehen - die Wiese, die mit leichter Neigung vom Waldrand sich zu uns senkt, bildet hier eine ebene Fläche, an deren Rand ein vielleicht 150m durchmessender See liegt, durch den der Bach fließt, den ich vorhin gehört habe. Dahinter geht die Wiese in einem sanften Bogen, wohl bestimmt achthundert Meter weiter, ehe sie in einem Wald ausläuft, der sich steiler zum Tal hin absenkt. Vielleicht zwei oder drei Kilometer weiter sehe ich die nächste Bergkette, die das Tal zu anderen Seite abgrenzt. Eine schöne Gebirgslandschaft, ich wundere mich nur, dass selbst die höheren Berge schneefrei sind.
Ein paar Meter neben dem See legt Fjörgyn mich auf eine mit dickem Moos bewachsene Fläche, den See hinter mir. Dann legt sich sich zu meinen Füßen mit einer eleganten, fließenden Bewegung nieder. Græðarinn ist uns gefolgt und setzt sich, ähnlich einer 10 Meter hohen Katze links neben mich, seine Hände berühren mich fast. Und Manvinkona weicht ohnehin nicht von meiner Seite und sitzt jetzt wieder rechts von mir, anscheinend ihre Lieblingsposition. Wenn ich sie so mit Ihrer Mutter und ihrem Bruder, beide ca. 10 Meter groß, vergleiche, frage ich mich, wie alt meine kleine Freundin eigentlich sein mag.
„Habe keine Furcht, auch nicht vor meinem Heilfeuer, ich werde Dir keine Schmerzen zufügen." bereitet Græðarinn mich vor. Hmm, Heilfeuer klingt ja eigenartig, vorstellen kann ich mir nichts darunter.
Græðarinn legt seine rechte Hand vorsichtig auf meinen Körper, sogar gelähmt kann ich spüren, dass er mich kaum berührt. Er schließt seine Augen und konzentriert sich, ich spüre ein Kribbeln, sogar in den Beinen - ob echt, oder eingebildet weiß ich nicht, ich hoffe dass ich sie wirklich spüre.
Er zieht seine Hand zurück, holt tief Luft, öffnet sein Maul und bläst einen blauen Feuerstrahl auf mich hinunter. Erschreckt halte ich den Atem an und schließe die Augen - bis ich bemerke, dass es nicht heiß wird. Ich spüre eine angenehme Wärme um mich, aber nicht die Hitze, die ich von einem Feuer erwarten würde. Langsam mache ich die Augen wieder auf und sehe Græðarinn weiter sein blaues Feuer auf mich blasen, das mich einhüllt.
Ich versuche zu atmen, kein Problem - ist das sein Heilfeuer? Was sonst, das muss es sein. Am besten wird es sein, wenn ich mich entspanne, versuche, seine Kraft aufzunehmen.
Nach überraschend langer Zeit endet seine Flamme - sein Heilfeuer hat offenbar nicht unmittelbar mit seinem Atem zu tun. Langsam vergeht auch das Leuchten um mich. Græðarinn legt wieder seine Hand auf mich, nimmt sie nach wenigen Sekunden wieder zurück und schüttelt fast unmerklich seinen Kopf.
Erneut konzentriert er sich und legt jetzt beide Hände über mich. Ich spüre, dass er sein blaues Feuer wieder auf mich richtet, diesmal fokussiert und verstärkt durch seine Hände. Da ich nun weiß, was es mit dem blauen Feuer auf sich hat, versuche ich die Kraft in mich aufzusaugen. Wieder dauert es einige Zeit, bis das Leuchten um mich wieder vergeht. Græðarinn nimmt seine Hände wieder weg und ich kann erkennen, dass er verwirrt ist.
Ich sehe auf Fjörgyn, die sich aufgerichtet hat und uns fragend ansieht. Irgendetwas ungewöhnliches muss passiert sein, etwas unerwartetes. Sie werden es mir sicher sagen, also warte ich einfach ab.
Dann höre ich Manvinkona:
„Nein! Warum?"
Vermutlich haben sie sich über etwas unterhalten und nur meine kleine Freundin hat mich mit einbezogen, oder bin ich so fest mit ihr verbunden, dass ich sie immer höre? Fjörgyn ist wohl aufgefallen, dass ich etwas bemerkt habe und mich frage, was los ist.
„Entschuldige, Ralf..." spricht sie mich jetzt an. „... mein Sohn wollte es nicht laut sagen - es gibt ein Problem. Du nimmst seine Heilkraft nicht an."
Wieso? Ich habe doch versucht, mich ihm zu öffnen...
Græðarinn übernimmt:
„Ja, entschuldige, meine Schwester hat Dich wohl mit einbezogen - und sie hat ja recht, es geht ja um Dich. Es stimmt, meine Kräfte haben keine Wirkung auf Dich. Das heißt: eigentlich auf Deinen Körper - Du selber warst bereit, hast Dich geöffnet, wolltest die Heilkraft annehmen, das habe ich gespürt. Nur Dein Körper will - oder kann - die Kräfte nicht aufnehmen.
Es ist ungewöhnlich, selbst Menschen reagieren auf meine Heilkräfte. Ich kann nur vermuten, dass es daran liegt, dass Du von Drüben kommst und Dein Körper mit unserer Lebenskraft nichts anzufangen weiß. Deine Seele aber ist bereit - vielleicht durch den tiefen Kontakt mit Manvinkona. Aber leider weiß ich jetzt auch keine Lösung."
Achterbahn - rauf und runter. Einmal mehr runter...
„Noch gibt es eine Lösung..." wirft Fjörgyn ein. „... aber dazu muss ich mit Lord Eldflóð sprechen, wie er dazu steht und was zu tun ist. Zumindest - auch wenn es nur ein kleiner Trost für einen Menschen ist - sollte alles nicht reichen um Deinen Körper zu retten, Deine Seele ist bereit um in die Lebenskraft Erces einzugehen und wird so erhalten bleiben. Und wer weiß, welche Kräfte meine Tochter noch entwickeln wird, um Dich vielleicht zurückzuholen. - Aber das ist erst die letzte Lösung, noch sehe ich einen anderen Weg."
Ich versuche zuversichtlich auszusehen, aber ich weiß nicht recht, was ich von alledem halten soll.
Fjörgyn verabschiedet sich für kurze Zeit - sie will sich mit Lord Eldflóð treffen, um für den Weg meiner Heilung, den sie als Lösung sieht, die Erlaubnis zu erhalten. Das scheint also etwas außergewöhnliches zu sein, ich verzichte aber für den Moment darauf nachzufragen, was diese Lösung denn sein wird.
Græðarinn bleibt hier in meiner Nähe. Zuerst bringt er mich in eine mehr sitzende Position, in der ich mich besser umsehen und mit ihnen sprechen kann. Ja, das ist mir wirklich angenehmer und da zumindest die Schmerzen im Arm und im Rücken fast weg sind, fühle ich mich fast schon, als wäre nichts weiter.
Er bietet mir etwas zu essen an, aber ich habe nur etwas Durst. Manvinkona - die natürlich auch bei mir ist - stürmt gleich los und kommt kurze Zeit später mit einer, für uns beiden kleinen hier, handlichen Schale mit frischem Quellwasser. Die Schale balanciert sie mit ihren Flughänden vor sich - die sind also nicht nur zum Fliegen geeignet. Zwei zusätzliche Arme sind für einen Vierbeiner eigentlich ganz praktisch, stelle ich fest. Das Wasser erfrischt mich doch sehr, ich war durstiger, als ich gedacht habe.
Dann erklären Manvinkona und ihr Bruder mir ein wenig über das Leben hier:
Ich erfahre, dass die Drachen nicht die einzigen sechsbeinigen Arten hier sind. Alles sind, wie die Drachen, Mischwesen irgendwo zwischen Dinosaurier und Säugetier. Sie erzählt z.B. von Tireks, recht wuchtig gebaute 6-Beiner, etwas größer als Bullen oder Ochsen, aber stärker. Diese werden von den Menschen als Last und Zugtiere genutzt. Und dann das Bant, leichter, schlanker, die als Reittiere für lange Strecken dienen, nicht so schnell wie Pferde, aber sehr ausdauernd. Einige andere gibt es wohl noch - auch so eine Art Greife - aber die meisten Tiere unterscheiden sich kaum von den mir bekannten Arten.
Die Menschen sind auch hier überall vertreten, allerdings ist die Bevölkerungsdichte deutlich geringer, als bei uns. Der Hauptunterschied liegt in der hier nur geringen Verbreitung von Technik, die auch viel weniger weit entwickelt ist. Dafür haben viele Menschen hier eine Verbindung zur Kraft Erces, wenige können diese auch aktiv nutzen. Es gibt also - wenig - Magie und ähnliches in dieser Welt auch bei den Menschen.
Die Drachen bilden mehrere Gruppen hier. Zuerst die Wyvern: Dies sind nur kleine Arten bis höchstens Hundegröße, die als einzige Drachen nur vierbeinig sind, also die Arme auch gleichzeitig als Schwingen dienen. Von der Intelligenz auch höchstens auf der Stufe von Hunden. Besondere Fähigkeiten haben sie nicht, also kein Feuer spucken oder so was.
Dann gibt es die echten Drachen, also die mit dem zusätzlichen Flugarmpaar, wie meine Gastgeber. Zum einen eine größere Gruppe die von Græðarinn als 'die Kleinen Drachen' bezeichnet werden, die, wie er mir aber auch erklärt, sich selber in kleinere, mittlere und größere aufteilen. Alle ungefähr so intelligent wie die Menschen, besondere Fähigkeiten haben vor allem die größeren und einige der mittleren Spezies.
Und dann an der Spitze stehen die Großen Drachen. Zu ihnen gehören Fjörgyn, ihre Kinder und auch Eldflóð. Mindestens so intelligent wie die Menschen, in der Regel aber schon durch ihre extreme Langlebigkeit weiser als die Sterblichen. Sie werden auch die 'Hüter' genannt, da sie über das Leben in dieser Welt wachen. Dafür nutzt beispielsweise Græðarinn seine heilerischen Fähigkeiten. Und die kleine Manvinkona scheint eine ganz neue Fähigkeit bekommen zu haben, die sich noch in der Entwicklung befindet, schließlich ist sie erst etwas über ein Jahr alt. Wobei ihre jetzt schon hohe geistige Reife für die Großen Drachen normal ist, wie mir beide versichern, nur ihre Fähigkeiten scheinen schon besonders weit entwickelt zu sein.
Daneben gibt es auch einige wenige echte Drachen, die eine recht menschenähnliche Gestalt haben, deren Körperbau also auf einen aufrechten, zweibeinigen Gang ausgerichtet ist, nur eben mit dem Äußeren der Drachen. Die großen Drachen - und auch manche der kleineren - haben zudem die Fähigkeit sich in eine solche 'Anthroform' zu formieren, also willentlich zwischen Feral und Anthro wandeln zu können. Allerdings ist dieses bei den Großen Drachen sehr unüblich in Gegenwart anderer. Trotzdem hätte Manvinkona es mir gerne vorgeführt, aber sie ist erst in einigen Jahren dazu fähig. Ich verzichte darauf Græðarinn zu fragen, was er mit Erleichterung bemerkt.
Und eine eigene Nebenkultur bilden die sogenannten Mischlinge, die aber nicht aus einer echten genetischen Kreuzung entstanden sind, sondern aus natürlichen Mutationen. Da sind Drachenmenschen, die überwiegend menschlich sind, aber echsenartige Merkmale besitzen, wie Schuppen oder ähnliches. Die Menschendrachen sind dagegen praktisch Anthros, die aber keine Flugarme besitzen und die von den echten Drachen immerhin als drachenartige anerkannt werden.
Ich kann heraushören, daß die Mischlinge, nicht besonders gut angesehen werden. Zudem werden vor allem die Menschen von den Drachen als sehr merkwürdig angesehen. Sie verstehen die Emotionen der Menschen und ihre Handlungen nur sehr oberflächlich. Sie verachten die Menschen zwar nicht, wahren aber Distanz zu ihnen.
Zwar findet auch Græðarinn nicht wirklich den Zugang zu mir, aber als Heiler kümmert er sich auch um Menschen und um mich wegen seiner Schwester besonders. Er bemüht sich, nicht zu abweisend zu wirken.
Nachdem ich so eine ganze Zeit mit Informationen gefüttert wurde und zwischenzeitlich auch einfach für einige Zeit eingeschlafen bin, schaut Græðarinn in die Richtung, in die Fjörgyn geflogen war.
„Ah, Mutter und Lord Eldflóð nähern sich. Bald werden wir wissen, wie es weitergeht. Wir werden sehen, ob Lord Eldflóð zustimmt. Man sagt aber, daß er recht menschenfreundlich ist."
Ich kann zwar noch lange nichts von den beiden sehen, erst etliche Minuten später erkenne ich zwei Punkte, die schnell näherkommen. Græðarinn erklärt mir noch, daß Lord Eldflóð in der Welt der Drachen die führende Position einnimmt, auch wenn das nicht ganz vergleichbar zu den Menschen ist - daher richte ich meine Aufmerksamkeit erst wieder auf die beiden Großen Drachen, als sie schon landen. Sie setzen ein Stück entfernt auf, vermutlich wollen sie mir die Gelegenheit geben, mich an den Anblick von Lord Eldflóð zu gewöhnen. Denn: oha...
Lord Eldflóð entspricht in seinem Aussehen am ehesten den Drachen, die in den Märchen als böse, menschenfressende Bestien dargestellt werden.
Ein tiefschwarzer Drache, etwa so groß wie Fjörgyn, aber deutlich wuchtiger gebaut. Seine Schuppen sind durchweg größer, kantig, zackig, mit spitzen Ecken, wirken wie mit glänzendem Teer überzogen. Diese kantigen Schuppen finden sich überall an seinem Körper, Armen, Beinen Schwanz, auch am Kopf. Der ist breiter, stärker als der Fjörgyns mit kräftigen Hörnern und Dornen, selbst am Kinn. Selbst seine Hände wirken durch die Schuppen und die sehr kräftigen Krallen weit mehr wie Pranken, als die feingliedrigen Hände 'meiner' drei Drachen. Die Flughaut wirkt etwas 'ausgefranst' , nur die Brustschuppen sind glatt, aber auch wuchtiger.
Dazu eine Art von innerem Glühen, dass durch die Schuppen zu dringen scheint, Er ist ein Feuer-Elemental und scheint tatsächlich innerlich zu brennen. Dazu die tief feuerroten Augen die sich finster blickend durch einen hindurch brennen wollen. Auf den ersten Blick insgesamt ein Bild purer finsterer Bosheit. Doch ich spüre sofort, dass dieser Eindruck täuscht.
Trotzdem fühle ich mich ein wenig unwohl, hoffentlich hält meine Stimme, denn ich habe mir vorgenommen ihn standesgemäß als erstes zu begrüßen, auch wenn die Höflichkeit der Drachen dieses sicher tolerieren würde.
Als beide stehenbleiben, lege ich meine Rechte auf meine Brust, und deute mit einem Kopfnicken eine Verbeugung an.
„Mein Lord Eldflóð, ich grüße Euch in der Freude, dass Ihr mir die Ehre eines Besuches gewährt. Bitte verzeiht, dass mir die Umstände es verwehren, Euch standesgemäß zu begrüßen." -
Er neigt seinen Kopf ebenfalls,
„Ich danke und grüße Euch ebenfalls, werter Besucher der anderen Welt. Euer Missgeschick bedauere ich zutiefst und möchte Euch versichern, dass es nicht die Art unseres Volkes ist."
Dass er mich auch im Plural anredet, scheint gut zu sein, Fjörgyn schließt ihre Augen und nickt leicht zur Bestätigung. -
„Dessen bin ich mir bereits gewiss, Mein Lord. Ich erfuhr hier im Hause Lady Fjörgyns pflegliche Aufnahme, für die ich nicht genug danken kann."
Er neigt den Kopf nochmals. Dann wird er sachlicher.
„Ich sehe, dass Ihr die Regeln unserer Höflichkeit beherrscht, doch genug jetzt dessen. Lady Fjörgyn berichtete mir über eure Begegnung und was geschehen ist. Besonders Eure tiefe Freundschaft zur jungen Dame Manvinkona hier, hat mich veranlasst, dem Wunsch Lady Fjörgyns zuzustimmen und zu helfen.
Und ich sehe jetzt, dass Ihr trotz Eurer negativen Erfahrung mit unserem Volk, immer noch zur Freundschaft bereit seid."
Alle wissen etwas, nur ich nicht... Etwas bitter lächelnd sage ich leise:
„Mein Lord, verzeiht. Aber ich sehe mich hier von drei der Großen Eures Volkes umringt - gebietet da nicht schon der reine Selbsterhaltungstrieb die Freundschaft?"
Scheiße, zu spät - hoffentlich habe ich es jetzt nicht versaut...
Eldflóð senkt seinen Kopf etwas, fast als wolle er ein Grinsen verbergen.
„Mein Freund, Ihr seid wirklich ehrlich, gnadenlos gegenüber Euch selbst. Und ich verstehe Euren Gedanken. Aber ich spüre deutlich, dass Ihr tatsächlich an der Freundschaft interessiert seid, nicht nur der Selbsterhaltung wegen."
Puh, Glück, gehabt - er hat erkannt, dass es reine Selbstironie war.
Plötzlich fühle ich mich merkwürdig, irgendwie will die Erde unter mir sich wegdrehen, oder ich mich von ihr? Als ob mir schwindelig werden will. Manvinkona steht sofort direkt neben mir und sieht mich durchdringend an.
Ich hebe die Hand und streiche ihr über die Nasenschuppen.
„Schon gut, alles in Ordnung."
Aber sie schüttelt langsam den Kopf.
„Nein, nicht in Ordnung..."
Eldflóð sieht mich intensiv an.
„Es wird Zeit, sein Körper beginnt, gegen diese Welt zu kämpfen. - Ralf, Lady Fjörgyn hatte die Idee, euch mit Leben dieser Welt zu 'infizieren' damit euer Körper und diese Welt sich erkennen und so die Heilung möglich ist. Ich bin sicher, dass es funktioniert, das hat es in der Vergangenheit bereits mehrfach.
Lady Fjörgyn ist bereit ihr Blut mit Euch zu teilen. Ich bin mitgekommen, um mit ihr gemeinsam die Kräfte Erces auf Euch zu bündeln, damit die Wandlung vollzogen wird. Und Sir Græðarinn kann Euch dann heilen."
Fjörgyn ergänzt:
„Es gibt aber auch einen Haken an der Sache: Du würdest dadurch zum Mischling werden, ein Drachenmensch. Leider werden diese weder bei den Menschen, noch bei den Drachen gut angesehen. Aber die Auswirkungen werden sicher so gering ausfallen, dass Du unerkannt unter den Menschen leben kannst. Mit dem Einfluss von Lord Eldflóð und mir bei unserem Volk, wirst Du sicher auch von den Drachen wie ein normaler Mensch anerkannt werden. - Aber, Du wirst dann nicht mehr dauerhaft in Deine Welt zurückkehren können, da Du dann ein Teil dieser Welt wirst."
Manvinkona dreht mein Gesicht mit ihrer Hand zu sich und flüstert.
„Bitte, sag ja, Großer. Du wirst für mich immer der bleiben, den ich dort kennengelernt habe."
Sie leckt mir dreimal über das Gesicht. Ich bemerke, dass Eldflóð etwas verlegen zu Boden blickt, denn wie ich später erfahren habe, ist das ein sehr privater Liebesbeweis innerhalb einer Familie oder unter Partnern - und Manvinkona war bereits weise genug, dieses auch genau zu wissen.
Ein weiterer leichter Schwindelanfall lässt mich nicht lange überlegen. Und irgendetwas in mir will überleben. Ich sage also Ja.
Sie zögern nicht lange, ich werde wieder flach auf den Boden gelegt. Die Drachen gruppieren sich um mich. Fjörgyn links, Eldflóð zu meinen Füßen und Græðarinn rechts von mir. Die Kleine bleibt an meinem Kopfende, sie weigert sich, mich alleine zu lassen.
Fjörgyn erklärt mir kurz, was passieren wird.
„Ralf, ich muss mein Blut direkt in Dein Herz bringen, damit es funktioniert - aber das bedeutet, dass ich in Dein Herz stechen muss - und Dich damit töte, wie Du sicher weißt.
Durch unsere Kräfte wird Deine Seele aber in Deinem Körper gehalten. Sobald ich Dir ein wenig von meinem Blut gegeben habe, wird Græðarinn von uns unterstützt mit der Heilung beginnen, das alles dauert nur einen Augenblick.
Durch Manvinkona wirst Du aber alles sehen können, es wird Dich vermutlich erschrecken, aber sei zuversichtlich, es ist nicht das erste Mal, dass wir so etwas machen." -
Ich nicke nur. -
„Bereit?"
Ich nicke wieder.
Mit einem schnellen Schwung ihrer Kralle hat Fjörgyn mein Hemd aufgeschnitten und meine Brust frei gemacht. Sie setzt die feine nadelscharfe Kralle ihres Zeigefingers auf meine Brust, genau über mein Herz - ein leichter Druck und die Kralle gleitet zwischen meine Rippen wie ein heißes Messer in weiche Butter. Mein Körper zuckt zusammen und verkrampft sich - soweit er es noch kann.
Scheiße, darum hat sie nicht gesagt: 'Es tut nicht weh' - weil es weh tut, scheiße weh tut... - dieser stechende Schmerz, die hochbrandende Todesangst, als das Herz stolpert, aussetzt, nochmal schlägt, wieder schmerzend - mein Körper sackt zu Boden, das Herz steht, ich bin Tot.
Ich sehe mich da liegen, die Drachen, die mich gerade getötet haben um mich herum. Der große, dunkelgrüne Drache zieht gerade seine Kralle, die er in mein Herz gerammt hatte, wieder heraus. Ein gewaltiger Schwall Blut schießt aus der Wunde überströmt die Pranke und die Krallen des dunkelgrünen Drachens, perlt aber ab, wie Wasser von einer Lotusblume.
Was werden sie jetzt machen mit meinem Körper - auffressen? Wahrscheinlich. Irgendwie strömen Gedanken in mich ein - 'das ist nicht normal' - 'es hätte so eigentlich nie alles Blut austreten können' - 'egal, ich gebe ihm alles was er braucht'... Ich verstehe nicht, was mir das sagen soll, wovon handeln diese Gedanken?
Wieder taucht der dunkelgrüne Drache seine Kralle in meinen Körper - jetzt wird er ihn sicher gleich zerfetzen. Der schwarze Drache will sich seinen Anteil sichern, er langt auch mit seiner Pranke über meinen Körper, lässt seine Krallen spielen - trifft aber daneben, er verletzt den dunkelgrünen am Finger. Das Blut des Drachen beginnt seine Kralle herabzufließen. Werden die beiden sich gleich bekämpfen, weil der schwarze den grünen verletzt hat? Nein, er zieht aber seine Pranke wieder zurück, während das Blut des dunkelgrünen weiter auf meinen Körper tropft, aufgesaugt wird wie von einem trockenen Schwamm, solange bis ebenso viel von dem Blut des Drachen in meinem Körper ist, wie vorher von meinem herausgeschossen ist.
Dann bläst der dritte Drache mit der blauen Brust eine blaue Flamme auf die Wunde des dunkelgrünen Drachen, alle drei legen ihre Pranken auf meinen Körper - gleich gibt es Hackfleisch... Ein blaues Leuchten umgibt die Pranken der drei Drachen als plötzlich ein weiß-blauer Lichtstrahl durch meinen Körper aus dem Boden schießt und alles einhüllt.
Gleißende Helligkeit blendet mich, ist aber nicht unangenehm. Im Gegenteil, es ist ein warmer Sommertag, ich liege in der Sonne und genieße die Wärme, die mich umgibt. War das eben ein komischer Traum, drei Drachen um mich herum, Krallen, Blut - merkwürdig. Ah, herrlich so in der Sonne zu liegen. Die Strahlen umgeben mich, streicheln mich, füllen meine leere Batterie auf.
Ich recke mich, dass die Knochen krachen. Bilder streifen an mir vorbei, ich sehe eine Welt, eine grüne schöne Welt, mit sich im reinen. Die Menschen dieser Welt leben im Einklang mit der Natur, gehen schonend mit den Ressourcen um, die Energie, die für die notwendigsten Hilfsmittel benötigt wird, stammt aus erneuerbaren Energien. Die Feinde wurden vertrieben, vernichtet, ich gleite im Traum über diese Welt in der die Menschen friedlich zusammenleben.
Eine Stimme sagt zu mir:
'Willkommen in meiner Welt. Wir brauchen Dich, Dein Wissen, aber auch Deine Macht, Deine Kraft. Ich begrüße Dich, Eldingar, mein Hüter.
Was war das denn? Vollkommen irre Träume, wenn sterben so ist... - gut nicht wirklich schlimm, aber verwirrend - ich weiß nicht, ob ich das nochmal haben möchte. Aber da muss ich wohl irgendwann noch mal durch, wenn es dann wirklich auf den Weg geht und ich in die Kraft Erces eingehe. - Komisch, dass ich mich daran so schnell gewöhnt habe, war doch noch vor ein paar Stunden ein ganz anderer Ort das Ziel meiner Seele.
Ich mache meine Augen auf. Die Sonne steht zwar schon recht tief, aber ich muss trotzdem wegen der Helligkeit blinzeln, aber schon ist das vorbei. Über mir sehe ich die Gesichter von Fjörgyn, Græðarinn und Eldflóð, die mich mit Unsicherheit im Blick ansehen. Dann schiebt sich Manvinkona in mein Blickfeld, sie stahlt mich an.
„Hallo Kleine." sage ich. -
„Hallo, Großer." strahlt sie zurück. „Na, das hat aber geklappt."
Bin ich tatsächlich geheilt? Ich versuche mit den Zehen zu wackeln, ja - fühlt sich zwar irgendwie noch komisch an, aber funktioniert. Ich schubbel ein wenig hin und her, auf irgendwas liege ich und es fühlt sich hier und da auch noch ungewohnt an, aber hey! Ich fühle es! Und ich kann mich bewegen. - Komisch, so wie die drei mich ansehen: Fjörgyn wirkt besorgt, Eldflóð mit einer Mischung aus Zweifel und Verstehen - und Græðarinn einfach nur platt erstaunt.
„Na, Græðarinn, ist alles gutgegangen?" frage ich.
Er setzt an, stockt aber wieder. Fjörgyn antwortet mir:
„Ja, schon - nur... vor den Menschen verstecken wirst Du das Drachenblut wohl nicht ganz können, wie ich es Dir eigentlich versprochen hatte..." -
Græðarinn ergänzt trocken:
„Aber dafür hat er es als Menschendrache..."
Ein scharfes „SSST" seiner Mutter ließ ihn verstummen.
Manvinkona kichert:
„Ihr werdet euch noch wundern."
Moment - was sagte Græðarinn? Menschendrache...? das sind doch...
Ich reiße meinen rechten Arm hoch und starre auf den Arm eines Drachen. Glatte, dunkle, fast schwarze Schuppen überziehen den kompletten Arm, von der Schulter bis zu den Fingerspitzen, aus denen jetzt schlanke, lange, scharfe Krallen hervor schnellen.
„Toll!" freut sich die Kleine.
Auf der Außenseite und dem Handrücken sind die Schuppen etwas größer, auf der Arminnenseite feiner, die Handfläche mit winzigen, scheinbar samtweichen und doch widerstandsfähigen Schuppen bedeckt. Der linke Arm - sieht genauso aus... Ich ziehe das rechte Bein an und starre auf das typische Hinterbein eines Zehengängers mit Tatzen ähnlich einem Tiger. Auf einen Gedanken fahren auch hier die scharfen Krallen aus den Zehen ein und aus.
Auch alles mit den glatten, dunklen - ein Lichtreflex huscht über die Schuppen - aha, mitternachtsblauen Schuppen. Das linke Bein sehe ich mir schon gar nicht mehr an, ich fühle ja die Krallen ausfahren. Und was ist da noch - schon hebt sich ein langer, schlanker Schwanz in mein Blickfeld mit Finnen seitlich, kurz vor der Schwanzspitze - über die Schuppen, die auch den Schwanz bedecken, mache ich mir schon gar keine Gedanken mehr. -
...W-Was ist mit meinem K-Kopf... leicht zitternd hebe ich die Hände zu meinem Gesicht - und berühre eine lange Schnauze. Ich taste meinen Kopf ab und vermute, dass ich ähnlich aussehe wie Græðarinn, ein klein wenig stärker in den Formen vielleicht - wenn ich gleich groß wäre. Allerdings ertaste ich eine Art Kamm, bewegliche Stachelstrahlen, durch eine Art Membran verbunden, die ich offenbar auch glatt nach hinten anlegen kann und die irgendwo im Nacken enden.
„W-Wie..."
ich bin jetzt völlig fertig. Was bin ich - ein Drache?
Fjörgyn versucht mir zu erklären:
„Da hat etwas eingegriffen..." weiß aber auch nicht weiter.
Eldflóð überlegt ruhig:
„Die Leitfinnen am Kopf und Schwanz - entweder ein guter Schwimmer - dagegen sprechen aber die Hände und Füße, keine Schwimmhäute - oder ein starker Flieger, vielleicht ein Sturmflieger. Aber so ohne Schwingen..."
Manvinkona freut sich ein Loch in den Bauch, weil sie was weiß, was die anderen nicht wissen.
„Dreh' dich doch mal um, Großer!" -
Ohne den Kopf viel drehen zu müssen sehe ich sie mit einem Auge an - das Sehfeld ist also auch wesentlich weiter geworden... - Sie nickt mir aufmunternd zu.
OK, ich rolle mich auf den Bauch und bin auch schon auf Händen und Knien. Der komische Druck im Rücken ist weg, ich bewege meine Schultern zur Entspannung ein wenig, schaue nach rechts, nach links... da entfalten sich zwei Flugarme auf bestimmt fünf oder sechs Meter Spannweite.
„Haha!" freut sich die Kleine - und bestimmt auch für mich, was mir im Moment noch schwerfällt: „jetzt fliegst Du sogar noch früher als ich!" -
Von Fjörgyn höre ich, mit ein wenig Erleichterung in ihrer Stimme:
„Ein Voll-Anthro..."
Offenbar sieht sie für mich gerade ein besseres Leben hier voraus, als vollwertiger Anthro würde ich immerhin zu den Drachen zählen. Soll ich mich darüber auch freuen... -
„Falsch!" kräht meine kleine Freundin, die sich fast nicht mehr einkriegt vor Freude und vor mir rumhüpft.
Ich verstehe jetzt gar nichts mehr - soweit ich das irgendwie verstanden habe, hätte so etwas nie möglich sein dürfen.
Panik steigt in mir hoch. Ich, ein Drache? Warum, Wie? Ich kann doch so nie mehr zurück! Nein! Meine Gedanken rasen! Mit wachsender Panik sehe ich auf meinen Körper, links, rechts, unten, Bauch, Arme, Schwingen - plötzlich fühle ich eine Energie durch mich schießen. Was ist jetzt noch!
Alles um mich herum wird kleiner. Meine Hände geben mir jetzt die Möglichkeit auch nur auf den Fingern zu gehen, der Körper wandelt sich von der schlanken, muskulösen, menschenählichen Gestalt zu der gestreckten, schlanken und nicht weniger muskelbepackten eines Ferals, der Hals wird länger, ich habe keine Mühe meinen Kopf weit nach hinten zu drehen. Dann ist der Energieschub vorbei.
Die drei Drachen sind nicht mehr riesig über mir - sie sind auf meine Größe geschrumpft. Nein, falsch, ich bin auf ihre Größe gewachsen. Irgendwo da unten, 10 Meter tiefer streichelt die für mich jetzt winzige Hand Manvinkonas ein paar Schuppen meiner rechten Hand
„Na, habe ich nicht gesagt: 'Großer'?" und fügt flüsternd, nur für mich hörbar hinzu: „Genauso habe ich Deine Seele gesehen, als ich Dich drüben festgehalten habe."
Schlagartig bin ich ruhig. Ich schaue die Wiese hinunter, sehe ganz hinten die Bienen von Blume zu Blume summen, höre die Eichhörnchen die Bäume entlang wuseln im Wald dahinter. Auf der anderen Talseite kann ich einen Habicht sehen, der da in 3 Kilometer Entfernung aus einer Tannenkrone heraus eine Taube schlägt. Ich sauge die Luft durch die Nüstern und rieche ein Rudel Hirsche im Talgrund.
Ich erinnere mich an die Stimme in meinem Traum die zu mir sagte 'Willkommen in meiner Welt, mein Hüter' - und weiß jetzt, wer da zu mir, gesprochen hat: Erce!
Ich schaue zu Manvinkona hinab und sage sanft zu ihr:
„Ja, meine kleine Freundin, das hast Du schon immer gesagt."
Dann hebe ich den Kopf und gebe dem Drang nach.
Und zum ersten Mal hört diese Welt meinen kilometerweit hörbaren Ruf, der Freunde ehrfürchtig lauschen und Feinde erschauern lässt:
Das donnernde Röhren eines Großen Drachen.