Unter Drachen 3 - Erste Aufgabe und voll erwacht
#3 of Unter Drachen
Kaum da, schon Arbeit... - da hätte ich auch zu Hause bleiben können
Erst wird es windig, dann wird mir heiß, aber alles hat seinen Sinn.
Teil Drei der Geschichte um einen Menschen, der als Lord Eldingar mit und bei den Drachen lebt.
Ich versuche in dieser Story die Gedanken und Empfindungen des Menschen, der in ein Leben als Drache gestoßen wurde, in den Vordergrund zu stellen. Daher sind besonders die ersten Teile eher gesprächslastig und bringen keine großen Actionhöhepunkte. ;)
Ich hoffe, es gefällt trotzdem.
Unter Drachen
3.1. Erste Aufgabe
...Eldflóð erklärt fast feierlich:
„Ich begrüße Euch, Sir Eldingar, Blitzdrache und Herr der Gewitter, als Mitglied der Großen Hüter."
Bin ich nun offiziell im Volk der Großen Drachen aufgenommen worden? Es scheint mir fast so, jedenfalls sehen mich alle mit feierlichem Ernst an.
„Ich danke Euch, mein Lord Eldflóð und versichere Euch, dass ich Eurem Wort stets folgen werde."
Er erwidert meine Verneigung und wird wieder persönlicher im Ton.
„Ich sehe, dass Ihr derzeit offenbar kein Interesse an einer Herausforderung habt." -
Nein, das habe ich wirklich nicht.
„Seid beruhigt mein Lord, ich strebe nicht nach einer hohen Stellung - schon gar nicht am Tag nach meiner Ankunft hier."
Eldflóð nickt, ich glaube fast, ein Lächeln zu erkennen.
„Bedauerlicherweise muss ich aufbrechen. Wenn Ihr mögt, dürft Ihr mich morgen gerne besuchen, ich würde Euch dann gerne ein wenig mehr über die Menschen in dieser Welt zeigen." -
„Danke mein Lord. Ja, das würde mich sehr interessieren."
antworte ich, da Fjörgyn offenbar nichts anderes mit mir vor zu haben scheint.
Eldflóð verabschiedet sich von uns, hebt ab und ist schnell in der Ferne verschwunden.
Wir unterhalten uns noch eine ganze Zeit über das Erlebnis meiner 'Erweckung' - wie es auf sie gewirkt hat und was und wie ich mich dabei gefühlt habe.
Besonders Græðarinn mag nicht recht glauben, dass die Blitze für mich keineswegs unangenehm waren. Und vor kurzem, als Mensch, wären sie für mich sicher auch tödlich gewesen, aber dieses unglaubliche Gefühl von purer Kraft und erfrischender Energie, das mich dabei durchströmte ist nur schwer zu vermitteln. Irgendwann werde ich ausprobieren müssen, wie viel Energie ich aufnehmen und auch wieder abgeben kann. Innerlich spüre ich meine vollen Speicher, bin mir aber nicht sicher, wie viel ein wirkungsvoller Energiestoß davon verbrauchen wird. Aber das werde ich ein anderes Mal testen.
Mittlerweile ist es dunkel geworden und Manvinkona kämpft auf meiner Hand liegend wieder mit der Müdigkeit. Wir entschließen uns, zur Ruhe zu gehen, da die Sonne jetzt im Sommer wieder früh aufgeht. Ich habe einen Felsüberhang in der Nähe der Höhle gefunden, unter dem es trocken bleibt und ziehe mich dahin zurück, da ich die anderen in ihrer Privatsphäre nicht stören mag - und ich bin mir auch noch nicht so sicher mit den Drachen... zwar bin ich jetzt ebenso groß und stark, vielleicht sogar stärker als Fjörgyn und Græðarinn, aber so eine kleine innere Unsicherheit ist immer noch da, wenn ich daran denke, direkt neben ihnen zu schlafen. Zudem möchte ich auch ein wenig für mich alleine sein - Als Mensch war ich ein Einzelgänger.
Trotz der Aufregungen und dem Energieschub vorhin, bin ich auch bald eingeschlafen.
Mitten aus einem merkwürdigen Traum, in dem ich von einem Drachen verschluckt wurde und danach versuche seinen Körper zu lenken, schrecke ich hoch und bin übergangslos wach.
Es ist noch mitten in der Nacht und ich habe Schwierigkeiten mich zurechtzufinden. Kein Drache weit und breit zu sehen, ich liege noch unter dem Felsüberhang, aber irgendetwas stimmt nicht, ich fühle mich sehr merkwürdig. Ich sehe mich um und wundere mich, dass es mir irgendwie schwerfällt - aber alles scheint normal zu sein, zumindest wenn ich das, was mir seit meiner Begegnung mit Manvinkona passiert ist, als normal ansehe.
Ich habe immer noch den Drachenkörper und - Moment, da stimmt doch was nicht, ich fühle meinen Körper nicht richtig - nein falsch, ich spüre meinen Körper, aber da stimmt irgendetwas nicht. So als ob mein Unterbewusstsein meinen alten menschlichen Körper erwartet, aber natürlich nicht findet - aber auch nicht den Zugang zu meinem neuen Drachenkörper. Und meinem aktiven Bewusstsein fehlt genauso dieser Zugang und scheitert an irgendeiner mir unbekannten Sperre. Ich habe das Gefühl irgendwo im Nichts zu hängen. Hilflos in einem fremden Körper zu treiben.
Ein Versuch, aufzustehen scheitert kläglich, als ob ich an meinem Körper vorbeirede - die falsche Sprache spreche. Mit äußerster Konzentration schaffe ich es mühsam irgendwie, mich auf meinen Armen hochzustemmen und hocke so schwankend da. Warum ich den Kopf wenigstens halbwegs hochhalte, weiß ich auch nicht wirklich. Und das gequälte Stöhnen muss wohl von mir kommen, in mir wächst zunehmend die Verzweiflung - was ist mit mir los?
Anscheinend habe ich mit meinen unartikulierten Lauten Fjörgyn geweckt, sie steht im Höhleneingang und schaut zu mir rüber.
„Eldingar? Ist etwas passiert?" -
„Ich weiß nicht - mein Körper..."
erschreckt vernehme ich die unverständlichen Töne, die aus meiner Kehle kommen. Und schlimmer: Fjörgyn sieht mich fragend an, hat sie mich nicht verstanden? Angst steigt in mir hoch.
„Bitte Fjörgyn, hilf mir..."
Wieder diese unverständlichen Töne.
Fjörgyn scheint besorgt, hat mich offenbar aber immer noch nicht verstanden. Habe ich auch die Fähigkeit zum sprechen verloren? Bin ich jetzt nicht nur gelähmt, sondern auch noch stumm? Die Angst wird zur Panik - wie soll ich in dieser Welt überleben, wenn ich den Kontakt zu meinem Körper verloren habe. Die Panik raubt mir die Konzentration, die ich dringend brauche für das bisschen Kontrolle, die ich über meinen Körper noch habe und ich sacke langsam zusammen.
Fjörgyn hat jetzt offenbar die Panik, die in meinen Augen flackert, bemerkt und ist mit wenigen, schnellen Schritten bei mir. Sie ergreift mich, nimmt mich in den Arm und redet beruhigend auf mich ein, wie mit einem verängstigten Kind, das aus einem Albtraum aufgewacht ist. Langsam lässt die Panik nach, aber dieses hässliche Gefühl, meinen Körper verloren zu haben, bleibt.
„Fjörgyn..." versuche ich - aber es ist nahezu unverständlich.
„Bitte, nenne mich Jörð, das ist für eine Drachenkehle leichter auszusprechen." sagt sie beruhigend zu mir.
„Jörð." Ja, das ist tatsächlich verständlicher. „Ich fühle mich so verloren..."
Ich weiß, dass sie mich nicht versteht, aber ich muss einfach etwas sagen. -
„Ruhig, Ralf - versuche Dich zu beruhigen. Ich weiß zwar nicht, wie und warum es passiert ist, aber ich ahne, was mit Dir ist. Versuche, Dich erstmal zu beruhigen und dann versuche einfach Deinen Körper wiederzufinden. Hab Vertrauen, es ist in Dir."
Ihre Nähe und ihre ruhige Art, mit der sie offenbar auch ihre eigene Besorgnis unterdrückt, hilft mir tatsächlich schnell wieder ruhiger zu werden. Ich versuche, mich auf meinen Körper zu konzentrieren, ihn richtig zu spüren, mich zu bewegen. Arme und Beine kann ich mit großer Konzentration bewegen, aber schon meinen Schwanz 'finde' ich überhaupt nicht mehr - von den Flugarmen ganz zu schweigen. Mir fehlt da jeglicher Zugang, als Mensch habe ich ja dieses zusätzliche Armpaar nicht gehabt, die ganzen Muskeln und Nervenbahnen kenne ich nicht. Ob ich die Schwingen je wieder bewegen kann? Vom Fliegen will ich gar nicht reden.
Zudem ist meine Sicht unscharf, weil ich meine Nickhäute nicht mehr richtig öffnen kann. Aber ich will jetzt nicht aufgeben, immer noch redet Fjörgyn - Jörð beruhigend mit mir.
Und plötzlich finde ich etwas, etwas, das für mein inneres Auge wie ein Drache aussieht. Bin 'ich' das? Ist das mein Körper? Mein jetziger Körper als Drache? Egal - keine Ahnung warum und woher das jetzt finde - ich greife einfach zu!
Mein ganzer Körper zuckt zusammen, dass Fjörgyn sich erschreckt. Aber ich habe meinen Körper wieder, fühle mich wieder, kann mich wieder bewegen. Ein tiefer erleichterter Seufzer kommt aus meinem tiefsten Inneren.
„Danke Jörð - Fjörgyn, entschuldige bitte. - Danke für Deine Hilfe." -
„Was ist passiert?" fragt sie. -
„Genau weiß ich es nicht, ich bin aus dem Schlaf hochgeschreckt - und wusste plötzlich nicht mehr, wie ich meinen Körper bewegen soll. Als ob ich den Kontakt verloren habe und mein Bewusstsein jetzt meinen alten Körper suchte und nichts gefunden hat - eben auch nicht den Drachenkörper. Bis ich jetzt plötzlich wieder den Zugang fand. - Ein unangenehmes Erlebnis."
Fjörgyn nickt.
„Ich habe schon befürchtet, dass irgendwann etwas ähnliches passieren wird. Deine Seele muss mit so vielem Neuen fertig werden - da ist das doch fast zu vermuten. Dass es jetzt aber so schlimm geworden ist... Ich vermute, Dein Unterbewusstsein hat so plötzlich aus einem Traum heraus nicht so schnell wieder zurückgefunden und Dein jetziger Körper ist dann einfach noch zu fremd.
Aber ich bin mir sicher, dass es nicht nochmal so schlimm kommen wird - jetzt weißt Du, wie Du Deinen Körper findest. -
Und: Du darfst mich gerne weiter Jörð nennen. Das ist mein Nestlingsname, den eigentlich nur die Eltern benutzen, aber ich kenne und benutze ja auch Deinen Nestlingsnamen, den Du als Mensch hattest." sagt sie lächelnd. -
„Danke - Jörð."
Nach allem, was ich bisher über die Privatsphäre der Großen Drachen mitbekommen habe, ist das ein sehr großer Freundschaftsbeweis. Sie lässt mich jetzt wieder los.
„Du kommst jetzt aber mit in die Höhle, ich lasse Dich jetzt nicht hier draußen alleine. Wenigstens am Eingang, wenn Du meinst, Du würdest uns stören."
Widerstand ist zwecklos, das merke ich deutlich, also stimme ich zu und komme mit zur Höhle. Aber ich lege mich wirklich in die Nähe des Einganges, da ich mich irgendwie als Eindringling fühle. Nach einiger Zeit und obwohl ich innerlich noch besorgt bin, schlafe ich tatsächlich wieder ein.
Mit dem ersten Licht am Horizont werde ich wieder wach. Ich horche in mich hinein - alles soweit in Ordnung - auch draußen ist nichts ungewöhnliches. Anscheinend entwickele ich mich von einer 'Eule' zu einer 'Lerche'... aber gut, wo ich nun schon wach bin, kann ich ja auch hoch. Leise wie ein Drache erhebe ich mich und gehe zum Teich hinunter. Das Erlebnis heute Nacht kommt mir zwar fast wie ein Albtraum vor, aber die Spuren meiner verzweifelten Versuche auf die Beine zu kommen, da drüben unter dem Überhang, lassen keinen Zweifel zu, dass es wirklich passiert ist.
Am Teich, lasse ich mich leise in das Wasser gleiten und tauche erst einmal vollständig unter - der Teich ist recht tief, wie ich feststelle. Und ich stelle auch fest, dass ich sehr gut im Wasser zurechtkomme, ich kann viel länger die Luft anhalten und die Nickhaut meiner Augen hilft mir, auch unter Wasser klar sehen zu können. Das habe ich heute Nacht nebenbei bemerkt, dass ich die bewusst und getrennt von den Augenlidern öffnen und schließen kann.
Das kühle Wasser hilft mir, die Gedanken an das heute in der Nacht erlebte abzustreifen. Nach ein paar Minuten steige ich wieder aus dem Wasser und stelle fest, dass ich kaum eine feuchte Spur auf dem Ufer hinterlasse, so gut perlt das Wasser an meinen Schuppen ab - ist das wirklich erst zwei Tage her, dass ich das bei Manvinkona noch ein wenig neidisch bewundert hatte?
Beim Blick über die Bergspitzen über denen das dunkle Blau sich langsam ins lila färbt, spüre ich meine neuen Sinne ansprechen - nichts konkretes, aber irgendetwas scheint sich weit entfernt zusammenbrauen zu wollen. In der Höhle rührt sich noch nichts, also entschließe ich mich, mir einen Überblick zu verschaffen. Hier am Hang reichen zwei, drei schnelle Schritte, ein letztes Abstoßen und meine langen Schwingen tragen mich in die Luft. Jetzt ist leider keine Thermik zu spüren, aber mein Gleitwinkel ist so gut, dass ich über dem abfallenden Hang schnell genug Höhe gewinne um problemlos meine Schwingenschläge voll durchziehen zu können. So gewinne ich ohne besondere Kraftanstrengung schnell an Höhe.
Und sofort hat mich die Faszination des Fliegens - besonders des direkten Fliegens aus eigener Kraft - wieder eingefangen. Höher, immer höher zieht es mich, ich brauche auf niemanden Rücksicht nehmen, nur einfach mit ruhigen, raumgreifenden Schlägen meiner Flugarme in weiten Kreisen - ich will ja nicht weg von meinem Startplatz - immer weiter aufsteigen. Die Welt ist immer kleiner unter mir zu sehen - ehe ich es recht merke, bin ich bereits höher als die Berggipfel um mich herum. Aber es reicht mir noch nicht, weiter - höher, immer höher. Langsam wird die Luft dünner, aber das bemerke ich kaum, ich habe noch keine Probleme damit. Meine Drachenlungen gleichen das problemlos aus. Erst, als ich die feinen Eiskristalle einer feinen Cirrostratusschicht um mich bemerke, ist mein Drang nach oben vorerst gestillt.
Nur noch ein paar Schläge und ich gleite in der klaren, eiskalten Luft - auch hier kann ich noch atmen, aber ein deutliches Gefühl sagt mir, ich sollte hier nicht zu lange bleiben. Zudem ist die Luft schon so dünn, dass ich mich immer wieder mit einigen Schwingenschlägen auf Höhe halten muss.
Mir fällt ein, dass Cirruswolken sind oberhalb von 8.000m zu finden - also bin ich in der Todeszone, nur wenig unterhalb der Tropopause, vielleicht sogar schon etwas darüber. Große Erce - wozu ist ein Großer Drache noch alles fähig...
Aber ich genieße die Fernsicht. Hier oben ist die Sonne schon lange aufgegangen, während tief unter mir an meinem Startplatz noch alles in der Dämmerung liegt.
Am Horizont erkenne ich das Schwarze Meer und gerade noch die Krim. Und dahinter scheint sich eine starke Kaltfront schnell auf eine warme, feuchte Luftmasse zuzubewegen. Irgendetwas in mir sagt sehr starke Gewitter voraus - und Tornados, starke Tornados - dabei ist das Land da vor mir eigentlich nicht dafür prädestiniert, wie die Tornadoalley . Natürlich gibt es in der Ukraine und vor dem Karpatenbogen Tornados, aber normalerweise keine solche starke Tornadofront, die ich in mir spüre. Gut, dass ich heute zu Lord Eldflóð will, er kann mir sicher sagen, ob hier solche Stürme schon öfter vorgekommen ist und ob dort Gefahr besteht.
In diese Überlegungen spüre ich, wie Manvinkona mich geistig sucht. Da sie mich nicht sieht, scheint sie mich nicht ohne weiteres finden zu können. Ich strecke im Geiste sozusagen meine Hand nach ihr aus und berühre sie - sofort spürt sie, dass ich es bin und sie nimmt den Kontakt wieder auf, deutlich bemerke ich ihre Erleichterung. Ich fühle Ihre Frage, wo ich bin und reiche meine Eindrücke an sie weiter. Ihr Erstaunen darüber, wie hoch ich über ihnen bin, kann ich deutlich fühlen.
Ich habe jetzt auch genug gesehen und teile ihr mit, dass ich mich jetzt wieder an den Abstieg mache. Aber ein wenig möchte ich das doch auch genießen, also gehe ich mit voller Spannweite in weiten Schleifen in einen schnellen Sinkflug. Nach dem Rausch der Höhe, nun der Rausch der puren Geschwindigkeit. Nachdem ich schnell die ersten paar tausend Meter tiefer bin, spüre ich doch deutlich, wie kalt es da oben war. Auf dieser Höhe habe ich auch einen besseren Bezug auf meinen Standort und die Geschwindigkeit und stelle weiter an um noch schneller zu werden - ich will jetzt wissen, was geht.
Nur zwei Schleifen später jage ich in knapp 100m Höhe über die Hangwiese unterhalb der Höhle und bemerke im Vorbeiflug, wie mir die drei hinterhersehen. Mit einer Kampfkurve baue ich schnell die Geschwindigkeit ab und setze dann im ruhigen Gleitflug zu einer weichen Landung an. Ich liebe meine Schwingen und das Fliegen aus eigener Kraft - das alleine ist alle Probleme und den gewaltigen Umbruch in meinem Leben wert! - Aus den Erläuterungen von gestern weiß ich, dass die Großen Drachen ca. 300 km/h erreichen, sehr gute Flieger, wie auch ich, kommen im aktiven Flug auf etwa 350 km/h. Bei meinem Überflug vorhin komme ich nach meiner Berechnung auf etwas über 500 km/h - und das ohne dass ich irgendwelche Probleme verspürte.
Natürlich spüre ich einen zunehmenden Winddruck auf den Flugarmen, aber meine Aerodynamik ist offenbar so gut, dass ich auch ohne in den senkrechten Sturzflug zu gehen diese Geschwindigkeit erreiche. Zudem halten mich meine Steuerfinnen absolut stabil auf der Flugbahn und geben mir eine sehr gute Kontrolle über meinen Flug, selbst bei diesen hohen Geschwindigkeiten. Darauf bezogen sollten Sturmböen demnach kein Problem zu sein - bin ich also wirklich ein Gewitter- und Sturmflieger?
Ich gehe auf die drei Drachen zu und bemerke, dass Græðarinn einfach nur erstaunt zu sein scheint, während Manvinkona sich riesig für mich freut. Fjörgyn allerdings wirkt ernsthaft besorgt - hoffentlich hat sich sich keine Sorgen gemacht, als ich heute morgen plötzlich weg war, ich hatte da gar nicht mehr dran gedacht.
„Eldingar - Ralf. Sei bitte nicht so unvorsichtig. Wenn Du Dir bei solchem Unsinn die Flugarme brichst, kann Dir keiner mehr helfen." -
„Ich verstehe Deine Besorgnis, Fjörgyn. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es für mich jetzt schon gefährlich wird. Ich habe auf die Kraft geachtet, die auf meine Schwingen einwirkt und bin mir sicher, dass es noch nicht kritisch war, Erce hat mir anscheinend ein sehr genaues Gefühl dafür mitgegeben. - Aber ich möchte mich entschuldigen, dass ich heute morgen so ohne Nachricht aufgebrochen bin. - Doch mich haben meine Sinne alarmiert und ich wollte das nachprüfen." -
Wirklich überzeugt ist sie noch nicht.
„Sei bitte trotzdem vorsichtig. - Vorhin hatte Manvinkona mir ja gleich erzählt, wo Du bist, daher war ich nicht so sehr besorgt über Deine Abwesenheit. Ist alles soweit in Ordnung?" -
„Ja, heute morgen war alles gut. Ich hoffe, dass es so nicht wieder passiert."
Manvinkona kann sich jetzt nicht mehr zurückhalten.
„Das war eine tolle Aussicht von da oben! Hoffentlich kann ich selber bald da rauf fliegen."
Fjörgyn sieht sie erstaunt an:
„Woher weißt Du, wie es da ausgesehen hat? - Und da fällt mir ein, wie wusstest Du eigentlich, wo er war, wir konnten ihn doch selbst dann kaum erkennen." -
Nun hat Manvinkona sich verraten, aber das scheint sie nicht wirklich zu stören.
„Ich kann immer seine Seele spüren, egal wie weit auseinander wir sind. Und wir können uns Gedanken und Bilder mitteilen." -
Am besten erkläre ich das ein wenig weiter.
„Soweit ich das verstehe, hat Erce ihr bei meiner Wandlung diese neue Fähigkeit verliehen, die sie jetzt langsam kennenlernt. Vermutlich wird sie schon bald auch mit euch jederzeit so in Verbindung treten können, über jede Entfernung hinweg. Und wohin ihre Fähigkeiten noch gehen werden, weiß nur Erce selber, aber ich denke, sie wird ein Teil von mir und ich ein Teil von ihr sein, in der Erfüllung unserer Aufgabe als Hüter dieser Welt."
Irgendetwas in mir sagt mir, dass wir beide eine gemeinsame Aufgabe hier haben.
Fjörgyn und auch Manvinkona sind jetzt sehr nachdenklich geworden, beide denken wohl daran, was die Zukunft bringen wird. Ich lege mich vor Manvinkona hin und schaffe es, ihr vorsichtig mit meiner Zungenspitze ein wenig das Gesicht zu lecken, so wie es drüben bei mir gemacht hatte.
„Hey, kleine Freundin - mach Dir jetzt keine großen Gedanken darüber. Erce wird Dich nicht allein lassen und Du wirst Deine Kräfte beherrschen, wenn Du sie benötigst."
Meine kleine Freundin verzieht zwar erst ein wenig das Gesicht, sieht mich dann aber lächelnd an und leckt mir auch ein paar mal die Oberlippe, mein Gesicht ist ja zwischenzeitlich etwas größer geworden...
„Danke Großer."
Ich grinse sie an.
„Und wie bekommen wir jetzt die besorgten Gedanken Deiner Mutter vertrieben?"
Sie schaut mit einem frechen Grinsen zu ihrer Mutter und meint:
„Och, da fällt mir schon was ein..." -
„Na, da bin ich mir sicher." antwortet Fjörgyn, anscheinend wieder etwas beruhigt.
Græðarinn sieht mich an.
„Du machst es einem wirklich schwer, nicht auf Dich neidisch zu sein, Eldingar - andererseits bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich neidisch sein sollte..."
Aber er sagt das nicht mehr so schwermütig, wie gestern. -
„Ich weiß nicht, ob es einen Grund gibt, wirklich auf mich neidisch zu sein.
Trotz allem tue ich doch nur so, als ob ich ein echter Drache bin - ich bin nicht aus einem Ei geschlüpft, was werden die anderen also von mir halten - und ... ich kann doch vor allem was kaputt machen, was ist das schon gegen einen Heiler." -
Er spürt meinen Ernst, dass ich es so meine, wie ich es gesagt habe.
„Schon in Ordnung, ich habe mittlerweile begriffen, dass ein Heiler nicht gleichzeitig ein Kämpfer ist. - Aber glaube mir: auf Dich werden auch andere neidisch sein - naja, oder auch nicht... Du weißt schon, die Blitze..."
Das erinnert mich wieder an meine Beobachtungen vorhin.
„Oh, das hätte ich jetzt fast vergessen. Ich spüre etwas großes aufziehen, das wird heute vermutlich noch gewaltig krachen drüben vor dem Karpatenbogen."
Ich zeichne Ihnen mit einer Kralle auf dem Boden mit ein paar schnellen Linien auf, wo es ist. - Ein wenig bin ich selber überrascht, wie gut ich mich an die Geografie erinnern kann. -
„Ah ja, dass ist auf dem Gebiet von Lord Eldflóð, er erwartet uns momentan hier."
Fjörgyn zeigt auf die Krim, die ich mit angedeutet habe.
„Am besten, wir brechen so schnell wie möglich auf. Würdest Du Manvinkona tragen, Ralf? Zum einen wird sie Dich wohl am wenigsten belasten beim Fliegen - und außerdem wird sie es sicher ohnehin wollen."
Klar nehme ich sie.
„Natürlich, gerne. - Danke für Dein Vertrauen, Fjörgyn. Nach gerade mal einem Tag Flugerfahrung..." -
Sie nickt nur und ich sehe wieder diesen Ausdruck in ihren Augen, den gleichen wie heute Nacht. Innerlich überrascht erkenne ich, dass sie mich ansieht, wie eine liebevolle Mutter ihr Kind. Aber mehr überrascht mich, dass ich sie mittlerweile auch als meine Drachenmutter ansehe. Nun ja, sie hat mir ja auch ihr Blut gegeben und ihr Geruch ist irgendwie ... verwandt. Irgendwann muss ich wohl mir ihr darüber reden...
Die drei haben nicht viel vorzubereiten, schnell sind wir bereit zum Aufbruch, Manvinkona platziert sich wieder auf meinem Rücken zwischen den Schultergelenken meiner Flugarme. Dort kann sie sich gut an mir festkrallen, hat es recht bequem und wenn sie sich flach anschmiegt, bietet sie kaum Luftwiderstand. Fjörgyn bestätigt mir kurz, dass ich für genau diesen Zweck, einen Nestling zu tragen, die anatomischen Voraussetzungen mitbringe, wie jeder andere Drachen auch. Manvinkona rückt sich noch ein wenig zurecht. Deutlich spüre ich über unsere Verbindung, wie sie den engen Schuppenkontakt zu mir genießt. Wir starten und erreichen mit einigen kräftigen Schwingenschlägen unsere Flughöhe, ich folge den beiden mit ein paar Metern Abstand und wir machen uns auf den Weg nach Westen.
Auch wenn Græðarinn immer betont, dass er im Vergleich kein guter Flieger ist, hält er doch problemlos und ausdauernd die Geschwindigkeit von ca. 300 km/h, die Fjörgyn vorgibt. Anscheinend hat sie es recht eilig. Von ihrer Höhle etwas westlich des Elbrus sind wir in einer halben Stunde am Schwarzen Meer. Über dem Wasser gehe ich schnell auf 30m Höhe runter, um den Bodeneffekt auszunutzen, der mir eine erhebliche Kraftersparnis bringt. So kann ich mit leichten Schwingenschlägen das Tempo halten, ohne voll durchziehen zu müssen. Fjörgyn und Græðarinn scheinen das nicht zu kennen, denn sie bleiben deutlich höher und müssen dementsprechend kräftiger arbeiten.
Manvinkona findet es hier unten auch spannender und die Gruppe Delfine, die ich für sie einmal umkreise, begeistert sie richtig. Die beiden anderen habe ich schnell wieder eingeholt.
Anderthalb Stunden später sind wir über der Krim und Fjörgyn führt uns zu einer Höhle hier am südöstlichen Küstengebirge. Ein sehr schöner Wohnplatz mit Meerblick. Vereinzeln sehe ich in der Ferne ein paar Fischerboote in Küstennähe - also auch hier ist die Krim von Menschen besiedelt.
Eldflóð erwartet uns bereits, als wir zur Landung ansetzen und wir begrüßen uns.
Während Manvinkona wieder meine Schwinge herunterrutscht, fragt Fjörgyn:
„Hatte es einen besonderen Grund, dass Du über dem Wasser so tief geflogen bist? Ich habe das auch schon bei Lord Kyrin gesehen, aber er ist ja ein Wasserdrachen" -
„Ja, das hat einen Grund..." antworte ich ihr. „...wenn ich in der Geschwindigkeit dicht über dem Boden - oder Wasser - fliege, bildet sich ein Luftpolster unter den Schwingen und zudem verringern sich die bremsenden Luftwirbel. So kann ich mit deutlich weniger Kraftaufwand fliegen. Allerdings muss man dazu schon auf die halbe Höhe der Spannweite runter, das ist also nur etwas für ebene Flächen ohne Hindernisse, wie eben das Meer. Aber man braucht dann auch nicht mehr voll durchziehen."
Eldflóð sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Und schon habt ihr ein wohlbehütetes Geheimnis von Lord Kyrin gelüftet, ohne ihn persönlich zu kennen. - Ist das Euer Wissen als Mensch?" -
„Ja, vieles haben sie dort von der Natur abgeschaut. - Und ich dachte mir: was so ein Albatros kann, wird ein Drache wohl auch können. Das funktioniert auch unabhängig von der Spannweite, nur die Höhe muss angepasst werden. Bei der ruhigen See heute ist das auch kein Problem. - Aber es wird noch stürmischer werden heute - jedenfalls drüben am Karpatenbogen."
Mit wenigen Worten berichte ich Eldflóð von meinen alarmierten Sinnen, die auch immer deutlicher anschlagen und was diese mir sagen.
„Nun, Sir Eldingar, wir sollten dann unseren Besuch bei den Menschen hier gleich dazu nutzen, sie über diese ungewöhnlich starken Stürme zu informieren. So können sie sich vielleicht vorbereiten oder zumindest Opfer vermeiden. Sie haben Möglichkeiten, auch über große Entfernungen Nachrichten sehr schnell zu übermitteln. - Sagt, glaubt Ihr, dass Ihr auch diesen Gewittern und den Stürmen ihre Kraft entziehen könnt?" -
Ich überlege und horche in mich, ob irgendetwas mir sagt, was ich da tun kann.
„Ich bin mir nicht sicher - natürlich kann ich aus den Superzellen Energie abziehen, aber ob es reicht die Tornados aufzuhalten, kann ich nicht sagen. Aber wenn Ihr euer Drachenfeuer mit einsetzt, sollte es zumindest gelingen, einzelne Tornados von einem gefährlichen Kurs abzubringen." -
Eldingar nickt.
„Ich helfe nicht bei jedem Sturm, aber wenn es so extrem wird, versuche ich schon auch den Menschen zu helfen. Ich denke, Ihr wollt auch helfen, soweit es möglich ist." -
Da brauche ich nicht lange überlegen, natürlich werde ich versuchen, soviel Schaden wie möglich zu verhindern. Auch Fjörgyn und Græðarinn wollen helfen, Fjörgyn hat als Erd-Elemental auch die Kraft, einen Tornado in seiner Bahn zu beeinflussen - und wir alle hoffen, Græðarinns Fähigkeiten nicht zu benötigen. - Manvinkona bleibt hier, besonders als sie von mir hört, dass es dort gleichzeitig starke Gewitter geben wird, sinkt ihre Lust mitzukommen erheblich. Sie hat sich bei einem früheren Besuch mit dem hier lebenden 'kleinen' Drachen angefreundet, der ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Lord Eldflóð hat und sich um diesen Wohnort kümmert. Er wird sich in der Zeit um sie kümmern, zudem hat er selber einen Nestling, der etwa in ihrem Alter ist.
So nebenbei registriere ich, dass die Großen Drachen nicht pauschal alle Kleinen Drachen verachten. Mit einigen arbeiten sie offenbar auch zusammen.
Nachdem das geklärt ist, brechen wir sofort auf zu der Menschenhauptstadt des Landes. Eldflóð gibt mir während des Fluges ein paar schnelle Informationen über das Land. Es ist ein Königreich und für hiesige Verhältnisse recht modern organisiert. Technisch aber, wie praktisch alles hier, irgendwo zwischen Antike und Mittelalter - dafür deutlich naturverbundener, als in meiner Welt 'drüben'.
Die Stadt liegt etwa dort, wo bei uns Odessa liegt und wir sind in einer Stunde, quer über das Schwarze Meer, dort. Dabei probieren auch die anderen den Bodeneffekt aus und stellen fest, dass sie dabei tatsächlich viel Kraft sparen.
Bei der Stadt angekommen steigen wir etwas höher und fliegen über die Stadt auf die Burg zu, neben der wir in einer Art Parkanlage zur Landung ansetzen. Ich bemerke eine gewisse Unruhe unter den Menschen in den Straßen, denn vier Große Drachen über der Stadt haben sie wohl noch nicht erlebt.
Als letzter und ein wenig hinter den anderen landend, sehe ich mir den Platz bei einer kurzen Runde an. Eine offene Grasfläche wird durch eine etwa 8m hohe und rund 30m breite Mauer zur Burg hin begrenzt, oben eine Art Terrasse mit Zugängen von der Burg her. Das ganze wirkt wie eine Tribüne, um mit uns großen Drachen in etwa auf Augenhöhe zu sprechen. Eldflóð bedeutet mir, zu ihm nach vorne zu kommen, wir beide haben dort genug Raum, da der Platz zu den Seiten nicht abgegrenzt ist. Auf dieser Seite der Burg ist die Bebauung der Stadt sehr offen und weiter weg.
Kaum bin ich an der Seite von Eldflóð, öffnen sich auch die Türen oben an der Terrasse und eine Reihe, in einem der Renaissance ähnlichem Stil gekleideter Menschen treten heraus - offenbar hat man uns erwartet. Nun gut, zu übersehen waren wir über der Stadt ja auch nicht.
Einer der Menschen, mit Ketten und einem Perlenbesetzten Hut besonders reich gekleidet, tritt vor an die Mauer und spricht uns an.
„Ich grüße Euch, meine Lady und meine Lords Drachen. - Lord Eldflóð, Ihr habt überraschenden Besuch mitgebracht." -
„Auch ich grüße Euch, Lord der Menschen. Ja, gewisse Umstände erfordern unsere Anwesenheit. Doch zuvor darf ich Euch Lady Fjörgyn, Sir Græðarinn und Sir Eldingar vorstellen."- wir deuten eine Verneigung an, bei der Nennung unseres Namen.
Der Mensch verneigt sich leicht und erwidert:
„Ich freue mich Euch kennenzulernen, ich bin Harald, der König dieses Landes. - Aber Lord Eldflóð, Ihr sprecht von der Notwendigkeit Eurer Anwesenheit?" -
„Richtig. Leider ist aus einem Höflichkeitsbesuch ein Notfall geworden. Aber mein junger Begleiter, Sir Eldingar, kann Euch da mehr sagen." -
Und ob ich was sagen kann, meine Sinne flippen mittlerweile fast aus.
„Mein Lord Harald, ich bedauere, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen. - Einem Teil Eures Reiches droht Gefahr durch sehr schwere Stürme. Im nördlichen Bereich des Höhenzuges östlich von hier werden schon sehr bald sehr starke Tornados auftreten - stärker als alle Euch bekannten. Zudem werden es sehr viele in kurzer Zeit sein. Meine Sinne sind höchst alarmiert, es ist nicht mehr viel Zeit." -
Er reagiert schnell und fordert eine Karte, damit ich ihm zeigen kann, wo es passieren wird. Keine zwei Minuten später sind einige Männer - der Kleidung nach offenbar Offiziere - mit einer erstaunlich genauen Karte da und ich zeige ihnen, wo die Superzellen sich gerade aufbauen und die Tornados voraussichtlich Bodenkontakt haben werden. - Die Offiziere verschwinden sofort, sobald sie die notwendigen Informationen haben.
„Wir sind Euch zu Dank verpflichtet meine Lords Drachen. Zwar können wir nicht viel mehr tun, als die Bevölkerung dort zu warnen und die Verwalter und die wenigen Truppen vorzubereiten - aber zumindest das wird in zwei Stunden geschehen sein."
Eldflóð nickt.
„Wir vier werden gleich dorthin fliegen und versuchen so viele Leben wie möglich zu schützen." -
„Das ist mehr, als wir von Euch erbitten dürfen. Die Menschen meines Reiches werden euch dafür dankbar sein."
Wir verabschieden uns kurz, die Menschen ziehen sich zurück, jetzt offensichtlich sehr geschäftig. Auch wir machen uns auf den Weg, Fjörgyn und Græðarinn starten als erstes, Eldflóð folgt. Ich will auch gerade los, als ich in meinem erweiterten Sichtfeld eine Bewegung bemerke. Ein vielleicht 12jähriges Mädchen, der Kleidung nach zur Burg gehörend, turnt da seitlich auf der Mauer herum. Noch während ich überlege, ob ich sie ansprechen soll, vorsichtig zu sein, verliert sie auch schon das Gleichgewicht. Mit einem kleinen Sprung und einem blitzschnellen Griff kann ich sie gerade noch rechtzeitig auffangen, bevor sie hart aufschlägt. So ist sie nur etwas zerzaust, aber heil in meiner Hand gelandet.
Zu ihrem Glück funktioniert meine Körperkoordination gerade in solchen Situationen schon hervorragend und meine Reaktionen sind viel schneller, als noch als Mensch. Schon faszinierend, wie schnell sich ein so riesiger Körper wie meiner, bewegen kann.
Hoffentlich habe ich sie nicht zusätzlich erschreckt, weil ich doch ein wenig fester zugefasst habe. Als ich meine Hand öffne, sitzt sie da auf meiner Handfläche und starrt mich doch recht verwirrt an.
„Nun junge Lady, Du solltest ein wenig vorsichtiger sein - nicht immer hält ein Drache seine Hand für Dich auf."
sage ich, erleichtert schmunzelnd zu ihr - versuche dabei aber möglichst wenig Zähne zu zeigen, ich will sie schließlich nicht erschrecken. -
„Ja... ich... ich... äh, entschuldigt, Lord Drache." -
„Was treibt eine junge Lady wie Dich, denn zu solchen gewagten Klettereien?" -
Sie beruhigt sich langsam.
„Verzeiht, Lord Drache. Ich wollte mir Euren Besuch ansehen. Und dann... wisst Ihr, ich habe von Euch geträumt." -
„Von - mir - geträumt?"
Wie kann sie von mir geträumt haben...?
„Ja, von Euch, Lord Drache. Ich habe geträumt, dass Ihr unser Land von einer großen Gefahr gerettet habt. Ihr habt in meinem Traum genauso ausgesehen. Und nun seid Ihr hier und der Sturm bedroht unser Land. - Ja und dann war ich wohl zu aufgeregt..."
Aha, so ist das also.
„Gut, die Aufregung ist zwar verständlich. Aber trotzdem solltest Du vorsichtiger sein. Ich sollte jetzt auch am besten losfliegen, damit ich Deinen Traum auch erfüllen kann. Soll ich Dich oben wieder absetzen?" -
„Oh nein, danke. Am besten gleich hier unten, da drüben ist eine Tür, da komme ich wieder zurück."
Ich setze sie an der Mauer ab. Bevor sie von meiner Hand klettert, streichelt sie mir über die Handfläche.
„Eure Hand ist so schön weich, Lord Drache - ich dachte immer, ein Drache ist überall so hart, wegen der Schuppen."
Das hatte ich ja auch vor ein paar Tagen festgestellt. Ich verabschiede mich kurz und nach ein paar Schritten hebe ich ab und fliege den anderen hinterher. Mit voller Kraft habe ich sie auch bald wieder eingeholt.
Auf die fragenden Blicke berichte ich nur kurz, dass ich noch mit einem Mädchen aus der Burg gesprochen habe, weil sie von mir geträumt hatte.
Nach etwas mehr als einer Stunde kann ich am Horizont die erste Superzelle sehen, die am Rand der Nordkarpaten entlangzieht, sie scheint noch nicht ganz soweit zu sein, Tornados zu erzeugen, aber es gehen schon schwere Gewitter nieder. Ich mache die anderen darauf aufmerksam und steige ein Stück hoch um etwas mehr Überblick zu bekommen. Einige Kilometer nordöstlich ist eine weitere und etwas weiter nördlich der ersten noch eine dritte Gewitterzelle, die deutliche Anzeichen einer Superzelle zeigen. Wenn die hier so durchziehen und womöglich noch vereinigen, dann wird es kritisch. Zwar ist die Bevölkerung nicht allzu dicht, aber es werden doch viele Siedlungen gefährdet. Und auch in dieser Welt ist das Land hier ein recht reiches Anbaugebiet, das vermutlich noch andere Landstriche mit ernährt. Wir sollten versuchen, soviel wie möglich hier zu schützen.
In mir fühle ich auch schon wieder das angenehme Prickeln und die steigende Energie, die in der Luft liegt. Am liebsten würde ich direkt in die erste Superzelle fliegen und mich mit Energie vollsaugen.
Aber wir schwenken zuerst ein wenig in Richtung der Karpaten und suchen uns auf einem der ersten Ausläufer eine höhergelegene Wiese, auf der wir landen und die wir als Sammelpunkt nehmen wollen. Mit Eldflóð bespreche ich meine Idee, mit einem starken Feuerstoß direkt neben einem Tornadotrichter durch den dabei entstehenden starken Aufwind und dem zurückbleibenden 'Loch' die Strömungen in der Wolke durcheinander zu bringen und so den Tornadowirbel zu schwächen. Fjörgyn hat ihre besondere Kraft eines Erddrachen, die Windtrichter von ihrer Bahn abzulenken und kann so gefährdete Dörfer schützen. Græðarinn hält sich bereit, falls er gebraucht wird. - Ja und ich werde in die Gewitterzellen fliegen und so viel Energie abbauen, wie mir möglich ist. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich mit so einer Superzelle, eigentlich ja sogar drei, nicht doch überfordert bin. Zumal noch keiner von uns so gewaltige Gewitter gesehen hat.
Die drei machen sich so ihre Gedanken, als wir aufbrechen, nur ich kann es kaum erwarten, die Kraft der Blitze in mir zu spüren. Da die Zelle vor uns bereits einen Tornadotrichter ausgebildet hat, beeile ich mich und fliege den anderen voraus. Näher an der Zelle werden die Winde heftiger, böiger, aber ich kann das problemlos ausgleichen. Ein Blitz über mir in der Wolke überzieht mich mit einem erregenden Schauer. Mit voller Fahrt jage ich in die Wolke und lasse mich von den Turbulenzen durchschütteln, eine herrliche Achterbahnfahrt beginnt. Und dann fange ich den ersten Blitz.
Was für ein wunderbares Gefühl! Pure Energie! Ich öffne mich, meine Kraft und fange an, die Blitze aktiv an mich zu ziehen und die Energie der Gewitterzelle aufzusaugen. Überschüssige Energie schieße ich entweder einfach nach oben, meist aber gezielt in die Rotationen ab. Ich jage hoch und runter, kreuz und quer durch die Superzelle. Wechsle zur nächsten Superzelle und sauge auch die Energie aus der zweiten, der dritten - jage in irrwitziger Geschwindigkeit durch die Gewitter und sauge sie aus. Nutze ihre eigene Energie um sie damit zu vernichten.
Irgendwann bin ich im Rausch, agiere praktisch automatisch und genieße dabei dieses unendliche Glücksgefühl der Energie, die mich durchströmt, die ich aufnehme und wieder abgebe. Ich merke kaum, dass ich mitten durch die Tornadotrichter fliege, die hinter mir zusammenfallen. Den Abwinden entgegen nach oben jage, bis ich oben durch die Wolke stoße und gegen die Aufwinde wieder zurück nach unten. Und abschließend im Zentrum einen Energiestoß freigebe, der das Herz des Sturmes zerstört, die Strömungssysteme der Winde durcheinanderbringt und die Superzelle zusammenfallen lässt, bis nur noch ein normales Gewitter übrigbleibt. Das selbe wiederhole ich in der zweiten Superzelle, dann auch in der dritten. Die Energiemengen, die mich dabei durchströmen und die ich wieder abgebe, entsprechen sicher der Leistung mehrerer Großkraftwerke.
Die verbleibenden Gewitter sind keine Gefahr mehr, die Energie, die noch in ihnen steckt reicht nur für ein paar Blitze, für mich - nach der Flut in der ich eben gebadet hatte - nur noch ein leichtes Kribbeln. Ich lasse sie ziehen, ihr Wasser über das Land verteilen, die Gefahr ist vorbei.
Ich gleite über das Land, ein paar Tornados sind auf dem Boden gewesen, wie es aussieht auch sehr starke und große dabei. Aber keiner hat eine Siedlung direkt getroffen, ein paar Schäden hat es sicher gegeben, doch ernsthafte Verluste haben wir offenbar verhindern können. In der Ferne sehe ich Eldflóð über den Karpatenausläufern fliegen, er ist wohl auf dem Weg zu unserem Treffpunkt. Am besten, ich fliege auch zurück - mal sehen, was die anderen zu berichten haben.
Aber ich genieße den Flug, gleite ruhig dahin und spüre die Elektrizität angenehm in mir pulsieren. So brauche ich ein wenig, bis ich die Lichtung erreiche, die anderen sind schon einige Zeit da und unterhalten sich. Sicherheitshalber lande ich ein wenig oberhalb, ich möchte erst sicher sein, dass ich meine elektrische Energie sicher gespeichert habe, schließlich möchte ich niemandem einen Schlag versetzen.
3.2. Voll Erwacht
Eldflóð kommt mit ein paar Schwingenschlägen schnell zu mir herauf und sieht mich merkwürdig an.
„Wie geht es Euch, Sir Eldingar?" -
Nanu, sehe ich irgendwie angeschlagen aus?
„Danke gut, Lord Eldflóð. Ich hoffe Euch haben die Stürme nicht zu sehr zu schaffen gemacht." -
Er sieht mich durchdringend an, irgendetwas scheint ihm an mir nicht zu gefallen.
„Die Stürme... - nein, Ihr seit es, der mir Sorgen macht... Eldingar - ich fordere Euch zum Zweikampf!" -
Was? Er will mit mir kämpfen? Einen Zweikampf der Drachen? Warum? Habe ich etwas getan, gesagt, unterlassen...
„Lord Eldflóð, ich verstehe nicht - ich habe nicht vor, mit Euch einen Kampf auszufechten. Ich will Euch Euren Platz nicht streitig machen."
Ich bin verwirrt. -
„Ich fordere Euch! - Kämpft!"
Noch bevor ich etwas weiteres sagen kann, bekomme ich seinen Feueratem zu spüren. Himmel, ist das heiß! Erschreckt stolpere ich zurück. Ich fürchte, meine Schuppen schmelzen einfach weg - aber so auf die Schnelle kann ich keinen Schaden erkennen. Offenbar bin ich doch einigermaßen Feuerfest.
„Kämpft!"
ruft Eldflóð und stößt einen weiteren Feuerstoß auf mich aus. Dem kann ich gerade so ausweichen. Reflexartig erwidere ich mit einem Blitz, treffe ihn aber nicht.
„Bitte, Mein Lord, ich verstehe nicht..." -
„Rede nicht, kämpfe endlich!" faucht er mich grollend an.
Sein nächster Angriff trifft mich wieder voll. Der ist viel stärker, als der erste - mir bleibt die Luft weg, ich glaube mitten in einem Lavastrom zu stehen... Aber warum? - Ich lasse verzweifelt einen Blitz auf ihn los um etwas Entlastung zu bekommen - Eine Stimme in mir sagt 'Wenn er kämpfen will, dann...' - Nein, ich will den Drachen in mir nicht so einfach gewinnen lassen.
„Lord Eldfl..."
weiter komme ich nicht. Er springt auf mich zu, etwas wischt an mir vorbei, streift meine linke Schwinge, trifft meine Brust etwas unterhalb der Schulter und geht mit dem unangenehm ziehenden Gefühl eines scharfen Messers in meiner Haut etwa ein drittel über meine Brust. Der gleich darauf einsetzende scharfe, stechende Schmerz bestätigt mir, dass Eldflóð seine rechte Klaue durch meine Brustplatten getrieben und mir mit drei Krallen tiefe Schnitte verpasst hat. Ich schreie vor Schmerz und Schreck auf.
Jetzt reicht es mir. Er will Krieg? Kann er haben! Sähe keinen Sturm, wenn Du keinen Hurricane ernten willst! Ich lege den 'Schalter' um, der meiner Energie freien Lauf gibt und lasse jetzt einfach den Drachen in mir los - soll Eldflóð doch sehen wie er damit fertig wird.
Seinen nächsten Feuerstoß lenke ich mit einem Blitz ab und schieße direkt darauf meinen ersten, 'richtigen' Lichtbogen auf Eldflóð ab. Offenbar habe ich ihn nun doch überrascht, er hält einen Moment, von meinem Treffer irritiert, inne - ich nutze die Zeit um den nächsten, stärkeren Schlag vorzubereiten. Seinen Angriff blocke ich mit einem Blitzwirbel, den ich mit der rechten Hand erzeuge, ab und antworte mit einem massiven Lichtbogen den ich aus meinem Rachen abfeuere. Der hat gesessen, er schüttelt den Kopf, um wieder klar zu werden und sammelt seine Kräfte - jetzt wird es ernst!
Ich richte mich mit einem wütenden Schrei auf, halte mit den Schwingen das Gleichgewicht - seinen massiven Feuerstrahl, der jedes normale Lebewesen in Sekunden zu Asche verbrannt hätte, blocke ich mit den Blitzwirbeln beider Hände ab. Meine Energiezellen sind offen, ich lasse es fließen - die Energie wächst in mir immer weiter an. Der nächste Lichtbogen, den ich abfeuere hat locker die 300 Kiloampere eines starken Positivblitzes, dazu jage ich aus beiden Händen Kugelblitze auf Eldflóð.
Jetzt schwebe ich vor ihm in der Luft, sehe ihn kurz schwanken, kurz zurücktaumeln - aber er greift weiter an. Den Feuerstoß wische ich fast schon verächtlich beiseite und jage jetzt auch mit den Händen Lichtbögen auf Ihn, die schwer einschlagen. Seinen nächsten Angriff würge ich mit noch stärkeren Blitzschlägen gegen ihn schon im Ansatz ab.
Ich bin jetzt in Rage - das bewusste Denken hat keine Bedeutung mehr, mein Drachenblut will Rache. Die Energie fließt immer schneller, immer stärker durch mich - egal wie viel ich abfeuere, wie stark meine Lichtbögen sind - es ist immer noch mehr Energie da, der nächste kann sofort folgen, noch schneller, noch stärker.
Eldflóð bekommt von mir jetzt keine Zeit mehr für einen Gegenangriff, ich jage einen Lichtbogen, einen Kugelblitz nach dem anderen abwechselnd aus Rachen, Händen und Füßen auf ihn. Er liegt mittlerweile auf dem Boden, bei jedem Einschlag zuckt sein Körper unter den elektrischen Schlägen zusammen. Von ihm kommt nichts mehr, er versucht nicht einmal mehr, mich mit einem Feuerstrahl anzugreifen. Ich unterbreche meinen Angriff kurz, um mich neu auf ihn zu konzentrieren, ihm den Rest zu geben - Endgültig.
Eldflóð zuckt immer noch durch die Nachwirkungen meines letzten Angriffes. Aber mein kochendes Blut lässt nicht zu, dass er sich auch nur ein wenig erholt oder sogar selber wieder zu einem Angriff ansetzt. Meine Konzentration steigert meine Energie in weitere Höhen - obwohl ich gerade eine Ladung abgegeben habe, mit der eine Kleinstadt wochenlang Strom hätte, habe ich kein Watt verloren und bin bereit einen doppelt so starken Angriff zu starten.
Ich richte mich voll auf Eldflóð aus, selbst die Finger meiner Flughände sind auf ihn gerichtet, ich öffne den Mund und -
Eldflóð dreht seinen Kopf zur rechten Seite, weg von mir und hebt seine linke Hand wie zur Abwehr.
"Bitte, halt."
Das klingt schon recht geschwächt.
Gibt er auf? - kein einzelner Flügelschlag einer Fliege trennt ihn mehr vor meiner nächsten Entladung. Aber gut, erstmal noch nicht - erstmal...
Dass in diesem Moment Fjörgyn dazwischen gesprungen ist, wie um Eldflóð zu schützen, merke ich erst, als ich sie höre.
"Eldingar - Ralf! Bitte, nicht! Hör auf!"
Sie klingt irgendwie verängstigt. Aber das heiße Drachenblut, dass in mir kocht, lässt nicht zu, dass diese Feststellung wirklich zu mir durchdringt.
"Misch Dich nicht ein!" fauche ich sie scharf an. "ER hat mich angegriffen"
und an Eldflóð gerichtet schreie ich ihn an
"WARUM?"
"Bitte, Eldingar... - Ralf, bitte..."
Jetzt dringt die Angst in ihrer Stimme endlich zu mir durch. Fjörgyn hat Angst? Vor wem? Erneut steigt die Wut in mir hoch. Wer macht ihr Angst - ich suche mit allen meinen Sinnen die Umgebung ab, niemand außer uns vier da. Græðarinn steht im Hintergrund und wirkt auch verängstigt, selbst Eldflóð strahlt keine Aggressivität mehr aus und Fjörgyn?
Ein Blitz durchzuckt mich - nein kein Blitz, ein Gedanke, ein Bild. Kommt dieses Bild von Fjörgyn? Ich kann es aufrufen, es sehen, als ob ich es vor meinen Augen sehen würde.
Ich sehe einen Drachen in der Luft schweben, er schwebt ohne einen einzigen Schlag seiner Schwingen, seine Körperhaltung ist nach vorne fokussiert - der halbgeöffnete Mund, die Zähne angriffsbereit gebleckt, die Arme und Beine - auch die Flugarme - sogar die Schwanzspitze sind auf mich gerichtet, die Finger und Zehen wie griffbereite Klauen geöffnet.
Die gesamte Gestalt wirkt wie eine Parabolantenne zum abstrahlen der gewaltigen Energiemenge, die offensichtlich in ihm ist. Sein Körpermuster - Streifen auf dem dunklen Körper, die wie Blitze entlang des Körpers bis zur Schwanzspitze laufen und an den Seiten seiner Arme und Beine bis zu den Finger- und Zehenspitzen - strahlt grell blauweiß, ebenso wie die Kopf- und Rückenfinne und die Schuppen des Nasenrückens. Die Augen scheinen Funken zu sprühen, wie Kugelblitze, über den ganzen Körper wabert die Elektrizität und zwischen den Krallen, Hörnern und Stacheln und zur Erde zucken Lichtbögen. In einer Wunde auf seiner Brust, die von dem Prankenhieb eines anderen Drachen stammt, sprüht ein blaues elektrisches Feuer.
Und dieser Drache, der pure, reine Wut und Mordlust ausstrahlt, ist auf mich fokussiert, bereit zum Zuschlagen, seine Energie auf mich loszulassen. - auf mich? Nein - dieses Bild sehe nicht ich - dieses Bild ist ein Eindruck, den ich von Fjörgyn aufgefangen habe, was Fjörgyn sieht - jetzt gerade vor sich sieht... Dieses Bild, dieser voll angriffsbereite Blitzdrache - das ist... das bin... ICH! - Fjörgyn, Jörð - hat Angst, Angst vor... mir!
Jetzt dringt auch zu mir durch, was sie zu mir sagt.
"Ralf - Eldingar, bitte nicht weiter. Ich habe Angst, Angst vor Dir... Angst um Dich... ich will Dich nicht verlieren..."
ihre Stimme erstickt fast.
Sie hat Angst? Angst vor mir? - Bei allen Göttern aller Universen - nein. Fjörgyn, meine Jörð, hat Angst vor mir...? Diese Erkenntnis lässt mich zusammenkrampfen. Alle Wut, der Kampfrausch, die Lust aufs Töten verfliegt von einem Moment auf den anderen. Ich finde instinktiv den richtigen "Schalter" und die aufgeladene Energie, die zum abstrahlen bereit war, zieht sich in meine internen Speicher zurück, wird wieder abgebaut.
Die Energie, die mich in der Luft hält, lässt nach und ich sinke langsam zu Boden. Schon überraschend, wie leicht mir das fällt, vom Zustand höchster Kampfbereitschaft wieder zurück, 'runter' zu kommen. Um meine Fassung zu finden schaue ich nach unten auf meine Hände, die natürlich immer noch die eines Großen Drachens sind und bemerke, dass mein Körpermuster in der Farbe wieder normal, königsblau ist.
Offenbar sehe ich jetzt wieder "normal" aus - aber ich weiß, dass Fjörgyn dieses Bild eines blitze-sprühenden, mordbereiten Blitzdrachen - das sich auch mir ins Gedächtnis gebrannt hat - wohl nie vergessen wird, wenn sie mich ansieht. Und dieser Gedanke lässt mich schaudern. Fjörgyn, Jörð, meine... - nein sie soll, sie darf keine Angst vor mir haben. Nie!
"Fjörgyn, bitte - habe keine Angst vor mir."
sage ich mit leiser Stimme und blicke auf. Etwas flackert noch in ihren Augen, aber es scheint nicht mehr die Angst vor mir zu sein.
Auch Græðarinn scheint sich wieder gefangen zu haben. Langsam setze ich eine Hand, einen Fuß vor den anderen und gehe auf Fjörgyn zu. Sie scheint zwar innerlich zu zittern, aber sie weicht nicht vor mir zurück - Erce sei Dank, wenigstens das. Nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich vor ihr, setze mich hin und blicke in ihre Augen. Sie erwidert meinen Blick, immer noch ein wenig Angst aber auch Vertrauen liegt in ihren herrlich grünen Augen, die ich so liebe.
"Fjörgyn..."
Ich stocke aber wieder. Ich schlucke, aber jetzt bin ich mir über uns im klaren, jetzt weiß ich, was ich für sie empfinde - jetzt, in dieser Welt, für alle Zeit.
Langsam fasse ich ihre linke Hand und führe sie zu meinem Herzen an die Brust. Dann hebe ich meine linke und lege sie Fjörgyn auf die Brust über ihrem Herz. Mit meinen Flugarmen umarme ich sie zärtlich und lege meine Stirn an die ihre.
Leise sage ich
"Jörð, bitte. Habe niemals Angst vor mir. Ich könnte Dir nie etwas antun - Du bist meine Mörderin und meine Retterin. Ich bin Blut von Deinem Blut, ich lebe nur durch Dich, Du bist meine... Mutter."
Ein Zittern durchläuft sie und ich sehe wie sich ihre Pupillen weiten. Ihre Flugarme schlingen sich eng um mich. Nach einem kurzem leisen Seufzen antwortet sie mir.
"Ralf, mein Eldingar. Ich liebe Dich, mein Kind, mein Sohn."
Wir bleiben eine Zeitlang still so sitzen und genießen das warme Gefühl der familiären Liebe, die uns durchfließt. Dann bemerke ich im Augenwinkel, dass Græðarinn von rechts herangekommen ist. Ich öffne meinen rechten Flugarm einladend und Græðarinn mit seinem Einfühlungsvermögen als Heiler versteht sofort, was ich meine. Er kommt heran und umarmt uns beide, ich lege meinen rechten Flugarm um ihn. Und hinten in meinem Bewusstsein nehme ich den Kontakt zu meiner kleinen Manvinkona auf, binde sie so mit ein, auch wenn sie gerade weit weg ist:
"Jörð, Mutter, Græðarinn mein Bruder und natürlich auch meine kleine Schwester Manvinkona, die meine Seele in ihren Händen hielt und der ich es hier auch verspreche - ihr seid meine Familie, ich liebe euch alle und werde immer für euch da sein, so wie ihr für mich da wart."
Nach einer Weile dieser innigen Umarmung, kann Græðarinn wohl nicht mehr widerstehen. Ein Grinsen läuft über sein Gesicht.
"Hmm, so wie wir für Dich da waren? - Wäre Mutter nicht gewesen, wärst Du nie in diese Situation gekommen und würdest ein ruhiges Leben als Mensch da drüben leben..."
Aber es ist für uns klar erkennbar, dass er es nicht wirklich ernst meint und sich wirklich über unsere neue, enge Beziehung freut.
Nach einer Weile hebe ich den Kopf und sehe zu Eldflóð herüber, der sich langsam wieder erholt hat und die Szene mit feierlichem Ernst verfolgt. Als er bemerkt, dass ich meine Aufmerksamkeit ihm zugewandt habe, sagt er ruhig mit einer leichten Verbeugung
"Lord Eldingar, als Euer Erweckungspate bin ich geehrt und glücklich, dass Ihr Eure Familie hier gefunden habt und ich dabei sein durfte."
Mit einem leichten Kopfnicken danke ich ihm.
"Mein Lord Eldflóð, ich Danke euch. Doch ich bin verwirrt, warum habt Ihr mich, obwohl wir keine Feinde sind und uns doch offenbar mehr, als eine reine Bekanntschaft verbindet, mich herausgefordert und zu einem Kampf gezwungen, den ich nie wollte?"
"Das will ich Euch gerne beantworten" antwortet er.
Währenddessen bedeutet mir Fjörgyn durch eine Bewegung, die Umarmung zu lösen. Lächelnd sehe ich die beiden an und lasse sie los um anschließend meine Aufmerksamkeit wieder Eldflóð zuzuwenden.
"Es ist Euch vermutlich noch gar nicht klar geworden, was mit euch passiert ist, als Ihr durch die Gewitter - oder Superzellen, wie Ihr sie nennt - geflogen seit und ihnen die Energie entzogen habt?"
Hmm, tatsächlich nicht, war irgendwas mit mir passiert? Ich sehe ihn fragend an.
"Ich dachte es mir..." antwortet er "Die ersten Anflüge habt Ihr mutig ausgeführt, obwohl Ihr von den Winden kräftig durchgeschüttelt wurdet und die manchen anderen Drachen vom Himmel gefegt hätten. Aber nach dem dritten Durchflug, wobei ich lieber nicht wissen möchte, wie viel Blitze Ihr in der ganzen Zeit in Euch aufgenommen habt, danach spürte ich einen deutlichen Wandel in Euch. Die Euphorie, die Energie, die Euch durchfloss, war deutlich auch für mich zu spüren. Und mir wurde klar, dass Ihr da erst richtig erwacht seit. Das Gewitter gestern, das Eure Kräfte erweckte, war dazu nicht kräftig genug. -
Und ab dem Zeitpunkt Eurer vollen Erweckung hatte ich nichts mehr zu tun, um Schäden zu verhindern, das habt alles Ihr alleine gemacht - nicht, dass ich darüber böse wäre." fügt er an.
"Ihr hättet Euch sehen sollen, wie Ihr danach durch die Stürme gejagt seid, Ihr brauchtet Eure Schwingen nicht mehr, allein Eure eigene Kraft hat Euch getragen. Die Blitze aus den Gewittern habt Ihr nicht mehr gebraucht, sie glitten an Euch ab -
Eure eigene Kraft ist nun stärker, als jeder Blitz, den ein Gewitter hervorbringen kann. Und Ihr habt Eure Kraft genau dort eingesetzt, wo sie die Stürme vernichteten. Ich vermute, Ihr könntet auch problemlos einen solchen Tornado selber erzeugen. -
Ihr habt Euch einen Zweitnamen wahrlich verdient, Lord Eldingar Skýstrokkur."
Er verneigt sich feierlich vor mir. Ich erwidere diese Verneigung ebenso feierlich.
"Ich danke Euch Mein Lord - aber..."
Mit einem leichten Lächeln unterbricht Eldflóð mich
"Richtig, der Kampf - ich spürte, dass Eure Kraft jetzt zwar voll erwacht war, aber dass Ihr Euch dessen nicht bewusst wart. Ich fürchtete, dass Ihr die Kraft zwar habt, diese aber nicht bewusst einsetzten können würdet, was bei einer solchen unvorbereiteten Erweckung durchaus passieren kann. Zudem seid Ihr ja ein ... etwas spezieller Fall."
Bei seinem Augenzwinkern muss ich grinsen - hätte mir vor drei Tagen jemand diese Geschichte ernsthaft erzählt, hätte ich ihm einen guten Psychiater empfohlen... Eldflóð fährt fort:
"Nun, als Euer Erweckungspate fühle ich mich Euch verpflichtet, also wollte ich Euch dazu bringen, Eure eigene Kraft einzusetzen. Dazu erschien mir ein Kampf am besten. - Ich muss gestehen, Ihr bewahrt lange Eure Ruhe - jeder andere Drache hätte spätestens nach meinem ersten Angriff sofort mit aller Kraft zurückgeschlagen.
Aber es war, wie ich vermutete: Ihr habt euch zuerst nur mit der Energie der aus den Gewittern gespeicherten Blitze gewehrt - Eure eigene Kraft habt Ihr da noch nicht eingesetzt. Erst als ich Euch... hmm, ermunterte - bitte verzeiht mir die Wunde, die ich Euch zufügte..." -
Richtig, sein Hieb, seine Krallen, die meine Brustschuppen anscheinend so mühelos durchschnitten hatten und einen heftigen Schmerz verursachten - das erst hatte mich in Rage gebracht - und danach wusste ich plötzlich, woher ich die Kraft nehmen konnte um immer stärkere Angriffe auszuführen.
Und auch jetzt weiß ich es noch: ich hebe die rechte Hand und lasse zwischen den Krallen von Zeigefinger und Daumen einen starken Überschlagfunken zucken. Eldflóð nickt, aber ein klein wenig Unbehagen sehe ich in seinen Augen doch.
"...Ja, ich sehe, Ihr habt die Kontrolle über Eure Kraft erlangt. Dadurch werden die Auswirkungen Eurer Angriffe für mich im nachherein erträglicher - wie Ihr wisst, mögen wir Drachen die Blitze nicht, auch wenn ein normaler Blitz für uns nicht gefährlich ist. Aber die Kraft Eurer Blitzangriffe ist wirklich nur sehr schwer zu ertragen...
Ihr werdet es wohl nie erfahren, wie es ist, wenn sich der gesamte Körper bei einem Blitz verkrampft und man dabei die Kontrolle über den eigenen Körper verliert - dazu der anhaltende Schmerz dabei... seid froh, dass der Blitz eure Kraft ist und Ihr diese sogar genießen könnt."
Bei dem Gedanken schüttelt Eldflóð seinen Kopf.
"Gegen Eure Kraft ist ein Gewitterblitz nur ein Klaps... Je stärker Euer Angriff wurde, umso länger hielt die Verkrampfung an und ich brauchte immer länger, um meinen Körper wieder zu kontrollieren um irgendetwas zu unternehmen...
Nach Eurem letzten Angriff konnte ich nur mit aller Kraft eine schwache Geste ausführen, in der Hoffnung, Euren nächsten Angriff noch aufhalten zu können. Ein Gegenangriff war mir zu dem Zeitpunkt nicht mehr möglich. - Lord Eldingar, Ihr hattet mich am Boden..."
Oha, das habe ich nun nicht erwartet. Diese Aussage vor Zeugen - auch wenn es meine Familie ist - gilt unter unserer Art praktisch als öffentliches Zeugnis. Wenn nur einer von uns das will, wissen es morgen alle Großen Drachen auf dieser Welt - und ich wäre damit praktisch der... Anführer, der... - nein! Das will ich gar nicht - zumindest nicht jetzt schon! -
Ich richte mich auf, hebe die rechte Hand und erkläre feierlich - und somit auch offiziell:
"Mein Lord Eldflóð, ich danke Euch für Eure Erklärung. Aber der Kampf war nur Eure Hilfe als Pate bei meiner Erweckung - für die ich Euch immer Dankbar sein werde.
Es war keine Herausforderung an Euch! Ich erkläre Euch hier und heute nochmals meine Treue und werde Euch folgen, wenn Ihr mich ruft."
Die Hand wieder senkend ergänze ich:
"Zudem denke ich, dass ich bei einer echten Herausforderung kaum gegen Euch gewinnen könnte - Eure letzten Angriffe hätten mich sicher ernsthaft verletzt, hätte ich sie nicht abwehren können - ich bin nicht so feuerfest wie Ihr. -
Und hier unter uns verspreche ich Euch noch: sollte ich je planen, Euch einmal herauszufordern, werde ich Euch vorher darüber informieren. Ich werde Euch nie überraschend angreifen, selbst wenn das meine einzige Chance wäre - das zumindest bin ich meinem Erweckungspaten schuldig."
Mit einem Lächeln ergänze ich noch
"Aber so schnell wird das nicht passieren, als Mensch strebte ich nie ganz nach oben an die Macht. Eine komfortable Position ist mir genug - Nur weiß ich nicht, was mein Drachenblut noch alles mit mir macht..."
Da fällt mir noch ein
"Äh, nebenbei - Ihr sprecht mich schon die ganze Zeit als 'Lord' an..."
Fragend sehe ich ihn an.
Er lächelt jetzt ebenfalls, wenn auch ein ganz kleines bisschen schief...
"Ich danke Euch für Euren Treueschwur."
Er richtet sich auf.
"Ich erkläre vor aller Welt Euch - Lord Eldingar Skýstrokkur, Blitz-Elemental, Herr der Gewitter und Meister der Tornados - zum Lord der Großen Drachen und zum Paladin.
Ihr seid ein würdiger Großer Hüter der Welt Erces. Jeder sei von mir gewarnt, Euch zum Kampf zu fordern, denn Euer Zorn ist schrecklich."
Huh. Was war das jetzt? Eldflóð hat mich gerade vor allen Drachen dieser Welt, Großen und Kleinen - sogar vor den Menschen, soweit diese Beziehungen zu Drachen haben - zum vollwertigen Mitglied seiner Art erklärt und zu seinem ersten Ritter gemacht. Gut, letzteres ist mehr ein Ehrentitel, verpflichtet mich aber, ihm im Notfall zur Seite zu stehen. Wobei ich das sicher ohnehin machen würde.
Und was war das noch? Blitz-Elemental? Hm, ja richtig. So wie es aussieht bin ich ja tatsächlich in der Lage, meine Kraft, die elektrische Energie nur aus mich und der Kraft Erces zu generieren. Ich brauche keine besonderen Stoffe dazu, keine speziellen Mineralien, keine Energiequelle - ja nicht mal mehr ein Gewitter, um dessen Energie zu speichern. Ich kann mich aufladen und auch wieder entladen, wie ich es möchte. - Ich bin also tatsächlich ein Elemental, einer der höchsten Art. Erce, was hast Du und Jörð aus mir gemacht...
Ich muss wohl mit reichlich dummen Gesichtsausdruck da gestanden haben, denn sowohl Eldflóð wie auch Græðarinn sehen mich recht belustigt an. Auch die gute Jörð sieht mich mit feuchten Spuren entlang ihrer Nasenschuppen lächelnd an.
Græðarinn weckt mich mit einem Boxhieb in die Seite.
"Hey Alter! Na, wie haben wir das hinbekommen?"
Noch ein Boxhieb
"Mensch, Cool!"
Wo hat er denn das jetzt her... Von mir vielleicht...? Cool? - Vielleicht hat ja nur mein Gehirn das so für mich übersetzt. Und ein Drache, der als Ausruf der Freude 'Mensch' sagt... Jetzt muss ich auch grinsen, dafür gucken die anderen beiden etwas verwundert, aber das hält nicht lange an.
Eldflóð kommt jetzt lächelnd auf mich zu, legt seinen Arm um mich und drückt mich freundschaftlich.
"Hmm, 'Mensch' - ich glaube manche der Menschen gebrauchen den Ausdruck als Zeichen der Freude oder des Erstaunens - und Du bist sicher der einzige Drache, der sich beim Gebrauch nicht beleidigt fühlt..."
Ich nicke, beides bestätigend - und verwundert, dass Lord Eldflóð mich plötzlich duzt.
"... also: Mensch Eldingar, Ralf..."
er stockt, sieht mich entschuldigend und fragend an. - Ich nicke wieder.
"... Danke, es ist ja Dein alter, menschlicher Name und eigentlich eine sehr persönliche und familiäre Sache...
Gut, ich freue mich wirklich für Dich und bin stolz, Dein Pate sein zu dürfen. Noch nie ist innerhalb von drei Tagen ein Drache in diese Welt getreten und hat eine Erweckung mit dieser Kraft erlebt. Und dazu noch so ruhig, so selbstbewusst und so ... normal als Drache..., wie ich es in Dir spüre. Immerhin warst Du ja ein Mensch. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Du wirst sicher noch viele Veränderungen erleben, in Deinem Umfeld, vor allem aber auch an Dir selber.
Ich weiß nicht, wie es für Dich sein muss - aber ich bin mir sicher, dass es nicht einfach ist, plötzlich in einer anderen Welt zu sein, die so völlig anders ist, als Deine alte. Und dazu auch noch unvorbereitet und übergangslos einer anderen Spezies anzugehören. Das wird - das muss Veränderungen mit sich bringen, die Du in den ersten drei Tagen noch gar nicht realisiert hast. Vermutlich wirst Du eines Tages aufwachen und erschreckt feststellen, dass sich auch Dein Verhalten und Dein Denken verändert hat. Das ist aber sicher normal.
Ein Drache lebt einfach völlig anders, als die Menschen. Das fängt schon bei der Jagd an, die ein Drache sehr viel näher erlebt, als die Menschen. Wir jagen und töten unsere Beute mit unseren Händen und Zähnen, ohne Hilfsmittel. Und wie Du weißt, zerteilen und braten wir unsere Beute nicht - ich kann mir vorstellen, dass dieses für Menschen sehr schwierig sein kann - und trotzdem sehen wir uns als die Hüter Erces und wir sind es auch. Du hast es ja bereits selber erlebt.
Græðarinn berichtete mir, dass Dir das jagen überraschend leicht zu fallen schien, aber das kann sich auch noch ändern, wenn Du eines Tages realisierst, dass ein toter Hirsch unter Dir liegt und sein Blut von Deiner Nasenspitze tropft.
Du musst Dir immer darüber bewusst sein, dass Dir plötzlich irgendwann, irgendetwas an Deinem jetzigen Verhalten ganz furchtbar falsch zu sein scheint, aber auch das Gegenteil passieren kann und Du Dein Leben als Mensch als falsch empfindest. Dann bitte denke immer daran, dass Deine Familie hier - und auch ich - dann immer für Dich da sein werden um Dir zu helfen. -
Du wirst Dich mit der Zeit verändern, das ist mir klar und es wäre falsch, dieses verhindern zu wollen, aber bitte - versuche Deine Persönlichkeit zu bewahren. Ich mag Dich so, wie Du bist: ein Drache mit einem menschlichen Bewusstsein und dem Wissen einer technischen Welt - Du kannst uns noch viel lehren."
Das muss ich erstmal runter schlucken - was für eine Rede, die mich gleichzeitig stolz, vor allem aber nachdenklich macht. Und dann plötzlich diese so fast menschlichen Gedanken, die dahinter stehen. Hat Eldflóð sich verändert oder ich?
Was steht mir noch bevor... Heimlich beschleicht mich plötzlich eine unbestimmte Angst, ob ich das ganze jemals durchstehen kann. Ich bin kein Drache, kein mystisches, magisches Wesen - ich bin ein einfacher, kleiner, verlorener Mensch in einer völlig fremden Welt.
Leicht bedrückt sehe zu Boden, sehe die rechte Hand von Eldflóð, die großen, schweren starken Schuppen seines Unterarmes, die kräftigen Finger, die langen, scharfen Krallen... - und daneben meine Hände: Die Schuppen kleiner, feiner, nicht so schwer, aber kaum weniger stark, nachtblau mit der feinen königsblauen Zeichnung bis zu den Fingerspitzen, die Finger schlanker, aber kaum weniger kräftig, die Krallen heller und schlanker, aber ebenso kräftig, lang und scharf.
Und mir wird klar: ja mein Bewusstsein, mein Wissen und viel von meinem Denken ist menschlich - aber ich bin jetzt ein Drache und diese Welt ist jetzt auch die meine! Und zusammen mit meinen Freunden hier, meinem Paten und meiner Familie werde ich das schon schaffen. Ha! Wäre ja gelacht!
Ein Lächeln drängt sich über diese letzten Gedanken in mein Gesicht, ich schüttele den Kopf, um die trüben Gedanken zurecht zu rütteln und sehe hoch. Jörð und Græðarinn haben offenbar meine trüben Gedanken gespürt - das Blut Jörðs verbindet uns, das ist eindeutig. Sie sind näher gerückt und haben mir auch eine Hand beruhigend und bekräftigend auf die Schultern gelegt. Nacheinander sehe ich sie an.
"Mit eurer Hilfe schaffe ich das sicher. Sagt mir nur bitte, wenn ich in eine gefährliche Richtung treibe, ich möchte hier nicht als Monsterdrache in die Geschichte eingehen."
Das war mir trotz meines leichten Augenzwinkerns bitter ernst. Eldflóð löst seine Umarmung und lacht laut, ein Geräusch, bei dem Menschen wohl vor Angst weggelaufen wären. Jörð nickt nur lächelnd und Græðarinn stupst mich in die Seite und meint
"Sicher Alter. Du fliegst zwar jetzt schon viel besser als ich, aber ich hole Dich schon auf den Boden zurück, wenn es sein muss."
Ich stupse ihn zurück
"Na dann mal viel Glück beim Versuch." grinse ich ihn an.
"Ooch Mensch, lass mich doch mal." ist seine Antwort.
Dann fällt ihm etwas ein.
"Sag mal, Alter. Was ist eigentlich mit Deiner Wunde? Die scheint durch Deine Kraft ja schon kauterisiert zu sein, das wird aber eine ordentliche Narbe geben - immerhin ist die dann aber genauso widerstandsfähig wie Deine Schuppen. Ich könnte die auch soweit heilen, dass sie nachher kaum noch sichtbar sein wird." fragt und erklärt er gleichzeitig.
Ich überlege kurz - nein.
"Danke Græðarinn, ein andermal gerne. Aber diese Wunde, diese Narbe wird - und soll - mich an etwas wichtiges erinnern."
Dabei sehe ich Jörð an, die mit einem leichten Lächeln nickt. Diese Wunde wird mich immer an das Bild erinnern, dass ich von Jörð empfangen habe und das fest in meinem Gedächtnis eingebrannt ist und mir gerade wieder vor meinem inneren Auge steht. Ein Bild, dass nur wir beide teilen, dass nur Eldflóð vielleicht so ähnlich gesehen, aber vermutlich anders empfunden hat - Das Bild eines mordbereiten Drachens...
"Aha, eine Siegestrophäe..." frotzelt Græðarinn.
"Ja," antworte ich etwas nachdenklich, "so könnte man es fast nennen."
Und irgendwie stimmt auch das, denn es bedeutet gleichzeitig auch meinen Sieg über die reinen Instinkte eines Drachens - aber mir ist das Gefühl des Schreckens, das es in mir auslöst, die Warnung, die es bedeutet, viel wichtiger.
Mit weiteren kleinen Frotzeleien und Überlegungen, was nun zu machen sei, befreien wir uns endgültig von den Anspannungen der kürzlichen Erlebnisse. Ich lasse meine Sinne spielen und versuche weitere Gewitter und Stürme in der Umgebung zu orten.
Hier in der Gegend ist es momentan ruhig, aber die Wetterlage ist noch nicht wieder stabil.
"Ich schaue mich kurz mal um."
Mit diesen Worten starte ich zu einem kurzen Flug, bei dem ich mit kräftigen Schlägen meiner Schwingen schnell ein gutes Stück nach oben steige. Weiter drüben, zur Tatra rüber, spüre ich Gewitterzellen auf - nicht wirklich schlimm, aber ein paar schwere Blitzschläge und heftige Böen wird es sicher geben. Die Schwingen angelegt, schieße ich im Sturzflug wieder nach unten.
Vielleicht noch 100m über den Boden, sagt mir ein Gefühl, dass ich jetzt besser den Bremsfallschirm ziehen sollte. Schnell die Flugarme wieder ausgestreckt und voll in den Wind gedreht. Mit einem Ruck geht die Geschwindigkeit rapide zurück, dann noch zwei, drei kurze Schläge und ich setze sanft auf. Götter, was für ein geiles Gefühl, jetzt verstehe ich, was die Base-Jumper zu ihren Verrücktheiten treibt. Ehrlich Leute, nur Fliegen ist schöner...
Græðarinn sieht mich mit offenen Mund, aber auch wieder ein klein wenig neidisch an. Jörð dagegen eher besorgt, was ich da treibe.
Nur Eldflóð bleibt gelassen.
"Ich habe ihn gesehen, wie er durch die Stürme geflogen ist - seine Flugarme, die Knochen seiner Finger und seine Flughaut scheinen wesentlich widerstandsfähiger zu sein, als bei den meisten anderen unserer Artgenossen. Und bei dem Hieb,..." er bewegt seinen Kopf in Richtung meiner Wunde, "... habe ich auch seine Flughaut ein wenig getroffen - ohne jede Spur. Seine Schwingen sind sicher nicht unzerstörbar, aber halten sehr viel aus. Ideal für einen Sturmflieger eben."
Jörð lässt sich nicht so schnell überzeugen, ist aber sichtlich weniger besorgt. Zu Græðarinn sage ich,
"Na, Sportsfreund, das können wir ja die Tage mal gemeinsam machen..."
gleich ist Jörð wieder besorgt, ich lege beruhigend meine Hand auf ihre Schulter.
"... aber dann ganz ruhig und vorsichtig, damit Deinen Schwingen nichts passiert. Ich habe da schon eine Idee, wie wir das hinbekommen."
Zu Jörð gewandt,
"Ich werde es euch vorher erklären und wir machen es nur, wenn Du damit einverstanden bist." -
"Jungs und ihre Dummheiten..." bekomme ich zur Antwort.
In das leise Lachen von Eldflóð stimme ich mit ein.
"Mache Dir bitte keine Sorgen." antworte ich "Aber etwas anderes: hier ist das Wetter noch nicht im Reinen mit sich, ich werde besser heute Nacht hier bleiben, manchmal bilden sich solche Tornados auch noch spät abends. Aber eure Hilfe wird dazu wohl nicht unbedingt notwendig sein. Ich denke, ihr wollt wieder zu Manvinkona." sage ich zu Fjörgyn. -
„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich schon gerne heute abend wieder bei ihr sein." antwortet Sie. „Auch wenn ich schon gerne bei Dir bleiben würde, Ralf" -
"Natürlich Fjörgyn, ich danke euch beiden für eure Hilfe. Einen guten Flug wünsche ich euch, wir sehen uns heute abend noch." antwortet Eldflóð.
Fjörgyn und Græðarinn verabschieden sich von uns - Fjörgyn dabei mit einer langen, liebevollen Umarmung bei mir - und brechen in Richtung zur Krim auf, um wieder mit Manvinkona zusammen zu sein. Ich rufe Ihnen nach:
„Ich komme morgen dann nach, guten Flug euch beiden und grüßt Manvinkona von mir."
Als die beiden selbst für unsere Drachenaugen fast nicht mehr zu erkennen sind, meint Eldflóð:
"Fjörgyn wird Dir sicher schon einiges über die üblichen Umgangsformen unter uns gesagt haben - und ich habe Deine Verwirrung vorhin bemerkt. - Fjörgyn und ich sind zwar nie Partner gewesen, aber schon ganz alte Freunde - noch aus Zeiten, bevor Sie ihren Partner getroffen hatte, mit dem sie ihre beiden Kinder hat. Daher sind wir beide schon lange per Du - und nach dem Eingang ihres Partners in die Kraft vor zwei Jahren, habe ich das auch auf ihre Familie übertragen. Das machte es einfacher, ihr in der Trauer zu helfen. -
Dir fällt sicher der Zeitabstand zu Manvinkonas Schlüpfen auf. Ihr Ei war kurz vor dem Eingang ihres Partners befruchtet, Fjörgyn hat es einige Mondläufe ruhen lassen, ehe sie es ausreifen ließ.
Du musst auch wissen, wir Drachen sind einander sehr treu und verbunden, wenn sich ein Paar findet. Das entspricht wohl in etwa einem ... Ehepaar?... ja einem Ehepaar bei euch Menschen. Diese Verbindung muss nicht ewig halten, manche trennen sich nach einiger Zeit auch wieder, oder einer der Partner geht in die Kraft ein - aber nichts dauert ewig, auch nicht unsere Trauer und irgendwann findet sich auch ein neuer Partner... -
Ja, und nun bist Du gekommen und ein Mitglied Fjörgyns Familie geworden - allein das, aber besonders auch unsere Patenschaft bindet Dich in dieses private Du mit ein. Bitte denke nur daran, dass es eine private Sache ist und nur, wenn wir alleine sind - das gebietet die Etikette unseres Volkes."
Ich nicke,
"Ich danke Dir Eldflóð, dass Du mich in diese private Verbindung mit einbeziehst." -
Er grunzt ablehnend.
"Das ist für mich selbstverständlich - und Deine Ankunft hier hat bereits einen positiven Einfluss auf die Stimmung Fjörgyns ausgeübt... Besonders Dein Bekenntnis heute..." er stockt etwas."... zu Fjörgyn als Deine Mutter - noch dazu so öffentlich in meiner Gegenwart - das hat in ihr eine deutlich spürbare positive Veränderung bewirkt. Und dafür möchte ich Dir als alter Freund besonders danken. Auch wenn Du vielleicht gar nicht so recht weißt, was Du damit eigentlich für sie getan hast."
"Ich glaube, ich muss wohl noch einiges über das Leben bei Euch lernen." antworte ich, doch etwas erstaunt.
Ja klar, so ein Bekenntnis ist natürlich etwas privates und ich habe es auch wirklich ernst gemeint, nicht nur dahergesagt - aber dass die Drachen das so intensiv sehen, hätte ich nicht gedacht. Liegt es daran, dass Drachen nur in großen Abständen Nachwuchs bekommen?
"Das kommt schon, Du hast noch viel Zeit." meint Eldflóð "Und bisher hast Du Dich ja recht gut dabei angestellt, ich hatte keine Veranlassung mich falsch behandelt zu fühlen. Denke aber dran, dass Du nun als Paladin den anderen mindestens gleichgestellt bist - eher sogar über uns stehst - behandelst Du also einen Dir Fremden als Gleichgestellten, ist alles in Ordnung.
Du wirst höchstens mit Deiner noch menschlichen Denkweise ein wenig Verwunderung erfahren, aber das wird akzeptiert werden. - Ich selber habe zwar nur wenig Kontakt zu den Menschen, aber ich bin ihnen freundlich gegenüber eingestellt. Und ich freue mich auf diese Möglichkeit mehr über sie zu erfahren - insbesondere, wenn Du später auch mehr über unser Volk weißt, kannst Du mir sicher sehr viel besser euer Volk erklären können. -
Ach entschuldige bitte. Ich beziehe Dich immer noch in das Volk der Menschen mit ein - dabei bist Du jetzt doch eigentlich einer von meinem Volk... Bitte, sei versichert - ich meine es Dir gegenüber niemals negativ oder beleidigend - weder heute, noch in eintausend Jahren."
Oh, daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht... - für einen Drachen sind 1.000 Jahre vermutlich ein noch überschaubarer Zeitraum, für mich trennte mich das bisher von den Wikingern, dem Gang nach Kanossa oder dem ersten Kreuzzug - mindestens dreizehn ganze Menschenleben, vierzig Generationen - eine halbe Ewigkeit...
Eldflóð bemerkt meine plötzliche Nachdenklichkeit sofort.
"Ich habe doch jetzt hoffentlich nichts falsches gesagt?"
Ich grinse, wenn auch immer noch etwas nachdenklich,
"Oh nein, nein. Es ist nur... - ich hatte noch gar nicht daran gedacht, dass ein Drache wohl doch ein paar Jährchen länger lebt, als ein durchschnittlicher Nordeuropäer..."
Eldflóð lacht auf.
"Oh bitte, erhalte Dir diesen menschlichen Humor so lange es geht. Wir Drachen sind meist so furchtbar ernst und denken in anderen Bahnen - viele würden das nicht mal verstehen. Nur die jüngeren haben noch einen Sinn dafür, Græðarinn beispielsweise.
Mag sein, dass es mit unserer Langlebigkeit einhergeht. - Ja, ich spüre die Sterblichkeit der Menschen nicht in Dir, Du bist mit der Langlebigkeit der Drachen gesegnet - und gestraft.
Du kannst Dir sicher noch nicht wirklich vorstellen, was es heißt zu den wirklich Langlebigen zu gehören, denn es kann auch zur Bürde werden. Es gab langlebige Wesen - nicht nur Drachen - die aus Verzweiflung freiwillig in die Kraft eingegangen sind. -
Aber belaste Dich nicht jetzt damit, nimm es als Geschenk, als neue Möglichkeit. Soweit Fjörgyn mir sagte, hättest Du als Mensch vielleicht noch 20 oder 30 Jahre zu leben gehabt, in Deiner alten Welt vielleicht noch ein paar Jahre mehr - aber zunehmend kranker und schwächer werdend.
Jetzt wirst Du in zwei- oder dreitausend Jahren Deinen Kindern Geschichten über Deine alte Welt erzählen und Dich fragen, was in noch einmal so viel Jahren noch alles in der Welt der Menschen passieren wird.
Wir wissen nicht, wie alt die ältesten unter uns sind, sie haben die Jahre schon ewig nicht mehr gezählt. Sie kannten die Menschen schon, als diese noch keine Städte und Dörfer bauten, noch bevor diese Metall benutzen. Und das ist schon sehr, sehr lange her."
Jetzt ist auch Eldflóð ungewöhnlich nachdenklich geworden. Energisch schüttelt er den Kopf.
"Genug. Ich habe noch zu tun heute und muss aufbrechen, hier ist ja soweit keine Gefahr mehr. Ich hoffe, ich habe Dir keine zu trüben Gedanken eingeredet, wenn ich Dich jetzt allein hier lasse - oder möchtest Du lieber mit mir kommen?"
"Nein, es geht schon. Und es ist sicherer, wenn ich noch hier bleibe, ich ahne, dass noch einmal etwas kommen wird. Und wegen den Gedanken - ich finde schon etwas um mich abzulenken. Es gibt für mich ja noch viel neues zu entdecken,"
Ich bin tatsächlich jetzt wieder ganz optimistisch.
"Nun denn Lord Eldingar, so gehe ich dann meiner Verpflichtung nach und werde Euch sicher morgen wieder begrüßen können." wird Eldflóð wieder förmlich.
"Ja mein Lord Eldflóð, ich danke Euch für Euer Vertrauen und freue mich bereits auf unser morgiges Zusammentreffen." antworte ich, ebenso förmlich.
Wir deuten beide eine Verneigung an und Eldflóð hebt ab um mit kräftigen Schwingenschlägen in Richtung der Hauptstadt dieses Reiches zu streben.
Ich bin alleine, alleine hier oben auf dieser Bergwiese in den Karpaten. Das erste Mal hier in dieser Welt in den drei Tagen meines neuen Lebens ganz alleine. Und obwohl ich sehr gerne mit den anderen, meinem neuen Freund und Paten und meiner neuen Familie zusammen bin und meine Familie hier, besonders Fjörgyn, mein einziger richtiger Bezugspunkt ist, der mein altes und mein neues Leben zusammenhält - bin ich doch auch froh einmal für mich alleine zu sein, ohne jemanden in Rufweite.
So wie ich mein altes Leben bisher überwiegend geführt hatte. Nein, ich war nicht völlig alleine, ich hatte auch dort Familie, Freunde, Bekannte - aber ich war dort immer wieder auch für mich alleine. - Ach ja, meine Familie, die von Drüben - irgendetwas muss ich mir in der nächsten Zeit noch einfallen lassen um sie zu beruhigen, sie wissen zu lassen, dass ich lebe und es mir gut geht - besser als je zuvor sogar.
Vielleicht hat Fjörgyn ja eine Idee, ansonsten ist dann noch genug Zeit zu überlegen, die nächsten Wochen erwarten sie mich Drüben ja noch nicht, es waren noch reichlich zwei Wochen Urlaub geplant und sie sind darauf vorbereitet, dass ich mich länger nicht melden kann.
Meine Sinne sagen mir, dass momentan von den Gewittern keine besondere Gefahr ausgeht, also entscheide ich, mich ein wenig in der Gegend umzuschauen. Ein paar Tornados hatten ja Grundberührung und es wird sicher einiges flachgelegt worden sein, auch wenn keine Dörfer direkt betroffen waren, soweit ich weiß. Fjörgyn hatte sich da schon umgesehen.
Also los, einen kleinen Felsvorsprung nutzend breite ich meine Schwingen aus und der, doch ein wenig böige Aufwind hier am Hang trägt mich, ohne mit einem Schwingenschlag nachhelfen
zu müssen, in die Höhe - große Erce, was für ein herrliches Gefühl, so frei zu fliegen - alleine das war es schon wert, von einem Drachen versehentlich umgebracht zu werden.
In etwa 1.000 m Höhe - merkwürdig ist das schon, dass ich ein so sicheres Gefühl für die Höhe entwickele, das ist ja sonst nicht so wirklich die Stärke der Menschen - streife ich über die Ebene, die sich an den Bergrücken anschließt und schnell habe ich die Spuren der Tornados gefunden. Bei der ersten Spur ist nichts wichtiges zerstört worden, bald habe ich eine weitere Tornadospur erreicht, hier wurden einige Bäume in einen kleinen Fluss geworfen und die stauen sich jetzt an einer kleinen Brücke.
Ich entscheide, dieses besser zu beheben, es besteht zwar keine große Gefahr, aber die Brücke muss ja auch nicht kaputtgehen. Ich muss grinsen: also denke ich wohl doch noch sehr menschlich, ich bräuchte diese Brücke ja gar nicht. Die Schwingen etwas zusammenfalten um Auftrieb zu verlieren und schnell kreisele ich mich mal rechts- mal linksrum nach unten.
Der Fluss ist nicht tief, er reicht mir nicht mal bis zum Bauch - aber gut, ein ausgewachsener Mann kann ja auch problemlos unter mir durchlaufen. Die kleineren Bäume habe ich schnell mit den Händen weggezogen und neben den Weg auf das Ufer gelegt, für die beiden größeren und schwereren Bäume setze ich meine Zähne ein, meine Kiefer und Halsmuskeln sind deutlich stärker als meine Arme. Gut zu wissen.
Die ganze Aktion hat kaum 5 Minuten gedauert und hier ist alles soweit in Ordnung. Mit einem kräftigen Sprung und drei Schlägen mit meinen Schwingen habe ich schon wieder genug Höhe um in den Gleitflug übergehen zu können und schraube mich wieder in die Höhe, es gibt schon wieder Aufwind hier, gut möglich also, dass wirklich noch mal was kommt. Zwischenzeitlich waren drei Menschen ein paar hundert Meter weg am Waldrand erschienen und hatten mich, offenbar sehr verwundert, beobachtet und starren jetzt, immer noch bewegungslos hinter mir her - was die wohl ihren Familien erzählen werden?
Nach einer Stunde habe ich das Gebiet soweit abgesucht und keine weiteren Schäden gefunden, die eine Hilfe notwendig gemacht hätten, eine letzte Tornadospur noch, die durch einen Wald bis zu einem kleinen Dorf mit einer Wassermühle führt. Und dann schnell eine Beute suchen, langsam bekomme ich Hunger - der Kampf mit Eldflóð hat mich doch ein wenig Energie gekostet. Nunja, ich habe ja eine Menge Energie dabei abgegeben, im wahrsten Sinne.
Im Dorf selber ist nichts weiter passiert, der Tornado ist weit genug vorbeigezogen, aber er hat auch hier einige Bäume in den Mühlteich geworfen. Einer dieser Bäume ist durch das Stauwehr gebrochen und hat sich zwischen Gerinne und Mühlrad verklemmt. Die Dörfler versuchten nun, diesen Baum herauszubekommen, ohne das Gerinne oder das Mühlrad zu beschädigen.
Problematisch dabei ist, dass die Sperrbretter des Ablaufes durch den Baum zerstört worden sind, also das Wasser nicht abgestellt werden kann und ständig auf das Mühlrad drückt. Gut, hier kann ich vielleicht helfen. Schnell bin ich unten, wate in den Mühlteich und schnappe mir erstmal die noch herumtreibenden Bäume.
"Wo sollen die Bäume hin?" frage ich die am Stauwehr arbeitenden Menschen.
Die haben mich offenbar noch gar nicht richtig bemerkt - Drachen können sich eben sehr leise bewegen und fliegen - einer zeigt, ohne sich umzudrehen, auf das linke Ufer und sagt,
"Dahin, da können wir die später am besten zersägen." -
"Alles klar."
Und schon habe ich den ersten Baum da liegen. Während ich weitermache, entdecken mich einige der Dörfler jenseits der Mühle und starren völlig entgeistert zu mir rüber. So langsam bemerken auch die Arbeiter auf dem Stauwehr, wer da hinter ihnen den Mühlteich aufräumt und stehen auch nur noch erstaunt und gleichzeitig verängstigt da und sehen mir zu. Der Mann, der mir den Platz für die Bäume gezeigt hatte, wohl der Anführer der Gruppe, war inzwischen weiter nach unten, hinter das Stauwehr geklettert. Nun, da seine Männer da stehen und nicht mehr arbeiten, kommt er hoch und schimpft,
"Hey, wollt ihr wohl was tun? Wir müssen fertig werden, ehe noch mehr kaputtgeht."
Er wirft einen kurzen Blick in meine Richtung.
"Da ist ein Drache, na und? Hopphopp!"
Er verschwindet wieder, kommt wieder hoch, sieht mich verwundert an, kratzt sich am Kopf - und klettert schulterzuckend wieder nach unten. Ich grinse in mich hinein...
So, der Teich ist frei, nur der verklemmte Baum macht noch Probleme, also wate ich vorsichtig näher heran und sehe mir das genauer an. Allerdings sind nun doch etliche der Männer etwas verschreckt - naja, wenn ich so direkt vor ihnen stehe, höher als die Mühle, und von oben herunterblicke - ich kann mir noch gut vorstellen, wie das wohl von unten aussieht...
Schnell sind nur noch zwei von den Leuten da, der Anführer und einer, der sich offensichtlich nicht ganz wohlfühlt, aber mutig standhält.
"Kann ich euch vielleicht helfen?"
frage ich mit möglichst weicher Stimme um sie nicht weiter zu ängstigen.
Der Anführer räuspert sich.
"Hm, ja - Lord Drache, vielleicht könnt Ihr tatsächlich helfen. Das Problem ist, dass das Mühlrad auf den Stamm drückt und wir befürchten, wenn wir den Stamm kappen, wird einiges mehr kaputt gehen. Seht Ihr vielleicht eine Möglichkeit?" -
"Lass mich sehen."
Ich steige vorsichtig mit dem rechten Arm über das Stauwehr um mir das rechts an der Mühle sitzende Mühlrad näher anzusehen. Ja, das bekomme ich wohl hin.
"Ja, ich denke, es wird ohne große Schäden gehen." sage ich den beiden. "Ich werde mich dazu aber anders positionieren müssen."
Gesagt, getan - steige ich mit dem rechten Bein jetzt über das Stauwehr und hocke mich vorsichtig hin, um das Stauwehr nicht zu beschädigen.
"Ist das Mühlrad abgekoppelt? Ich muss es ein wenig zurückdrehen."
Der 'Stumme' nickt.
"Gut."
Mit der rechten Hand halte ich das Mühlrad, mit der linken den Baum weiter oben um ihn zu führen und packe dann mit den Zähnen zu. Das muss sicher urkomisch aussehen, wenn ein so großer Drache da so merkwürdig neben der Mühle hockt - zum Glück gibt es hier ja keine Fotoapparate und meiner liegt in der Höhle im Kaukasus.
Ich drehe dann das Mühlrad gegen den Wasserdruck ein Stück zurück - ja, der Baum hat jetzt Spiel. Vorsichtig gegen den Wasserlauf ziehen, es knarrt, ein kurzes Krachen und der Baum ist frei.
Gut gegangen, nur ein kleines Stück am Ende des Gerinnes ist abgebrochen, ging nicht anders - das Mühlrad hat es ohne besonderen Schaden überstanden. Mit dem Baum zwischen den Zähnen richte ich mich vorsichtig auf und lasse das Mühlrad los, das trotz des fehlenden Stück Gerinne sofort wieder zu laufen beginnt.
Die beiden Menschen stoßen einen Freudenruf aus. Den Baum lege ich rechts von mir ab, wo er nicht weiter mehr stört.
"Lord Drache, Ihr habt unserem Dorf sehr viel Arbeit und Umstände erspart. Womit können wir Euch danken?" fragt mich der Anführer.
Ich wehre ab,
"Ich freue mich, wenn ich helfen konnte." -
"Wenn Ihr meint mein Lord - aber ich vergaß uns vorzustellen, verzeiht. Dieser Mann hier, der seine Stimme noch nicht wiedergefunden hat, ist William, unser Müller - und ich heiße Jakob und bin der Zimmermann hier im Dorf."
Ich verneige mich leicht und antworte,
"Es ist mir eine Ehre. Ich heiße Eldingar."
"Lord Eldingar, es ist mir eine Ehre, Euch kennenlernen zu dürfen."
antwortet Jakob höflich. Dann dreht er sich um und sieht sich die Mühle an.
"Der Rest sollte schnell gerichtet sein, das Gerinne ist kein Problem, einzig die Staubretter werden wir erst neu einsetzen können, wenn der Wasserstand gesunken ist. Leider sind die Führungen gebrochen."
"Wie lange würde diese Reparatur dann dauern?" frage ich ihn. -
"Nicht lange, vielleicht eine halbe Stunde."
Ich überlege nicht lange, lehne mich ein wenig vor und halte meine Linke Hand von der Teichseite vor die ffnung. Ich kann es leicht so gut dichthalten, dass nur noch sehr wenig Wasser läuft. "Würde das reichen?" frage ich.
Jakob sieht mich mit großen Augen an.
"Ja, natürlich..."
"Dann schnell. Ich suche mir nur eine bequeme Position." sage ich und lege mich hinter das Stauwehr.
Dieses ist stabil genug, dass ich meinem Arm linken Arm darauf legen kann und so recht bequem die ffnung zuhalten kann. Jakob ist fix mit dem notwendigen Gerät wieder da und auch William steht wieder bereit. Er sieht mich zwar immer wieder unsicher an, schließlich sind ihm meine Zähne und meine Krallen jetzt noch näher als zuvor - aber er schluckt seine Angst runter und macht sich mit dem Zimmermann Jakob an die Arbeit, nachdem ich mit meiner Hand die Wehröffnung wieder abdichte.
Solange die beiden fieberhaft arbeiten, sehe ich mich ein wenig um. Was ich vom Dorf sehen kann, zeigt mir, dass hier zwar keine Reichtümer versteckt sind, aber auch keine Not herrscht. Die Gebäude sind fest gefügt und der Ort sauber und ordentlich. Ein wenig mutiger werden die Dörfler langsam auch, aber ganz heran trauen sie sich doch nicht. Nach vielleicht zwanzig Minuten höre ich Jakob aufstöhnen. Bevor ich fragen kann, sagt er schon,
"Oh nein, eines der Führungseisen ist gebrochen. Bis wir vom Schmied im Nachbardorf eine neue bekommen, vergehen leider mehrere Tage."
Ich sehe mir die Eisenleiste an. Sie scheint noch fest verankert zu sein, ist aber etwa mittig gebrochen. Wenn man ein Stück drauf schweißt, müsste es eigentlich für einige Zeit halten. Und ich habe ja ein Punktschweißgerät sozusagen 'dabei'.
"Mit einem passenden Stück Eisen könnte ich das vorläufig reparieren." sage ich Jakob.
Er sieht mich fragend an.
"Wirklich? - hmm ein passendes Stück Eisen... ah! Ich habe noch ein altes Stecheisen ohne Griff. Ginge sowas?"
Ich nicke. Jakob ruft einen Namen und beauftragt den jungen Mann - vermutlich sein Lehrling - das alte Stecheisen zu holen. Der Müller schaut von Jakob zu mir und zurück und weiß ganz offensichtlich nicht, was er davon halten soll, aber beide arbeiten erstmal weiter.
Nach fünf Minuten sagt Jakob,
"Soweit wäre es erstmal fertig, fehlt nur das Führungseisen."
In dem Moment kommt auch schon der junge Mann angerannt und hält das Stecheisen in der Hand. Ohne lange zu überlegen kommt er direkt zu Jakob und gibt ihm das Eisen. Erst dann schaut er zu mir hoch und wird nun doch ein wenig unsicher. Er verbeugt sich leicht, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich nicke ihm freundlich zu, und sehe mir dann das Stecheisen an, das Jakob mir zur Begutachtung hochhält. Es ist offensichtlich so stumpf, dass ein Mensch auf der Schneide reiten könnte - aber es ist gerade und ausreichend stabil.
"Ja, das geht."
Ich erkläre ihm, was zu tun ist und wie er das Eisen halten muss.
"Wenn ich es sage, seht bitte weg. Der Blitz ist so hell, dass ihr sonst tagelang nichts mehr sehen könnt. - Jakob, keine Angst, ich bin vorsichtig."
Das sage ich, während ich langsam mit meiner rechten Hand über ihn weg lange, die Krallen von Daumen und Zeigefinger ausfahre und an die Schweißstelle lege.
Jakob hält unbeweglich das Eisen und die Führungsstange in Position - aber ich höre seinen Atem und Herzschlag doch deutlich schneller gehen. So dicht, die Krallen meiner anderen Finger direkt neben seinem Kopf - wenn auch nicht ausgefahren - das ist dann wohl doch erschreckend.
Kurz habe ich das Bild vor Augen, noch nicht lange her, da im Kaukasus, als Fjörgyn ihre Krallen rechts und links neben meinem Kopf in den Kies rammte.
Lächelnd sage ich,
"Keine Sorge - Achtung!"
Alle drei - Jakobs Lehrjunge ist dageblieben - drehen die Köpfe weg und ich jage den Strom blitzend und funkend durch die Eisen, bis ich die richtige Intensität gefunden habe. Der Schweißpunkt leuchtet hellweiß. geht schnell in hellrot über und wird immer dunkler. Gut, das hält. Jakob kann loslassen, bleibt aber da hocken. Sein Puls beruhigt sich auch schon wieder. Die weiteren Schweißpunkte sind schnell gesetzt, ich kenne die nötige Stärke jetzt ja.
Jakob sieht sich das Ergebnis an und scheint beeindruckt.
"Lord Eldingar, Ihr verfügt über eine starke Magie - Leute, schnell, lasst uns die Wehrbretter einsetzten."
Ich nehme das mal unerwidert hin und sehe die drei schnell die Bretter einsetzen, nehme die linke Hand langsam weg - alles hält dicht, sie können das Wasser wieder regulieren. Geschafft, ich kann dann also weiter. Wieder auf allen Vieren stehend recke ich mich ein wenig - und höre meinen Magen knurren. Die drei sehen mich mit einer Mischung aus Erstaunen, Belustigung, aber auch mit deutlich spürbarer Besorgnis an.
"Keine Sorge. Ich war auf dem Weg, mir etwas zu Essen zu besorgen, als ich hier vorbeigekommen bin. Und ich gehe jetzt von hier aus gleich auf die Jagd. Aber ich versichere euch, dass eure Dörfer und Tiere von mir nichts zu befürchten haben."
Jakob hat schon einen Entschluss gefasst.
"Lord Eldingar. Ich habe Euch bereits nach einer Gegenleistung gefragt. Jetzt weiß ich, was ich Euch anbieten kann: Eine meiner beiden Kühe wurde bei dem Sturm von einem großen Ast getroffen und ist so schwer verletzt, dass ich sie sicher töten muss. Bitte nehmt diese Kuh von mir als Gegenleistung für Eure Hilfe als Nahrung an."
Ich überlege nicht lange, soll ich einen gesunden Hirsch töten, wenn ich hier ein ohnehin todgeweihtes Tier erlösen kann? - Ich nehme also an.
William Müller hat inzwischen seine Stimme gefunden und bedankt sich bei mir. Jakob führt mich ein wenig weiter an die Weide, auf der die Kuh liegt.
Nebenbei fragt er mich.
„Eure Wunde ist hoffentlich nicht schlimm?"
Ich schüttele den Kopf.
„Nein ich spüre sie schon nicht mehr." -
„Es sieht aber nicht nach einem Tornado aus."
Er hat eine gute Beobachtungsgabe.
„Nein, ich habe bei einem kleinen Kampf unter Freunden nicht gut genug aufgepasst. Drachenkrallen sind eben sehr scharf."
Wir sind bei der Kuh angekommen. Sie wurde am Rücken getroffen, die Wirbelsäule ist gebrochen, das Tier ist an den Hinterbeinen völlig gelähmt. Jakob steht neben mir und ist jetzt doch etwas niedergeschlagen.
"Ich hätte sie wohl schon früher töten sollen, damit sie nicht leidet, aber..." er sieht sich etwas hilflos um.
"Ich verurteile Dich nicht dafür. Ihre Schmerzen sind auch nicht groß, wenn sie nicht versucht, sich zu bewegen." beruhige ich ihn.
"Ich danke Dir für dieses Geschenk. Wie kann man Dich finden?" -
"Wenn Ihr nach Jakob dem Zimmermann von Obermühlbach am Wilden Wald sucht, findet Ihr mich. - Verzeiht Lord Eldingar... ich habe eine Bitte, die vielleicht nicht recht ist... Dürfte ich... dabei sein, wenn Ihr die Kuh... hinüberführt? - Ich fühle, dass ich ihr das... schuldig bin."
Jetzt sehe ich ihn überrascht an. Nein, er will kein Blutbad sehen oder sowas - er will sich wohl nur von seinem Tier verabschieden.
"Ja, Du kannst dabei sein, Jakob." antworte ich leise.
Wir gehen langsam zu der Kuh, die mich jetzt ganz ruhig ansieht. Die Tiere verstehen ganz offensichtlich sehr genau, wenn ein Hüter Erces gekommen ist, sie zu erlösen. Ich halte meine Handfläche hin, auf die sie ihren Kopf legt und sich dann ganz entspannt. Meinen Stromstoß spürt sie schon nicht mehr.
"Gehe ein in Frieden" murmele ich.
Jakob sieht mich an.
"Ist es immer so, wenn ein Hüter jemand auf den Weg begleitet?" -
"Ja, sie werden dann immer ruhig und sind bereit zu gehen. Doch verwechsele uns nicht mit dem Tod, wir geleiten nur Verletzte und Kranke um Ihnen den Weg zu erleichtern - Ich werde das Tier jetzt mitnehmen. Jakob Zimmermann, ich danke Dir für die Nahrung." -
"Nein, Lord Eldingar." antwortet er "ich danke für Eure Hilfe - hier im Dorf und vorher dort in den Wolken. Da ist diese Kuh das mindeste, was wir tun können für Euch."
Mit einem Kopfnicken nehme ich die Kuh auf und schwinge mich in die Luft. Leider ist es jetzt schon recht spät und ohne Sonne fehlen inzwischen die Aufwinde, ich muss also etwas mehr tun um wieder zu der Bergwiese zurückzukommen. Aber um so schneller bin ich da, lande sanft und esse mich dann satt. Das Rindfleisch schmeckt mir auch sehr gut, sehr viel intensiver, als ich es kenne.
Nachdem ich an einem Bach noch etwas getrunken habe, lege ich mich auf eine Welle in der Wiese und schaue ein wenig in der Gegend herum. Meine Sinne, sagen mir zwar, dass noch einiges in der Ferne los ist, aber momentan nichts gefährliches. Ein Rascheln am Waldrand lenkt meine Aufmerksamkeit dorthin, aus dem Wald trottet ein Bär auf die Wiese - offenbar durch den Geruch meiner Nahrung, die noch leicht über der Wiese hängt, angelockt.
Mich kann er nicht riechen - aber jetzt sieht er mich plötzlich. So schnell habe ich noch nie einen Bären verschwinden sehen, der rennt, als ob ich hinter ihm her wäre. Ich grinse mir einen - also haben nicht nur Menschen Angst vor einem Drachen. Nur daß sie ihre Angst überwinden können.
Mir fällt dabei ein, dass ich ja seit meinem ersten Tag hier, bisher durchgehend in der großen Feral-Form gelebt habe. Aber als ich nach meiner Wandlung aufgewacht bin, war ich ja in der Anthro-Form und habe mich dann erst - wohl durch meine Panik über die Veränderungen an mir - zum Feral transformiert. Das müsste dann doch auch andersrum gehen, schließlich haben mir Græðarinn und Manvinkona ja auch erzählt, dass die Großen Drachen sich transformieren können.
Gut, der Bär ist vermutlich schon in den Alpen angekommen, dem muß ich dann nicht zeigen, wer der stärkere ist. Da könnte ich das doch mal probieren - nur wie... Am besten versuche ich mich darauf zu konzentrieren, wenn ich erstmal den richtigen Schalter gefunden habe, wird es sicher einfacher. Ich versuche also mich zu erinnern, wie es war, als ich 'groß' wurde, darauf kann ich dann aufbauen. Es dauert eine ganze Zeitlang, doch dann spüre ich plötzlich wieder so eine Energie durch mich durchfließen - keine elektrische Energie, das ist eine andere, die Lebensenergie, die hier alles durchfließt, die Kraft Erces, der ich mein Leben zu verdanken habe - und mein jetziges Dasein als Drache.
Um mich herum wird alles viel größer, fast riesig. Ich hätte nicht gedacht, dass man sich in 3 Tagen so daran gewöhnen kann, alles aus 11 Meter Höhe zu sehen und 30m lang zu sein - auch wenn davon viel Schwanz ist.
Ich betrachte mich eingehend - ja, das ist wohl das, was sie hier als Anthro bezeichnen. Meine Körperform und die Arme und Hände sind schon eher humanoid. Aber alle sonstigen Merkmale sind eindeutig dracoid. Der geschlossene Schuppenpanzer mit den großen, breiten Brustplatten, die Krallen, die Füße - auch als Anthro gehe ich ausschließlich auf den Zehenspitzen - der Schwanz, die Schwingen, der Kopf... Zudem tragen Drachen ihre primären Geschlechtsorgane sehr versteckt hinter einem feinen, fast nicht erkennbaren Schlitz in den untersten Bauchschuppen - einem Menschen erscheinen Drachen sicher als geschlechtsneutral. -
Da drüben ist doch ein kleiner Teich, da könnte ich mich besser betrachten. Hoppla, beim Aufstehen komme ich ins Stolpern - gar nicht so einfach so auf Zehenspitzen zu stehen. Das fühlt sich doch noch anders an, als früher so als Mensch. Zum Glück kann ich mich ja erstmal mit dem Schwanz abstützen. Die ersten Schritte sind auch noch recht wackelig, versucht doch mal, eine längere Strecke nur auf Zehenspitzen zu gehen, ohne daß die Ferse mit einem Absatz gestützt wird. Immerhin, nach ein paar Schritten habe ich mich schon ein wenig dran gewöhnt, das Laufen durch das Gras ist zwar merkwürdig, besonders da meine Zehen weiter auseinanderstehen als bei den mir gewohnten Menschenfüßen, so spüre ich sehr viel mehr auch zwischen den Zehen - insgesamt fühlt sich das aber irgendwie gut, ja angenehm an. Und obwohl ich feinfühlig alles an und unter meinen Füßen spüre, bereiten mir auch spitze Steine keine Probleme, schon cool. Ich lege probehalber einen kurzen Sprint ein, das zusätzliche Gelenk gibt mir einen weich federnden Schritt, mit dem Schwanz tariere ich mich instinktiv gut aus. So würde ich jeden Laufwettbewerb drüben in meiner alten Welt gewinnen.
Am Teich angekommen schaue ich mich im Spiegelbild genauer an. Der Körper ist drahtig muskulös unter den mitternachtsblauen Schuppen mit dem mir langsam gewohnten königsblauen Blitzmuster. Nur der Oberkörper ist deutlicher muskelbepackt - da zeigt sich die Flugmuskulatur. Zum Glück behindert mich die Wunde nicht - obwohl es schon heftig geschmerzt hatte, hat Eldflóð nur die Schuppenplatten durchtrennt, der Muskel hat nichts abbekommen. Mein Hals ist jetzt deutlich kürzer als in der Feral-Form, nur wenig länger als bei einem Menschen. Der Kopf hat sich praktisch nicht verändert, nur die Schnauze, die Hörner und die Finnen scheinen im Verhältnis etwas kürzer zu sein - aus menschlicher Sicht etwas gefälliger.
Die Augen sind weiter typisch die eines Drachen, leuchtend kobaltblau und praktisch nur Iris mit der tagsüber sehr schmalen Schlitzpupille. Wir haben zwar auch eine weiße Lederhaut, aber die ist im Normalfall im Auge nicht zu sehen.
Ich breite die Schwingen aus, die 6m Spannweite wirken sehr eindrucksvoll, sind aber im Verhältnis etwas kürzer - ganz so gut werde ich als Anthro wohl nicht gleiten können, aber doch sehr ordentlich fliegen mit dem Verhältnis der Spannweite vom etwa dreifachen zur Körpergröße. Auch durch die etwas längeren Beine bin ich mit Hörnern wohl um die 2,30 groß. Bei gefalteten Schwingen überragen meine Flughände mich daher noch.
Auch in dieser Form dürfte ich bei den Menschen durchaus Eindruck machen. Zumal ich auch so in der Lage bin, meine Blitze abzufeuern, wie ich kurz ausprobiere. - Allerdings ist es hier nicht üblich, dass ein Großer Drache sich gegenüber Fremden in dieser Gestalt zeigt, das gilt besonders gegenüber Menschen.
Mit einem Sprung und ein paar kräftigen Schwingenschlägen bin ich schnell in der Luft. Ein kleiner Rundflug zeigt mir, dass sich der Schwerpunkt kaum verändert hat und ich ganz gut damit klarkomme, ich lande bald wieder am oberen Ende der Wiese. Erst einmal will ich mich noch mehr an das Laufen auf zwei Beinen zusammen mit meinem Schwanz und den Schwingen gewöhnen. Die Schwingen stören mich nicht weiter, wenn ich sie erst einmal gefaltet habe, aber mit dem Schwanz stehe ich immer noch auf Kriegsfuß. Entweder ist er irgendwie im Weg, oder schleift teilnahmslos hinter mir her.
Die vielen kleinen unbewussten Bewegungen des Schwanzes, die bei den anderen sehr viel von ihrer Stimmung vermitteln, fehlen bei mir völlig. Obwohl Fjörgyn wie auch Eldflóð mich nicht darauf ansprechen, ist mir das sehr wohl bewusst. Mir ist klar, dass meine Gefühle, ja selbst ein Lächeln oder Grinsen für sie sehr schwer zu lesen ist, wohl so ähnlich wie für mich als Mensch, bevor ich als Drache die Schwanzbewegungen lesen konnte. Wenn ich daran denke, bemühe ich mich diese kleinen Bewegungen bewusst zu imitieren, um es ihnen etwas einfacher zu machen.
Beim Gehen heben die Drachen ihren Schwanz normalerweise leicht über den Boden an, bei mir schleift er einfach hinterher. Ob als Feral oder auch jetzt als Anthro. Sobald ich aber beginne zu laufen und dabei instinktiv meinen Oberkörper leicht nach vorne neige, übernimmt mein Körper auch die instinktive Kontrolle über meinen Schwanz und er hilft mir beim Austarieren. Kaum aber gehe ich wieder oder bleibe stehen - platsch... Wenn ich nur wüsste, wie ich da richtig ran komme.
Nach einigen Längen kreuz und quer über die Wiese in verschiedenen Geschwindigkeiten, bemerke ich die zunehmende Sicherheit in meinen Bewegungen. Ich brauche nicht mehr darüber nachzudenken, ich laufe einfach. Und ich bin trotz des relativ langen Schwanzes - oder auch mit der Hilfe - in der Lage, auch bei hohem Tempo sehr enge Haken zu schlagen, bei denen mir die Krallen, die sich dann in den Boden bohren, auch sehr helfen. Fast glaube ich, mit noch ein wenig Übung werde ich einem Hasen auf dem Fuß folgen können. Einem größeren Tier auf jeden Fall.
Trotz recht langem und vor allem auch sehr schnellen Laufens muss ich kaum schneller atmen. Vor allem stelle ich jetzt überrascht fest, dass ich bei höherer Belastung beginne, gleichzeitig durch die Nüstern ein und durch den Mund auszuatmen... Ich versuche diesen Effekt bewusst hervorzurufen, nach einigen Versuchen gelingt es mir auch kurz. Und habe das Gefühl, mit zwei Lungen immer abwechselnd zu atmen... merkwürdiges Gefühl. Aber es passt irgendwie zusammen. Vermutlich die konsequente Weiterentwicklung der Saurierlungen parallel zu den Luftsack-Lungen der Vögel hin zu dieser Form mit zwei interferierenden Luftsäcken, die bei Bedarf konstant Frischluft durch die eigentliche Lunge pumpen. Insbesondere bei der Doppelbelastung beim Fliegen in großer Höhe, kann so eine gewaltige Menge an Frischluft immer gleichmäßig durch die Lunge strömen. Nur bei geringem Sauerstoffbedarf läuft die Atmung ähnlich wie bei Säugetieren wechselweise. Natürlich weiß ich nicht genau, wie der Luftstrom tatsächlich durch die Lunge verläuft, ich schließe einfach von den Vögeln auf mich zurück - immerhin scheint es logisch.
An dem Platz, den ich mir zum Lagern ausgesucht habe, wieder zurück, transformiere ich mich noch einmal zum Feral und wieder zum Anthro um den Vorgang zu verinnerlichen und bleibe dann abschließend in der Feral-Form. Eigentlich kann mir ja nicht viel passieren, aber irgendwie ist mir die Übernachtung hier draußen als 'Großer' einfach sympathischer.
Ein wenig spiele ich noch mit den verschiedenen Blitzen herum, die ich beim Kampf mit Eldflóð instinktiv benutzt habe, die sich aber gleichzeitig in meiner Erinnerung eingebrannt haben und die ich jetzt auch bewusst einsetzen kann. Die Energie halte ich so niedrig wie möglich, es geht mir nur ums ausprobieren, besonders interessant finde ich diese Blitzwirbel, die ich als eine Art Schutzschild einsetzen kann und die mich sogar vor dem Feueratem eines Großen Feuerdrachen schützen können. Irgendwie muss die Erzeugung mit dem Strom der Lebensenergie in dieser Welt zusammenhängen. Obi Wan würde wohl sagen: 'Die Macht ist stark in Dir, mein junger Padawan.'
Zwischenzeitlich ist die Sonne untergegangen und ich forsche nochmal die Wetterlage ab - eine kräftige Zelle hat sich herangeschlichen, meine Sinne haben zwar angeschlagen, aber da sie sich nicht stark gemeldet haben, habe ich sie bisher ignoriert. Vermutlich ist die Zelle ohnehin nicht groß und stark genug um Tornados zu produzieren, aber sicherheitshalber fliege ich hin und nehme doch die Energie raus, so ein prickeln am Abend ist zudem sehr angenehm. Ansonsten verläuft die Nacht hier ruhig, es bleibt trocken und obwohl ich ab und zu mal horche, ob sich beim Wetter etwas tut, verbringe ich hier eine recht angenehme Nacht in der ich auch ausreichend zur Ruhe komme.