Wie neu geboren
Diese Geschichte habe ich vor etwa einem Jahr geschrieben. Sie war eigentlich als Fortsetzungsgeschichte geplant, weshalb einige Geheimnisse und vor allem der Hintergrund der geheimnisvollen Stadt Centauria nicht erklärt werden. Inspiriert wurde ich zu dieser Geschichte durch eine Story auf der Webseite 'If Wishers were Horses': [The Centaurs daughter](%5C).
Fast 1 Jahr ist es jetzt her, dass ich nach Centauria gezogen bin. Für einen 79-jährigen nichts alltägliches. Vor allem dann nicht, wenn man - wie ich - kaum noch in der Lage ist, einkaufen zu fahren.
Meine Enkelin Ina, die gerade einen Jungen Mann namens Karl aus Centauria geheiratet hatte und darauf zu ihm und seiner Familie zog, wünschte sich unbedingt auch jemanden aus ihrer Familie bei sich. Meine Rente war nicht besonders hoch; ich konnte mir einen Umzug eigentlich gar nicht leisten, doch Karls Fammilie versprach mir, die Umzugskosten voll zu übernehmen und auch kostenlos für ein Dach über meinem Kopf zu sorgen und so stimmte ich dem Umzug zu. Alle meine langjährigen Freunde und selbst meine Frau waren mittlerweile verstorben und meine Sohn lebte zu weit weg, als dass wir uns regelmäßig besuchen konnten. Von daher gab es auch nur wenige Zelte abzubrechen.
Meine Enkelin war außer sich vor Freude und fing sofort an, meine Sachen zu packen. Ich glaube, selbst in meinen besten Jahren hätte ich für so einen Umzug bedeutend länger als 3 Tage gebraucht. So lange dauerte es nämlich, bis all mein Hab und Gut sicher verstaut in einem Umzugswagen war, der sich - mit mir auf dem Beifahrersitz - nach Centauria aufmachte.
Schon bevor wir an das Stadttor kamen, konnte man die besondere Atmosphäre dieses Ortes spüren. An befestige Straßen war schon für über einer Stunde nicht mehr zu denken, doch wenige Kilometer vor Centauria wurde der Boden für Fahrzeuge so schlecht, dass der Fahrer bestenfalls mit Schrittgeschwindigkeit fahren konnte. Mir war das ganz recht, denn so konnte ich das Fenster aufdrehen und die frische Luft und den Ausblick genießen, der wirklich atemberaubend war.
Direkt um die Stadt herum war freies Weideland, auf dem bestimmt einhundert Pferde grasten. Einige von ihnen kamen auf uns zu, als sie den Wagen bemerkten und begleiteten uns auf dem Weg in die Stadt und sogar direkt bis an meine neue Wohnung. Ich mochte Pferde schon immer, weshalb es mich nichteinmal störte, als eines der Tiere seine Schnauze durch das Fenster streckte und mich intensiv beschnupperte. Ein bisschen befremdlich war es dann aber doch, denn ich hatte Pferde als sehr ängstliche Tiere kennengelernt.
Wenige hundert Meter vor dem Stadttor beschleunigten die Pferde, die uns begleiteten, um uns schließlich direkt vor der Stadt den Weg zu versperren. Eine junge Frau kam auf uns zu. "Herzlich Willkommen in Centauria.", begrüßte sie uns mit einer ehrlich klingenden Stimme, "Leider können Sie mit dem Wagen nicht in die Stadt fahren. Ich kann Ihnen aber zwei Pferde satteln, die Sie durch die Stadt bringen. Brauchen Sie sonst noch etwas?"
"In der Tat. Der LkW ist voll mit Umzugskartons und Möbeln. Irgendwie muss ich die von hier in meine Wohnung bringen.", entgegnete ich ihr sichtlich verwirrt und auch etwas ungehalten, was mir im Nachhinein Leid tat.
"Ah, dann sind Sie sicher Herr Fink. Wir haben für Sie bereits eine Kutsche und einen Lasttransport organisiert. Die Kutsche wird Sie ersteinmal zu ihrer Familie bringen. Heute Abend ist dann alles eingerichtet", sie drehte sich um und stieß einen lauten Pfiff aus, "Shirley! Rob! Herr Fink ist angekommen. Kommt zu mir."
Aufs Kommando kam eine Kutsche um die Ecke. Sie fuhr links an uns vorbei, machte einen großen Bogen und hielt dann rechts von uns an, als die Frau "Brrr" sagte. Sie half mir aus dem Auto und auf die Kutsche.
"Und wer lenkt?" fragte ich die Frau spontan,als mir auffiel, dass es gar keinen Kutscher gab.
"Das können Sie gerne machen, wenn Sie die Stadt erkunden wollen.", antwortete Sie mir, während sie ein paar Karottenstücke aus ihrer Hosentasche zog uns sie de Pferden gab "Ansonsten können sie Rob und Shirley aber auch einfach mitteilen, wohin Sie wollen. Die beiden bringen sie dann ans Ziel." Anschließend flüsterte sie den Pferden noch etwas ins Ohr.
"Also gut. Ich denke, ich werde ersteinmal meine Enkelin besuchen.", als hätte ich es befohlen, setzten die Pferde die Kutsche in Bewegung.
Meine Enkelin und ihr Mann erwarteten mich vor ihrem Haus. Ina stellte Karl und mich einander vor und wir plauderten etwas über die Fahrt und über allgemeine Dinge.
"Wollen wir nicht reingehen?", schlug ich schließlich vor, "Meine Beine sind nicht mehr die besten und fangen so allmählich an, zu streiken."
"Und was ist mit den beiden?" empörte sich Ina und zeigte dabei auf das Zweiergespann an der Kutsche.
Ich schaute mich um "Das sind Shirley und Rob. Was soll mit ihnen sein?"
"Die beiden warten den halben Tag, bis du kommst, bringen dich dann noch lieb und brav her und du sagst nichteinmal Danke.", Ina schüttelte den Kopf, "Nenene, Opa. So geht das nicht! Pass jetzt mal auf."
Sie ging zu den beiden hin und lotste sie so, dass der Kutschwagen an der Seite parkte. Dann befreite die Pferde zunächst von dem Geschirr und dankte ihnen. "Wir brauchen euch erst heute Abend wieder, wenn mein Opa nach Hause gefahren werden muss. Bis dahin habt ihr frei. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch im Stall etwas stärken. Ich glaube, Maik hat da etwas für euch." Ina kraulte beiden den Nacken. Die Pferde antworteten ihr mit einem zufriedenen Wiehern und trabten schließlich davon. Während wir zum Haus gingen, erklärte mir Ina, dass die Pferde hier in Centauria intelligenter sind als andere Pferde. "Sie verstehen unsere Sprache und werden bis zu 60 Jahre alt! Außerdem haben Sie Gefühle und die sollten wir nicht verletzen, wo wir einander an diesem Ort doch so viel zu geben haben."
"Ich verstehe."
Eigentlich verstand ich nicht. Tiere, die unsere Sprache verstehen? Unmöglich! Aber das, was ich an diesem ersten Tag in Centauria erlebt hatte, erlaubte mir immerhin, diese Erklärung als wahr zu akzeptieren, obgleich ich wohl noch eine etwas längere Zeit brauchen würde, um mich daran zu gewöhnen.
Als die Sonne unterging und den Himmel in ein herrliches rot färbte, machte ich mich schließlich auf den Weg nach Hause. Ich verabschiedete mich von Karl und Ina mit einem Händedruck und einer liebevollen Umarmung. Rob und Schirley warteten schon vor der Kutsche auf mich. Maik hatte sie bereits eingespannt. "Hallo ihr zwei lieben", begrüßte ich die beiden, während ich ihnen je einen Apfel hinhielt.
"Es ist schon spät für mich und ihr wollt sicher auch bald Zeit für euch haben. Fahrt ihr mich nach Hause?" Das war sozusagen mein erster Versuch, etwas menschlicher mit diesen Tieren umzugehen, wobei ich mir zunächst ziemlich merkwürdig vorkam, zumal Rob und Shirley sich nur für den Apfel zu interessieren schienen.
Maik half mir auf die Kutsche und stieg selbst mit auf. "Auf geht's!" rief er den Pferden zu und schon setzte sich die Kutsche in Bewegung.
Eine halbe Stunde später hielten wir an einem Haus, das aus nur zwei Etagen bestand, wobei die untere Etage ein kleiner Stall war, von dem aus eine Tür in den Raum mit der Treppe in die obere Etage führte.
Maik band Rob und Shirley los. "Das habt ihr wirklich gut gemacht.", lobte er beide, "Ihr habt euren ersten Arbeitstag gut überstanden. Habt ihr euch schon entschieden, wo ihr bleiben wollt?"
Ich staunte Bauklötze, als beide direkt in den Stall unter meiner neuen Wohnung trabten und sich dort nebeneinander legten.
"Tja", meinte Maik nur trocken, "Scheint so, als wenn die beiden Sie mögen, Herr Fink."
Ich kann nicht erklären, wieso. Aber aus irgendeinem Grund machte mich das sehr glücklich. Ich wünschte Maik und den beiden Pferden eine gute Nacht und ging schlafen.
Lange in meinem Leben hatte ich nicht mehr so gut geschlafen. Shirley und Rob hatten es sich in meinem Stall gemütlich gemacht. Maik erklärte mir, dass ich deshalb nun ihr Pfleger sei und gewisse Aufgaben zu übernehmen hätte. Neben dem Ausmisten des Stalls und einer regelmäßigen, intensiven Körperpflege musste ich Rob morgens nach der Fütterung auch zu seinem Arbeitsplatz bringen.
Nicht, dass Rob irgendwie Geld verdiente, nein: Geld spielte in dieser Stadt keine Rolle. So, wie die Menschen sich liebevoll um die Pferde kümmerten, so halfen die Pferde tatkräftig beim Aufbau und bei der Erhaltung der Infrastruktur mit. Wenn wenig zu tun war, gab es für Rob alle drei bis vier Tage etwas zu tun. Für Shirley war allerdings schon nach dem zweiten Arbeitstag Pause angesagt. Rob hatte sie erfolgreich gedeckt und um das zuküftige Fohlen in seiner Entwicklung nicht zu stören, verordnete der Tierarzt Shirley für die nächsten 2 Jahre "Ruhe und Gesellschaft". Was das für mich hieß, sollte ich bald herausfinden.
Zwei oder drei mal in der Woche, wenn ich Rob zu seiner Tagesaufgabe gebracht hatte, war ich anschließend mit Shirley allein im Stall. Was sollte ich machen? Auf der einen Seite wollte ich Shirley nicht einfach im Stall alleine lassen, auf der anderen Seite war ich aber auch nicht der Typ, der einfach so schweigend neben jemandem steht bzw. sitzt. Ich erinnerte mich daran, dass Ina mir erzählte, dass die Pferde hier unsere Sprache verstehen und da wir ungefähr elf Monate hinter uns bringen mussten, entschied ich mich, Shirley meine Lebensgeschichte zu erzählen.
Ich erklärte ihr 2 Zeichen, die sie mir geben konnte, wenn sie mehr hören wollte oder wenn sie gelangweilt war, setzte mich auf einen Strohballen und begann, zu erzählen. Zu meiner Ãberraschung fand Shirley einen ganz eigenen Weg, mir mitzuteilen, dass sie wirklich auch das letzte Detail meiner Geschichte erfahren wollte: Sie setzte sich neben mich, legte ihren Kopf auf meinen Schoß, sodass ich sie am Nacken kraulen und konnte und ließ ein zufriedenes schnauben von sich hören. Ich klopfte mit der flachen Hand vorsichtig auf ihren Hals, karaulte ihren Nacken und fuhr mit meiner Geschichte fort.
In den Monaten ihrer Schwangerschaft war sie mir auf einer freundschaftlichen Ebene so nah, wie es noch kein Mensch zuvor war. Ich hatte zwar immernoch nicht verstanden, wie es möglich sein konnte, dass ein Pferd ein so... ja fast schon menschliches Verhalten an der Tag legen konnte, aber mit der Zeit störte es mich auch nicht mehr wirklich.
Wieder eine körperliche Beschäftigung zu haben, tat mir gut. Ich spürte, wie ich von Tag zu Tag fitter wurde und weniger Pausen benötigte, wenn ich eine lange Strecke ging. Nach 3 Monaten etwa fing Rob an, sich mürrischer zu Verhalten als sonst, wenn er Abends nach Hause kam. Und auch Shirley änderte ihr Verhalten. Immer etwa eine Stunde vor Robs Rückkehr zog sie sich in ihre Box zurück.
"Vielleicht möchte Rob von dir abgeholt werden." vermutete Ina, als ich sie auf dieses Verhalten ansprach. Das klang für mich plausibel. Am darauffolgenden Tag stand für Rob "Baumstämme schleppen" an. Die Baumstämme wurden für den Bau eines neuen Hauses benötigt und Robs Vorfreude über diese Aufgabe war unverkennbar. Ich glaube, er liebte es, sich manchmal richtig zu verausgaben. An der Baustelle angekommen, kraulte ich Rob zum Abschied nochmal den Nacken. "Warte heute Abend hier auf mich. Ich hole dich ab." flüsterte ich ihm fast ins Ohr, worauf er seinen Kopf an meine Brust legte und sich daran rieb. Ich fasste das als ein "okay" auf und ging wieder zurück zu Shirley, die mitten im Stall lag und döste. Ich begrüßte sie mit einem Apfel und einer Streicheleinheit, dann setzte ich mich neben sie auf den Boden und lehnte mich an ihre Schulter.
Zunächst erzählte ich ihr, wie es mir an diesem Tag ging, wie froh ich mal wieder war, hierher gezogen zu sein und dass ich mich wieder lebendiger fühlte als noch vor ein paar Jahren. Schließlich führte ich meine Lebensgeschichte fort. Zwischendurch kam der Tierarzt vorbei, um nach dem rechten zu sehen. Er hörte Shirleys Bauch mit einem Stethoskop ab und entdeckte etwas, das seine Aufmersamkeit erregte. Er überließ mir das Gerät und ließ mich einmal hören. "Ba-BAM" ich erschrak ob der Lautstärke. "Ba-BAM... Ba-BAM..." Es war ein regelmäßig ruhiges Pochen. Das Pochen eines Herzens!
"Das bedeutet, das kleine ist in allerbester Verfassung" erklärte er mir.
Am frühen Abend zog Shirley sich dann in ihre Box zurück und ich zog los, Rob abzuholen. An der Baustelle angekommen, sah ich wie Rob und 5 weitere, ähnlich kräftige Hengste einen vierrädrigen Wagen zogen, auf dem bestimmt 10 große und dicke Baumstämme lagen. Alle 6 legten sich mit voller Kraft nach vorne und hielten den Wagen so über einen Zeitraum von mehreren Minuten immerhin in Schrittgeschwindigkeit. Als der Wagen richtig stand, wurden alle 6 sofort abgespannt und konnten in ihrer Pause etwas futtern und trinken, während 2 andere Pferde die Stämme mit einem Seilzug in die erste Etage des Hauses hoben.
Rob hatte mich wohl schon entdeckt, denn sofort als er von dem Wagen abgespannt war, gallopierte er auf mich zu und begrüßte mich so euphorisch, dass ich beinahe nach hinten gestolpert wäre, als er seinen Kopf über meine Schulter bewegte. Um nicht zu fallen, umklammerte ich seinen Hals und Rob erwiderte die Umarmung, indem er seinen Kopf gegen meinen Rücken drückte und mich so näher an seinen Körper heranzog.
"Hey, Hey, Hey. Du kannst doch einen alten Mann nicht so überrumpeln.", begann ich zu protestieren, fügte dann aber hinzu, "Ich freue mich aber auch, dich zu sehen."
"Bist du fertig?" fragte ich Rob, nachdem er die Umarmung etwas gelöst hatte. Er schnaubte kurz, drehte sich dann um und trabte auf einen der Bauarbeiter zu. Als dieser auf ihn aufmerksam wurde, hob Rob sein rechtes Vorderbein, sodass sein Knie ungefähr einen rechten Winkel bildete und sein Oberschenkel etwa waagerecht war. So verharrte er mehrere Sekunden. Der Bauarbeiter befestigte eine Führungsleine an das Zaumzeug des Hengstes und führte ihn in einen Stall. Rob warf mir eindeutig einen Blick zu, der mir das Gefühl gab, dass ich mitkommen sollte, also folgte ich ihm. Als ich den Stall betrat, hatte der Bauarbeiter Robs Führungsleine gerade an einem Ring in der Wand befestigt. Der Bauarbeiter nahm ihm das gesamte Zaumzeug ab, um ihm anschließend den Dreck aus dem Fell zu bürsten, doch dagegen wehrte Rob sich. Der Bauarbeiter unternahm einen zweiten Versuch, ließ es dann aber sein.
"Vielleicht lässt er mich ja.", mischte ich mich ein.
"Klar, versuchen Sie's.", der Mann gab mir die Bürste, "Wenn er zu ihnen gehört, können sie ihn danach auch gleich mitnehmen. Kommen sie aber nochmal kurz bei mir vorbei. Ich hab noch was für ihn." Mit diesen Worten kehrte er zur Baustelle zurück.
Rob hatte sich wieder beruhigt und ließ sich problemlos von mir pflegen. Nur das Zaumzeug ließ er sich anschließend nicht abnehmen. Zunächst schaute ich ihn verwirrt an, nachdem er sich dagegen gewehrt hatte, dann dachte ich einen Moment nach, was er mir damit wohl sagen wollte und schließlich verstand ich: Er wollte von mir mehr wie ein normales Pferd behandelt werden und weniger wie ein Mensch. Ich lächelte im zu. "Das lässt sich einrichten", sagte ich zu ihm, nahm die Leine und führte ihn aus dem Stall heraus.
"So, da sind wir wieder.", meldete ich mich bei dem Bauarbeiter zurück.
"Sehr gut. Damit wären wir dann komplett.", er gab jedem der 6 Hengste eine kleine Süssigkeit, "Weil ihr 6 heute mehr geleistet habt, als wir erwartet hatten, habt ihr euch den freien Tag morgen redlich verdient. Zudem hatte ich das Gefühl, dass ihr zusammen viel Spaß bei dieser anstrengenden Arbeit hattet. Ich biete euch deshalb an, dass ihr 6 übermorgen wieder hier arbeitet"
Alle 6 Hengste hoben ihr rechtes Vorderbein, wie Rob das vorhin schon getan hatte.
"Ich danke euch", fuhr der Mann fort, "erholt euch gut und lasst euch von euren Pflegern eine gute Massage geben."
Die wird er bekommen, dachte ich mir, während ich Rob durch die Stadt führte. Und obwohl er genau so neben mir her lief, wie sonst auch, war der weg zurück völlig anders für mich. Mit der Leine in der Hand fühlte es sich um einiges natürlicher an, dass mich da ein Pferd begleitete.
Die Geburt des Fohlens stand kurz bevor. Seit 5 Wochen hielt Shirley sich den größten Teil ihrer Zeit in der Fohlenbox auf und am Tag zuvor hatte ich ihr auch den letzten Abschnitt meines Lebens erzählt. An diesem Tag verließ Shirley am morgen nichteinmal ihre Box. Somit konnte ich meine volle Aufmerksamkeit auf Rob richten, der heute und in den nächsten Tagen, bis das Fohlen zu Welt gekommen ist, für die Reitschule vorbereitet werden musste.
Da ich vom Satteln und Aufzäumen von Pferden auch nach einem Jahr noch keine große Ahnung hatte, schaute Maik bei mir vorbei und erklärte mir jede Einzelheit. Ich glaube, ich brauchte etwas mehr als eine halbe Stunde, bis Rob fertig und richtig aufgezäumt und gesattelt war. Ganz zuletzt war das Mundstück dran. Maik erklärte mir die Unterschiede zwischen den drei Trensenarten, die es hier gab. Ich hatte die Wahl zwischen einer ungebrochenen, einer Kettentrense oder einer zweifach gebrochenen Trense - beide bestanden aus einer Eisen-Kupfermischung. Ich entschied mich für die zweifach gebrochene Trense, war mir dann aber doch unsicher, ob ich Rob das Mundstück wirklich ins Maul schieben wollte. Rob war es schließlich, der mich dazu ermunterte indem er seinen Mund gerade weit genug öffnete, sodass ich die Trense in Position schieben konnte.
Eine Sekunde später legte Rob sich halb auf den Boden.
"Er will, dass du aufsteigst", interpretierte ihn Maik.
Ich und reiten? Ich hab doch noch nie auf einem Pferd gesessen! Protestierte ich in mich hinein. Ich wusste aber, Rob würde erst wieder aufstehen, wenn ich im Sattel saß. Und es war genau diese Art der Pferde in Centauria, durch die ich mich so sehr in sie verliebte. Sie demonstrierte mir ein ums andere mal, dass die Menschen keine Macht über die Pferde hatten und genausowenig hatten die Pferde Macht über die Menschen. Es war eine perfekte Symbiose und ein vollkommen harmonisches Zusammenleben. Ich stieg in den Sattel.
Rob stand behutsam auf, während ich versuchte, hauptsächlich in den Steigbügeln zu stehen und mich am Knauf des Sattels festhielt. Da saß ich nun auf dem Rücken dieses großen Tieres. Da ich mit fast 80 (Es waren noch ungefähr 18 Stunden bis zu meinem Geburtstag) zwar mittlerweile wieder etwas fitter aber immernoch nicht wirklich beweglich war, musste ich nun auf Robs Rücken ausharren, bis er sich entschied, mich runterzulassen. Er für seinen Teil wieherte so laut er das mit der Trense im Maul konnte und Maik schaute mich, sichtlich zufrieden, an.
"Du hast gerade eine Prüfung bestanden. DIE Prüfung eines jeden Pflegers, wenn man so möchte. Die Kettentrense ist ein Folterwerkzeug im Maul ein Pferdes und die ungebrochene Trense kann sich böse im Maul verkanten. Du hast Rob bewiesen, dass er dir kompromisslos vertrauen kann. Und indem du jetzt da oben sitzt, zeigst du, dass du ihm kompromisslos vertraust und er kann dir jetzt beweisen, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Wenn er dich gleich zum Reitunterricht bringen wird, dann werden die Pferde von Centauria dich nichtmehr nur als Menschen sehen, sondern als Centaur. Du bist dann vollständig in unsere Gemeinschaft integriert."
Ich freute mich zusammen mit Rob, auch wenn es bei mir nicht so enthusiastisch aussah, wie bei ihm, aber ich hatte immernoch nicht so richtig die Balance gefunden. Geduldig wartete Rob darauf, dass ich einigermaßen ruhig und sicher im Sattel saß.
"Und wie komme ich hier wieder runter?", fragte ich Maik.
"Absteigen kannst du erst, wenn Rob es dir erlaubt. Wenn du versucht, früher abzusteigen, beleidigst du ihn und du wirst dich dabei verletzen. Er wird dich dann möglicherweise nie wieder auf sich reiten lassen. Ach! Bevor ich es vergesse: solange du auf Robs Rücken sitzt, liegt ein Zauber auf euch beiden. Du wirst ihm keine verbalen Anweisungen geben können. Wenn du willst, dass Rob etwas tut, dann arbeite mit deinen Händen, deinen Beinen und der Trense. Er wird genau so reagieren, wie ein normales Pferd. Dafür bestimmt er den Zeitraum, den du auf ihm sitzt. Ich denke, du verstehst, warum das so ist."
In der Tat verstand ich es. Ich konnte Rob zwar als "Fortbewegungsmittel" nutzen, doch das brachte mir gar nichts, wenn er mich am Zielort nicht abstiegen ließ. Nur, wenn ich den Ausritt zu einem gemeinsamen Erlebnis machte und Rob nicht für meine Interessen ausnutzte, würde ich die höchste Ehrung erfahren, die ein Centaurianisches Pferd einem Menschen entgegenbringen konnte.
Rob stand immernoch vollkommen regungslos da. So langsam hatte ich die Balance im Griff. Für einen Moment schloss ich die Augen. Ich wollte ihn unter mir spüren und achtete auf jedes Detail, dass er mich von sich lieferte. Mit meinen Beinen bemerkte ich seine ruhige und gleichmäßige Atmung. Ich versuchte, die Bewegung mit meinen Beinen bewusst nachzuvollziehen bis der Druck meiner Beine auf seine Seite immer genau gleich stark war. Ich nahm nun auch ein leichtes schwanken seines Körpers wahr. Ich spürte, wie er sein Gewicht von den linken Beinen auf die rechten verlagerte und umgekehrt. Im bemerkte auch, dass etwas seine Balance störte. Ein Gewicht, dass nicht zu ihm gehörte. Ich versuchte, diese Störung auszugleichen, indem ich mit seinen Gewichtsverlangerungen mitging, bis ich mich nicht mehr von seinem Körper unterscheiden konnte. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, wie angegossen in seinem Sattel zu sitzen. Ich war mir sicher, dass dieses Gefühl verschwinden würde, sobald er lostrabte, doch für den Moment war mir das egal.
Ich öffnete meine Augen wieder. Ich war bereit, loszureiten. Doch was sollte ich machen, damit Rob startete? Und am besten nicht gleich im Galopp?
"Okay, eine letzte Frage: Wie geht's los?"
Als Antwort bekam ich von Maik nur ein breites grinsen. "Das musst du schon selbst herausfinden. Einen Tipp gebe ich dir aber: rechne mit seiner Intelligenz." Maik streichelte Rob über die Seite "Pass gut auf ihn auf, ja?", der Hengst schnaubte einmal und nickte kurz, bevor er völlig ruhig da stand und auf eine Anweisung wartete, während Maik den Stall verließ.
Naja, überlegte ich mir, so viele Möglichkeiten hast du ja nicht. Die Zügel... hmmm... eigentlich will ich die möglichst nicht benutzen.
Also versuchte ich, den Druck meiner Beine auf den Körper des Hengstes ein klein wenig zu erhöhen und was soll ich sagen: Er schritt los. Das seitliche Schwanken wurde etwas mehr und ich passte auf, dass ich den Druck mit meinem Beinen nicht größer werden ließ. Auch Rob war Anfangs noch recht vorsichtig. Er passte auf, dass seine Bewegungen möglichst fließend waren, sodass ich nicht durch einen Ruck das Gleichgewicht verlöre. Und je sicherer ich wurde, desto unverkrampfter bewegte sich Rob. Ich versuchte, Rob etwas zu beschleunigen, merkte dann aber schnell, dass der Trab zu anstrengend für mich war, und wechselte wieder zurück, indem ich den Druck auf seine Seiten etwas milderte.
Bisher hatte ich die Zügel noch nicht angefasst und das sollte bis zum offiziellen Beginn des Reitunterrichts auch so bleiben. Ich schloss ein zweites mal die Augen. Robs Atmung war für mich jetzt etwas schwerer aus den verschiedenen Bewegungen herauszufiltern. Er atmete jetzt etwas schneller und flacher. Ich stellte mich darauf ein. Anschließend versuchte ich die Schrittfolge seiner Beine nachzuvollziehen. Vorne Links... dann... hinten rechts ... vorne rechts und anschließend hinten links! Es brauchte etwas, bis ich den Rhythmus drin hatte, da sich die ersten beiden und die letzten beiden Schritte etwas stärker überschnitten, als die Schritte, die auf der gleichen Seite nacheinander stattfanden. Wieder stellte ich mich auf Robs Gewichtsverlangerungen ein und schwang mit. Es war ein großartiges Erlebnis. Wir waren wie ein Körper, der sich bewegte und es kostete mich so gut wie keine Kraft, Rob im Schritt zu halten. Ich öffnete meine Augen wieder und sah uns gerade aus der Stadt reiten.
Außer der Reitlehrerin war niemand in der Reitschule. Sie kam direkt auf uns zu und begrüßte Rob mit einem klopfen am Hals.
"Guten Morgen, ihr zwei. Ich bin froh, dass du es in unsere Gemeinschaft geschafft hast, Simon. Wir alle hatten schon darauf gewartet. Wieviel hast du denn auf dem Weg hierher schon gelernt?"
"Stehen und Gehen kann ich bereits. Ans Lenken habe ich mich noch nicht getraut. Ich möchte Rob keine Schmerzen zufügen, wenn ich an den Zügeln ziehe. Und laufen war mir heute etwas zu anstrengend. Da fehlt mir die Kraft und die Ausdauer für."
"In Ordnung. Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du nur leicht an den Zügeln ziehst, dann kannst du ihm nicht weh tun. Ich denke, wir werden das zu deiner heutigen Ãbung machen. Und damit Rob keine eigenständigen Korrekturen vornehmen kann, wirst du ihn durch das Heckenlabyrinth navigieren. Die Hecken sind gerade so hoch, dass du oben drüber schauen kannst, dein Pferd aber nicht. Wenn deine Anweisungen eindeutig sind, dürftest du auf dem kürzesten Weg innerhalb von zwei Stunden durch sein. Auf die Anweisungen durch die Zügel und deine Beine richtig zu reagieren braucht aber viel Konzentration. Du solltest für Rob zwischendrin also wenigstens eine Pause an einer Tränke einlegen."
Ich nahm also die Zügel in die Hand und lenkte Rob zum Labyrintheingang. Anfang zog ich noch immer ein bisschen zu lange, sodass der Weg dorthin eher einer Schlangenlinie glich. Ich ließ ihn an der ersten Tränke, die wenige Meter hinter dem Eingang war, gleich so viel trinken, wie er wollte. Ich wusste nicht, wie lange ich für den Weg zur nächsten Tränke brauchen würde, also wählte ich als Etappenziel die kürzestmögliche Strecke. Rob schien noch etwas Zeit zu brauchen, also ließ ich sie ihm, indem ich geduldig seinen Nacken kraulte.
Das Labyrinth hatte unmengen Kurven, Ecken und Kreuzungen. Da ich die Zügel anfangs noch sehr zögerlich benutzte, brauchten wir für die ersten zehn Kurven eine geschlagene halbe Stunde. Noch zwei weitere Kurven, dann waren wir am ersten Etappenziel angekommen. Neben der Tränke, aus der Rob reichlich trank, war ein Eimer mit Mundgerechten Happen platziert, den er mit Begierde leerte. Nach 10 Minuten Pause legte Rob sich hin, sodass ich wieder aufsteigen konnte. In der zweiten Etappe waren wir schon wesentlich schneller. Meine Signale wurden eindeutiger und Rob reagierte präziser, sodass ich die dritte Tränke in meiner Etappenplanung übersprang. Insgesamt gelang es mir, die Zeitabstände zwischen den Etappen immer zwischen 30 und 45 Minuten zu halten. Zudem pausierte Rob nie länger als zehn Minuten, sodass wir nach gut 5 Stunden den Ausgang gefunden hatten.
"Ah, da seid ihr ja.", begrüßte uns die Reitlehrerin, "reite jetzt nach Hause. Wenn ihr übermorgen wieder hier seid, werden wir den Galopp üben."
Ich führte Rob in einem ruhigen Trab in den Stall zurück. Er gehorchte auf jedes Signal genau so, wie ich es erhofft hatte. Im Stall angekommen machte er dann zunächst keine Anstalten, mich absteigen zu lassen. Ich verstand zunächst nicht, warum er einfach stehen blieb und nichts tat, weiß heute aber, dass er mir einfach nur nicht dass Gefühl geben wollte, dass er den Ausritt nun so schnell wie möglich beendet wissen wollte. Ich nutzte die Zeit, um ihn zu loben, zu kraulen, zu tätscheln und ihm mitzuteilen, dass ich ihn als Persönlichkeit bewunderte, denn das tat ich wirklich. Einige Minuten später schnaubte er ein paar mal und kündigte mir damit an, dass er mich nun absteigen ließ.
Als erste Handlung nach dem Absteigen nahm ich Rob die Trense ab. Rob bekam von mir eine intensive und lange Massage, ich bürstete sein Fell gründlich aus und gab ihm zwischendurch jede Menge kleine Leckereien. Es war schon fast Mitternacht, als ich mit Robs und auch mit Shirleys Pflege durch war, gab ich beiden zur Nacht nochmal eine lange Umarmung und erzählte ihnen, dass ich sie aus ganzem Herzen liebte. Als ich den Türgriff zum Haus anfasste, wieherten die beiden gemeinsam und lautstark. Ich erschrak und ließ den Türgriff für einen Moment los. Rob schnappte sich meinen Ärmel mit seinen Lippen und zupfte daran.
"Ich soll heute Nacht bei euch bleiben?", irgendwie trafen die beiden genau meine Stimmung, "Warum nicht? Ich könnte morgen beim aufwachen etwas Gesellschaft gebrauchen. Wisst ihr was? Ich düse nur eben hoch und ziehe mich für die Nacht um, dann komme ich wieder zu euch, in Ordnung?"
Als ich wieder runter kam, hatten sich Rob und Shirley bereits Kopf an Kopf hingelegt. Shirley lag etwas mehr auf ihrer linken Flanke und Rob rechts neben ihr etwas mehr auf seiner rechten. Sie lagen fast im rechten Winkel zueinander und atmeten sich gegenseitig in ein Nasenloch. Ich setzte mich zwischen die beiden und lehnte mich an Shirleys Schulter. Mit meiner linken Hand streichelte ich Shirley, kraulte ihr den Nacken und tätschelte sie am Hals. Rob ließ mich ihn über den Kopf bis hinter die Ohren streicheln, während er mit seinen Lippen meinen Oberkörper massierte. Die beiden Pferde strahlten auf mich eine unglaublich Ruhe und Sicherheit aus. Ich genoss diesen Moment in vollen Zügen.
Der Glockenturm läutete zum neuen Tag.
"Ich glaube, ich sollte mich jetzt schlafen legen", sagte ich zu den beiden. "Mein 80. Geburtstag wird ein ziemlich langer für mich."
Ich nahm mein Kopfkissen, legte es zwischen Rob und Shirley und legte mich auf den Bauch, während ich unbewusst die Glockenschläge mitzählte. Beim fünfzehnten legten die beiden Pferde ihren Kopf auf meinen Rücken. Ich spürte die wärme, die von ihnen ausging. Ich wusste jetzt, auf welche Art ich die beiden liebte. Ich liebte sie so, wie ich meine Eltern, meine Frau, meine Kinder und meine Enkelin liebte. Mir war nur noch nicht ganz klar, welche Rolle ich in dieser Familie eingenommen hatte. Vater? Bruder? Oder war ich vielleicht sogar wie ein Sohn für sie? Irgendwie war ich von allem ein bisschen... Lebensgefährte passte vielleicht ganz gut, wenn man den sexuellen Aspekt aus diesem Begriff abzog. Im Endeffekt war es aber auch nicht wichtig. Ich war ein fester Teil dieser Familie und hatte vor, es noch lange zu bleiben.
Als ich aufwachte war alles um mich herum dunkel. Wo war ich? Ich spürte kein Heu mehr unter mir, ich war also nicht mehr im Stall. Moment. Da war überhaupt kein Boden mehr unter mir. Ich spürte etwas flüssiges um meinen ganzen Körper. Ich atmete nicht. War ich am ertrinken? Nein, die Flüssigkeit fühlte sich warm und bekannt an. Ich hat auch keinen Atemreflex. Es war eng hier. Mein Kopf lag auf meinen Armen. Ein Druck. Ich rutschte vorwärts und vor mir öffnete sich ein Licht. Ein weiterer Druck und meine Nasenspitze war schon fast draußen. Trotzdem war alles irgendwie schwammig und unscharf. Etwas umschlang meine arme. Noch ein Druck und gleichzeitig ein Zug. Beinahe war ich draußen. Die Blase platzte. Ein Mann üerprüfte meine Nase. Ich kannte ihn. Maik! Ich spürte einen letzten Druck an meinen Füßen. Ich war draußen. Wo war ich drin? Ich schaute zu meinen Beinen. Sie lagen direkt an der Vulva eines Pferdes und an der Vulva hing eine Art abgerissene Haut. Ich war in einem PFERD? Das Tier stand auf, drehte sich zu mir um und untersuchte mich. Mein erster Atemzug war überwältigend. Es war eine Mischung aus unmengen bekannter und unbekannter Gerüche. Nur einen davon konnte ich genau zuordnen. Es war der von Shirley, die mich... geboren hatte?
Ende