Part 8 - Noch einmal schlafen
#8 of Dexter & Nikki
Noch einmal schlafen
„Ihr bekommt jetzt bald etwas zu essen und danach dürft ihr duschen." sagte Arai zu seinem jüngeren Artgenossen, während sie den restlichen Weg zu dessen Zelle zurücklegten.
„Das wird uns bestimmt gut tun, sowohl das Eine als auch das Andere." antwortete dieser erfreut.
Arai nickte und fügte hinzu: „Danach werden die Lichter abgeschaltet und es beginnt die Ruhezeit. Dann gibt es nur einen Wächter, der in einer langen Runde patrouilliert. Ein Anderer hat heute die Nachtwache, das heißt wir können unser Vorhaben erst in der nächsten Nacht in die Tat umsetzen, dann bin ich wieder bei euch. Solange müsst ihr noch durchhalten."
„Das schaffen wir schon, aber kannst du uns nicht endlich erzählen wie der Plan überhaupt aussieht, damit wir uns wenigstens etwas darauf vorbereiten können?"
„Das hab ich vor, aber hab noch etwas Geduld." Er schloss Nikki wieder in seiner Zelle ein und sagte: „Nach dem Essen erzähle ich euch soviel ich kann."
Die Wachablösung von Arais Partner verspätete sich etwas, betrat dann aber irgendwann doch noch den Zellentrakt. Es war ein mittelgroßes Echsenmännchen das sie bis dahin hier unten noch nicht angetroffen hatten. Es schob einen gut eineinhalb Meter hohen, langen Wagen vor sich her, der etwas klapperig wirkte. Es stellte ihn mitten im Flur ab und rief dann laut: „Gefangene am Zellengitter antreten!" Die beiden Freunde schreckten augenblicklich auf. Sie erhoben sich zügig von ihren Pritschen und stellten sich wie verlangt an das Zellengitter.
Der Wächter öffnete die metallenen Rollos an den beiden Seiten des Wagens und das ratternde Geräusch ihrer Lamellen hallte durch den Gang. Im inneren des Wagens befanden sich eine ganze Menge Tabletts, die fein säuberlich in einzelnen Fächern nach Nummern sortiert aufgereiht waren.
Er nahm eines davon heraus und ging damit zu Dexters Bleibe. Er blieb davor stehen und sagte:
„Wenn du damit in deiner Zelle eine Sauerei veranstaltest, bist du dran. Dann bekommst du die ganze Woche nichts mehr. Und komm nicht auf die Idee überall hin zu pinkeln. Melde dich gefälligst vorher bei einer Wache." Dexter nickte ehrfürchtig doch das Reichte dem Wächter nicht.
„Ich erwarte eine Antwort!" schnauzte er ihn an.
„Ja Herr." antwortete er laut und deutlich.
Der junge Drache fühlte sich schlagartig wieder in seine Zeit als Sklave zurückversetzt. Er wurde früher schon wie ein dummes unkultiviertes Tier behandelt und steckte solche Demütigungen mittlerweile ohne zu zucken weg, aber Nikki der auf der anderen Seite des Flurs natürlich mithören konnte, tat es ziemlich weh, dass sein Freund von seinem Artgenossen so geringschätzig behandelt wurde.
Arai half seinem Kollegen bei der Ausgabe und hatte mittlerweile ebenfalls eines der Tabletts aus dem Transportwagen genommen. Jeder der beiden Freunde bekam jetzt eines durch eine kleine Aussparung unten im Zellengitter zugeschoben. Sie nahmen es entgegen und als sie es vom Boden aufhoben bemerkten sie erfreut, dass es sogar noch richtig warm war. Darauf stand eine Schale mit mehreren Vertiefungen in denen die Mahlzeit und ihre Beilagen eingefüllt waren. Daneben lag ein Löffel und eine Getränkepackung sowie eine gräuliche Papierserviette.
Beide rochen skeptisch an den verschiedenen Dingen, es schien ein rein vegetarisches Menü zu sein, bestehend aus einer Suppe, etwas gemischtem Salat, Gemüse und ein Wenig Obst. Nachdem sie etwas zögerlich gekostet hatten, begannen sie beinahe hastig zu essen, auch wenn das mit nur einem Löffel nicht ganz einfach war. Es gab diesmal sogar identisches Essen für beide. Es war nichts Besonderes aber ihr mittlerweile recht großer Hunger sorgte dafür, dass es ihnen ganz gut schmeckte. Ein kleines Highlight war der kühle, fruchtige Saft aus der Packung den Nikki gleich probierte. Er hatte schrecklichen Durst und so war kurz danach bereits das Röcheln des Strohhalms aus dem leeren Päckchen zu hören. Dexter hingegen entschied sich, sein Getränk lieber für später aufzubewahren.
Der Wächter fuhr den Essenswagen in der Zwischenzeit weiter durch die große Tür die das Abteil vom angrenzenden trennte. Er blieb mitten im Durchgang stehen, schaute auffordernd zu Arai und rief im mürrisch zu: „Willst du mir vielleicht damit helfen?"
Der erwiderte in gleichermaßen routiniertem wie gelassenem Ton: „Ich habe Order, dass immer mindestens eine Wache bei dem Drachen bleibt, tut mir leid."
Arais Kollege nickte zwar einsichtig, aber grummelte und fluchte leise vor sich hin als er sich schließlich allein auf den Weg machte. In der Entfernung konnte man hören wie er auch die anderen Gefangenen zu den Zellengittern rief und diese begannen aufzustehen. Nachdem sich die schwerfällige Tür wieder hinter ihm geschlossen hatte, waren die Drei wieder für sich. Die Portionen der Mahlzeit waren gerade ausreichend und so hatten sie nach wenigen Minuten auch den letzten Rest mit ihren Löffeln aus den Mulden der Schüsseln heraus gekratzt. Arai hatte das beobachtet und begann zu flüstern: „Jetzt wo ihr aufgegessen habt, will ich euch schnell von unserem Plan erzählen."
„Was wenn er zurückkommt und uns dabei erwischt?" fragte Nikki unsicher.
„Er wird einige Zeit brauchen bis er das ganze Essen alleine an die anderen Häftlinge verteilt hat." Antwortete die ältere Echse und lächelte dabei etwas listig. Dann ergänzte sie: „Ich hoffe nur die Tür ist einigermaßen schalldicht."
Die zwei Jungen traten nahe an das Zellengitter heran und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf Arai, der nun in der Mitte des Zellentraktes stand. Er sprach gerade laut genug damit ihn beide noch verstehen konnten. Dabei blickte er immer wieder zwischen den Zweien hin und her.
„Ziel unserer Aktion ist es, euch und allen Gefangenen die Flucht mit diesem Schiff zu ermöglichen."
„Aber dazu müssten wir ja das ganze Schiff übernehmen und entführen, ist das dein Ernst?" fragte Nikki erschrocken.
Arai nickte. „Ich weiß, es hört sich gefährlich an aber denk daran, dieses Schiff ist größer als das Shuttle und kann schneller fliegen. Es besitzt mehr Vorräte und ist im Gegensatz sogar noch bewaffnet.
„Also gut, und wie stellen wir das an?"
„Wir haben Zugang zu einer Flüssigkeit die, wenn sie verdunstet und eingeatmet wird, jede Echse an Bord für zwei bis drei Stunden betäuben kann. Alle anderen werden davon zwar Kopfschmerzen bekommen und vielen wird vielleicht auch sehr übel werden, aber sie bleiben immerhin noch bei Bewusstsein. Diese Zeit könnt ihr nutzen um mit den anderen Gefangenen zu verschwinden. Auf diese Weise kommt auch keiner zu Schaden.
Dexter hatte sofort einen Einwand: „Aber du und Nikki und auch die restlichen Mitglieder des Widerstands wären ebenso betäubt."
Dafür haben wir besondere Schutzmasken besorgt mit denen wir ganz normal weiteratmen können. Du bekommst zur Sicherheit auch eine, denn wir wissen nicht wie das Mittel auf einen Drachen wirkt. Wir helfen euch dann dabei die Besatzung auf das Shuttle zu bringen, denn es ist einiges an Personal an Bord. Danach nehmt ihr auch uns die Schutzmasken ab und last uns mit den Anderen Besatzungsmitgliedern zurück. Dann sieht es so aus als hätten wir nichts damit zu tun gehabt."
„Das heißt also, du und deine Kameraden kommen nicht mit uns mit?"
Arai schüttelte den Kopf. „Nein." Sein Gesicht zeigte jetzt unübersehbar einen Ausdruck von Bedauern. „Nichts würden wir lieber tun, aber dieses Opfer müssen wir bringen. Sie dürfen nicht erfahren, wie weit sie bereits vom Widerstand infiltriert worden sind. Uns passiert nichts, wir fliegen zurück in das Echsen-Territorium und sind bald wieder auf einem neuen Schiff unterwegs. Das gibt uns außerdem die Möglichkeit weiterhin etwas gutes zu bewirken.
„Und die Vorräte des kleinen Shuttles reichen für so viele Personen?"
„Das werden Sie wohl müssen. Aber solange wird unsere Reise nicht dauern. Etwas was man von euch nicht behaupten kann, ihr seit vielleicht eine Weile unterwegs, da ist es gut ein etwas größeres Schiff zu haben."
Die zwei Freunde nickten zustimmend.
„In Ordnung, jetzt zur Umsetzung des Plans. Wir müssen unbedingt sicherstellen, dass das Gas in jeden noch so kleinen Winkel des Schiffes gelangt sonst besteht die Gefahr, dass Einzelne wach bleiben. Die Idee ist, es mit Hilfe der Schiffsbelüftung gleichmäßig zu verteilen."
Nikki ließ sich das ganze einen Augenblick durch den Kopf gehen und sagte dann: „Und wie gelangt das Mittel dort hinein?"
„Die Anlage besitzt zwei große Luftwäscher die Teil der Aufbereitung sind, das sollte nicht das Problem sein. Einer unserer Männer auf dem Maschinendeck setzt unser Betäubungsmittel einfach der Waschflüssigkeit zu. Allerdings hat die Kommandobrücke ihre eigene Luftversorgung, jemand muss dort hinein und das Mittel deponieren. Diese Zwei Lüftungsanlagen sind über einige Luftklappen miteinander verbunden, so kann im Notfall Frischluft von einem System in das Andere geführt werden. Wie schon erwähnt lassen sich diese Klappen aber nur bei einem schiffsweiten Notfall, zum Beispiel bei rotem Alarm öffnen.
Einziger Schwachpunkt ist, dass sie einmal am Tag für ungefähr eine halbe Minute vom System getestet werden, also ganz geöffnet und wieder ganz geschlossen. Das geschieht automatisch und ist unsere einzige Gelegenheit von einer Anlage in die andere zu gelangen. Das wäre dann auch der Punkt an dem einer von euch beiden ins Spiel kommt. Wenn es stimmt was in den Bauplänen steht, seid nur ihr noch zierlich genug um überhaupt durch die Klappen schlüpfen zu können.
Die zwei Jungen schauten sich an und Dexter sagte augenblicklich: „Ich kann das machen, ich bin gelenkig!"
„Warte, was heißt ca. eine halbe Minute ?" fragte Nikki sofort etwas skeptisch.
„Das wissen wir nicht so genau, aber es sind mindestens 20 Sekunden. Es wird natürlich keiner von euch dazu gezwungen."
„Was passiert, wenn Dexter nicht schnell genug ist?"
„Er könnte sich an einer Klappe einklemmen und schwer verletzen, denn der Antrieb ist zwar langsam aber recht kräftig. Außerdem würde sofort eine Störungsmeldung abgesetzt wenn etwas den Mechanismus blockiert und ein Wartungsteam würde sich dann sehr bald auf den Weg dorthin machen um nachzusehen was damit los ist.
„Dann mache ich es lieber." sagte die junge Echse mit bestimmendem Ton.
„Nikki bitte, ich will mich nützlich machen, nachdem alle hier schon so ein großes Risiko tragen. Ich bin vorsichtig, das verspreche ich dir." Sagte sein Freund geradezu bettelnd.
Nikki war anzusehen, dass ihm die Vorstellung gar nicht behagte, Dexter in diese Lüftungsanlage zu schicken.
Arai erzählte weiter: „Wir verschaffen uns Zugang zu einem Lüftungskanal im Liftschacht. Von dort aus musst du auf allen Vieren durch die Anlage kriechen, bis du die Klappen erreichst. Es sind zwei Stück, sie folgen direkt aufeinander. Zuerst kletterst du durch die Erste. Sobald Sie wieder geschlossen ist, öffnet sich kurze Zeit später die zweite. Zwischen ihnen ist genug Platz damit du dort eine kleine Pause machen könntest, aber dein Timing muss perfekt stimmen sonst sitzt du dort fest. Dann platzierst du eine Vorrichtung, die das Mittel später ferngesteuert freigibt, an einer bestimmten Stelle in der Anlage und machst dich sofort auf den Rückweg. Du musst noch zwei weitere Klappen überwinden und wirst von uns in einem der Büroräume eine Ebene tiefer wieder in Empfang genommen."
„Wie weit ist es etwa?" wollte Dexter wissen.
„Ich denke insgesamt um die 45 Meter und etwa 30 zurück bis zum Ausstieg"
„Schaffst du das?" fragte Nikki besorgt.
„Mach dir keine Sorgen, ich werde mein Bestes geben, außerdem hab ich schon schlimmeres durchgestanden."
„Er steht ja die ganze Zeit über eine Sprachverbindung mit uns in Kontakt." Versuchte Arai seinen jüngeren Artgenossen etwas zu beruhigen.
„Na gut." Gab sich Nikki schließlich widerwillig geschlagen.
„Die einzige Frage ist wohin ihr flüchten könnt, wenn alles glatt geht."
Nikki brauchte nicht lange zu überlegen, er wusste genau wohin er mit so einem großen Schiff fliegen würde.
„Es gibt einen Ort, zu dem wir eigentlich schon so gut wie auf dem Weg waren." Auch Dexter konnte gerade an nichts anderes denken.
Arai schaute die Beiden fragend an, er hatte keine Vorstellung was sie meinen könnten.
„Wovon sprecht ihr?" fragte er verwirrt.
„Die Zuflucht des Widerstands, du hast bestimmt schon einmal davon gehört, denn du gehörst ja schließlich dazu."
Arai lachte und schüttelte dabei den Kopf: „Ihr meint sicher Nétu. Aber das ist leider ein Mythos, diesen Planeten gibt es nicht."
„Aber wir haben Hinweise auf ihn gefunden, ich habe sie in meinem Buch zusammengetragen."
„Was denn für Hinweise?" fragte Arai ungläubig.
Nikki zog sein kleines Notizbuch aus der Innentasche und suchte einen Augenblick darin.
„Hier, siehst du?" er hielt es mit drei Fingern am Einband fest und zeigte ihm die aufgeschlagenen Seiten. „Dex und ich haben die Informationen die ich über die Monate gesammelt habe in den Computer des Shuttles eingegeben und er hat es geschafft uns daraus diese Liste an möglichen Übereinstimmungen zu suchen. Unser einziges Problem ist jetzt, dass wir nicht genau wissen welcher dieser Planeten es ist. Die Suchergebnisse ähneln sich einfach zu sehr."
Arai schaute immer noch skeptisch. „Ich weiß nicht, seid ihr wirklich sicher, dass Nétu überhaupt existiert? Es ist ja nicht so, dass das Oberkommando der Echsen nicht schon vergeblich versucht hätte ihn zu finden."
Dexter ergriff das Wort: „Wir müssen einfach versuchen ihn zu finden, wo sollen wir denn sonst hin? Dort könnten wir wenigstens in Sicherheit leben, ansonsten wären wir doch für immer auf der Flucht."
Arai nickte zögerlich und meinte: „Ja das ist wahr. Und wenn es ihn wirklich gibt, wüssten wir endlich, dass wir für ein größeres Ziel kämpfen und nicht nur hin und wieder ein paar Einzelne aus der Gefangenschaft befreien."
Dexter schüttelte den Kopf ohne seinen Blick dabei von Arai abzuwenden und sagte:
„Das darfst du nicht so sehen. Jedes einzelne Leben das ihr rettet zählt, das musst du dir immer vor Augen halten. Aber es wäre natürlich traumhaft, Nétu soll angeblich riesig sein und da ihn noch keiner entdeckt hat spricht alles dafür, dass er sehr gut versteckt liegt. Dort wäre bestimmt erst einmal jede Menge Platz für alle Flüchtlinge.
Auch Arai bekam dieses Funkeln in den Augen und lächelte zaghaft. Dann sagte er: „Also gut, ich werde veranlassen, dass einer unserer Spezialisten auf der Technikebene die Suche noch einmal etwas verfeinert. Die Rechner hier sind auch wesentlich leistungsfähiger als die des Shuttles. Allerdings bräuchte er dafür eine Kopie eurer Suchparameter, am besten auf einer Standard-Speicherkarte."
„Das ist kein Problem, clever wie Nikki ist hat er eine angelegt und die Karte mitgenommen." Sagte Dexter zuversichtlich und zeigte deutlich, dass er sehr stolz auf seinen Freund war.
Nikki machte einen nicht ganz so begeisterten Eindruck und meinte, während er sich zu Arai wandte: „Es ist nur, dass ich sie kurz vor der Befragung versteckt habe. Ich wollte sie dir eigentlich geben aber die Zeit reichte dafür nicht mehr, das tut mir Leid."
„Das macht doch nichts, es war gut, dass du sie nicht mit ins Verhör genommen hast. Und wo ist dieses Versteck?"
„Na ja, das ist ein Bisschen schwierig zu erklären, aber ich werde sie so bald es geht besorgen."
Arai verstand nicht so ganz warum Nikki auf einmal so herum druckste.
„Ich komme auf dem Schiff überall hin, ich kann sie sofort holen, du brauchst mir nur zu sagen wo sie liegt." sagte die ältere Echse.
Dexter hingegen war das seltsame Verhalten, das die junge Echse an den Tag legte, irgendwie vertraut und er meinte zu ahnen, dass sie nicht darüber sprechen wollte. Er hatte jedoch keinen Schimmer was die Ursache dafür sein könnte.
Nikki verzweifelte bereits innerlich, er konnte unmöglich sagen was Sache war. Er hoffte, dass irgendetwas passieren würde, das ihn aus dieser misslichen Lage retten würde. Er starrte in Arais gespanntes und etwas ungeduldiges Gesicht als er plötzlich Dexters Stimme hörte: „Du erinnerst dich nicht mehr daran wo du sie versteckt hast, hab ich recht?"
Nikki überlegte einen Augenblick und sagte dann: „Ja das stimmt. Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich ein so schlechtes Gedächtnis habe." Er hielt das eigentlich für eine wirklich armselige Ausrede, aber das war ihm im Moment irgendwie viel lieber als die Wahrheit zu sagen.
Arais Verwunderung wich seiner üblichen sanften Art und er sagte: „Das ist doch nicht schlimm, das passiert vielen wenn sie unter dem Stress einer Gefangenschaft stehen. Das ist nur eine kurzzeitige Blockade deiner Erinnerungen und hat auch nichts mit deinem Gedächtnis zu tun. Es wird dir alles in ein paar Stunden wieder einfallen, da bin ich sicher.
Dexter stimmte sanft zu: „Hey das muss dir nicht peinlich sein, ich hatte so was während meiner Gefangenschaft sogar schon mehrmals.
Nikki kam nicht mehr mehr dazu etwas zu erwidern, denn sie hörten bereits den Essenswagen von der anderen Seite der großen Tür heranrollen.
Arai brachte nur noch ein halb geflüstertes „Schnell gebt mir eure Tabletts!" heraus.
Die beiden schoben ihr Geschirr unter den Zellengittern durch und Arai sammelte es hektisch ein. Die Tür öffnete sich langsam und der sichtlich genervte Kollege von Arai tauchte hinter dem langsam hereinrollenden Wagen auf.
„Kannst du dieses Elend von Essenswagen wenigstens zurück auf das Versorgungsdeck bringen nachdem ich alle Mahlzeiten allein ausgegeben habe? Ich werde auch solange den ach so wichtigen Drachen bewachen." sagte er mürrisch.
„Schon gut ich mache es ja, aber ich kann trotzdem nichts für unsere Befehle." Er übernahm den scheppernden Wagen, räumte die zwei übrigen Tabletts ein und begab sich damit in Richtung des Lifts.
„Ich bringe jetzt die erste Abteilung zu den Duschen." meinte die andere Echse.
„In Ordnung, ich bin gleich wieder hier und helfe dir." gab Arai zurück während sich bereits die Lifttüren leise surrend zwischen ihm und seinem Gegenüber zu schließen begannen.
„Der macht sich 's mal wieder leicht..." Schimpfte der Wächter nachdem der Aufzug die Etage verlassen hatte.
„Gefangene vortreten!" rief er dann mit gleichgültigem Tonfall.
Er holte als erstes Dexter aus seiner Zelle. Nachdem er die Tür geöffnet hatte kam der Drache vorbildlich zügig heraus um ihn nicht zu provozieren. Als er gerade durch die Zellentür ging, erschreckte ihn die Wache indem sie so tat als würde sie die Tür wieder zuschlagen. Dexter zuckte zusammen und stolperte heraus. „Sehr gut, du hast immer noch Reflexe wie es sich für einen Diener gehört..." Spottete die Wache und lachte. Jetzt war Nikki an der Reihe, bei ihm verzichtete die ältere Echse immerhin auf die Einschüchterungen. Nikki wollte seinem Freund einen Blick zuwerfen, doch dieser hatte seinen Kopf gesenkt und schaute in eine andere Richtung. Wie gerne hätte er ihn jetzt tröstend umarmt.
„Bewegt euch, durch die Tür dort!" Er zeigte auf eine von zwei Türen seitlich neben dem Lifteingang. „Und lauft schön vor mir damit ich euch im Auge behalten kann."
Nikki ging voraus, Dexter folgte ihm mit etwas Abstand.
Der Durchgang öffnete sich und sie traten in einen Flur ein der zuerst schräg nach links, dann wieder nach rechts abknickte und letztlich schnurgerade weiter verlief. Die Luft war hier schon etwas anders, viel feuchter und es roch ein Bisschen nach irgendwelchen Putzmitteln. Es war auch nicht so Hell wie sonst auf dem Schiff, dieser Abschnitt war offensichtlich etwas heruntergekommen. Hier und da fehlten sogar große Elemente der Wandverkleidung, als hätte man alles umgebaut und dann mittendrin aufgehört. Ein Lüftungskanal hatte sich gelöst und hing jetzt schräg über ihrem Weg. Die zwei Freunde passten problemlos darunter durch, doch ihr Bewacher musste sich etwas ducken.
„Immer geradeaus. Da kannst sogar du nichts falsch machen, oder vielleicht doch?" Sagte die Wache und schubste den jungen Drachen unsanft von hinten. Da er dies nicht kommen sah, fiel er dabei fast. Als er versuchte das Gleichgewicht wieder zu erlangen merkte er erst, dass hier sogar der Boden schmierig war und seine Füße darauf rutschten. Der Wächter lachte gehässig und als sie an einigen weiteren Türen, halblebig eingebauten Lichtern und teilweise offenen Lagerräumen vorbeigegangen waren sagte er:
„Na los, hier rein mit euch, ihr habt zwanzig Minuten für alles. Denkt daran, dass ihr anschließend bis morgen früh in euren Zellen bleibt. Und am besten zeigst du diesem 'Ding' mal wie man sich richtig wäscht." Sagte er zu seinem jungen Artgenossen und zeigte währenddessen auf eine abfällige Art auf Dexter"
„Jawohl." Antwortete Nikki fast reflexartig. Als er wie verlangt in den Raum hinein gehen wollte, lief er erst einmal gegen die Tür weil diese sich nicht wie gewohnt öffnete.
Die ältere Echse fluchte: „Wenn nicht bald ein Wartungsteam kommt, raste ich hier unten noch aus. Er schob Nikki etwas unsanft zur Seite und trat einige Male so energisch gegen die Tür, dass die beiden Jungen sofort auf Abstand gingen. Nachdem er noch mehrmals mit seiner Hand nachgesetzt hatte, öffnete sie sich schließlich gute zwei Drittel. Er drehte sich um und als er sah, dass Dexter sich wegen des Lärms die Ohren zuhielt, sagte er: „Ihr Drachen seid wirklich der Inbegriff von Schwäche. Na los jetzt, rein da!"
Sie folgten aufs Wort und schlüpften beide nacheinander in einer Seitwärtsbewegung und mit angelegtem Schwanz durch den Türspalt. Der Wächter verschloss mit grimmigem Blick das immer noch schwergängige Schott hinter ihnen bevor er ging.
Die Beiden warteten einen Augenblick um sicher zu gehen, dass er wirklich weg war. Als sie nichts mehr von ihm hörten fragte Dexter etwas verwundert: „Müsste er uns nicht eigentlich bewachen?"
„Er scheint nicht besonders motiviert zu sein."
„Was für ein Glück." Sie lächelten sich gegenseitig an doch Nikki wirkte bedrückt und sagte mit gesenkter Stimme:
„Hey, es tut mir wirklich leid was er zu dir gesagt hat und, dass er dich so behandelt."
„Du brauchst dich nicht für ihn zu entschuldigen. Ich wüsste nur gern was ihm passiert ist, dass er so einen Hass auf meine Art hat. Vielleicht hat er auch recht und wir Drachen sind einfach schwach. Irgendwie wundert es mich schon, dass er seinen Frust an der kaputten Tür und nicht an mir ausgelassen hat."
Nikki gefror förmlich das Blut in den Adern als Dexter das so trocken sagte.
Dann schaute Dexter seinen Freund direkt an und sagte: „Oder noch schlimmer wenn er sich an dir vergriffen hätte."
Die Echse näherte sich ihm spontan, schloss ihn ganz fest in ihre Arme und flüsterte: „Hör auf über so was nachzudenken, okay?"
Den beiden war sehr wohl klar, dass der Wächter eigentlich alles mit ihnen hätte anstellen können, wenn er nur gewollt hätte.
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