Wolfsblut - Teil 3 Kapitel 55: Meeresüberquerung
Teil 3: Geliebter
Kapitel 55: Meeresüberquerung
„Mithilfe dieses Steins ist es dem Besitzer möglich, sich zu verwandeln. Dafür muss er sich mit dem Stein, der in seine ursprüngliche Form, der reinen Energie, zerlegt wird, vereinen, dadurch wird eine neue Energie freigesetzt, die zur Verwandlung führt. Doch am Leben erhalten konnte er sich nicht."
Verwunderung spiegelte sich in den gelben Katzenaugen wider. Hakku wusste, dass es nicht sein Überlebenswillen sein konnte, der ihn am Leben erhielt, doch was war es dann? Er war der festen Überzeugung, dass es etwas damit zu tun hatte, dass er ein Wächter war.
„Doch während der Arbeit an dem Stein bin ich hierauf gestoßen", sagte der Vater und bot dem jungen Kater den Platz neben ihm vor dem Computer an.
Hakku nahm Platz und sah verwirrt auf den flimmernden Bildschirm. Solche Gerätschaften waren ihm recht fremd, doch ein ähnliches Gerät hatte er bei Sisco einst gesehen. Von Canjy hatte er erfahren, dass es sowohl ärmere Regionen ohne jegliche Technik gibt als auch Regionen, die von fortgeschrittener Technik strotzte. Er selbst kam aus einer eher mäßig technisch fortgeschrittenen Welt.
Plötzlich erschien auf dem Bildschirm ein blaues Gebilde. Es glänzte wie ein Edelstein und die Form erinnerte an einen Wassertropfen.
„Was soll das sein?", wunderte sich Hakku und sah seinen Vater mit fragendem Blick an.
„Keine Ahnung. Ich versuche schon die ganze Nacht mehr über dieses Objekt herauszufinden, doch ich finde keine Antworten. Der Computer spuckt mir nur verschlüsselte Daten aus." Der Kater lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah seinen Sohn an.
„Es sieht auf wie ein Tropfen. Es muss etwas mit mir zu tun haben, da ich Flüssigkeiten kontrollieren kann."
Der Kater kratzte sich am Kinn und erwiderte: ,,Ich weiß es nicht, ich werde dir Bescheid geben, sobald ich mehr weiß."
„Aber ich muss so schnell wie möglich weiter. Ich habe bereits viel zu lange gewartet."
„Das hatte ich befürchtet." Der Vater lächelte und warf Hakku ein kleines, schwarzes Gerät zu. ,,Hiermit kann ich dich anrufen."
Verwundert betrachtete Hakku das Gerät. Es schien sich ebenfalls um etwas technisches zu handeln und er hatte Sorge, ob er verstehen würde, wie es funktionierte, doch er ließ sich seine Unwissenheit nicht vor seinem Vater anmerken. Hakku wollte das Gerät einstecken, doch ihm fiel auf, dass er außer der Unterwäsche nichts am Leib trug.
„Bevor du wieder deiner Wege gehst, solltest du noch anständige Kleidung und eine Tasche bekommen. Warte kurz, für diesen Fall hatte ich extra vorgesorgt." Der Vater verschwand für einen Augenblick und tauchte nach kurzer Zeit mit einer Hand voll Kleidungsstücke wieder auf.
Hakku beäugte die Sachen misstrauisch.
„Ich hoffe, dass es dir passt", sagte der Vater lächelnd.
Der Kater wollte kein neues Outfit, doch seinem Vater zuliebe nahm er die schwarze Hose und die Tasche an.
„Das Shirt nicht?", fragte der Vater enttäuscht.
„Ich brauche meine Bewegungsfreiheit. Stoff ist hinderlich, deswegen zieh ich so wenig wie möglich an", merkte Hakku an und steckte das Gerät in die Tasche, welche er sich um die Schulter hing. „Trotzdem danke, Papa"
Ein erfreutes Funkeln glitzerte in den gelben Augen des Katers, als sein Sohn ihn erneut Papa nannte.
„Wo willst du eigentlich hin? Wenn die frage erlaubt ist..."
Hakku seufzte und rieb sich die Stirn. „Verdammt, die Karte. Die muss ich verloren haben, als die Soldaten mich angegriffen hatten."
„Kein Problem." Der Vater öffnete einen Schrank und holte eine neue Karte heraus.
Erleichtert entfaltete Hakku die Karte und deutete selbstsicher auf einen Punkt. „Da muss ich hin. Der Verme-Wald."
„Das ist kein Wald. Das ist die Stadt Valora", entgegnete der Vater und drehte die Karte um. „Das hier ist der Verme-Wald. Um dorthin zu gelangen, musst du über den Ozean. Warte kurz, ich hab da was."
Verwirrt schaute Hakku seinem Vater nach, der in in einem Regal kramte.
„Irgendwo muss es doch... Ah, da hab ich den Fetzen."
Hakku zuckte mit den Ohren, als der Kater ihm ein Stück Papier in die Pfoten drückte.
„Das ist ein Ticket für die Fähre in Eual. Damit kommst du auf den nächsten Kontinent. Weißt du, was du damit machen musst?"
„Natürlich, ich bin doch kein Baby mehr", sagte Hakku selbstsicher und steckte sich das Ticket ein. Er hoffte, dass er herausfinden würde, was er mit dem Ticket machen musste.
„Jetzt muss ich aber wirklich los."
Der Vater legte die Arme um den Körper des Katers und drückte ihn kräftig. ,,Ich werde dich vermissen", flüsterte er. ,,Wir werden uns bestimmt wieder sehen, ich halte dich auf dem Laufenden."
Hakku löste sich aus der Umarmung, lächelte seinen Vater an und wandte sich schließlich zum Gehen.
Als Hakku die kleine Hafenstadt Eual erreichte, spürte er die Erleichterung in sich aufsteigen. Er hörte das Rauschen des Wasser und hatte kurz wieder das Gefühl, an dem See in seinem Wald zu sein, doch die Fläche des Wassers war hier um einiges größer.
Durch einen Torbogen gelangte Hakku in die Stadt, die seiner Ansicht nach eher ein Dorf war. Wenige Häuser umringten den Brunnen inmitten von Eual. Zwischen zweien der Häuser verlief ein Weg zu einem weiteren Torbogen, hinter dem sich die Schiffe befanden. Ein breiter Steg teilte das Wasser ein Stück und endete in einem großen Kreis. An den Seiten des Stegs reihten sich kleinere Boote, während am Kreis ein größeres Schiff angelegt war.
Hakku war verwundert über die Größe des Schiffes, da das Dorf eher klein war. Er nahm an, dass das Schiff mehr als doppelt so viele Passagiere tragen konnte, wie Eual Einwohner hatte. Er holte tief Luft und spürte das kleine Stück Papier in seiner schwitzigen Hand. Eine frische Meeresbrise wehte ihm durchs Gesicht und der Geruch spornte ihn dazu an, weiterzugehen.
Die Stadt war ruhig, nur die Wellen, welche gegen die Steinmauer brachen, durchschnitten die Stille. Ein unbehagliches Gefühl überkam den Kater, als er den ersten Fuß in Eual setzte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und die Stadt schien noch zu schlummern, somit würde er immerhin kein großes Aufsehen erregen.
Hakku hoffte nur, dass der Führer des großen Schiffes schon auf den Beinen war.
„Ich möchte mit dem Schiff fahren", sagte Hakku mit gespielt ernster Stimme. Er hielt dem Rüden das Ticket entgegen und versuchte das Zittern seines Schweifs zu unterdrücken.
Der Schakal, der seinen drahtigen Körper lässig gegen die Wand lehnte, spielte an den Knöpfen seines Hemds herum und brummte mit tiefer Stimme: „Das Schiff läuft heute nicht aus."
Hakku fluchte innerlich, doch versuchte er seine Mimik nicht zu verändern. „Aber ich habe dieses Ticket", betonte er und rieb das kleine Stück Papier unter die Nase des Schakals.
„Ich habe doch gerade gesagt, dass das Schiff nicht auslaufen wird", erwähnte der Rüde ausdrücklich und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen. „Wenn du rüber willst, nimm dir eines der Paddelboote. Niemand wird sie vermissen."
Hakku steckte das Ticket wieder ein und wandte dem Schakal mit einem Nicken den Rücken zu.
Am Steg angekommen begann Hakku sich zu fragen, warum der Schakal ihm ein Boot überlassen hatte. Wie kam es zu dieser Freundlichkeit?
Er verwarf die Zweifel und sprang in das keine Boot, dabei verlor er das Gleichgewicht und kippte fast ins Wasser.
„Wackelige Angelegenheit."
Er setzte sich und nahm sich das Paddel. Zwar war er noch nie auf einem Boot gereist, doch er war sich bewusst, dass er sich in seinem Element befand, deshalb fühlte er sich sicher.
In der Ferne trennte sich die Sonne gerade vom Horizont, um das milchige Orange des Himmels zu verdrängen. Er merkte sich den Stand der Sonne.
Hakku bemerkte, dass das Boot von einem Tau gehalten wurde. Er löste es und paddelte los.
Das Boot wippte leicht, doch die Strömung war recht schwach.
Hakku wusste, dass er geradeaus musste und er hoffte, dass er nicht vom Weg abkommen würde.
Nach etwa einer halben Stunde taten dem Kater die Arme weh und er ließ sich von der Strömung leiten. Er blickte in den fast klaren Himmel und ließ seine Nase von der Sonne kitzeln. Es war einer der wenigen Tagen in dieser kalten Zeit, in der sich die Sonne zeigte und hoffen ließ, dass es bald wärmer werden würde. Doch nach Hakkus Zeiteinschätzung dauerte dies noch eine Weile.
Er empfand den Frühling als weitaus angenehmer, da die Temperatur dort nicht zu hoch und nicht zu niedrig war. Hakku erinnerte sich an die ersten Jahre in seinem Heimatwald. Die Wintertage hatten ihn manchmal sehr zugesetzt und ihn krank werden lassen. Doch das Überstehen dieser Zeit hat ihn zu dem werden lassen, was er heute war. Er lernte sich mit den Umständen der Natur zu arrangieren und wurde stärker.
Hakku griff nach dem Gerät, welches sein Vater ihm zugesteckt hatte. Es hatte einen kleinen Knopf, auf den er drücken sollte, wenn er mit seinem Vater sprechen wollte.
„Doch am Leben erhalten konnte er dich nicht", hallten die Worte in Hakkus Ohren wider. „Was soll das bedeuten? Was hat mich stattdessen am Leben erhalten?"
Er versuchte sich zu erinnern, wann er sich das erste Mal verwandelt hatte. Soweit er wusste, konnte er sich schon immer verwandeln, doch das erste Mal, dass er wirklich kämpfen musste, hatte er noch genau in Erinnerung. Jemand war in seinen Wald eingedrungen, der Bäume fällte. Hakku hasste es, wenn man die Natur zerstörte und dies hatte er den Eindringling spüren lassen.
Plötzlich zuckte Hakku mit den Ohren. Seine Sinne waren geschärft und die Muskeln angespannt. Irgendetwas war da. Was es war, wusste er nicht, doch er wusste, dass er aufpassen musste.
Auf dem Ozean war er völlig alleine, kein anderes Boot war in Sicht. Da war nur die endlose Weite des Wassers.
Schnell griff er sich das Paddel, als eine Welle näher rollte und stetig an Masse zunahm. Hakku konnte nicht fliehen. Die Welle kam näher. Das konnte nicht sein, der Wind war still. Nichts hätte diese Welle auslösen können.
Hakku blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, woher die Welle kam. Er musste handeln.
Der Kater konzentrierte sich auf einen kleinen Punkt vor ihm. Wasser aus dem Ozean steigt auf und sammelt sich in einer kleinen Kugel vor Hakkus Brust.
Der Wächterstein tauchte inmitten der Wasserkugel auf und begann zu leuchten. Er löste sich auf, drang in Hakkus Brust ein und rief die Verwandlung hervor.
Hakku band sich seine Tasche an das Band um seine Hüfte und sprang ins Wasser, während die Welle das Paddelboot zerriss.
Als Hakku tauchte, wurde alles still. Tief unten im Ozean sah er die farbigen Fische und die Schönheit des Meeres, doch davon durfte er sich nun nicht beeindrucken lassen.
Der Kater schwamm zurück an die Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Überall um ihn herum schwammen Holzteile, die noch vor wenigen Augenblicken ein ganzes Boot waren. Er würde den Rest des Weges schwimmen müssen. Zwar war Hakku geübt im Schwimmen und wusste, dass seine Ausdauer groß war, doch die Kälte das Wassers würde ihn lähmen, wenn der Weg zu lang sein würde.
Plötzlich griff etwas seinen Fuß und zog ihn hinab in die Tiefe. Die Luft blieb ihm weg und Panik machte sich breit. Es wurde immer kälter, je tiefer Hakku gezogen wurde.
Zwar konnte Hakku im Wasser gut sehen, doch er konnte nicht ausmachen, was ihn da in die Tiefe zog. Doch was es auch war, es würde Hakku umbringen, wenn er nichts unternahm.
Instinktiv trat Hakku mit dem freien Fuß zu und traf etwas. Dieses Etwas ließ ihn jedoch nicht los und zog Hakku tiefer. Das Wesen war recht schnell und war offenbar ein Meeresbewohner.
Hakku fiel ein, dass das Wesen seinen rechten Fuß ergriffen hatte. Um diesen Fuß war eine dunkelblaue Kette gelegt, die Hakku als Kraftüberträger nutzen konnte.
Er hörte auf sich zu wehren und schloss die Augen. Hakku wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, doch der Angriff musste mit genügend Kraft ausgeführt werden, sonst würde er nicht wieder frei kommen.
Schlagartig spannte Hakku seine Muskeln an und fokussierte die gesammelte Kraft. Die Kette begann zu leuchten und eine Druckwelle löste sich, die den Kater von dem Griff befreite.
Einen Moment wirbelte Hakku durch das Wasser, ehe er sich fangen konnte. Jetzt musste er schnell sein. Das Wesen könnte jeden Augenblick zurückkehren und ihn wieder schnappen, dann wäre es vorbei. Der Drang nach Luft machte sich bemerkbar, doch die Wasseroberfläche war zu weit entfernt, um schnell genug dorthin zu schwimmen.
Er strampelte schnell mit den Beinen und streckte die Arme nach oben. Hakku nutzte seine Fähigkeiten und sauste durch das Wasser. Durch den starken Druck, den das Wasser auf ihn ausübte, fühlte er sich, als würde gegen eine Wand fliegen.
Schließlich schoss er aus dem Wasser, wirbelte durch die Luft und landete wenig elegant wieder im Ozean.
Hakku schnappte nach Luft, doch er spürte, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Etwas dunkles kam von unten auf ihn zu. Einen Meeresbewohner mit Wasser zu bespritzen würde Hakku wenig helfen, daher suchte er nach einer Alternative.
Als das Wesen wieder nach dem Bein von Hakku schnappte, krallte sich der Kater ein längliches Stück Holz, das vom Boot übrig geblieben war.
An der Stelle, wo das Holz gebrochen war, war es spitz, sodass es als Waffe benutzt werden konnte.
Erneut löste Hakku eine Druckwelle aus, die das Wesen zwang, den Kater loszulassen. Zum ersten Mal konnte Hakku erkennen, was es für ein Wesen war, das ihn angriff. Es war ein großer Fisch. Da Hakkus Kenntnisse über Salzwasserfische sehr spärlich waren, konnte er nicht genau sagen, was es für ein Fisch war, doch er konnte sagen, dass der Fisch sehr aggressiv war.
Er umschloss das Stück Holz mit beiden Pfoten und fokussierte den Fisch, der schnell durch das Wasser schwamm und dem Kater näher kam. Der Angreifer war zu schnell, sodass Hakku nur wild mit dem Stück Holz herumfuchteln könnte. Während Hakku zwanghaft nach einer Möglichkeit suchte, den Fisch zu überlisten, verfing sich dieser in dem langen Schal des Katers. Sofort reagierte Hakku und schlug zu. Das Wasser färbte sich rot.
Etwas goldenes blitzte auf.
Hakku kniff die Augen zusammen.
An der Flosse des Fisches hatte sich eine Kette mit einem herzförmigen Anhänger verfangen. Da der Fisch von dem Angriff noch wie gelähmt war, griff der Kater nach der Kette und entriss sie dem Meeresbewohner.
Der Fisch wand sich, schlüpfte durch den Schal und schwamm davon. Eine leichte Blutspur zog hinter ihm her.
Hakku erreichte wieder die Wasseroberfläche. Er steckte die Kette in die Tasche und hielt sich an einem größeren Holzbrett fest, das einst zur Seite des Paddelbootes gehörte.
Er konnte sich zwar nicht erklären warum, doch der Kater war sich sicher, dass der Fisch ihn nicht mehr angreifen würde.
„Damit hat sicher diese Kette etwas zu tun."
Er entschloss, sich das Fundstück näher anzusehen, sobald er an Land war.
Da das Boot zerstört war, blieb Hakku nichts anderes übrig, als den restlichen Weg zu schwimmen. Er hatte sich den Stand der Sonne gemerkt und konnte daher ausmachen, in welche Richtung er schwimmen musste.
Als Hakku schwer schnaufend das Land erreichte, war es schon später Abend geworden.
Er kroch aus dem Wasser und blieb erschöpft am Ufer liegen. Sein Herz pumpte und jeder tiefe Atemzug schmerzte in den Lungen. Er fühlte sich völlig ausgelaugt und nicht mehr imstande, noch einen Schritt zu tun, geschweige denn, die ganze Stadt zu durchqueren, die sich vor ihm ausbreitete.
Der Wind blies durch Hakkus nasses Fell und ließ ihn spüren, wie beißend Kälte sein konnte. Sie umhüllte seinen Körper und schwächte den sowieso schon völlig entkräfteten Jungen.
Nach einigen weiteren Atemzügen, bei denen sich jeder einzelne wie ein Messerstich in den Brustkorb anfühlte, schaffte Hakku es sich aufzurappeln und sich zu schütteln. Das Wasser spritze in kleinen Tropfen durch die Luft und benässte Hakkus näheres Umfeld.
„Ob dieses Gerät von meinem Papa noch funktioniert?"
Doch als er den Reißverschluss der Tasche öffnete, fiel ihm auf, dass kaum Wasser in die Tasche eingedrungen war.
„Er hat wohl vorsorglich daran gedacht."
Selbst die Karte war kaum beschädigt, auf die er nun einen knappen Blick warf. Die Stadt, die auf der Karte verzeichnet war, lag direkt vor seinen Augen, doch er wollte nicht in die Stadt. Ein anderes Ziel zog ihn an.
„Wenn ich in den Verme-Wald will, muss ich an der Stadt Verme vorbei kommen", dachte er sich und blickte auf.
Ein leichtes Rot hatte bereits in den Himmel gestochen und über der Stadt lag ein leichter Lichtschleier. Gehörte wohl zu einer der Städte, die die wertvolle Energie nicht zu schätzen wusste, dachte Hakku.
Hakku hatte nie diese Energie, mit der der Strom erzeugt wurde, gebraucht, deshalb verstand er nicht, weshalb andere damit so verschwenderisch umgingen. Leo hatte ihm erzählt, dass Energie sehr teuer war und in seinem Heimatdorf nur das nötigste an Energie verbraucht wurde. So soll es bei den meisten Dörfern sein, doch die größeren Städte gingen mit der begrenzten Energie weniger sparsam um, wie auch diese Stadt Verme, in der Hakku schon von Weitem erkannte, dass alle Wege mit Laternen bestückt waren und die Haushalte mit Technik ausgestattet waren. Zumindest konnte er erkennen, dass überall künstliches Licht brannte.
Hakku zupfte nervös an den Haaren seines Oberarms und legte die Ohren an. Alleine eine große Stadt durchqueren zu müssen war etwas, das er lieber vermieden hätte. Es war Fremdgebiet und Hakku fühlte sich in der Zivilisation diesem Levels unwohl. Mit Dörfern kam er zurecht, aber die Städte mit ihrer Technik, den großen Häusern und dem Mangel an Natur mochte Hakku gar nicht. Sein Fell sträubte sich bei dem Gedanken, von Einwohnern angesprochen zu werden. Es war ihm zuwider.
Andererseits wollte er nicht kneifen und hatte sein Ziel vor Augen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde er sich nicht so einfach davon abhalten lassen und er hielt sich vor Augen, dass er bereits viele Städte durchquert hatte und auch dort das ein oder andere Mal alleine unterwegs war.
Er spürte die Blicke, die sich in seinen Rücken zu bohren schienen. Sein sonderbares Erscheinungsbild musste ungewollte Aufmerksamkeit erregt haben, doch Hakku ließ sich nicht beirren. Er sah bereits den Weg, der raus aus der Stadt zu dem Wald führte, der auch auf seiner Karte markiert war.
Seine Gedanken richteten sich wieder auf die Kette in seiner Tasche. Wo kam es her und warum hatte es den Meeresbewohner so aggressiv gemacht?
In den Augenwinkeln konnte er ein Gebäude erkennen, das nach Hakkus Vermutung eine Bibliothek war, da er durch die Scheiben vollgestopfte Bücherregale sah. Möglicherweise würde er dort eine Antwort finden, doch Hakku konnte nicht lesen.
Er trabte weiter und ärgerte sich darüber, solch einfache Dinge nie gelernt zu haben.
Die Sonne war längst hinter dem Horizont verschwunden, als Hakku den Wald erreichte. Ein Gefühl der Wehmut überkam ihn, als er die Bäume, das Laub und den Geruch wahrnahm, der ihn an seinen Wald erinnerte. Andererseits war er auch froh, dass er seinen Wald verlassen konnte, um mehr von der Welt zu sehen.
Das Geräusch von Eulen drang an seine Ohren und erregte seine Aufmerksamkeit. Hakku sah hinauf in den Himmel und sah, dass der Mond bereits hoch stand.
„Ich sollte für heute Schluss machen", dachte er sich und sah sich um. Die Bäume in diesem Wald waren hoch und hatten brüchige Äste. In seinem Heimatwald war es Hakku gewohnt, auf seinem Baum oder einer Höhle zu schlafen, doch diese beiden Möglichkeiten entfielen hier, da auch nirgends eine Höhle zu sehen war, in die sich Hakku zwängen könnte.
Er suchte Schutz unter einem großen Busch, der noch einige rote Blätter trug. Das hasste Hakku an dem Winter, es gab keine Verstecke, da die Blätter fort waren und sein Fell durch das reine Weiß hindurch stach.
Zum Glück gab es noch keinen Schnee, doch Hakku war sich sicher, dass dieser nicht mehr lange auf sich Warten lassen würde.
Er musste sich eingestehen, dass er das Haus in Ehur vermisste und besonders den warmen Kamin, vor dem man sich gut zusammenrollen und schlafen konnte.
Doch bis er dies wieder tun konnte, hatte er etwas zu erledigen.
Mitten in der Nacht schlug Hakku die Augen auf. Sein Schweif zuckte und seine Pfoten prickelten. Er war hellwach und seine Muskeln angespannt.
Er spürte die Anwesenheit eines anderen.
Der Kater spitzte die Ohren.
Ein Rascheln, dann Stille.
Hakku fuhr die Krallen au.
Wieder ein Rascheln, diesmal lauter.
Hakku sprang aus seinem Versteck hervor und ließ seine Krallen blitzen. Er verfehlte sein Ziel. Doch er erkannte, wer der Fremde war: Ein kleiner Wolf, der sich an der Tasche von Hakku zu schaffen gemacht hatte und nun vom Geräusch aufgeschreckt wurde.
Kurz hielt der kleine Vierbeiner Augenkontakt mit Hakku, dann schlug er die Zähne in die Tasche und rannte davon.
Hakku blieb einen Augenblick perplex stehen und grinste dann.
„Endlich habe ich dich."