Kapitel 2 - Die Verwandlung

Story by Schneewind on SoFurry

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#3 of Bonnie und Clyde - Eine Werwolfsromanze


Jamie schlug die Augen auf. Er lag verloren in den Falten seines grau-weiß gestreiften Bettzeugs im blassen Morgenlicht. Draußen wehte kein Wind, die Fenster der Nachbarn waren noch dunkel, aber die Straßenlaternen erloschen. 7:10 AM auf der braunen Leuchtanzeige seines Weckers. Er stützte sich auf einen Ellbogen und tippte auf ´Snooze´, denn der Alarm war schrill und er war ja ohnehin schon wach. Keine Miene verzog er, als sein Blick auf die unfertigen Schularbeiten auf seinem Schreibtisch viel.

War nicht so schlimm, konnte er sich erlauben. Jamie erhob sich, legte ruhig eine dünne blaue Jacke mit türkiser Hose an und zog ein paar Wollhandschuhe aus dem Regal. Es war wolkig und Regen wie Kälte würden sicher kommen. Mit wenigen Handgriffen strich er seine Decke glatt, stopfte sich das Essay in die Tasche und öffnete die Zimmertür. Auf dem Gang roch es nach den Pfannkuchen, die seine Mutter jeden Morgen in nur wenigen Minuten zubereiten konnte. Das Holz knarzte, als er die Treppe hinunter lief, eine Hand auf dem Geländer, in der anderen sein Notebook. Am Tisch saß sein Vater und las die neueste Ausgabe des Mopar Magazines, eine Tasse Kaffe neben sich, außerdem eine Zigarette, die er doch nicht im Haus anzünden würde. Nächsten Monat würde er 47 und man sah ihm sein Alter an. Hinter der randlosen Brille lagen scharfe, aber blasse Augen und sein Haar, businesslike zurückgekemmt, war von grauen Strähnen durchzogen.

"Guten Morgen, Darling." kam es aus der Küche und seine Mutter erschien im Türrahmen. Sie trug ihr rot-weiß gepunktetes Lieblingskleid, darüber eine Schürze. Dunkelbrauner Haar umrahmte ihr weiches Gesicht, auf dem sich kaum eine Falte finden ließ. "Morgen, Mum." lächelte Jamie und ließ sich auf seinem Stuhl an der Ecke des Tisches nieder, gerade als sein Vater aufstand. Die Pfannkuchen waren warm wie immer, der Orangensaft im Vergleich zum Sirup viel zu sauer. "Bye, Dad." rief er in den Gang. Sein Vater brummte etwas zurück, nicht unfreundlich, einfach nur in Eile. Die Haustür schlug zu und der Kies knirschte. Das Kreischen eines alten Starters, dann sprang der Motor an und stotterte, als sein Vater den Wagen in Drive knallte. Es war der braune Chevy, ein Station Wagon mit einem 350er Motor. Und der alte Mann ging nicht gerade pfleglich damit um. Erdklumpen prasselten gegen die Fenster, als er aufs Gas trat und den Oldtimer die Einfahrt hinunter und mit qualmenden Reifen auf die Straße jagte.

Jamie sah nicht auf, und auch seine Mutter verzog kaum eine Miene. Sie verstand nicht viel von Autos. In jüngeren Jahren war sie einmal mit ihrem Fiancée durch Arizona gereist, in einem "altem Cheviac oder so", wie sie immer sagte, doch die Faszination von starken Motoren und staubigem Blech war an ihr vorbeigegangen. Einige stille Minuten vergingen, während Jamie frühstückte und nebenher mit einem Bleistift sein Essay weiterkritzelte. Seine Mutter leistete ihm Gesellschaft, strickte und sprach kein Wort, denn es gab nichts zu sagen. Es war keine unangenehme Stille. Und gerade als die britische Standuhr in der Ecke, das hölzerne Drum das Jamie so gar nicht leiden mochte, 8 Uhr schlug, polterte Brians Firebird die Straße hinauf. Anders als der Vater jedoch, fuhr Brian vorsichtig um Jamies Haus. Keine Burnouts, keine hohen Drehzahlen, nur ein lauter Motor, der schon bei der sanftesten Bewegung röhrte, so sehr er sich auch um Diskretion bemühte. Jamie erhob sich, stopfte sein Essay zurück zwischen die Seiten seines Notebooks und verschwand im Schuhzimmer. Seine Mutter zog eine Schnute. Sie war sich nicht so ganz sicher, wie er und Brian wirklich zueinander standen. Jamie hatte niemals derartige Tendenzen gezeigt, andererseits brachte er nur selten Mädchen nach Hause, hielt zu ihnen allen Distanz.

Eine Regenjacke, halbhohe Schuhe und ein dünner, braun-weiß gestreifter Regenschirm. Jamie hoffte, das würde genügen, denn gerade als er eine Hand an die Klinke legte, begann der Regen auf das Hausdach zu trommeln. Draußen stand Brian und lächelte ihm zu; er hatte nicht geklingelt. In ein paar Schritten waren sie beim Auto, noch bevor sich die ersten Pfützen bilden konnten. Die Wagentüren schlugen zu, der Motor erwachte blubbernd zum Leben und Brian tippte behutsam aufs Gas.

Wunderbar warm war es im im Firebird, die Sitze groß genug, dass sich Jamie räkeln und darin versinken konnte. Dezent leuchtete ihm das Amaturenbrett entgegen. Einige der Anzeigen waren defekt und Brian hatte schon unzählige Male stehen bleiben müssen, entweder weil Dampf unter der Motorhaube hervorquoll oder der Tank leer war. Diesmal allerdings lief die Maschine ohne Probleme, innen ein wohliges Brummen, außen ohne Zweifel ein furchterregendes Donnern. Es war kein weiter Weg zur Schule, nur durch den alten Teil der Vorstadt, ein Stück Amerika aus dem späten 19. Jahrhundert, und dann eine Straße durch den Wald. Sie kamen an hohen Statthäusern vorbei, teils düstrer Schiefer, teils rußgeschwärzter Backstein, an Kirchen im Stil des Wilden Westen und finstren Mauern mit verwachsenen Gärten dahinter.

Oh, was für eine fantastische Fahrt es war. Im Fahrzeuginneren hatten sie es weich und gemütlich, das Leder roch gut und die Deckenbeleuchtung spendete warmes Licht. Draußen dagegen tobte das Gewitter. Am breiten Grill des Firebirds brachen sich die Elemente, der Regen brandete gegen die Windschutzscheibe und der Nebel zog Kondenzstreifen über die Kotflügel. Brian war still, hielt das Lenkrad ruhig in einer Hand und ließ die andere am Fenster liegen. Jamie sah hinaus ins Grau, zu den Ampeln, kaum mehr als bunte Schlieren im Grau, und träumte. Der Wald wechselte gerade die Farbe, war hier noch grün und da schon gelb - ein atemberaubend schöner Anblick in diesem Teil des Landes.

Und manchmal, wenn sein Blick ins Moos zwischen den Stämmen, in den Schatten unter dem Herbstlaub strich, dann befiel ihn eine Sehnsucht, der er kaum Herr zu werden vermochte. Ein Wunsch, der ihn den Wind entlang hoch in die Berge zog, und ihm von einem Augenblick zum anderen das Herz in der Brust herumdrehte. Er wollte hinaus zu den Wölfen und Füchsen, wollte sich keine Sorgen mehr machen müssen, wollte wild und schön sein, ein ungestümes Leben mit einem dieser unbeschreiblichen Geschöpfe teilen. Jamie wünschte sich ein dichtes, weiches Fell, scharfe Krallen und Zähne, schnelle Läufe und ein Knurren in der Kehle. Er wollte...

Ein Ruck, Reifenquitschen und Jamie schreckte auf. Brian fluchte, als eine rote Corvette ausscherte und ihnen den Weg in den Schulhof abschnitt. "Fucking asshole." Er hupte zwei mal, stieg auf die Bremse und ließ seinen Wagen brüllen. Jamie zog sich die Handschuhe über und schüttelte den Kopf. Er wusste, wem die Corvette gehörte. Als sie daran vorbeifuhren, rollte Brian das Fenster herunter und schlug mit der flachen Hand auf das Heck des roten Sportwagens. Chevrolet hatte bei der Konstruktion von Blech abgesehen, zwecks Gewichteinsparung Plastik verwendet. Es krachte und der Kofferraum sprang auf, Brian zeigte den Mittelfinger und zog davon.

Jamie lachte. "Ich geb´s zu, das war ziemlich badass." Brian zwinkerte stolz und stellte den Motor ab. Es blubberte und der Firebird schloss die Augen. Draußen hatte der Regen nachgelassen, es tröpfelte nur noch leicht. Jamie spannte trotzdem den Schirm auf, als er die Tür aufstieß und... fand sich Auge in Auge mit Richard Ferrol wieder, einem Arschloch. "Sag mal, Liebling..." Richard kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit der Zunge über seine Oberlippe. "Wie wärs mit einem-" Er holte aus, zögerte aber. Jamie spürte Brians starken Schatten hinter sich, fühlte sein Hand auf der Schulter und seufzte. Jede Highschool hatte einen wie Richard, ihm gehörte die Corvette und er hatte es nicht gut aufgenommen, als Brian sein geliebtes Auto als Plastikspielzeug entlarvt hatte.

Er war kräftig, aber nicht sportlich, trug einen Mets Jersey und rote Baseballschuhe. Die Mets waren orange. Richard spielte nie als Quarterback, weil ihm niemand vertraute, und umgab sich stets mit neuen Leuten, die er dann doch nach einem Monat wieder abschrieb. "Go fuck yourself." Das war das einzige, was Brian sagte. Und mehr brauchte es auch nicht, um Richard davonziehen zu lassen.

Seite an Seite schlenderten sie zum Schultor, Jamie unter seinem Schirm und Brian in seinem gelb-blauen Anorak. Der Nebel verzog sich, der Himmel blieb allerdings weiterhin grau und spiegelte die hohen Scheiben im roten Ziegelwerk. "`Nacher dann" brummte Brian und lief zu Chemie im Nebengebäude. Jamie sah ihm nach und stieg dann die Treppen hinauf, in die Vorhalle. Die ersten zwei Stunden hatte er Physik, darauf folgte Englisch und schließlich Geschichte. Newton, Hemingway und J.F.K. Er hatte die Bücher in seinem Spind, aufgeräumt aber staubig. Obenauf lag ein Haufen knittriger Bleistiftzeichnungen und sein alter Ipod, mitsamt der Headphones, die er sich extra für die Schule gekauft hatte.

Auf dem Weg zu seinem Klassenzimmer im ersten Stock blätterte Jamie im Geschichtsbuch. Am Anfang des neuen Kapitels war ein Bild von John F. Kennedy und Khrushchev, dem Russen, abgedruckt. Schwarz-weiß, starker Kontrast, beide lachten. John der Strahlemann und Khrush... Jamie konnte den Namen nicht einmal in Gedanken richtig aussprechen. Gute-Laune-Geschichte, dachte er bei sich und schmunzelte. Letzten vierten Juli war er mit Brian zu einer Airshow gefahren, hatte die Flagge geschwenkt und den Blue Angels zu gesehen, wie sie durchs Feuerwerk flogen. Niemand von den Leuten dort hatte gewusst, wer Kr... der Russe war. Machte nichts. Amerika!

Das Klassenzimmer war hell, die hölzernen Wände bissen sich mit dem Linoleum-Boden. Jamies Platz lag am Fenster, vorletzte Reihe, ein leerer Stuhl hinter ihm, seine Freundin Angela vor ihm. Er gähnte und wartete aufs Klingeln. Draußen wurde es heller, der Hof trocknete und er konnte ganz schwach die Bäume im Wind rauschen hören. Physik war angenehm. In Englisch musste er ein wenig Tadel einstecken, ob des schäbigen Zustands seines Essays. Als es an Geschichte ging, sackte er schließlich auf seinem Tisch zusammen und schlief ein.

Erst zur Mittagspause wachte er wieder auf. Kurz vor eins, drei Stunden hatte er noch. Die Pause würde er mit Brian auf dem Campus verbringen. Dort standen noch die verschlissenen Korbsessel und einige brüchige Stühle, die die Schüler im vergangenen Sommer zusammengetragen hatten. Auf den meisten begann das Moos zu wachsen, andere waren schon von Herbstmänteln und Schals besetzt, viele waren schlicht zu nass. Brian aber hatte einen Trockenen gefunden, unter einer jungen Buche.

Jamie klemmte den Schirm unter den Arm, schüttelte seiner Kunstlehrerin Mrs. Janson die Hand und lief durchs Herbstlaub zu seinem Buddy hinüber. Der Wind fuhr ihm durchs Haar, ließ seine Jacke flattern und trieb ihm einen Hauch Nässe in den Kragen. "Redoxreaktionen." begrüßte ihn Brian grimmig und bot ihm einen Platz auf der Bank neben sich an. Es war ein wenig kühl, aber nicht ungemütlich, denn die Böhen hatten die Nässe vom Holz geblasen und ließen die Buche hinter ihnen rauschen. "Th´Old Man and the Sea" grinste er zurück, verzog gleich darauf aber das Gesicht, denn die Novelle hatte es ihm wirklich nicht angetan.

Brian biss in seinen Hotdog und Jamie krümelte sein Brown Sugar Sandwich. Viel hatten sie einander nicht zu erzählen, das war allerdings nicht ungewöhnlich. Sie mochten gemeinsam Autos reparieren, Campen gehen und Festivals besuchen... Doch Jamie redete einfach nicht gern und Brian störte sich nicht daran. Im Gegenteil, es machte ihn in seinen Augen äußerst liebenswert. Er erstarrte, als sein Freund die Beine an die Brust zog und sich an seinen Rücken lehnte. Jamie kümmerte es nicht. Mochten die Leute denken was sie wollten, er war müde.

Der Nachmittag verging, wie es drei Stunden Kunst nun einmal tun. Die erste Hälfte mit dem Kopf in den Händen im Schatten neben dem Lichtkegel des Projektors, den Rest mit einem Kohlestift in den schlanken Fingern über einem weißen, grauen dann schwarzen Zeichenblock. Und schon bald fand sich Jamie auf dem Parkplatz wieder, den Blick suchend zwischen den parkenden Autos. Es war nicht schwer, den Firebird zu finden. Er war das Rostigste und Lauteste von allen... normalerweise.

Diesmal nicht. Der Wagen gab keinen Mucks von sich und sperrte den Rachen auf. Brian stand davor, ohne Jacke, nur im Shirt, die Hände zwischen den öligen Kiefern. "Motherfuckin´ piece of shit" hörte Jamie ihn brummen. Brian würde niemals so von seinem Auto sprechen, nicht einmal wenn es ihn mitten in der Wüste im Stich ließe. Selbst als es bei fast 50 Grad am Rande des Death Valleys im Sand stecken geblieben war, hatte er nicht geflucht.

Und in der Tat, Brian hatte nicht den Firebird gemeint. Schon aus 50 Fuß Entfernung konnte Jamie den lfleck sehen. Damit nicht genug, es schien, als sei die schwarze Schmiere in alle Richtungen gespritzt. Der weiße Mercedes des Schulleiters rechts daneben hatte heute morgen sicherlich noch nicht wie ein räudiges Zebra ausgesehen. Andererseits war das vermutlich das erste Mal, dass dieses Plastikschiff überhaupt echtes l gesehen hatte, dachte Jamie verächtlich.

"God damn son bitch." knurrte Brian, beruhigte sich aber, als er Jamie sah. Ein Blick in den Motorraum verschaffte keine Aufklärung, es war schlicht alles schwarz. An der Wagenunterseite allerdings wurde das Ausmaß der Katastrophe ersichtlich. Irgendjemand hatte den großen blauen Drehmomentwechsler des Firebirds herausgebrochen, dass er beinahe den Boden schleifte. Eine wirklich perfide Art und Weise, einen Wagen zum Stehen zu bringen, noch dazu mit erheblichem Kraftaufwand verbunden.

Als Brian den Wagen gestartet hatte, musste die Hölle losgebrochen sein. "Ich - werd - ihn - umbringen." Während sein Freund noch Drohungen ausstieß und sich die Schmiere aus dem finstren Gesicht wischte, hatte Jamie schon einen Abschleppwagen gerufen. Gab keine Möglichkeit, den Firebird unter eigener Motorkraft aus dem Parkplatz zu bekommen. Scooter musste mal wieder ran.

Ging aufs Haus, wie auch sonst wenn Jamie und Brian liegen blieben. Scooter, oder Jimothy Frederiksen, war der Besitzer von "JF Motor Parts". Kaum mehr als ein glorifizierter Schrottplatz mit anliegender Werkstatt oben in den Bergen. Aber wenn man nach einem alten Cadillac, Pontiacs aus den 70ern wie Brian einen hatte, oder einem großen Chevy suchte, dann gab es, so unglaublich das auch klang, keinen besseren Ort. Auf gut zwei Hektar hatten die Frederiksens seit beinah 50 Jahren Autos gehortet, sodass sich ein ansehliches Labyrinth aus Luxusschiffen und Muscle Cars gebildet hatte. Nur keine Lincolns, die hasste Scooter wie die Pest.

Jamie konnte Stunden zwischen all dem schweren Blech und den gewaltigen Kühlern verbringen. Selbst der Dreck in den Ecken trug Seriennummern und im alten Teil trat man unter dem Staub buchstäblich mit jedem Schritt auf ein Stück Route 66. Die letzten zwei Sommer hatten er und Brian für JF Motor Parts gearbeitet, von dort stammten auch der Firebird und all die Ersatzteile, die nötig gewesen waren, um das Monster wieder zurück auf die Straße zu bringen. Während Brian allerdings Dollar um Dollar für Motor, Getriebe und Kotflügel ausschüttete, hatte Jamie selbst sein Geld gespart. Es gab einfach nichts, wofür er es hätte ausgeben wollen. Die Dinge, die er sich wünschte waren für Geld nicht zu haben, und für ein Auto war er lange Zeit zu jung gewesen.

Brian deckte gerade den Blower ab, als Scooter in seinem Tow Truck um die Ecke auf den Parkplatz donnerte. Es war der gelb-schwarze Ford 250, sein persönlicher Liebling. Der Rostkönig hatte Lichterketten drum herumgeschlungen, von der mächtigen Stoßstange über das schartige Dach bis hin zum Heck sah der Puller nun aus wie der Weihnachtsbaum eines Psychopathen á la Stephen King. Brian verzog das Gesicht, als der Abschleppwagen quitschend und schwankend zum Stillstand kam. Denn hintenauf baumelte ein schwarzer Haken an faustdicker Kette und dieses bedrohliche Ding sah er nur ungern an der Kehle seines geliebten Firebirds.

Die beiden Fahrzeuge gaben in der Tat ein majestetisches Bild ab. Vorne der finstre Drache, zischend und grollend, hinten der Phoenix, blutend und mit gebrochenem Flügel. Nachdem sie den Parkplatz verlassen hatten, dauerte es nicht lange, da kam der Schulleiter angerauscht, mit wichtiger Miene und ausholenden Gebärden. Die Sekretärin war auch dabei, froh über die zusätzliche Rauchpause. Brian winkte noch einmal und folgte ihnen dann ins Büro. Die Sache zu erklären würde nicht einfach, aber er hatte schon Schlimmeres überstanden. Jamie seufzte und wandte sich zum Gehen. Es gab nichts was er tun konnte.

Es war ein langer Weg nach Hause. Die Straße durch den Wald, die sie ihm Wagen in gerade einmal 10 Minuten bewältigen konnten, kostete Jamie beinah eine ganze Stunde. Nicht, dass es ihn gekümmert hätte. Denn es wurde dunkel über den Bergen und er fühlte sich äußerst wohl. Es waren diese Stunden vor Sonnenuntergang, dieses Grau zwischen Regenschauern, die das Halblicht zwischen den Bäumen unglaublich verlockend aussehen ließen. Jamie wusste, dass er dort nicht hingehörte, dass es ihm an allem fehlte, was er so gern gewesen wäre. Das hieß aber nicht, dass er es nicht genießen durfte. Der Regenschirm hielt ihn trocken und seine Jacke warm, als er durch einen Herbstwirbel nach dem anderen wanderte, durchs Laub raschelte und den Blick im Moos verlor.

Schließlich wurde die Straße enger und die Bäume lichteten sich zu dem düsteren Backstein des alten Stadtteils. Rechts eine reihe stattlicher Villen, die den Bizarren und Skurrilen ein Heim boten, sicherlich aber keinen ehrbaren Mitbürgern. Säulen und Efeu, blinde Fenster und schlammiger Granit, dort wo früher einmal Bälle gefeiert worden waren und Lichter gebrannt hatten. Es war eine Schande, diese Pracht so verkommen zu sehen. Vor einem Haus parkte ein Leichenwagen, mit Moos unter den Scheibenwischern und den Rädern eine Handbreit im Dreck.

Auf der anderen Seite allerdings... Es standen keine Laternen dort, denn die brauchte es nicht. Schmiedeiserne Zäune, zugewachsene Einfahrten und dann die Kirche, die die ganze Straßenzeile beherrschte, wenn man sie denn sah. Denn sie war nicht aus weißem Marmor gehauen und es wuchsen keine Blumen davor, sondern eine Dornenhecke. Errichtet im jungen 20. Jahrhundert auf einem Friedhof des wilden Westens ragte sie hoch ins Grau, bedrohlich und schwarz wie die Nacht. Die gewaltigen Bogenfenster waren so dunkel, dass sie auch den letzten Rest der Dämmerung schluckten und das geteerte Holz, das noch in 20 Metern Höhe knarzte, hätte genauso gut eine Frigatte tragen können. Und dort oben im finstersten Turm hing eine Glocke, so mächtig, dass Jamie sie noch unten auf der Straße im Wind vibrieren und singen hörte.

Diese Kirche war die Ursache für den Verfall der Gegend. Niemand wollte seine Kinder in ihrem Schatten spielen lassen, niemand wollte die düsteren Gestalten die Straße hinaufkommen sehen und selbst im dichtesten Garten konnte man sich nicht geborgen fühlen, wenn Abends die Glocke schlug. Jamie wusste nichts davon, er sah nur das Licht in seinem Giebelfenster, ein paar Blocks weiter. Ein warmer Punkt über den Kreuzen und alten Bäumen. In der Tat, von seinem Zimmer aus konnte er knapp eine Ecke des Friedhofs sehen, zwischen dem Schornstein seines Nachbarn und einer Blautanne, die die Kirche allerdings verbarg. Und so entschied er sich für die Abkürzung entlang der Gräber. Sie waren still und aufregend, sicherlich auch ein wenig unheimlich.

Das zweiflügelige Tor aus schwerem Eisen ließ sich kaum öffnen, denn es stak im hohen Gras und einige der Scharniere waren herausgebrochen. Doch was für ein Anblick bot sich Jamie, als er schließlich durch den schmalen Spalt schlüpfte! Der Friedhof sah aus, als habe ihn keine Menschenseele in den letzten 150 Jahren betreten, als seien hier die letzten Outlaws begraben worden und danach niemand mehr. Altertümliche Namen waren in die Grabsteine gekerbt, teils verblichen, teils klangvoll und aufregend. Namen, wie sie seit der industriellen Revolution nicht mehr vergeben worden waren. Oh, Jamie hatte keine Ahnung, wie recht er mit seiner Vermutung hatte.

Es gab keinen Pfad mehr. Hier und da waren vielleicht noch einige wenige Pflastersteine zu erahnen, zwischen den Senken, wo das Erdreich in die Gruften gebrochen war, und entlang der Hügel über Familiengräbern. Der Rest jedoch war von dunklem Gestrüpp und wilden Rosen überwachsen, die im Wind rauschten und raschelten. Viele der Grabsteine waren eingesunken, die Holzkreuze verwittert und schief, teils vermoost, teils splittrig.

Eine Kutsche stand im Schatten einer verdorrten Lärche. Die Naturgewalten hatten an den Türen gerüttelt und die Speichen zerbrochen, hatten den Rost in die eisernen Verschläge getrieben. Von dem hohen Bock aus mochte einst ein waschechter Banditen mit seiner Flinte auf Gesetzeshüter geschossen haben, hinter den schmalen Fenstern hingen noch rot-samtene Vorhänge, die Wunderbares, vielleicht aber auch Grausiges verbergen konnten.

Jamie hielt inne. Still war es um ihn, da gab es nur den Wind und das leise Knarzen von Holz. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zu dem mächtigen Baum hinauf. Braune Nadeln rieselten herab und knisterten auf seinem Schirm. Warum er wohl eingegangen war? Beinahe hätte er die Hand ausgestreckt, um über die Rinde zu streichen. Beinahe.

Denn als er einen Schritt nach vorne trat, da krachte es um seine Füße, Wurzeln rissen und es war, als täte sich der Schlund zur Hölle auf. Selbst wenn er gekonnt hätte, Jamie hätte keinen Laut von sich gegeben, als er durchs Mauerwerk brach und in die Dunkelheit fiel. Grabesstaub und die Kälte von uraltem Erdreich wallten ihm entgegen. Es war kein langer Fall, trotzdem hatte er genug Zeit um die Verwesung zu schmecken und seinen Regenschirm loszulassen. Der unvermeidliche Aufprall schlug ihm buchstäblich die Luft aus den Lungen. Er konnte hören, wie Urnen zerschellten und die Scherben an den Wänden barsten.

Aschewolken stoben auf und hüllten ihn ein, finster wie sonst nichts auf der Welt. Jamie meinte zu ersticken, denn der Staub fuhr in seine Brust und vertrieb seinen Atem. Dann wurde es heiß um ihn, es war, als könnte er das Feuer der Einäscherung spüren. Und in der Tat, die Asche glühte, Flammen züngelten und er konnte die Funken knistern und fauchen hören. Fuuuck... krächzte er und versuchte, sich aufzurichten. Mit einer Hand zog er sich an einem Sarkophag nach oben, die andere konnte er nicht mehr spüren. Oh, beinahe hätte er es geschafft.

Doch kaum hatte er den Kopf gehoben, da war es um Jamie geschehen. Es war einfach zu viel. Sein Herz blieb stehen und er schlug der Länge nach hin, fiel mit dem Gesicht voran in die fußhohe Schicht aus Dreck, Staub und Asche, die sofort in Flammen aufging. Ein Feuerwirbel donnerte über ihn weg, versenkte den Stein und fraß sich nach nur wenigen Augenblicken selbst. Es gab schlichtweg nichts mehr, was brennen konnte. Und so erlosch das Feuer weider, schnell wie es begonnen hatte. Stille kehrte ein und es war der Wind, der ihn aufrichtete, den Schmutz an ihm empor in die Nacht bließ und einen letzten Hauch Grau in die Gruft sog.

Doch es war nicht Jamie, dort in der Finsternis. Wie auch, nun da sein Herz nicht mehr schlug? Es war das Feuer selbst, das ihm wie flüssiges Gold durch die Adern rann. Die Aschewolken, die ihn eingeschlossen, ihm den Atem aus der Brust gerissen hatten, sie waren mit ihm in den Flammen verschmolzen, wie ein Fell, nachtschwarz und totengrau. Die Funken vor seinen Augen, sie waren seine Augen, die Hitze dahinter hatte seine Gedanken, sein Zögern verbrannt. Jegliche Menschlichkeit darin war in Rauch aufgegangen, sein Geist scharf und und wilder als jemals zuvor.

In einer Grabplatte aus poliertem Onyx sah er sich das erste Mal. Sah das Monster. Die Dunkelheit troff ihm von den Lefzen, zwischen blanken Zähnen hervor. Spitze Ohren über dem Gesicht eines Fabelwesens mit glühenden Augen und einer schlanken Schnauze. Bei jedem Atemzug entwichen Schwaden von Staub und weißem Feuer seinem Rachen. Er war fürchterlich - und wunderschön.

Ein Blick nach oben, zu qualmendem Rosengestrüpp und verkoltem Gras. Er spürte das Knurren in der Kehle, wollte mit den Ascheschleiern hinaus in die Dämmerung, in die stille Nacht. In nur wenigen Sätzen sprang er über den Schutt hinweg nach oben, riss Geröll und Erde nach unten und brach durch die Rosen, dass Stacheln und schwelende Blütenblätter auseinander stoben.

Und dort, zwischen den Kreuzen des Wilden Westens, dort wo Holz und Stein einander seit hundert Jahren den Schatten stahlen, wehte der Wind, der ihn aus dem Grab getragen hatte. Und so, wie auf brennende Sonne ein reinigendes Gewitter folgt, war es es dieser kühle Abendwind, der ihm die letzten Funken aus dem Fell bließ und ihn vollends zum Wolf werden ließ.

Fußnoten:

Cheviac: Eine Kombination aus Chevrolet & Pontiac. Eine derartige Verwechslung ist schon vorgekommen:)

Schiefer & Backstein in Idaho ist Blödsi... Fiktion natürlich, aber doch eindrücklicher als eine kleine weiße Holzkirche nicht wahr?

Drehmomentwechsler: Voller l, dreht sich schnell, macht eine Riesensauerei.