Tage im Juni - ENTDECKER (2) - Ger

Story by Kranich im Exil on SoFurry

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#18 of Tage im Juni

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TAGE IM JUNI

Entdecker

- 2 -

Jannik wanderte verträumt den schmalen Weg entlang und erspähte im Vorgarten einen rotbefellten Schweif zwischen gelben Gräsern. Er hielt darauf zu und der fuchsige Rest tauchte auf, samt Kopf mit spitzer Nase und langen Ohren. Sie zuckten, als sie den kleinen Luchs bemerkten.

»Mini-Mietz«, wurde er gegrüßt. »Was geht bei dir?«

»Das Übliche«, gab er zurück. »Vati läuft auf Hochtouren, wie immer.«

»Hat er gut lachen können?« Jakes Grinsen war so breit wie sein Kopf.

»Mit geballten Pfoten.« Jannik musste ebenfalls kichern.

Er war froh, dass Jake doch Isaks Drohung ernst genommen hatte und nun Shorts trug. Zumindest so halb, denn sie hingen ihm unterm Hintern und präsentierten stolz ein Paar Boxershorts mit Graffitimustern. Dazu eine quietschbunte Cap und ein lockeres Tanktop mit so tiefem Ausschnitt, dass es fast schon nicht mehr als Kleidungsstück durchging.

Jannik verstand, warum der Fuchs gerne viel von seinem Körper zeigte, denn unter dem kurz geschorenen Fell war seine Haut von den Knöcheln bis zum Hals mit Tattoos bedeckt. Verschlungene Muster aus Blüten, Ranken und Dornen schimmerten durch das kurze, rötliche Haar und ließen ihn wie ein lebendiges, abstraktes Gemälde erscheinen. Je nach Lichteinfall waren andere Details zu entdecken.

Jannik konnte nur erahnen, wie viel Zeit und Geld er darin investiert hatte und er bewunderte den Fuchs für seinen Mut. Am meisten bewunderte er ihn jedoch dafür, wie stolz er war. Er tat einfach was er mochte und Jannik wünschte sich, er könnte wenigstens halb so viel Fuchs sein.

»Schule?«, raunte Jake.

»Leider.«

Der Fuchs hob verwundert die Ohren -- zumindest so weit es unter der Kappe ging. »Probleme?«

Jannik machte eine wegwerfende Geste. Jake schien zu verstehen und bohrte nicht weiter nach.

»Wenn du quatschen willst, komm einfach rüber«, bot er an und wandte sich wieder den Sträuchern zu, die er zu stutzen versuchte. Der Versuch schien aber vielmehr ein Experiment zu sein.

Jannik beobachtete, wie er an einer Astschere herumhantierte und mit gehobenen Augenbrauen wahllos Zweige wegschnitt.

»Wundernuss schneidet man nicht«, merkte der Junge an. »Sie wächst sonst schlecht.«

»Oh«, entfuhr es Jake und er zog die Schere zurück. »Weißt du, ich plane hier eh eine Hecke zu pflanzen. So eine mit Blättern und diesen Knospen und so, ja?«

»Rhabarber?«

»Genau, Rhabarber. Das sieht doch ziemlich nice aus mit den Blüten, nicht?«

Jannik kicherte innerlich. Der Fuchs und Gartenarbeit -- das war wie ein Karpfen und Seilhüpfen.

»Kann ich auch rüberkommen für deinen Pool?«

Jake zögerte. »Die Filter sind brandneu, weiß du. Und Luchsfell kommt da nicht so gut.«

»Ich verliere aber kein Fell«, protestierte Jannik.

Er fuhr zusammen, als ihm Jake ein Haar aus dem Armfell zupfte. »Da sieht man's. Du verlierst es doch.« Er ließ das Haar vor Janniks Gesicht herumtanzen. Der Luchs griff danach, aber Jake zog es weg und lachte. »Ich muss erst aufräumen, okay?«, schlug er vor.

Dann wäre es sicher bereits nächstes Jahr. Jannik wusste, dass Jake nicht zur ordentlichen Sorte gehörte. Und er wusste auch, dass das nur eine billige Ausrede war. Jannik konnte sich denken, welche_Beweisstücke_ es zu beseitigen galt. Er hatte Gerüchte gehört -- Geschichten über nächtliches Treiben in Fuchsbauen. Er erinnerte sich an Isaks klägliche Versuche, diese möglichst blumig zu umschreiben mit »Gesellschaftsspielen« oder »Klempnerarbeiten«.

Jake schien es leicht zu fallen, engagierte Kundinnen zu finden. Er war beliebt. Und mit diesem Gedankengang meldete sich Janniks Unzufriedenheit zurück. Selbst der skurrile Nachbar fand Gesellschaft, während Jannik wie der letzte Eremit alleine herumhockte.

Was Isak wohl von einem Ganzkörpertattoo halten würde? Vielleicht half das Jannik, Freunde zu finden.

Jake wurde bestimmt nicht ignoriert. Egal wo er war, er zog immer alle Blicke auf sich. Es waren nicht bloß seine bunten Klamotten und die Tattoos, es war seine ganze Art. Wie er einen Raum betrat, mit Schwung und Selbstvertrauen, herausgestreckte Brust, Finger zum Gruß gespreizt, ein breites Lächeln -- niemand ignorierte ihn. Er war einfach -- er war einfach Jake. Ein Name, ein Gesicht und hundert Macken. Er würde bestimmt nicht in irgendeiner Ecke sitzen müssen, aus Angst von den anderen umgerannt zu werden.

Im Vergleich zu Janniks Alltag musste Jakes ein Abenteuer sein. Der Luchs malte sich den Fuchs beim Einkauf aus: ein bunter Fleck zwischen grauen Passanten, die alle keine Ahnung hatten, was sie vom tätowierten Typen mit Neoncap und Hängehosen halten sollten. Manche mochten munkeln, andere lachen und Jake lachte einfach mit, während er fragte, ob es die Boxershorts auch in Giftgrün gab.

Jannik fragte sich wie es wohl wäre, Jakes Sohn zu sein. Ein kleiner Fuchs mit sonnigem Gemüt und ausgefallenen Klamotten. Jeder Tag wäre aufregend, ein Abenteuer.

Zu träumen war ihm jedoch nicht vergönnt, denn sein Kopf beschloss ihn spontan an Niklas' Worte zu erinnern:»Wir werden nie jemand anderes sein. Sondern bloß wir selbst.«

Er konnte nicht sagen, ob das eine Aufmunterung war oder eine Drohung. Selbst wenn er anders sein könnte, würde sich dann nicht am Ende unter rotem Fell und bunten Klamotten doch bloß derselbe langweilige, graue Luchs verstecken? Wieder ein Traum, der in Enttäuschung endete.

Als der Junge endlich aus seinen Gedanken zurückkehrte, sah er den Wundernussstrauch in ein klägliches Holzgerippe verwandelt. Es hingen noch genau drei Blätter daran. Der Rest hatte sich in einen dekorativen Bodenbelag verwandelt.

»Soll ich dir nach der Schule eines von Kajas Gemäldeschildern vorbeibringen«, fragte der Luchs, »damit du der Skulptur einen Namen geben kannst?«

»Oho, jetzt wird Mietz auch noch frech. Hau lieber ab, bevor ich dir 'nen neuen Schnitt verpasse!«, scherzte Jake und hielt die Schere hoch.

»Das solltest du erst noch an ein paar anderen Sträuchern üben.«

Jake knüllte einige Blätter zu einem Ball zusammen und warf damit nach Jannik.

Der Junge nahm die Beine in die Hand und duckte sich. Daneben. Das Knäuel klatschte gegen die Scheibe von Isaks Wagen. Die Fahrertür öffnete sich und ein grimmiges Luchsgesicht kam zum Vorschein.

Jakes Augen wurden größer und seine Ohren senkten sich ab. Er ging hinter dem Strauch in Deckung bevor Isak auf die Idee kommen konnte, seine Dienstwaffe zu ziehen. Jake wusste wohl, dass Isak niemals auf moderne Kunst schießen würde.

Jannik lief kichernd die Straße hinab, während er seinen Vater laut meckern und den Fuchs beschämt schweigen hörte.


Jannik war sich sicher, dass der alte Uhrenturm ihn mit seinen zwei schwarzen Fenstern an der Spitze anstarrte. Die Zeiger waren lange schon vom Ziffernblatt gefallen. Der Turm ragte über die Baumwipfel hinaus und war das einzige, was hinter der grauen Steinmauer hervorschaute. Es wäre das perfekte Versteck für einen bösen Magier, der im Dämmerlicht mit stechendem Blick die Stadt ausspähte.

Jannik hielt sich dicht an der Mauer, um vor den schwarzen Fensteraugen verborgen zu bleiben.

Er wartete jetzt schon seit zwanzig Minuten. Kein Ringelschweif weit und breit.

Gute Gelegenheit noch einmal seine Ausrüstung zu überprüfen: Ein Kompass, falls er sich im Gebäude verlaufen sollte. Wanderschuhe mit dicken Sohlen, sollte das Gelände voller scharfer Steine oder Glasscherben oder Nägel sein. Sein Handy, falls er sich an einem der scharfen Steine, Glasscherben oder Nägel verletzen sollte und Hilfe rufen musste. Eine Taschenlampe, sollte es im Gebäude pechschwarze Löcher geben. Eine Flasche Wasser, falls er in eines der pechschwarzen Löcher fallen sollte und dort ausharren musste. Und ein Baseballschläger, für den Fall dass er in einem der pechschwarzen Löcher einem böser Magier begegnete. Er fragte sich, ob er noch das Pfefferspray hätte mitbringen sollen, falls der böse Magier Wachhunde besaß. Oder einen Fahrradhelm, falls der Magier den Baseballschläger in die Krallen bekam und damit auf Jannik einzuschlagen versuchte. Dann fiel ihm ein, wie blödsinnig das war. Ein böser Magier würde keinen Baseballschläger verwenden sondern einen Feuerball auf ihn schleudern. Gut dass er die Wasserflasche dabei hatte.

Als er in Gedanken versunken vor der Mauer hockte, konnte er das Feuer fast schon spüren, denn die Nachmittagssonne begann ihn langsam zu braten.

Wo blieb Niklas nur? Jannik warf einen Blick auf sein Handy. Fünfundzwanzig Minuten. Vielleicht bedeutete_»nach der Schule«_ für Niklas etwas anderes als für Jannik. Oder der Waschbär hatte ihn versetzt.

Das hätte Jannik nicht verwundert. Es fiel ihm schwer, Niklas einzuschätzen. Den Waschbären konnte man nur schwer für Unterhaltungen begeistern. Oder für andere Dinge. Er schien gelassen zu sein, aber es war anders als bei Isak. Sein Vater war pragmatisch und redete nur über Dinge, die wichtig und nützlich waren. Niklas hingegen wirkte wie ein Heimlichtuer, der Wichtiges verschwieg.

Jannik lief die Mauer entlang und warf einen Blick durch das hohe Zauntor. Dahinter war nur verworrenes Buschwerk zu sehen. Das Tor war völlig verrostet und ließ sich keinen Millimeter bewegen. Hindurchzwängen konnte man sich nicht und Stacheldraht verhinderten das Hinüberklettern. In dieser Situation ausgesperrt zu sein beruhigte den kleinen Luchs etwas. Das Gebäude schien ungebetene Gäste nicht willkommen zu heißen. Das passte gut, denn er wollte dessen Ruhe auch nicht stören.

Sein Handy vibrierte. Eine Nachricht von Niklas. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Er öffnete sie, dort stand aber bloß das Wort_»Seitengasse«._ Wie gesagt: kein Freund vieler Worte.

Es gab eine schmale Gasse an der Mauer entlang. Jannik hatte bereits vorhin einen Blick in sie geworfen, war aber sofort weitergegangen, als er sah, wie beklemmend und dunkel sie war. Sie schlängelte sich zwischen den Mauern der angrenzenden Gebäude hindurch und war von vorn bis hinten mit Schatten gefüllt. Jannik konnte das Ende nicht einmal erkennen. Der Weg verlor sich irgendwo zwischen Weinranken und Grasbüscheln, die aus den Ritzen der Steine quollen.

Zaghaft unternahm er einige Schritte. In der Gasse war jedoch nichts Besonderes zu sehen. Kein Tor. Kein Durchgang. Und vor allem kein Waschbär. Nur graue Steinmauern, die sich zu beiden Seiten emporhoben und Kälte aussandten. Wenigstens war die Luft hier angenehmer.

Wieder meldete sich das Handy:»Loch.«

Jannik sah sich um, entdeckte aber nirgendwo ein Loch. Je weiter er die Gasse hinunterlief desto unsicherer fühlte er sich. Das Treiben und die Geräusche des Marktplatzes hatte er längst hinter sich gelassen. Weinranken hatten es irgendwie geschafft, von einer Mauer zur nächsten zu wachsen und bildeten an einigen Stellen eine Art Dach. Der Junge malte sich in diesem Gewirr von Ästen und Blättern Gesichter aus, die wie stumme Beobachter auf ihn herabblickten.

Am Ende der Gasse könnte ihm wer-weiß-wer auflauern. Was, wenn die Nachrichten gar nicht von Niklas waren, sondern von einem zwielichtigen Betrüger, der den kleinen Luchs in eine Falle lockte? Er hätte keine Ahnung. Er würde ihm einfach blind in die Krallen laufen. Dort. Im Schatten und alleine zwischen Mauern. Niemand würde etwas mitbekommen. Keiner helfen können.

Isak riet ihm stets, sich von entlegenen Orten fern zu halten. Wo niemand ist, seien oft Leute, die nicht gefunden werden wollen. Die nichts Gutes im Schilde führen.

Der Gedanke machte ihn paranoid, denn in der Ferne glaubte er weitere Gesichter nahe der Mauer zu sehen. Dunkle Flecken im Schatten, die sich glücklicherweise immer als Grasbüschel oder hervorstehende Steine entpuppten.

Dort fand er auch das besagte Loch. Über die Jahre hinweg hatte sich der Regen einen Weg gesucht und an einer Stelle die Erde weggewaschen. Die Mauer hatte ihren Halt verloren, war abgesunken und zeigte nun eine kleine ffnung.

Jannik warf einen Blick hindurch und sah dahinter dasselbe Strauchgewirr wie am Haupttor. Einige Grashalme waren platt gedrückt. Dort war vor kurzem jemand durchgekrochen.

»Niklas?«, rief er. Keine Antwort.

Plötzlich raschelten die Büsche und ein kleines Maskengesicht tauchte neben ihm auf. Er erschrak und schlug sich den Kopf an einer Kante an. Er zischte schmerzlich und rieb sich den Pelz.

Niklas sprach nicht, sondern ergriff Jannik am Arm und zog ihn zu sich durch das Loch. Die ffnung war jedoch klein und der Luchs blieb mit dem Rucksack stecken. Es benötigte einige Verrenkungen und etwas Gewalt, bis er endlich auf der anderen Seite angekommen war.

Dann schob Niklas eine Eisenplatte vor das Loch. Auf Janniks Frage, wozu das gut sein sollte, antwortete er bloß: »Damit es keiner sieht.« Der Luchs fragte sich, ob das bedeutete, dass es hier viele Herumtreiber gab, vor denen es das Loch zu verstecken galt. Er wusste nicht, ob er sich durch die potenzielle Anwesenheit anderer Personen sicherer fühlen sollte oder eher bedroht.

Er redete sich ein, dass Niklas wusste was er tat. Immerhin manövrierte sich der kleine Waschbär zielstrebig durch die Büsche.

Fast wäre er wieder verschwunden gewesen. Jannik folgte ihm hastig, vorbei an moosbewachsenen Baumstämmen und verwitterten Steinsockeln, auf denen einst Laternen gestanden haben mussten. Das Lazarett schien früher einmal von einem Park umgeben worden zu sein. Heute war es nur noch eine verworrene Wildnis, in die das Licht des Nachmittags kaum vordrang. Es war schattig und kühl. Der Boden roch nach feuchter Erde. Der Wildwuchs ignorierte die ehemaligen Randsteine der Grünflächen und hatte seine ganz eigene Gartenplanung walten lassen, die eine Collage aus hohen Grasflächen, Efeuinseln und mit Wicke behangenen Zaunresten vorsah. Aus einem Büschel Süßgras ragte schief ein alter Wegweiser empor, dessen verwitterte Pfeile auf nicht länger vorhandene Orte verwiesen. Auf seiner Spitze hatte es sich ein Farn gemütlich gemacht, der sich leicht im Wind wog.

Niklas ignorierte das Schild. Er schien seine ganz eigenen Wege zu gehen.

Jannik musterte ihn. Der Waschbär hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Klamotten zu wechseln und trug weiterhin ein ausgeblichenes Shirt und zerrissene Shorts. Vielleicht stammten die ganzen Löcher sogar von Streifzügen aus genau dieser Gegend.

»Bist du öfter hier?«, fragte der Luchs, bekam aber keine Antwort. So langsam sollte er sich wohl daran gewöhnen.

War dieser Park also sein Rückzugsort? Sein Spielplatz?

Es war eine abenteuerliche Wildnis, aber nicht von der Art Abenteuer, die sich Jannik ausgemalt hatte. Statt einer Prise Aufregung bekam er hier ein ganzes Gewürzregal aus Bedrohlichkeit und Unheil.

Der Waschbär führte ihn zu einer Treppe, deren lose und verrutschte Stufen halsbrecherisch hinab führten, zu einem imposanten Hof, der wie eine Insel zwischen sich aufbäumenden Sanddornsträuchern thronte.

An seinem Ende erhob sich wofür die beiden gekommen waren: das alte Lazarett mit seiner düsteren Silhouette.

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