Tage im Juni - LEHRMEISTER (4) - Ger
#14 of Tage im Juni
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TAGE IM JUNI
Lehrmeister
- 4 -
Niklas war den kommenden Tag besonders vorsichtig. Er mied den Schulhof und den Speisesaal. Am meisten jedoch mied er alle Anthros mit Streifen. Kein Platz war sicher. Nicht einmal an seinem Rückzugsort am Bach hatte er seine Ruhe finden können.
Trotz seiner Vorsicht glaubte er mehr Blicke als sonst auf sich zu ziehen. Und er entdeckte noch zwei weitere störende Dinge: einen Labrador und einen Luchs. Beide in schwarz-roter Uniform. Polizisten.
Wie Frau Gruber angekündigt hatte. Seine Cousins konnten Polizisten überhaupt nicht ausstehen. Also konnte es Niklas auch nicht. Sie waren neugierige Typen. Hatten einen Beruf, in dem sie täglich anderen Leuten nachstellten und sich in alles einmischten. Und glaubten dabei, sie wären die Guten. Die schlimmste Art von Anthro überhaupt. Vier weitere Augen, von denen er sich besser fernhalten sollte.
Er nahm den Schleichweg zwischen den Hecken. Die Randbepflanzung sollte Schüler davon abhalten, zwischen den einzelnen Abschnitten des Schulhofes umherzulaufen, für Niklas bot sie jedoch den idealen Schutzschild gegen neugierige Verfolger.
Er wartete an einer Ecke und beobachtete die beiden Gesetzeshüter. Sie quatschten miteinander, ließen ihre Augen dabei jedoch ständig zu allen Seiten wandern, um alles und jeden auszuspionieren. Sie glotzten ohne es sich anmerken zu lassen.
Er konnte sehen, wie die Nasenflügel des Labradors zuckten. Der Typ schnüffelte heimlich die Schüler aus, die an ihm vorbeiliefen. Niklas grummelte verärgert. Sicher hatte er den Geruch der Waschbären aus dem Park aufgenommen. Der Junge musste sich von den beiden fern halten, wollte er nicht urplötzlich im Kreuzverhör landen.
Endlich setzten sie sich in Bewegung und wanderten in Richtung Schulhaus. Mittelgebäude. Das hieß, er würde den Seitenflügel nehmen.
Er tat einen Schritt zurück hinter die Ecke und stieß mit jemandem zusammen. Drehte sich im Sprung um. Luchsaugen. Jedoch kleine.
»Vor wem versteckst du dich?«, wollte Jannik wissen.
Niklas brummte. Was hatte ein Luchs zwischen den Hecken zu suchen? Auf seinem Schleichweg? Wenigstens hatte er Punkte und keine Streifen.
Jannik spähte an ihm vorbei. Wenn er seine Puschelohren so weit hochhielt, würde ihn gleich jeder entdecken.
»Du musst vor der Polizei keine Angst haben«, meinte er. »Sie wollen bloß helfen und herausfinden, was mit Chucks passiert ist.«
Niklas brummte erneut.Nein. Sie wollen die ganze Sache nur noch schlimmer machen und in allem rumstochern. Dafür sind sie da.
Jannik zog ein Blatt Papier hervor und überreichte es Niklas. »Leider ist die alte völlig ruiniert worden«, sprach er.
Eine Grußkarte. Auf dem Papier war die Zeichnung eines Tigers. »Es ist nicht so gut wie deine, aber ich hoffe, das geht in Ordnung.« Er lächelte.
Niklas starrte verwundert darauf. Das Gekritzel sah gar nicht mal so übel aus. Der Luchs hatte Talent. »Wozu die Flügel?«
»Oh, das ist mir eingefallen, weil wir über das Buch mit den Verwandlungen gesprochen haben. Damit kann er fliegen, wohin er möchte und niemand kann ihm etwas Böses tun.«
»Oder er ist tot und jetzt ein Engel.«
Jannik machte die Augen auf und zupfte sich nervös an den Tasthaaren. »Darüber habe ich nicht nachgedacht. Meinst du, er könnte die Karte missverstehen?«
Janniks Ohren senkten sich jedes Mal, wenn er verunsichert war. Sein Gesicht sah dadurch eingefallen aus. Er sollte sein wütendes Gesicht machen. Das stand ihm besser.
Niklas betastete die Karte mit seinen Fingern, wendete sie. »Nein, glaub nicht.« Er gab sie Jannik zurück. Es war eine schöne Karte.
Der kleine Luchs schien erleichtert. Er zog noch einen Gegenstand aus seinem Rucksack und streckte ihn Niklas mit beiden Pfoten entgegen. Ein paar Kopfhörer.
»Sie sind schon etwas älter. Ich habe sie nie benutzt. Du kannst sie haben«, verkündete er.
Niklas runzelte die Stirn und betrachtete sie. Verwundert sah er Jannik an. »Warum?«
»Deine sind kaputt gegangen, nicht?«
Er meinte_warum_ Jannik ihm seine geben wollte. Das ergab keinen Sinn. Niemand verteilte einfach so sein Eigentum. Vor allem nicht so etwas Wertvolles und Persönliches. War das ein weiterer Teil seines Tricks?
»Was willst du dafür von mir?«, fragte Niklas misstrauisch.
»Nichts. Ich schenke sie dir.« Er schien Niklas ungläubigen Blick zu bemerken und sein Lächeln verschwand. »Wenn du sie nicht möchtest, kannst du sie ja wegwerfen. Das ist mir egal. Ich habe bereits entschieden, sie dir zu schenken.«
Schmollend zog Jannik den Rucksack auf seinen Rücken und reckte den Kopf in die Höhe, um über die Hecke spähen zu können. »Die Polizisten sind weg«, berichtete er, um vom Thema abzulenken, »und der Unterricht fängt gleich an.« Er setzte sich in Bewegung.
Niklas hielt die Kopfhörer in seinen Händen. Er ließ seine Fingerballen über sie fahren. Sie sahen aus wie neu. Sie wackelten nicht. Waren nicht beschädigt und mussten nicht geflickt werden. Er legte sie um den Nacken. Sie fühlten sich anders an. Waren schwerer als seine eigenen.
Da war wieder das nette Gefühl, das sich in seine Brust schlich wie ein Gespenst. Es verwirrte ihn. Er sah dem Luchs nach, der sich auf den Weg gemacht hatte.
Ich behalte dich im Auge.
Das Krankenhaus war nicht mehr als fünfzehn Minuten Fußweg von der Schule entfernt. Frau Gruber hatte aber darauf bestanden, das Auto zu nehmen -- ein Kleinwagen in Hasengröße, der aber ebenso gut als Kutsche für Schulkinder eingesetzt werden konnte. Als solche kam er jedoch nur selten zum Einsatz, da Schulkinder wilde Bestien waren, die die Häsin lieber im Raum für Nachsitzer verwahrte. Wenn es nach ihr ginge, würden es Käfige im Schulkeller wahrscheinlich auch tun.
Aufgrund des nachmittäglichen Staus dauerte die Fahrt genauso lange wie der Fußweg. Das gab ihr genug Zeit, in vierzehn der fünfzehn Minuten über die Plagen des Lehreralltags zu schwadronieren. Über die Herbstklausuren und die Exkursion der Neunten.
»Ich nahm an, der Botanische Garten sei ein gutes Ausflugsziel. Der Zoologische letztes Jahr war eine Katastrophe«, plapperte sie, »aber ich habe unterschätzt, wie leicht sich Schüler an Echinokakteen verletzen können. Oder an Würgefeigen die Schulter auskugeln. Oder von Kniewurzeln Platzwunden davontragen. Ich habe mehr vom Krankenhaus gesehen als vom Garten. Nächstes Jahr geht es in irgendein Zeltlager, wo es nur Erde und Gras gibt. Es sei denn -- Ob man wohl an Gräserpollen ersticken kann?«
Niklas und Jannik saßen auf der Rückbank und versuchten das Geplapper einfach zu akzeptieren, als würde es zur Fahrt gehören, wie das Rattern des Autos.
Jannik hatte aus seinem Rucksack eine Packung Coco Crunch Kekse hervorgezaubert. Die Neuen, mit getrockneter Hähnchenbrust. Er grinste und hielt Packung und Karte nebeneinander. Beide waren gelb. Niklas Mund wurde feucht beim Anblick der Kekse. Sie sahen so knusprig und fleischig aus. Er konnte die feine Kokosnote bereits auf seiner Zunge schmecken.»So köstlich hast du Kokos noch nie geknabbert!«
»Können wird kosten?«, drängelte er und angelte mit seinen Fingern nach der Packung.
Jannik zog sie zurück. »Die sind für Chucks. Wir können nicht einfach etwas davon essen«, belehrte er.
»Aber etwas weniger davon würde ihm gut tun.«
»Willst du damit sagen, dass er zu viel isst?«
»Er hat bloß dickes Fell. Um die Hüfte.«
Beide kicherten. Niklas fand es lustig, wie Janniks Ohren beim Lachen wippten und sich das Fell seiner Backen aufplusterte.
Dann hob sich plötzlich der Kopf des Luchses und sein Blick flog an Niklas vorbei aus dem Fenster. Der Waschbär folgte ihm und entdeckte auf der anderen Straßenseite den großen grauen Klotz des verlassenen Lazaretts, das eingesunken hinter hohen Mauern und alten Kiefern schlief. Nur der Uhrenturm schien Wache zu halten und das Treiben auf der Straße zu beobachten. Die weiten Giebel waren wie Kapuzen heruntergezogen und warfen lange Schatten über die Fassade.
Das Grinsen auf Janniks Gesicht verschwand, als er das Gebäude mit den Augen verfolgte in einer Mischung aus Angst und Sorge. Niklas beobachtete, wie seine Nase unmerklich zitterte als versuchte er, den Geruch des Lazaretts aufzunehmen. Als wäre es ein großes Tier, das dort am Straßenrand lag.
Der Waschbär ließ sich in die Sitzbank sinken und grübelte. »Ich kann es dir zeigen«, flüsterte er dem Luchs zu.
Janniks Ohren zuckten. Er war abgelenkt gewesen. »Was zeigen?«
»Das Lazarett. Ich kenne mich da aus.«
Er sah, wie der Gedanke daran hinter Janniks Gesicht werkelte und seine Nase zittern ließ.
»Es ist schön dort«, fügte Niklas an.
Der Luchs kaute auf seiner Lippe herum und starrte aus dem Fenster. Es war leicht zu erkennen, dass ihm die Idee nicht gefiel. Er blickte drein wie ein kleines Kind, dem man erzählt hatte, dass ein Monster im Schrank säße und es nun hinein müsste, um es mit Keksen zu füttern. Jannik drückte sich ins Sitzpolster und starrte auf die Packung Coco Crunch und die Karte auf seinem Schoß.
Er atmete aus. »Okay«, antwortete er dann, »wenn du es dort schön findest, würde ich es gerne sehen.« Er lächelte wieder.
Niklas hob die Augenbrauen. Hatte er seine Angst gerade einfach heruntergeschluckt? Gut, dann wird sich ja zeigen, wie mutig der Luchs wirklich war.
»Am Donnerstag nach der Schule«, gab Niklas an. Jannik nickte.
Niklas hatte das städtische Krankenhaus noch nie besucht. Der ausladende Vorplatz mit dem halbmondförmigen Glasbau wirkten wie eine fremde Welt, die vom Rest der Stadt abgegrenzt war. Durch die, wie Fischschuppen angeordneten Scheiben, wurde der Hof von heißem Nachmittagslicht durchflutet. Schutz fand man nur unter einer Reihe Skulpturen. Sie waren geformt wie große Malanga-Blätter und bildeten einen schattigen Pfad, der Besuchern das Überqueren des Platzes ermöglichte, ohne geröstet zu werden.
Den kleinen Waschbären faszinierte jedoch am meisten die riesige Fontäne im Zentrum, deren Sockel an den Stamm eines Drachenblutbaumes erinnerte. In mehreren Metern Höhe fächerte er sich in hunderte kleiner Röhrchen auf, aus denen Wasser sprudelte und großflächig herabregnete. Kinder alberten unter dem Brunnen herum und kicherten, wenn sie nass gespritzt wurden. Niklas hielt sicheren Abstand. Von Wasser hatte er erst einmal genug.
Im Vorbau befanden sich neben einem Boulevard, der von noch mehr pflanzenähnlichen Skulpturen gesäumt war, auch eine Bibliothek, eine Kantine und die Rezeption. An selbiger diskutierte Frau Gruber jetzt schon seit zehn Minuten über die Besuchserlaubnis mit einer Zebradame, die wohl lieber irgendwo am Strand gelegen und sich ihre weißen Streifen gebräunt hätte.
Niklas gefiel dieser Ort nicht. Selbst die befremdlichen Sehenswürdigkeiten konnten ihn nicht genug ablenken. Die drei standen mitten im Innenhof. Alles war aus Glas. Alles war hell. Es roch ekelhaft. Nicht nach Anthros. Nicht nach Gras oder Luft. Es roch künstlich und leblos. Und überall waren Leute. Tapsten und eilten an ihnen vorbei. Schritte und Stimmen hallten von den Glaswänden wider.
Er zog die Kopfhörer über die Ohren, damit der Tumult leiser wurde. Wieder merkte er, dass es nicht seine waren. So anders. Aber sie halfen. Das war gut.
Was er aus dem Augenwinkel sah, war jedoch ganz und gar nicht gut. Groß, sandfarben und streifig. Chuma. Er marschierte den Boulevard entlang wie ein arbeitsloser Henker. Sein weit ausgeschnittenes, rotes Tank Top zeigte heute besonders viel von seinen Muskeln. Niklas schluckte. Ihre letzte Begegnung hatte ihm mehr als gereicht.
Der Waschbär drehte sich auf der Stelle um und sprang hastig hinter eine der Malanga-Skulpturen. Jannik blickte ihn verwundert an, sah dann Chuma ebenfalls und legte die Stirn in grimmige Falten.
Niklas zog den Luchs zu sich ins Versteck, bevor dieser Frau Gruber berichtete, welche Rolle Chuma bei dem Vorfall spielte.
»Aber der Mistkerl gehört verpfiffen!«, protestierte Jannik.
Niklas zischte bloß und signalisierte ihm die Klappe zu halten.
Chuma entdeckte Frau Gruber und leitete ein Ausweichmanöver ein. Eine Lehrerin außerhalb der Schule zu treffen war sicher selbst ihm ein Dorn in der Pfote.
Zu spät. Sie erspähte ihn -- oder vielleicht hatte sie ihn auch mit ihren Riesenohren gehört -- und winkte ihm zu. Er setzte ein falsches Lächeln auf, als sie ihn fragte, wie es seinem kleinen Bruder ginge. Das Wort_»klein«_ aus ihrem Mund zu hören war skurril, denn Chucks war größer als sie. Chuma fast doppelt so groß.
»Geht so«, gab er kurz angebunden zurück und meinte, dass er auf dem Weg in die Kantine sei. Er schien wenig begeistert, als Frau Gruber von ihrem geplanten Besuch berichtete. Er hätte eine wichtige Verabredung mit einem Salami-Eisbecher.
Als sie jedoch verlauten ließ, dass Jannik und Niklas auch dabei waren, stellte er seine Ohren auf.
»Aja? Dann komm ich auch gleich hoch«, grinste er und zeigte alle seine Zähne.
Zum Glück hatte er beiläufig die Zimmernummer genannt. Damit hatte Niklas Gelegenheit, Jannik am Arm zu packen, ihn heimlich zum Fahrstuhl zu zerren und den Weg rauf zu nehmen, solange Chuma noch mit seinem eisgekühlten Proteinsnack beschäftigt war.
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